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Erstmals erscheint dieser Klassiker der Filmliteratur auf Deutsch.1957 arbeiten Claude Chabrol und Éric Rohmer als Kritiker bei der Filmzeitschrift 'Cahiers du Cinéma' und gehören wie ihre Kollegen Truffaut, Godard und Rivette zu den vehementen Verteidigern der Autorentheorie. Vor diesem Hintergrund empfehlen sie ihren Lesern, das Werk eines Regisseurs neu zu bewerten, der bislang ausschließlich als kommerziell galt und von den Filmhistorikern als 'Autor' nicht wahrgenommen wurde: Alfred Hitchcock.Die Autoren analysieren in chronologischer Reihenfolge jeden einzelnen der bis dato entstandenen…mehr

Produktbeschreibung
Erstmals erscheint dieser Klassiker der Filmliteratur auf Deutsch.1957 arbeiten Claude Chabrol und Éric Rohmer als Kritiker bei der Filmzeitschrift 'Cahiers du Cinéma' und gehören wie ihre Kollegen Truffaut, Godard und Rivette zu den vehementen Verteidigern der Autorentheorie. Vor diesem Hintergrund empfehlen sie ihren Lesern, das Werk eines Regisseurs neu zu bewerten, der bislang ausschließlich als kommerziell galt und von den Filmhistorikern als 'Autor' nicht wahrgenommen wurde: Alfred Hitchcock.Die Autoren analysieren in chronologischer Reihenfolge jeden einzelnen der bis dato entstandenen 45 Filme und warten mit Resultaten auf, die auch für Hitchcocks spätere Filme gültig sind. Enthusiastisch, provokativ und zugleich schlüssig in ihrer Argumentation definieren Chabrol und Rohmer dabei zudem Aufgabe und Methodik der Filmkritik neu.
Autorenporträt
Eric Rohmer (1920-2010) debütiert 1959 mit dem Spielfilm 'Le Signe du Lion'. Er war einer der wichtigsten Vertreter der Nouvelle Vague und schuf zahlreiche preisgekrönte Filme. Claude Chabrol (1930-2010) gehört zu den Begründern der Nouvelle Vague und ist bekannt für seine sozialkritischen Filme über die französische Bourgeoisie. Er selbst nannte Alfred Hitchcock als sein Vorbild. Robert Fischer, geb. 1954, arbei- tet seit 1974 als Filmpublizist und seit 1999 auch als Filmemacher. Er ist Autor, Herausgeber und Übersetzer von zahlreichen Filmbüchern. Für seine Übersetzung der Schriften Truffauts erhielt er die französische Kulturauszeichnung 'Chevalier des Arts et Lettres'.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.08.2013

Hohle Herzen
Nach mehr als 50 Jahren auf Deutsch: Rohmers/Chabrols Hitchcock-Buch
Mit einer Zigarette im Spiegelei fing es an, ausgedrückt in der glibbergelben Masse auf dem Frühstückstisch, von einer ordinären Amerikanerin im Hotel an der französischen Riviera, in dem Film „To Catch a Thief/Über den Dächern von Nizza“. In solchen Momenten wurde endgültig klar, worum es Hitchcock in seinen Filmen seit Langem ging, um die Objekte unseres Alltags und ihre Dominanz, wie sie uns widrig werden, grundsätzlich feindselig.
  Im Sommer 1954 war Alfred Hitchcock an die Côte d'Azur gekommen, um die Außenaufnahmen für seinen neuen Film zu drehen. Was die jungen Autoren der Pariser Cahiers du Cinéma aufs höchste erregte – die schon lange Hitchcock, den man in der Kritik wohlwollend als Thrillermeister rühmte, zum veritablen Filmautor und -künstler erklären wollten. André Bazin, der väterliche Chef der Cahiers , war nicht unbedingt überzeugt davon, dennoch gönnte er seinen Jungs ein Hitchcock-Sonderheft im Oktober ’54– und steuerte selbst ein Interview bei, er hatte zufällig Ferien gemacht in einem der Orte, wo Hitchcock drehte. Das Heft machte Furore, war gedacht und wurde empfunden als Provokation, und selbst Hitchcock kam erst mal gar nicht mit bei dieser Umwertung.
  Zwei „Jungtürken“ taten sich damals besonders hervor, Claude Chabrol und Éric Rohmer, und sie bekamen bald darauf sogar die Chance zu einem Hitchcock-Buch, 1957 erschienen, nun erstmals auf Deutsch herausgebracht. Es stand immer ein wenig im Schatten des großen Projekts des Freundes und Kollegen François Truffaut, des legendären Interviewbuchs „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“.
  Man muss das Rohmer-Chabrol-Buch diagonal lesen, nicht auf Befunde und Ergebnisse abklopfen, sondern der Bewegung darin nachspüren. Es ist die Geburt eines neuen Denkens und Schreibens übers Kino – dem parallel sich entwickelnden Strukturalismus verwandt, von Barthes, Derrida, Deleuze. Film für Film wird abgehandelt, erst ein wenig zögerlich und rudimentär, die englische Phase, dann wird, für seine amerikanischen Vierziger und Fünfziger, das Tempo forciert. Es geht um Schuldübertragung und -eingeständnis, und um die schizophrenen Effekte, die das provoziert, in Meisterstücken wie „Notorious“, „I Confess“ oder „Under Capricorn“. Die Kühnheit und die Naivität des Buches erstaunen noch heute, Hitchcock wird mit Kant und Platon und Baudelaire zusammengebracht und mit Pascal: „Wie ist das Herz des Menschen hohl und voller Unrat.“
  Hitchcock entwickelte dann doch rasch ein herzliches Verhältnis zu den Jungs in Paris, die als Regisseure der Nouvelle Vague seine Kollegen wurden. Im Anhang wird dieser intensive Dialog vom Herausgeber Robert Fischer schön dokumentiert. In einem Interview zeigt Chabrol sich sehr geehrt, dass Hitchcock ihn – nicht Truffaut! – erwählte, um die Pariser Passagen von „Topas“ zu drehen, dann kam er aber doch persönlich nach Paris und drehte selbst: „Eine Einstellung ist von mir, immerhin“, gesteht Chabrol“, „es ist nicht die beste. So viel kann ich sagen.“ Und Rohmer, auch in einem Interview: „Ich bin davon überzeugt, dass er einen Film wie ,The Wrong Man‘ für uns gemacht hat, um uns zu signalisieren, dass wir recht daran getan hatten, uns für diese metaphysische Hitchcock-Interpretation starkzumachen.“ „The Wrong Man“ ist die Apotheose des Buches, dann war Hitchcock überzeugt und erfand sich neu, mit „Vertigo“.
FRITZ GÖTTLER
Éric Rohmer, Claude Chabrol: Hitchcock. Hrsg. und aus dem Französischen von Robert Fischer. Alexander Verlag berlin Köln 2013. 287 Seiten, 29,90 Euro.
Schuldig, schizophren: Cary Grant und Ingrid Bergman in „Notorious“.
FOTO: RKO
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Bestürzt konstatiert Jürgen Kaube, dass Filmklassiker im Allgemeinen und jene von Alfred Hitchcock im Besonderen unter jungen Sozial- und Geisteswissenschaftlern durchaus nicht zum Bildungskanon gehören. Darin sieht der Rezensent einerseits eine Schwäche jener Studienfächer, für die Literatur noch immer einen höheren Stellenwert genießt als der Film, zum anderen aber auch eine Schwäche der Unterhaltungsindustrie, in der das Tagesgeschäft immer wichtiger ist als die Klassikerpflege. Dabei haben Claude Chabrol und Éric Rohmer bereits 1957 in ihrer einschlägigen Monografie "Hitchcock" bewiesen, dass große Filme, ja sogar große Genrefilme "den Vergleich mit großer Literatur nicht zu scheuen" haben, meint der Rezensent. Und obwohl es sich bei den beiden Autoren um Filmkritiker handelt (Regisseure wurden sie erst wenig später), bieten sie eine tiefgehende analytische Auseinandersetzung, die weit über das bloße Fällen von Geschmacksurteilen hinausgeht, lobt Kaube.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.2013

Gefesselt von gemischten Gefühlen

Sie ist das wahre Gesamtkunstwerk: Der Philosoph Martin Seel deutet die Filmkunst als erfolgreichen Angriff auf das seelische Gleichgewicht eines wehrlosen Publikums.

Von Jürgen Kaube

Man muss den Kulturpessimismus bekämpfen, überall und in jeder Form, wo immer er einen anfällt. Hier zum Beispiel: Vor wenigen Jahren fand auf einer Sommerakademie für studentische Stipendiaten ein Seminar zur Soziologie der Massenmedien statt. Einen Tag lang sollte dabei auch nach dem Film gefragt werden: Kunst oder Massenmedium oder beides und inwiefern? Vorher, hatten sich die Dozenten gedacht, sollte gemeinsam ein klassisches Beispiel angeschaut werden. Aber welches? Sie hatten eine ganze Tasche mit DVDs für die Leinwandprojektion im Südtiroler Gemeindezentrum dabei. "Sein oder Nichtsein"?, "Leoparden küsst man nicht"? "Der unsichtbare Dritte"? Ja, vielleicht etwas von Hitchcock. Die Studierenden, fast durchweg Geistes- und Sozialwissenschaftler und unter den Besten ihrer Jahrgänge, zögerten. Welchen Film von Hitchcock, wurden sie gefragt, würden sie denn vorziehen? Verlegenheit. Sie kennten doch Hitchcock? Eine kleine Pause, Ratlosigkeit, ein Finger geht hoch: "Ist das der mit den ,Vögeln'?"

Die Augenbrauen bitte unten lassen! Denn das ist eine Generationenerfahrung, die Anspruch auf Verstehen hat. Wer um 1985 herum das Studium aufnahm, in dessen Jahrgang hat es kaum jemanden gegeben, der nicht wusste, wer Alfred Hitchcock ist. Die um 1985 Geborenen aber sitzen mitunter in Seminaren, in denen es keiner mehr sicher weiß.

Wie kommt es zu solch einem Fall von fast hundert auf fast null? Wer das in diesem Jahr auf Deutsch herausgekommene fabelhafte Buch liest, das Éric Rohmer und Claude Chabrol 1957 über die Filme Hitchcocks geschrieben haben - es war überhaupt das erste Buch zu Hitchcock -, hält von den denkbarsten Antworten zunächst die trivialste in Händen: Es ist lange her, Hitchcocks Epoche ist für Kinder der Gegenwart entlegene Vorzeit, und der Klassiker musste selbst erst gemacht werden, um für einige Jahrzehnte als Maßstab seiner Kunst zu gelten. Wir kommen auf das Schicksal der Maßstäbe zurück.

Die Autoren, später selbst Klassiker des Kinos, waren Filmkritiker im Umkreis der Zeitschrift "Cahiers du cinéma". In Hitchcocks Werken - die bis "Bei Anruf Mord", "Das Fenster zum Hof" und "Der falsche Mann" vorlagen - fanden sie den Beweis, dass es möglich war, zugleich populär zu erzählen, filmtechnisch raffiniert zu sein und eine moralische Haltung zur Welt einzunehmen, also von Gut und Böse in einer Weise zu handeln, die den Vergleich mit großer Literatur nicht zu scheuen hatte.

Doch die klugen Deutungen der Filme Hitchcocks, die das Autorenduo vorlegte, blieben in ihrer Wirkung auf einen kleinen Kreis von Spezialisten beschränkt. Welche Seminare behandeln heute "Cocktail für eine Leiche" (1948) als Auseinandersetzung mit dem Existentialismus? Wo würde im Literaturunterricht "North by Northwest" mit "Hamlet" verglichen, wie es der Philosoph Stanley Cavell getan hat, dem wir einige der besten Bücher über das Kino verdanken?

Die Universitäten spalten den Film inzwischen oft in eine spezielle Disziplin "Medienwissenschaft" ab. Der Kunsthistoriker Hans Belting hat vor Jahren einmal den Versuch unternommen, es für sein Fach anders zu machen, aber eine große Wirkung hat er damit nicht erzielt. Man kann nicht Anglist sein, ohne von Joseph Conrad gehört zu haben, von "The Man Who Shot Liberty Valance" gilt das so wenig wie von "Citizen Kane". Der gleichberechtigte Eingang der Filmklassiker in den Unterricht steht trotz aller Rede von der Medienkompetenz und trotz des einen oder anderes Kurses über filmisches Erzählen noch aus.

Über den Schulhalbjahren der Oberstufe stehen Überschriften wie "Frauenbilder", "Großstadt", "Entlarvung und Kritik in der Komödie" - aber die Erzählmedien, von denen Jugendliche auf diesen Gebieten am stärksten sozialisiert werden, spielen dabei nur am Rande, nur als Zusatz eine Rolle. Die Geschichte des Films spielt gar keine. Hätten die Dozenten nach der "Judenbuche" oder "Emilia Galotti" gefragt, sie hätten - bei geringem Enthusiasmus der Erinnerung - bessere Chancen gehabt als bei Hitchcock.

Doch jene Generationenerfahrung hängt nur insofern an der Schule, als diese der Verdrängung des ästhetischen Vergangenen durch die Aktualität allein auf dem Gebiet der Literatur entgegentritt. Die Schule vor 1985 hatte schließlich auch nichts mit Hitchcock am Hut. Entscheidender ist also der mit dem Wachstum der kulturellen Produktion zunehmende "Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit" (Alexander Kluge). Gerade im Kino sorgt er dafür, dass die verfügbaren Stunden des Publikums schnell für die Tagesproduktion draufgehen. Denn Filme legen es - wie sonst vielleicht nur noch populäre Musik - besonders nahe, zum Verbrauch bestimmt zu sein und sich ganz und gar an Zeitgenossen zu wenden. Der alte Vorbehalt gegen sie, nur zu unterhalten, aber dem Nachdenken nichts zu bieten, kommt daher.

Das hat eine Resonanz in ihrer Erscheinungsweise. Filme, schreibt der Frankfurter Philosoph Martin Seel in seiner ungemein anregenden Ästhetik des Kinos, absorbieren mehr als alle anderen Kunstwerke die Gegenwart des Zuschauers. Anders als Fotografien konservieren sie nichts, anders als Musik haben sie keine Partitur, anders als in Büchern oder vor Bildern kann man sich in ihnen nicht nachdenkend bewegen. Es ist für Seel gerade die Pointe der Filmkunst, mit einem wehrlosen Publikum zu rechnen und einen Angriff auf das leiblich-seelische Gleichgewicht der Zuschauer zu unternehmen.

Der Film kann das, weil er, so Seel, das wahre Gesamtkunstwerk ist. Nicht, weil er eine zuweilen mit Musik unterlegte Geschichte in Bildern von Räumen erzählt, die von Schauspielern bevölkert sind. Wenn Seel den Film als Architektur anspricht, sind nicht Räume im Film, sondern Raumbildungen durch den Film gemeint. Die Bewegung der Kamera sorgt dafür, dass wir uns in einen Raum gezogen sehen, ohne doch, wie in tatsächlichen Räumen, befähigt zu sein, über seine Ansichten selbst zu bestimmen. Wir folgen der Eigenbewegung eines Bildraums, von dem wir immer nur Ausschnitte sehen.

In ihm können wir uns weder umdrehen noch um etwas herumgehen, er ist "eine Welt, in der wir uns wahrnehmend aufhalten dürfen, ohne wirklich in ihr zu sein". Die sich aber als komplette Welt aus Bewegung, Wort, Klang, Handlung zeigt. Komplett, aber unfrei - die Betrachter der Lichtspiele in Platons Höhlengleichnis, waren ebenfalls gefesselt. Für die Deutung von Filmen, auch die philosophische, hat das den Nachteil, dass man den Film anhalten können muss, um ihn zu analysieren. Viele der guten Beobachtungen, die Seel macht, sind erst möglich, seit es Abspielgeräte für den Hausgebrauch mit Pausentaste gibt. Während Gedicht und Buch, Partitur, Gebäude und Bild nicht vorschreiben, wie lange man sich wo in ihnen aufhält, ist der Film dem Ritual näher, das dem, der an ihm teilnimmt, wie der Traum keine Freiheitsgrade lässt; wenn man von der Freiheit zu Kirchen- und Kinoschlaf einmal absieht. Von allen Ritualen aber überzeugen allenfalls die gegenwärtigen.

Das macht den Film zu einer souveränen Kunst: allen Betrachtern wird dieselbe Wahrnehmungsbewegung aufgezwungen, und zugleich schaltet der Film, wie er will, indem er kein Gesetz kennt, das die mögliche Abfolge der Bilder so bestimmen würde wie die Harmonielehre - oder ihre Äquivalente -, die der Töne. Seel spricht von der "gesteigerten Passivität", die Filme dadurch bewirken. Man kann sich der filmischen Bildwelt, nach der glücklichen Formulierung der Soziologin Angela Keppler, "nicht entziehen, weil sie sich fortwährend entzieht", ständig etwas zeigt, was soeben noch nicht da war und sofort wieder zugunsten der nächsten Erscheinung verschwindet.

Zu den Vorzügen von Seels Buch gehört es, dass es Thesen wie diese nicht einseitig mittels Werken aus dem Bereich der Niveaupflege belegt, sondern durch ein weites Spektrum der Filmgeschichte, von den Marx Brothers bis zu Fassbinder. Dass Filme "Musik fürs Auge" sind, die aber Bewegungen des Bildes mit Bewegungen im Bild kombiniert, wofür es keine musikalische Analogie gibt, wird an der Choreographie einer Actionszene aus "Die Bourne Verschwörung" veranschaulicht. Seel erspart uns also eine normative Ästhetik und geht stattdessen der Frage nach, worauf die Suggestivität noch der zirkushaftesten Darbietungen im Film beruht. Er spielt das Spektakel nicht gegen die Erzählung aus und die Erzählung nicht gegen die Form.

Damit kehrt die Frage nach den Gründen für die Ferne der Filmvergangenheit wieder. Hitchcock, schreiben Chabrol und Rohmer, sei "der größte Erfinder von Formen in der Geschichte des Films". Doch um das zu sehen, muss man zuerst diese Formen sehen. Ebendies jedoch, die Schulung der Wahrnehmung und der Begriffe fürs Wahrgenommene, die man bei Chabrol, Rohmer und Seel findet, hat einen großen Konkurrenten: das Geschmacksurteil. Denn drängt die Kunst außerhalb der darauf spezialisierten Forschung noch nach Begriffen, wenn sie eine Freizeitverwendung unter anderen ist? Oder kann man es unter diesen Umständen beim Kriterium belassen, wie gut man sich unterhalten hat?

Chabrol und Rohmer waren Kritiker, Seel liefert in seinem Gedankengang viele Miniaturen zu Filmen - "Blowup", "The Searchers", "Zabriskie Point" -, die Modelle für Filmkritik sind. Für alle drei haben Filme Ideen zum Gegenstand. Nichts gegen Vergnügen, aber der Text, der von ihm berichtet, ist kurz und besteht fast nur aus Adjektiven bis hinunter zu "spannend". Aufgefüllt wird er darum in der Kritik aller Kunstgattungen gern mit langatmigen Inhaltsangaben und Angerührtheitsbeschreibungen des Betrachters. Willkommen in der gehobenen Gastronomie. Lessings Differenz von "Kunstrichter" und "Mann von Geschmack" klingt wie aus einer versunkenen Welt. Auch dieser Eindruck, die Kunstwerke gäben vor allem etwas zu fühlen und nicht zu denken, geht zu Lasten der Vergangenheit und der Standards.

Und was rettet uns nun vor dem Kulturpessimismus? Zum einen Bücher wie die besprochenen, die zeigen, dass große Filme nicht einfach große, sondern gemischte Gefühle auslösen, um ein "moralisches Universum" (Rohmer/Chabrol) aufzuspannen. Zum anderen eine Erfahrung mit denen, die Hitchcock nicht kannten. Denn weil es eine Unkenntnis ist, die nicht auf Dünkel gegen vergangene Zeiten beruht oder auf einem Unwillen, sich mit etwas gedanklich zu beschäftigen, besteht kein Anlass zur Sorge um die Klassiker. Jedenfalls so lange nicht, solange jemand sich die Mühe macht zu erklären, warum sie es sind, und ihre Größe nicht einfach nur voraussetzt.

Claude Chabrol und Éric Rohmer: "Hitchcock".

Hrsg. und aus dem Französischen von Robert Fischer. Alexander Verlag, Berlin, Köln 2013. 296 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].

Martin Seel: "Die Künste des Kinos".

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013. 256 S., geb., 22,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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