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"Nabokovs legendenumwobener letzter Roman - ein literarisches Ereignis."
Vladimir Nabokov wird am 22. April 1899 in St. Petersburg geboren. Nach der Oktoberrevolution flieht die Familie 1919 nach Westeuropa. 1919 -1922 in Cambridge Studium der russischen und französischen Literatur. 1922 -1937 in Berlin, erste Veröffentlichungen unter dem Pseudonym W. Sirin. 1937-1940 nach der Flucht aus Nazideutschland in Südfrankreich und Paris, seit 1940 in den USA. 1961-1977 wohnte Nabokov im Palace Hotel in Montreux. Er starb am 2. Juli 1977.
Numerierte Ausgabe mit Kartenset in Extrakassette, beides im Schuber.
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Produktbeschreibung
"Nabokovs legendenumwobener letzter Roman - ein literarisches Ereignis."
Vladimir Nabokov wird am 22. April 1899 in St. Petersburg geboren. Nach der Oktoberrevolution flieht die Familie 1919 nach Westeuropa. 1919 -1922 in Cambridge Studium der russischen und französischen Literatur. 1922 -1937 in Berlin, erste Veröffentlichungen unter dem Pseudonym W. Sirin. 1937-1940 nach
der Flucht aus Nazideutschland in Südfrankreich und Paris, seit 1940 in den USA. 1961-1977 wohnte Nabokov im Palace Hotel in Montreux. Er starb am 2. Juli 1977.

Numerierte Ausgabe mit Kartenset in Extrakassette, beides im Schuber.
Autorenporträt
Nabokov, VladimirVladimir Nabokov wird am 22. April 1899 in St. Petersburg geboren. Nach der Oktoberrevolution flieht die Familie 1919 nach Westeuropa. 1919-1922 in Cambridge Studium der russischen und französischen Literatur. 1922-1937 in Berlin, erste Veröffentlichungen, meist unter dem Pseudonym W. Sirin. 1937-1940 nach der Flucht aus Nazideutschland in Südfrankreich und in Paris, seit 1940 in den USA. 1961-1977 wohnt Nabokov im Palace Hotel in Montreux. Er stirbt am 2. Juli 1977.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.11.2009

Als ausgeladener Gast bei einem Begräbnis

Vladimir Nabokov wollte seinen letzten, unvollendeten Roman "Das Modell für Laura" ungelesen vernichtet wissen. Sein Sohn entschied sich dagegen und beschert Nabokovs Nachwelt jetzt die tragischste Lektüre der Weltliteratur.

Von Markus Gasser

Es ist immer erfreulich, wenn ein großer Schriftsteller stirbt. Lebt er noch, kann er sich wehren: gegen Biographen, die noch den schwülsten Unsinn über ihn in Umlauf setzen, und gegen Erben, die selbst das wortkargste Brieflein aus der Dachkammer fernster Verwandter versteigern wollen.

Vladimir Nabokov, gerade in Fragen des Nachlebens in dieser wie einer anderen Welt Experte, war sich solchen Kulturvandalismus bitter bewusst und verkehrte mit seinem ersten Biographen Andrew Field nur über Anwälte, da der ihm drohte, seine von vulgären Irrtümern durchflachste Vita unter dem Titel "Er nannte seine Mutter Lolita" unter die Leute zu bringen und dabei auch um Nabokovs etwaige Kleinmädchenträume nicht verlegen zu sein. Bereits für seinen vorletzten, 1974 vollendeten Roman "Sieh doch die Harlekine!" hatte Nabokov testamentarisch verfügt, ihn "ausdrücklich ungelesen" zu verbrennen, sollte er ihn nicht mehr zur Druckreife bringen können, und ebenso inquisitorisch erbarmungslos sah er den Flammentod für "The Original of Laura" vor.

Kein Wunder: "Das Modell für Laura" ist nicht einmal das vom Verlag und den Nabokov umhimmelnden Internetforen annoncierte "Romanfragment" wie der "Edwin Drood" von Charles Dickens, der zur Hälfte bereits erschienen war, als Dickens starb, oder wie Roberto Bolaños Roman "2666", das nur der bändigenden Überarbeitung harren oder dem lediglich der letzte Bleistiftschliff fehlen würde. Ein Sammelsurium von Entwurfsfragmenten, denen der plotoffenbarende Mittelteil fehlt, breitet sich "Das Modell für Laura" vor dem Leser aus wie ein kalligraphisch verzaubernder, labyrinthisch verwilderter Garten ohne Pavillon im Zentrum; und nur Nabokov selbst hätte Ordnung in das Kartenchaos bringen können, wodurch eine Edition der "Laura" zumindest philologisch gerechtfertigt wäre.

Für einen Autor aber, der seine Repliken in Talkshows von Karteikarten ablas, sich Fragen zu Interviews vorab zusenden ließ und diese dann schriftlich mit einem derart bengalischen Feuerwerk an Aperçus, ästhetischen Maximen und hintersinnigen Bannflüchen gegen nobelpreisgekrönte Kollegen und den "Wiener Schamanen" Sigmund "Sig Heiler" Freud beantwortete, dass sie als die legendären "Deutlichen Worte" ein Hauptwerk für sich geworden sind - für einen so vollkommenheitsversessenen Autor musste die öffentliche Zurschaustellung eines Fragmentkadavers, wie "Das Modell für Laura" eines ist, ein Albtraum sein.

Nun ist Nabokovs Albtraum Wirklichkeit geworden. Während seine Statur als Schriftsteller in den vergangenen drei Jahrzehnten mythische Ausmaße angenommen hat, mussten sich die 138 Karteikarten der "Laura" in einem Schweizer Banksafe mit jedem Tag unsicherer fühlen. Dass sein Sohn Dmitri ihre Veröffentlichung plante, war bereits seit seinem Interview mit Martin Amis 1981 kein Geheimnis: Unter jenen, die sich schon immer mehr für erotische Eskapaden eines Autors als für seine Werke interessieren, ging die Mutmaßung um, Nabokov der Jüngere hielte sie nur zurück, da zu befürchten stand, Nabokov dem Älteren drohe nach all den "Nymphchen" in seinem Werk, den Lolitas und Lucettes, mit dem gefügig-zerbrechlichen Körperbau der Laura, ihren "tassengroßen Brüsten", "schmalen Pobacken" und "beweglichen Schulterblättern eines Kindes" die Aufnahme in die Weltliteratur-Loge vertrackt bisexueller Pädophiler wie Thomas Mann, Lewis Carroll und Edgar Allan Poe. In Wahrheit aber behinderte den Sohn von Rechts wegen die Letztverfügung des Vaters - auch wenn er dieses Karteikartengespenst geschickt als Druckmittel dienstbar zu machen wusste.

So als der Essayist Michael Maar die skandalfähige Vermutung publik machte, Nabokov könnte für seine Lolita von der gleichnamigen Erzählung eines bis dahin völlig unbekannten Heinz von Lichberg angeregt worden sein (F.A.Z. vom 19. April 2004). Die Freikirche der Nabokovianer witterte eine Schändung des Originalgenies, und ihr Oberhaupt konterte mit einem Gegenskandal: Er werde die Laura nun wirklich verbrennen. Ein Orkan der Entrüstung fegte durchs Internet, in dem von Kafkas Erlass an Max Brod die Rede war, als stünde die Vernichtung des Nabokovschen Gesamtwerks bevor, und aufs Nimmerwiederlesen war damit Maars eminente Entdeckung ins Abseits gedrängt. Nicht weil Nabokov junior, wie er in seiner Einleitung zur "Laura" wähnt, vom väterlichen Geist aus dem Jenseits zur Publikation gedrängt worden und eben "ein netter Kerl" sei, sondern da er mit der literaturpolitischen Verzweckung der "Laura" dem Edikt seines Vaters einmal mehr zuwidergehandelt hatte, gab es für ihn jetzt kein Zurück. Das schlechte Gewissen jedoch blieb.

Und das merkt man der "Laura"-Edition denn auch an: Während bei anderen Jahrhundertautoren wie Thomas Mann Anmerkungsapparate, Nachworte, Personen- und Figurenverzeichnisse mitgeliefert werden, die den kommentierten Text verständnissicher ummauern wie eine Festung, auf dass der Leser am Schluss zumindest weiß, was der Autor im Sinn gehabt haben mag, gleicht die wissenschaftliche Aufrüstung der "Laura" einem Palisadenzaun, den niederzureißen ein Long John Silver vor lauter Selbstachtung sich zu schade wäre. Alles ist aus uneingestandener Ratlosigkeit aufs vermeintlich Nötigste verkürzt. Nach einem ruhmseligen Vorwort Dmitri Nabokovs voller Invektiven gegen die "auf jeden saftigen Knüller scharfe Presse" und all jene, die seine eigenen Knüllerstrategien einst kritisch kommentieren, finden sich links Nabokovs Karten in Faksimile und rechts die deutsche Übersetzung; die Anmerkungen zum Text halten sich an eine wundersam unphilologische Diät, und Dieter E. Zimmer, der leidenschaftlichste Nabokov-Kenner weltweit, klaubt sich im Nachwort den etwaigen Plot der "Laura" so unübersichtlich zusammen, dass man gewiss sein kann: Ihm jedenfalls hat der Schatten Nabokovs aus dem Jenseits nicht über die Schulter geschaut.

Noch die eifrigsten Bewunderer Nabokovs fühlen sich bei der Lektüre selbst seiner vollendeten Werke bisweilen so, als hätten sie das Puzzle eines teuflischen Spieldesigners zusammenzusetzen. Hier aber fehlen zu viele Stücke, als dass sich das Puzzle je zu einem Ganzen fügte: Die notorisch untreue Gattin Flora des weltberühmten Neuropsychologen Philip Wild ist zum Modell für einen Schlüsselroman geworden, "Meine Laura", der in Umkehrung der "Dorian Gray"-Konstellation Oscar Wildes nicht das Porträt, sondern das Original durch dessen Porträtierung zu zerstören sucht; der daseinserschöpfte Wild arbeitet im Geheimen an einem Werk, in dem er hochwissenschaftlich expliziert, wie man sich vor schierem Selbstekel kraft seines Gehirns selbst auslöschen kann, bis ihm ein Dr. Aupert offenbart, er sei an Prostatakrebs erkrankt. Wer die "Laura" danach absucht, ob Nabokov nun tatsächlich von knabenhaften Mädchen besessen war, wird sich enttäuscht weiterhin an seine "Lolita" halten müssen, sollte sich allerdings an die Sentenz Nabokovs erinnern, in jedem seiner Werke begehre der Mensch Nabokov empört gegen den Romancier in ihm auf. Nur bei Shakespeare dürfte die Gabe theatralischer Selbstverwandlung ausgeprägter gewesen sein.

Ein Schriftsteller arbeitet, selbst wenn er schläft oder stirbt, und auf keinen Autor trifft dieses Prinzip Bolaños so ohne Wenn und Aber zu wie auf Nabokov. Schon als er mit "Lolita" Anfang der fünfziger Jahre auf der Höhe seiner Leistungskraft gewesen war, hatte er für eine Postkarte Stunden brauchen können, und so wuchsen die Qualen, die er bei der Komposition der "Laura" empfand, oft übers Amüsement hinaus, das der ekstatischen Mühsal des Schreibens stets beigemengt war: Zuletzt träumte er an seinem Roman nurmehr im Delirium fort und las ihn in Gedanken einem kleinen Geisterpublikum im Garten seines Krankenhauses vor - zu unerträglich geworden war die körperliche Anstrengung, noch etwas davon niederzuschreiben, und im Sommer 1977 stand sein großes Herz gleich seinem halbimaginären Manuskript plötzlich still.

Einst hatte er als eine Gottheit seines Romanuniversums todgeweihte Gestalten retten können, in "Einladung zur Enthauptung", im "Bastardzeichen" und in den "Durchsichtigen Dingen", indem er die selbstgezimmerten Kulissen einstürzen und seine Schöpfungen in ein Geisterreich eintreten ließ. Nun ging es um ihn selbst, und er vermochte dem Verlangen, zu schreiben, um nicht zu sterben, nicht mehr zu genügen. Dass er sich in der "Laura" letztmalig über das "This is it" des eigenen Sterbenmüssens erhebt, indem er sich lustig darüber macht - der ursprüngliche Arbeitstitel der "Laura" war "Sterben macht Spaß" -, ist Nabokovs postumer Triumph: Mit pseudoneurologisch verbrämter Phantastik ersinnt er eine Figur, die sich ihre quälenden Extremitäten von den Füßen aufwärts "mit masturbatorischer Lust" selber wegwünschen kann, um sich vor der Geheimpolizei des Todes in Sicherheit zu bringen. In solchen Passagen findet sich noch einmal Nabokovs unirdisch blendende Pracht, in der alle Erdenschwere überwunden scheint und die jenes paradiesische Leseglück kurz aufleuchten lässt, das sein gesamtes Universum zu schenken verspricht.

Warum überhaupt noch schreiben, da es bereits einen Nabokov gegeben hat? Schon zu Lebzeiten war er der am empfindlichsten beneidete Romancier der Welt. John Cheever begrübelte ihn in Sorge um seine Selbstachtung Satz um Satz; Richard Yates lehrte seine Studenten, man nehme Nabokov bloß zum Vergnügen zur Hand - von ihm war nichts zu lernen, da es nur einen gab, der solche Welten erschaffen konnte wie Nabokov: nämlich Nabokov. Joyce Carol Oates hörte irgendwann auf, ihn zu lesen, weil sie befand, er vertreibe aus dem Universum alles, was nicht Nabokov sei; und die britische Romancière Zadie Smith schreibt überhaupt keine Romane mehr - denn welcher ihrer Sätze hielte diesem Einmanntribunal Nabokov noch stand?

Mehr als lediglich ihren ganzen Whiskyvorrat hätten Cheever und Yates verschenkt dafür, so wie wir das Manuskript des Maestro einmal im Raupenstadium vor sich zu haben und ihm in die nach Formulierungen tastenden Karteikarten blicken zu können. Nabokov indes, der an ein Jenseits so innig glaubte, dass es jedes seiner Werke wie ein Wasserzeichen prägt, grämt sich in jener Welt hinter dem Zypressenvorhang. Selten hat es in der Geschichte der Literatur eine tragischere Lektüre gegeben als die eines Werks, das zu lesen der Schmach gleichkommt, einem Begräbnis beizuwohnen als ausgeladener Gast.

Doch vielleicht hilft es Zadie Smith, ihre Schreiblähmung zu überwinden, wenn sie das Modell für ein vollendetes Meisterwerk zu Gesicht bekommt: Auch das monumentale Monster an Brillanz mit Namen Nabokov hat noch bei jedem seiner Werke von neuem fötal klein anfangen müssen. Möge er sein Licht auf jeden Roman werfen, den sie wieder zu schreiben wagt. Das wäre post mortem Nabokovs größter Triumph.

Vladimir Nabokov: "Das Modell für Laura" (Sterben macht Spaß). Romanfragment auf 138 Karteikarten. Herausgegeben von Dmitri Nabokov. Aus dem Englischen von Dieter E. Zimmer und Ludger Tolksdorf. Rowohlt Verlag, Reinbek 2009. 318 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.11.2009

Sehr undurchsichtige Dinge
Fahrt zu einem Bahnhof namens „Sex”: Letzte Karteikarten von Vladimir Nabokov, als „Das Modell für Laura” ediert
Es gibt vermutlich weniges, was Vladimir Nabokov mit mehr Verachtung gestraft hätte als die Idee vom „offenen Kunstwerk”, hätte er von ihr Notiz genommen. Rechnet man von Nabokovs universitären Unterrichtsmethoden herunter auf das, was er vom normalen Leser gedacht hat, dann kann die Vorstellung, dieser sei eine Art Co-Autor oder Mitschöpfer eines Sprachkunstwerks, ihn nur mit Schaudern erfüllt haben.
Nichts überließ er in seinen Büchern dem Zufall, ihre stilistische Oberfläche zeigt bis in die Feinheiten des Rhythmus eine Politur von abweisender Glätte, ihr tieferliegendes Motivgeflecht ist von einer anderswo kaum erreichten Dichte und Ökonomie. Die durchaus unendliche Sinnfülle, die sie bieten, verdankt sich keineswegs dem Spielraum für die Willkür der Rezeption, sondern ist Effekt von raffiniert austarierten erzähltechnischen Effekten, verglichen mit denen einander ins Endlose wiederholende Spiegel ein läppischer Kindertrick sind.
Die Verweisungsfülle vor allem in Nabokovs Spätwerk ist auch ein Ergebnis seiner berühmten nicht-linearen Arbeitsweise. Der Grundriss des Buches, das er niederzuschreiben begann, war in seinem Kopf bereits fertig und so schrieb er es nicht vom Anfang zum Ende, sondern von allen Seiten gleichzeitig, auf die handlichen, postkartengroßen Karteikarten, die erst im letzten Arbeitsgang zu einem durchlaufenden Ganzen verbunden wurden. Was dem von ihm wenig geschätzten Thomas Mann das „täglich Blatt” in einem fortlaufenden Anstückelungsvorgang war, das waren Nabokov drei bis sechs solcher Kärtchen mit jeweils ein paar Zeilen Text, manchmal zusammenhängend, oft auch weit voneinander entfernt.
Dass der schlechthin nicht zu regierende Zufall, der Todeszeitpunkt, den Nabokovs von einem Krankenhausinfekt geschwächter Organismus nicht mehr zu bestimmen vermochte, nun 32 Jahre nach seinem Tod eine kaum noch zu erschütternde Nachwelt zum unbefugten Besucher seiner letzten Romanbaustelle macht, mag man tragisch oder komisch finden, allzu hoch sollte man es nicht hängen. Zwar geistert durch die 138 Karteikarten, die sich von Nabokovs letztem, seit 1975 geplanten Werk erhalten haben, auch ein Neurowissenschaftler, der mit seiner stückweisen, lustvoll erlebten Selbstabschaffung durch Selbstsuggestion experimentiert – eine Art säkularer Buddha mit fetter Wampe und stinkenden, zum Abfaulen neigenden Füßchen –, der Autor selbst hat von der Präsentation unfertiger Einfälle vor unbefugten Augen nichts gehalten. Es gab offenbar klare Anweisungen an die Frau Vera und den Sohn Dmitri, den letzten Papierkram zu vernichten. Sterben sei fun, war ein offenbar erwogener Titel für das Buch, doch da hat man schon Lustigeres gelesen.
Aber natürlich landen Karteikarten, die von Nabokovs penibler Kurrentschrift gefüllt sind, nicht einfach im Papiermüll, und so war es nur eine Frage der Zeit, dass „The Original of Laura” oder „TOOL” (wie sein Verfasser abkürzte), von dem sich manierlich zierenden Sohn Dmitri am Ende doch veröffentlicht würden – mit entsprechenden Tamtam beim literarischen Agentengewerbe, das den aristokratischen Autor der „Lolita” ein letztes Mal in die abgestandene Luft der Herrenmagazine schleifte. Dass daneben Vergleiche mit Kafkas Nachlassromanen und Vergils „Aeneis” angestellt werden, gehört zum „Poschlost” unserer Zeit, dem unverwelklichen Kitsch des Marketings.
So ist es jetzt geschehen, und der Rezensent sieht sich in einer peinlichen Lage: Er muss einen Handlungsgrundriss mitteilen, den die Edition und vor allem ihr kundiger Kommentator Dieter E. Zimmer nahelegen und zu dem natürlich die Nabokov-Gemeinde längst beliebig viele Zusatz-Hypothesen verbreitet, der aber doch so dämlich klingt, als würde man „Lolita” oder „Fahles Feuer” mit „Wikipedia”-Mitteln abbilden. Und dann kann man noch ein paar „scharfe” Stellen aus dem Scherbenhaufen hochhalten, Pornograpisches, Priapea, Zeitkritisches, Schriftstellerbashing.
Ja, der Leser findet hier nicht nur zarteste Mädchenlenden, sondern auch die Anatomie eines pubertierenden Jungs-Penis beim ersten Mal. Dass Malraux oder Mauriac als „Repräsentanten unserer Epoche” selbstredend das Allerletzte sind, wird wohl weniger aufregen, zumal etliche heutige Leser für diese Namen schon wieder auf „Wikipedia” zurückgreifen müssen.
Und war nicht schon in den siebziger Jahren die Verhöhnung der Psychoanalyse – „nur irgendein sehr teurer, super-orientalischer Arzt mit langen sanften Fingern hätte ihre allnächtlichen Träume von erotischen Foltern in sogenannten ,Labors’ analysieren können” – längst ein ganz leichter Sieg geworden? Das sind ziemlich vergangene tempi passati.
Fast jeder dieser kurzen Griffe ins Klavier lässt den altvertrauen Klang von Nabokovs späten Jahren hören, und hier werden sich die Geister schon scheiden: Wer die „Gabe” und „Pnin” für seine besten Bücher hält, dicht gefolgt von „Lolita” und „Sebastian Knight”, der ist nicht unbedingt ein Liebhaber der allerletzten Bücher des Meisters mit ihrer Verbindung von steriler Mystik und Sex im Mädchenzimmer.
Zum Grundriss des Plots: Das „Modell” der titelgebenden Laura ist eine Lady namens Flora, die mit dem schon erwähnten ekligen Neurowissenschaftler - er heißt „Wild” – in gänzlich untreuer Ehe verbunden ist, auf die sie durch widerwärtige Zudringlichkeiten während ihrer Adoleszenz von Seiten eines Hubert H. Hubert (ächz!) vorbereitet wurde. Flora wird nun Gegenstand eines pornographischen Schlüsselromans, den ein Geliebter namens Eric über sie verfasst hat, mit dem Ziel, sie durch diese Darstellung zu töten. Dieses funeste Buch im Buch wird nun von beiden Eheleuten gelesen, dem abstoßenden Neurowissenschaftler, der seine Frau meisterhaft getroffen sieht, und dem Modell selbst, das auf den letzten Karteikarten am Bahnhof eines Schweizer Kurorts mit dem Namen „Sex” in die Lektüre des Paperbacks vertieft gezeigt wird.
Was die lustigen Selbstabschaffungsversuche von Professor Wild (der im buchinternen Schlüsselroman „Sauvage” heißt) mit der Flora/Laura-Vernichtung durch Romankunst zu tun haben könnte – das mag die Nabokov-Gemeinde auspusseln, die der Verlag vorzüglich bedient hat: Er bietet nicht nur Abbildungen und Übersetzung der Karteikarten als fortlaufendes Buch an, sondern in eigener Box die Karteikarten als Facsimiles, sodass jeder die Anordnung selbst verändern und ein Spiel mit dem Geist des wehrlosen Meisters treiben kann – do your own Nabokov yourself. Ohne ein bisschen Petrarcismus und Mythologie wird es im Reich der „Flaura” – Wortspiel, Wortspiel – natürlich nicht gehen.
Mr. Adair, übernehmen Sie, würden wir hier am liebsten abschließend ausrufen, denn der britische Schriftsteller Gilbert Adair, als Stilmimetiker wie erzählerischer Strukturvirtuose gleichermaßen ausgewiesen, scheint unter den Lebenden wie keiner geeignet, aus dem tristen, unfertigen Papierstapel noch etwas Gold zu machen. Doch dergleichen Versuche dürfte Dmitri Nabokov, der sich nach eigener Aussage über alle Nachlassfragen mit seinen verstorbenen Eltern persönlich und direkt im Jenseits berät, wohl untersagen.
„Das ,Ich’ des Buches”, heißt es auf Karte 61 über den Schlüsselroman „Meine Laura”, „ist ein neurotischer und zögerlicher Literat, der seine Geliebte vernichtet, indem er sie porträtiert. Statisch gesehen – wenn man es so sagen kann – handelt es sich um ein getreues Porträt. Feststehende Einzelheiten wie ihre Art, den Mund zu öffnen, wenn sie sich in der Leistengegend abtrocknete, oder die Augen zu schließen, wenn sie an einer duftlosen Rose roch, entsprechen dem Modell haargenau.” Noch so eine Stelle lautet: „Eine Träne ohne Bedeutung schmückte den harten oberen Teil ihrer Wange.” Da haben wir die Mixtur aus erotischem Kitzel und Verachtung, die den allerletzten Nabokov so oft kennzeichnet. Das muss man mögen. GUSTAV SEIBT
VLADIMIR NABOKOV: Das Modell für Laura. (Sterben macht Spaß). Romanfragment auf 138 Karteikarten. Herausgegeben von Dmitri Nabokov. Aus dem Englischen übersetzt von Dieter E. Zimmer und Ludger Tolksdorf. Rowohlt Verlag, Reinbek 2009. 319 Seiten, 19,90 Euro. Mit den Faksimiles der Karteikarten in Extrakasette 50 Euro.
Es gab offenbar klare Anweisungen Nabokovs, den letzten Papierkram zu vernichten
„Eine Träne ohne Bedeutung schmückte den harten oberen Teil ihrer Wange”
Kein Freund des Zufalls und der Literatur als Puzzle: Vladimir Nabokov ( 1899-1977) im Mai 1975 in der Schweiz Foto: Corbis
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