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razmyshlenijam ob otnoshenijah chelovechestva s pechatnym slovom. Neobychnaja professija glavnogo geroja - podpol'shhika, romantika, professionala svoego dela, - zastavljaet nas po-novomu vzgljanut' na knigu. Roman Sorokina mozhno prochest' kak jepitafiju bumazhnoj literature - i kak gimn ee vechnoj zhizni.

Produktbeschreibung
razmyshlenijam ob otnoshenijah chelovechestva s pechatnym slovom. Neobychnaja professija glavnogo geroja - podpol'shhika, romantika, professionala svoego dela, - zastavljaet nas po-novomu vzgljanut' na knigu. Roman Sorokina mozhno prochest' kak jepitafiju bumazhnoj literature - i kak gimn ee vechnoj zhizni.
Autorenporträt
Vladimir Sorokin, geb. 1955, gilt als der bedeutendste zeitgenössische Schriftsteller Russlands. Er ist einer der schärfsten Kritiker der politischen Eliten Russlands und sieht sich regelmäßig heftigen Angriffen regimetreuer Gruppen ausgesetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2018

Originelles Völkchen, diese Bayern

Barbarei des feinen Unterschieds: Der russische Schriftsteller Vladimir Sorokin legt einen dystopischen Roman zur Zukunft der Spitzengastronomie vor.

Von Hubert Spiegel

Bayern ist wieder eine Monarchie! Hier ist man früher als im Rest Europas mit den Islamisten fertig geworden, hat die Folgen des "Großen Krieges" besser als anderenorts verkraftet und erfreut sich nun seiner regionalen Eigenarten: "Ein munteres Völkchen von zupackender Art", wie der russische Schriftsteller Vladimir Sorokin schreibt, das nicht viel mehr braucht als Bier, Schweinshaxe und eine "Richtstatt an zentralem Ort".

In diesem Bayern des Jahres 2037 treffen sich die Mitglieder der "Großen Küche" zu einem ihrer streng geheimen Konzile, die nur einberufen werden, wenn es ums Ganze geht: um die ganze Branche, das höchst einträgliche, allerdings schwerkriminelle Geschäftsmodell oder ums nackte Überleben. Denn die internationale Spitzengastronomie, wie sie in Vladimir Sorokins neuem Roman "Manaraga - Tagebuch eines Meisterkochs" betrieben wird, ist illegal, gefährlich und ein pervertiertes Vergnügen nur für Superreiche: Kochen als Form des organisierten Verbrechens, exklusivste Gaumenfreuden an geheimen Orten als dekadenter Nervenkitzel für Oligarchen, Kriegsgewinnler und den degenerierten Geldadel einer verkommenen Welt. Da werden Konkurrenten und Verräter einbetoniert, Lieferanten ausgeschaltet, Boten abgeschlachtet. Sorokin beschreibt in seiner mit Leuchtfarben ausgepinselten grotesken Dystopie das Jahr 2037 als Wendepunkt einer Art "Roaring Thirties" des 21. Jahrhunderts.

Der aus Budapest stammende Meisterkoch, dessen fiktives Tagebuch wir lesen, heißt Geza, ist 33 Jahre alt, Sohn eines Geisteswissenschaftlers und Ururenkel eines Rabbiners. Seit neun Jahren ist er Profikoch und gehört zu den angesehensten Mitgliedern der "Großen Küche", die wie eine mittelalterliche Handwerkerzunft organisiert ist: Sie erlässt Regeln, sorgt mit väterlicher Strenge für deren Einhaltung, bietet ihren Angehörigen Schutz - und liquidiert sie, wenn es nötig erscheint. Und jetzt scheint es nötig, denn Verrat droht. Daher das Konzil, das etwa in der Mitte des Buches in einem bayerischen Schloss stattfindet, das wohl nicht zufällig an König Ludwigs Herrenchiemsee erinnert.

Sorokins neuer Roman, im vorigen Jahr im Original in Russland erschienen und jetzt von Andreas Tretner mit großer Lust am Sprachspiel ins Deutsche übersetzt, ist ein Wirbelsturm aus Versatzstücken aller Art, in dessen Zentrum ein skurriler Einfall grimmig grinsend vor sich hin glimmt: Die gedruckten Werke der Weltliteratur sind die Grillkohle der Zukunft und der entscheidende Bestandteil einer Nouvelle Cuisine, die sich "Book 'n' Grill" nennt. Feurio!

Die Bibliomanen des fortschreitenden 21. Jahrhunderts verschlingen Proust, Nabokov und Flaubert nicht mehr mit den Augen, sondern übergeben sie den Flammen, die Köche wie Geza zu zügeln wissen. Ein Buch zu lesen heißt nun, es auf den Zutaten zuträgliche Weise kunstgerecht abzufackeln. Die Anforderungen an gute Literatur sind dabei nach wie vor streng geblieben. Auch im Jahr 2037 ist ein Buch noch immer "das beste Geschenk", aber es sollte schon "Eindruck machen: Es muss lodern und die Sinne entflammen". Sorokin, der Meister des postmodernen Pastiches und begnadete Stimmenimitator, der auch in seinem jüngsten Roman in Zitaten und Anspielungen badet, kann klingen wie die Märchentante vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, getaucht allerdings in bittersten Sarkasmus: "Wenn du ein Buch wirklich liebst, wird es dir alle Wärme spenden, die in ihm wohnt." Wer das als zynisch empfindet, sollte bedenken, dass Putin und seine militant antiintellektuellen Jugendorganisationen, die auch Werke Sorokins schon öffentlich zerstört haben, dass seine brutale Polizei und seine korrupten Richter, dass die ganze bittere Realität des heutigen Russland an diesem Roman mitgeschrieben hat.

Gezas mobile Zukunftsküche bewegt sich in einer Welt, in der Bücher nur noch in Museen vorhanden sind und kein Fetzen Papier mehr bedruckt wird - Geldscheine ausgenommen. Wie DJs reisen die Spitzenköche mit leichtem Gepäck um die ganze Welt, von Auftritt zu Auftritt, und legen auf. Sie kommen, grillen und kassieren. Klassiker gelten als "fettes Scheit": Geza bereitet Schaschlik vom Stör auf Dostojewski zu, Zander auf Bulgakow und Seeteufel auf Platonows "Tschewengur". Besonders extravagante Kunden stellen das Brennmaterial - oder die Zutaten - sogar selbst her: Einmal muss Geza das komplett wiedergegebene Manuskript der Erzählung eines Tolstoi-Wiedergängers verwenden, ein anderes Mal schneidet sich ein zoomorphes Wesen, vielleicht eine Art Elon Musk in Zentaurengestalt, ein Schnitzelchen aus den eigenen Rippen, was feinsinnige Überlegungen zum Unterschied zwischen - verbotenem - Kannibalismus und - geduldeter - Autophagie zur Folge hat. Die Spitzengastronomie bleibt auch in Zukunft Expertensache. Dass Sorokins kleiner James Bond mit Kochmütze und Küchenschürze die Bücher, die er entzündet, nicht gelesen hat, versteht sich dabei von selbst.

Dieses "Tagebuch eines Meisterkochs" ist geistreich, unterhaltsam zu lesen, nicht ohne Spannungselemente und dabei so bitterböse, wie es sich für eine Dystopie gehört. Sorokin, 1955 geboren und in Moskau und Berlin lebend, verlängert die traurige Realität seines Heimatlandes in eine noch viel dunklere Zukunft. Die Revolution, die Geza verhindern soll, besteht darin, dass ein Verräter in den Reihen der "Großen Küche" das exklusive Konzept des "Book 'n' Grill" demokratisieren will - um noch mehr Kohle zu machen. Bücherverbrennung als Massenunterhaltung. Die verfressenen Verbrecherbosse und schmatzenden Superreichen haben Bourdieus Schriften nicht gelesen, aber sie handeln danach. Auch die Barbarei, so lautet ein wiederkehrendes Motiv in Sorokins Werk, ist in ihrem fortgeschrittenen Stadium eine Sklavin des feinen Unterschieds. Menschlicher Erfindungsreichtum und der Wille zur unbedingten Distinktion sind eben nicht wählerisch, wenn es darum geht, worin sie sich zeigen.

Vladimir Sorokin: "Manaraga - Tagebuch eines Meisterkochs".

Aus dem Russischen von Andreas Tretner. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018. 254 S., geb., 20,- [Euro].

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