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Der Roman folgt dem Schicksal dreier Esten während des Zweiten Weltkriegs und danach: Roland, einem prinzipientreuen estnischen Freiheitskämpfer, seinem machthungrigen Cousin Edgar und dessen Frau Juudit. Estland zur Zeit der deutschen Besatzung: Während sich Roland versteckt hält, weil er immer noch an die estnische Befreiung glaubt, versucht Edgar ins Zentrum der Machthaber vorzustoßen. Seine Frau Juudit verliebt sich in einen hohen deutschen Offizier, nicht ahnend, dass ihr Mann über genau diesen Offizier die Karriereleiter emporklettern möchte. Nach dem Krieg werden die Karten neu…mehr

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Produktbeschreibung
Der Roman folgt dem Schicksal dreier Esten während des Zweiten Weltkriegs und danach: Roland, einem prinzipientreuen estnischen Freiheitskämpfer, seinem machthungrigen Cousin Edgar und dessen Frau Juudit. Estland zur Zeit der deutschen Besatzung: Während sich Roland versteckt hält, weil er immer noch an die estnische Befreiung glaubt, versucht Edgar ins Zentrum der Machthaber vorzustoßen. Seine Frau Juudit verliebt sich in einen hohen deutschen Offizier, nicht ahnend, dass ihr Mann über genau diesen Offizier die Karriereleiter emporklettern möchte. Nach dem Krieg werden die Karten neu gemischt, Estland steht unter der Besatzung der Sowjets, und wieder ist es Edgar, der hofft, auch bei den Kommunisten eine wichtige Rolle zu spielen.

Wanja Mues spricht Roland, Julia Nachtmann leiht Juudit ihre Stimme, Jörg Pohl übernimmt den Part von Edgar, und Birte Schnöink spricht Evelin.

Hier finden Sie Zusatzmaterial zum Roman
Autorenporträt
Oksanen, Sofi§Sofi Oksanen, geboren 1977, Tochter einer estnischen Mutter und eines finnischen Vaters, studierte Dramaturgie an der Theaterakademie von Helsinki. Ihr dritter Roman, Fegefeuer, war monatelang Nummer eins der Finnischen Bestsellerliste und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. dem Finlandia-Preis und dem Literaturpreis des Nordischen Rates. Sofi Oksanen lebt in Helsinki.Nachtmann, Julia§
Julia Nachtmann gehörte lange zum Ensemble des Deutschen Schauspielhauses Hamburg und ist mittlerweile auf verschiedenen Bühnen zu sehen. Sie wurde mit dem Boy-Gobert-Preis ausgezeichnet. Darüber hinaus wirkte die Schauspielerin in der Kinokomödie »Die Kirche bleibt im Dorf« und in Fernsehproduktionen wie »Endstation Glück« oder »Nord Nord Mord« mit. Als Hörbuchsprecherin hat sie neben Krimis von Nele Neuhaus verschiedene literarische Romane wie Nino Haratischwilis »Das achte Leben (Für Brilka)« gelesen.

Mues, Wanja§Wanja Mues, geboren 1973 in Hamburg, stand schon mit elf Jahren vor der Kamera. Seine Schauspielausbildung absolvierte er in New York. Er spielte in Filmen wie »Der Pianist« und »Yella« sowie der Fernsehserie »Ein Fall für zwei«. Auch als Hörbuchsprecher hat er sich mit seiner eindringlichen Stimme einen Namen gemacht.

Schnöink, Birte§Birte Schnöink, geboren 1984 in Bremen, spielte bereits während ihrer Schulzeit erstmals Theater. Nach ihrem Abitur engagierte sie sich zunächst in einer Bremer Behindertenwohngruppe - parallel bereitete sie sich auf Vorsprechen vor. 2006 bewarb sie sich an der Schauspielschule Ernst Busch in Berlin und wurde angenommen. Sie hatte Engagements an der Berliner Schaubühne, den Salzburger Festspielen und dem Thalia Theater in Hamburg. Birte Schnöink erhält 2014 den Boy-Gobert-Preis für Nachwuchsschauspieler.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.08.2014

Frauen, die in Milch baden
Finnland ist Gastland der Buchmesse 2014: Hat die finnische Autorin Sofi Oksanen das Buch der Stunde
geschrieben? Ihr neuer Roman ist eine Huldigung an die Freiheit Estlands – und Tendenzliteratur
VON THOMAS STEINFELD
Juudit, die estnische Frau aus der großen Stadt Tallinn, ist ihrer Nation untreu geworden und hat sich mit einem Offizier der Besatzungsmacht eingelassen. Dieser ist nicht nur Deutscher, denn dieser Teil der Geschichte spielt im Jahr 1943, sondern auch Hauptsturmführer der SS und mit der Vernichtung „reichsfeindlicher Elemente“ betraut. Da taucht, scheinbar aus der bäuerlichen Vergangenheit, ein richtiger Este auf, stark, wortkarg, furchtlos und erdverbunden. Und es kommt, wie es kommen muss: „Wo war der Eindruck geblieben, dass ihre Haut sich nach dem Deutschen anfühlte? Sie duftete nach meinem Land, nach jemandem, der in meinem Land geboren wurde und in meinem Land zu Staub werden würde, nach der Braut meines Landes . . . Die Wolken seihten die Sterne in ihre Augen, und die waren wie Waldtauben, die in Milch gebadet hatten.“ Es hat nicht viel Sinn zu untersuchen, woher die Sprache kommt, in der solche Bräute auftreten – so etwas findet sich oft, bei Hermann Löns, in der Heimatdichtung der vorvorigen Jahrhundertwende, in der völkischen Literatur des Nationalsozialismus. Ergiebiger ist es zu fragen, warum ein Werk, das bedenkenlos die Nation mit Natur und Schicksal in eins setzt, zum Roman der Stunde werden kann.
  „Als die Tauben verschwanden“ ( Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2014 . 432 S., 19,99 Euro ) ist der vierte Roman der finnischen Schriftstellerin Sofi Oksanen und ihr zweiter, der sich mit der Nationalgeschichte Estlands beschäftigt: „Fegefeuer“ (finnisch 2008, deutsch 2010) war eine allegorische Erzählung, in deren Mittelpunkt zwei Frauen stehen, eine alte und eine junge, die Estlands Geschichte im zwanzigsten Jahrhundert als eine lange Folge hauptsächlich gewalttätiger Inbesitznahmen des weiblichen Körpers erleben. Der Roman wurde in vielen Ländern zu einem Bestseller und begründete den Ruf dieser Autorin, die in diesem Oktober im Mittelpunkt der Frankfurter Buchmesse stehen wird, deren Ehrengast Finnland sein wird.   Der Erfolg von „Fegefeuer“ ging nicht nur darauf zurück, wie sich darin, auf ebenso spekulative wie spektakuläre Weise, historischer Roman, Thriller, eine Fabel von weiblicher Selbstfindung und erzählte Sexualität verbanden – und er hat auch nur bedingt etwas mit dem schrillen Individualismus der Autorin zu tun. Schon in „Fegefeuer“ spielte der Glaube an die metaphysische Kraft der estnischen Muttererde eine Rolle. Und nun ist es zwar offenbar so, dass die Behauptung, die Nation sei der Natur zuzurechnen, um so heftiger ausfällt, je später eine Nation entsteht – zum ersten Mal war Estland im Jahr 1918 unabhängig geworden. Doch erfährt dieser Irrationalismus seine aktuelle Zuspitzung dadurch, dass die baltischen Staaten seit der Annexion der Krim durch Russland in diesem Frühjahr wieder als in ihrer Souveränität bedrohte Länder verstanden werden.
  Auch dieser neue Roman ist als politische Allegorie angelegt. Da gibt es das alte, wahre Estland, das Dorf, wo das Timoteigras wächst und die alten Frauen und ihre Wahrsagerei noch lebendig sind. Daraus gehen vier Figuren hervor: Jener zunächst redliche, schweigsame und tatkräftige Este und seine mindestens ebenso tugendhafte Verlobte, die allerdings schon früh in der Geschichte ermordet wird. Die Frage, wer für den Tod des „Mädchens mit den fröhlichen Augen“ sorgte, fügt der Geschichte ein Element von Thriller hinzu und wird am Ende erwartungsgemäß beantwortet.
  Den beiden steht Edgar gegenüber, der Vetter des wahrhaften Helden, eine korrupte, opportunistische, skrupellose Gestalt, deren ebenso dunkles wie sich über viele Stationen hinziehendes Treiben für den größten Teil der Handlung sorgt. Zwischen dieseen Kontrastfiguren steht Edgars Frau Juudit, das städtische, zu handfester Arbeit untaugliche, flatterhafte Wesen, das sich mit dem deutschen Offizier einlässt und ihn dabei auch noch ernsthaft liebt. Eine Funktion mit vier Variablen könnte man diese Anlage nennen, der es weder an Eindeutigkeit noch an melodramatischer Süße mangelt, und jede der vier Variablen steht für die Auslieferung Estlands an seine Feinde: im Verrat, im Wahn, im Alkoholismus und im Tod.
  Bei Edgar, dem größten aller Verräter, ist das offensichtlich: Wie ein Chamäleon wechselt er die Parteien und die Fronten, das Reden und das Handeln, wird vom Soldaten der Roten Armee zum Waldbruder, vom Agenten der Deutschen zum sowjetischen Schriftsteller. Estland ist ein Spielball seiner Nachbarn, und er ist die Grundfigur des Überlebens, so sehr, dass er nie als Charakter erscheint. Dass eine Figur, die nichts anderes sein darf als ein Spiegel der Verhältnisse, in denen sie sich behaupten soll, stellt die elementare dramaturgische Schwäche dieses Romans dar. Bedenklicher aber ist der Eifer der Autorin, ihre eigene Erfindung so gründlich wie möglich zu denunzieren: Es reicht nicht aus, dass Edgar impotent ist und den Esten keine neuen Volksgenossen schenken kann. Er muss auch homosexuell sein, wobei Sofi Oksanen nicht einmal zu ahnen scheint, welche völkischen Fantasien sie auf diese Weise bedient. Und Juudit, seine Frau? Sie wird wahnsinnig über dem Gedanken, kein Kind geboren zu haben.
  Zurück bleibt Estland, zurück bleiben die fünf Tage zwischen dem Abzug der Deutschen und der Wiederkehr der Roten Armee im Herbst 1944, und gegenwärtig sind die Jahre der Selbständigkeit seit dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums im Sommer 1991. Aus der Sorge, dass es mit dieser Souveränität ein Ende haben könnte, erwächst der Appell dieses Romans: „Wird der Westen Osteuropa wieder einmal verraten?“, lautete der Titel eines Essays, den Sofi Oksanen im April in der Welt veröffentlichte. Darin stehen die Sätze: „Es ist an der Zeit, dass der Westen ,Nein’ zu Russlands Vorhaben sagt, sein Territorium über die Grenzen des Landes hinaus auszuweiten. Und das ist nicht durch diplomatischen Dialog zu erreichen. Es ist unmöglich, mit einem Gegner zu verhandeln, der, wenn es um seine Ziele geht, ständig lügt.“ Es ist schwierig, in diesem Appell anderes zu lesen als eine Aufforderung zum militärischen Konflikt. Es ist noch schwieriger, in der literarischen Apologie des immer wieder verratenen, nun aber freien, von Blütenduft eingehüllten Estland anderes zu erkennen als das idealisierte Gegenüber eines radikal Bösen.
  Dass in solchen ideologischen Konfrontationen der Verstand wenig zu melden hat, muss wohl so sein: Oder wie kommt es, dass in dem Augenblick, in dem sich Machtfragen stellen, das politische Bewusstsein auf der Strecke bleibt – und mit ihm das Wissen, dass es in der Politik um Interessen und deren Gegensätze geht, nicht um Gut und Böse? Oder wie kommt es, dass man plötzlich wieder mit einer Vorstellung von „Nation“ als kollektivem Schicksal konfrontiert ist, von der man dachte, die Geschichtswissenschaft habe sie längst auf einen ihrer Kehrichthaufen befördert?
  Oder wie kommt es, dass niemand den Widerspruch zu bemerken scheint, der zwischen dem radikalen Nationalismus eines kleinen Landes und der Anrufung eines einigen, solidarischen, übernationalen Europa zu dessen Schutz und Wohlbefinden liegen muss? Und wie kommt es schließlich, dass es nach der Publikation von „Fegefeuer“ in Estland zu einer Debatte kam, in der sich manche Esten gegen die Schirmherrschaft einer Finnin über die estnische Nationalgeschichte wehrten und deren Ausverkauf an die westliche Kulturindustrie beklagten? Das sind Fragen, die unbeantwortet bleiben, wenn man ein Werk der Tendenzdichtung zu einem literarischen Meisterwerk erhebt.
Eine Allegorie, der es weder
an Eindeutigkeit noch an
melodramatischer Süße mangelt
Es reicht nicht aus, wenn der
Verräter böse ist: Er muss auch
impotent und homosexuell sein
Die Behauptung, die Nation sei der Natur zuzurechnen, fällt umso heftiger aus, je später eine Nation entsteht:
Sofi Oksanen, finnische Schriftstellerin mit estnischer Mutter, erzählt die
Geschichte Estlands im 20. Jahrhundert als Melodram mit ungewissem Ausgang.
Foto: Toni Härkönen
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Tilman Spreckelsen lobt die für die gekürzte Hörfassung von Sofi Oksanens Roman vorgenommene Aufteilung der Stimmen auf vier Sprecher. Die Story um die deutsche Besatzung 1941 in Estland, um estnische Kriegs- und Nachkriegeschichte und um deren Wirkung auf den Einzelnen, namentlich zwei Cousins, scheint Spreckelsen durch die Vierteilung der Perspektive zu gewinnen. Grund dafür ist für ihn die Güte der Sprecher, die den Abstand zwischen den Blickwinkeln auf ein und dasselbe Geschehen spürbar machen, wie der Rezensent erklärt, ohne den Rahmen des Romans zu sprengen. Auch die Schwierigkeit, Oksanens bilderreiche poetische Sprache umzusetzen, ohne dem Kitsch anheimzufallen, meistern die Sprecher laut Spreckelsen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2014

Die Frauen sterben zu früh
Geschichtsspagat: Sofi Oksanens Estland-Roman "Als die Tauben verschwanden" erzählt eine Dreiecksgeschichte in Zeiten wechselnder politischer Allianzen

Genossen und Nationalisten, Kollaborateure und Partisanen, Nazi-Schergen und Waldbrüder, Schubladen mit doppeltem Boden, konspirative Tagebücher, Geheimcodes und -schriften, Spione, Gefangenenlager, morbide Erotik in Wehrmachtsuniform: Dies ist der Stoff, aus dem der Roman von Sofi Oksanen, Tochter einer estnischen Mutter und eines finnischen Vaters, gemacht ist, der den zweiten Teil eines geplanten Estland-Quartetts bildet. Bereits in ihrem preisgekrönten Bestseller "Fegefeuer" von 2008 hatte Oksanen das Schicksal des baltischen Staates während der sowjetischen Besatzung anhand von zwei Frauenleben verfolgt. Nun erzählt sie eine Dreiecksgeschichte in Zeiten wechselnder politischer Allianzen.

Estland wurde zwischen 1939 und 1944 dreimal überfallen. Der Hitler-Stalin-Pakt hatte zunächst die Russen auf den Plan gerufen. Der deutsche Russland-Feldzug wiederum kehrte die Machtverhältnisse nur ein Jahr später um. Wer sich nun mit den Deutschen verbündete, konnte das sowohl mit der Bekämpfung der bolschewistischen Gefahr begründen als auch mit nationalistischen Hoffnungen. Nur fünf Tage lang war Estland während des Kriegs unabhängig. Danach übernahm wieder die Rote Armee und transformierte das kleine baltische Land in einen sowjetischen Vasallenstaat.

Unübersichtliche Zeiten erfordern nicht unbedingt unübersichtliche Erzählformen, aber die verschachtelte Thrillerkonstruktion mit einem Quantum Suspense bietet sich an, um folgende Handlung zu erzählen: Die ungleichen Cousins Roland und Edgar sind Hauptakteure von "Als die Tauben verschwanden" - ein Titel, in dem die Hungersnot während des Kriegs angesprochen ist. Der eine integer, erdverbunden und nationalistisch. Der andere opportunistisch, erst musternazistisch, dann -kommunistisch. Während Roland im Kampf gegen die Bolschewisten mit der historischen Untergrundorganisation der "Waldbrüder" Deportationen vereitelt, wendet Edgar sein Fähnlein nach dem Wind. Und zwar so kaltschnäuzig, dass ihm jeder Karriereschritt jeweils mühelos gelingt. Erst macht er Eindruck als Informant der Nationalsozialisten und später als Handschriftenexperte für den KGB.

Just zum Machtwechsel kommt Edgar die Idee, sich mit Häftlingskleidung aus dem Konzentrationslager Klooga zu tarnen. In dieser Aufmachung wird er zum glaubwürdigen Nazi-Hasser, Spion und in den sechziger Jahren zum Propagandaschriftsteller. Dabei gibt es für den Leser allerlei Verstrickungen zu lösen. Und weil die Welt selten so typenrein besetzt ist wie oben beschrieben, kommen ein paar fatale Frauen ins Spiel. Sie haben in der Romananlage vor allem die Aufgabe, es den etwas schematisch geratenen männlichen Figuren schwerzumachen. Vor allem Juudit ist für den im Roman behaupteten Manichäismus von Gut und Böse sowie für den von naturverbundener Geradlinigkeit und kultureller Wankelmütigkeit "problematisch". Edgar ist verheiratet mit ihr, erfüllt aber nicht seine ehelichen Pflichten. Aus Lebenshunger beginnt Juudit eine Affäre mit dem SS-Hauptsturmführer Hellmuth Herz, den sie ursprünglich im Auftrag von Roland aushorchen soll. "Juudit stürzte, Hellmuth stürzte mit Juudit zusammen, ihre Körper stürzten ineinander, und die Tränen spülten sie fort." Hellmuths stramme Schenkel haben es gleichzeitig dem gehörnten Gatten angetan. Mehr als angedeutet wird im Roman die Homosexualität der Hauptfigur Edgar nicht. Sie wird damit zu einem denunziatorischen Element der Erzählung: Ein schwuler Mensch ohne Gewissen, zerrissen von falschem Begehren, leidend unter Anpassungssucht und eisernem Karrierewillen, das kann nur böse enden, was es nicht wirklich tut - zumindest nicht für Edgar.

Seine Frau Juudit hingegen geht zugrunde an dem moralischen Dauerspagat zwischen hedonistischer Lustbefriedigung, heldenhaftem Einsatz für die gute (Rolands) Sache und Loyalität zu ihrem gewissenlosen Ehemann, der ihr in der estnischen SSR zwar zu einigen Privilegien verhilft, diese jedoch nicht zu ihrer vollen Zufriedenheit ausschöpft ("Er würde niemals imstande sein, rattenfreies Hackfleisch zu beschaffen"). Sie schluckt Pervitin, die Abhärtungsdroge der deutschen Wehrmacht, und neigt dem Alkohol zu. Schließlich landet sie in den sechziger Jahren in einer Anstalt für psychisch Kranke.

Auch Rosali, die tugendhafte Verlobte Rolands, muss dran glauben. Sie weiß von Edgars Homosexualität und wird bereits zu Beginn des Romans ermordet. Damit hat Oksanen, vermutlich eher unbewusst, ihr für die romanimmanente Differenzierungsarbeit vorgesehenes Personal liquidiert. Bleiben die männlichen Antagonisten, ein bisschen Spionagewirrwarr und die positiv zu vermerkende Tatsache, dass Sofi Oksanen, die sich während der Ukraine-Krise immer wieder öffentlich gegen Russland positioniert hat, an ein weniger bekanntes Kapitel der jüngeren Zeitgeschichte heranführt. Man kann dieses neue Buch also als aktuellen Beitrag zur europäischen Verständigung lesen.

Man muss es deshalb nicht für einen literarisch großen Wurf halten. Oksanens Figuren leiden dafür einfach zu sehr an ihrer behaupteten Bedeutsamkeit, was ein Problem ist, wenn man den historischen Roman als großes psychologisches Verlebendigungsprojekt vergangener Gemengelagen begreift.

KATHARINA TEUTSCH

Sofi Oksanen: "Als die Tauben verschwanden". Roman.

Aus dem Finnischen von Angela Plöger. Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2014. 432 S., geb., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Eine großartig geschriebene Geschichte über drei Menschen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen.« Cornelia Camen BuchMarkt 20140701