Andreas Maier, Das Zimmer, Suhrkamp 2010, 203 Seiten, ISBN 978-3-518-42174-1
Die unter dem Titel "Onkel J. Heimatkunde" vorgelegten gesammelten Kolumnen von Andreas Maier waren ein treffendes Beispiel dafür. Mit Spannung habe ich deshalb den ersten Band einer von ihm angekündigten, noch nicht
begrenzten Romanreihe (man spricht von 10 Bänden) über seine Heimat, die Wetterau erwartet. Im…mehrAndreas Maier, Das Zimmer, Suhrkamp 2010, 203 Seiten, ISBN 978-3-518-42174-1
Die unter dem Titel "Onkel J. Heimatkunde" vorgelegten gesammelten Kolumnen von Andreas Maier waren ein treffendes Beispiel dafür. Mit Spannung habe ich deshalb den ersten Band einer von ihm angekündigten, noch nicht begrenzten Romanreihe (man spricht von 10 Bänden) über seine Heimat, die Wetterau erwartet. Im Roman „Das Zimmer“, vom autobiographischen Ich-Erzähler geschrieben, begegnet uns jener Onkel J. wieder. Sein Zimmer, in das sehr viel später der zu Lebzeiten des Onkels noch kleine Andreas Maier einziehen wird, sein Leben und seine Philosophie werden erzählt. Dazu nimmt Maier einen Tag aus dem Leben des Onkel und schildert seinen Ablauf vom frühen Aufstehen noch in der halben Nacht, seiner Fahrt nach Frankfurt, wo er arbeitet, seinen Diensten für die Familie nach seiner Rückkehr am Nachmittag und vor allen Dinge den Aufenthalt in seinem geliebten Forsthaus Winterstein, wo er seinen Schoppen trinkt. Onkel J. besitzt einen nazibraunen VW Variant, den er von seinem Schwager bekommen hat. Dieses Auto ist sein Ein und Alles, ermöglicht ihm die Momente von Freiheit, für die die lebt.
Maier schreibt (und deutet auch weitere Folgen seiner „Ortsumgehung“ an):
„Ich bin bislang nie auf den Gedanken gekommen, über meinen geburtsbehinderten Onkel J. zu schreiben. Über ihn und sein Zimmer. Über das Haus und die Straße. Und über meine Familie. Und unsere Grabsteine. Und die Wetterau, die die ganze Welt ist. Die Wetterau, die für die meisten Menschen nach einer Autobahnraststätte benannt ist, A 5, Raststätte Wetterau. Und die heute in eine Ortsumgehungsstraße verwandelt wird. Die Wetterau ist eigentlich eine Ortsumgehungsstraße mit angeschlossener Raststätte. Wenn ich das sage, lachen sie. Und es war doch einmal meine Heimat. Meine Heimat, eine Straße, Und nun schreibe ich eine Ortsumgehung, während sie draußen meine Heimat ins Einstmals planieren, und ich beginne mit meinem Onkel in seinem Zimmer. Das ist der Anfang, aus dem sich alles ableitet.“
Das Buch hat den Rezensenten, der unweit der Wetterau seine ersten drei Jahrzehnte verbracht und sie gut kennt, nachhaltig beeindruckt und bewegt. Jener vielversprechende Beginn einer traurig- verrückten Familiensaga, die mehr ist als das, eine Buchprojekt, das eine Reflexion sei will über Zeit und Zivilisation und, vergleiche das Eingangszitat aus Maiers Poetikvorlesung, die Würde des Menschen und wie sie erhalten werden kann.
Man wird abwarten müssen, ob Andreas Maier das hohe literarische Niveau über das ganze Romanprojekt über wird halten können. Das vorliegende Buch jedenfalls zeigt, dass er viel mehr ist als ein „Heimatdichter“. Maier ist eine der wichtigsten Stimmen in der gegenwärtigen deutschen Literatur. Es nimmt deshalb nicht Wunder, dass „Das Zimmer“ für den Deutschen Buchpreis 2010 nominiert worden ist.