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Aufbau der Demokratie und Kampf gegen den Terror, den islamischen Extremismus, so lautet der Anspruch, mit dem Deutschland und andere westliche Staaten ihr Engagement in Afghanistan begründen. Doch auf den großen Basen, in den Wiederaufbauzentren, bei den Militäreinheiten zeigt sich: Das zivile Element ist dem militärischen Konzept nur zugeordnet, es geht um Aufstandsbekämpfung. Stolz verweisen US- Offiziere in Kabul auf den Erfolg dieser neuartigen Methode im Irak - während man bei der französischen Armee mit nachsichtigem Lächeln reklamiert, die Aufstandsbekämpfung erfunden zu haben: vor…mehr

Produktbeschreibung
Aufbau der Demokratie und Kampf gegen den Terror, den islamischen Extremismus, so lautet der Anspruch, mit dem Deutschland und andere westliche Staaten ihr Engagement in Afghanistan begründen. Doch auf den großen Basen, in den Wiederaufbauzentren, bei den Militäreinheiten zeigt sich: Das zivile Element ist dem militärischen Konzept nur zugeordnet, es geht um Aufstandsbekämpfung. Stolz verweisen US- Offiziere in Kabul auf den Erfolg dieser neuartigen Methode im Irak - während man bei der französischen Armee mit nachsichtigem Lächeln reklamiert, die Aufstandsbekämpfung erfunden zu haben: vor hundert Jahren, in den nordafrikanischen Kolonien. Der Autor hat sich auf eine abenteuerliche Spurensuche gemacht: Auf Fahrten im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet, in Madrassahs, in abgelegenen Forts, bei Gesprächen mit Mullahs und Militärs, bei Diskussionen mit liberalen islamischen Gelehrten zeichnet sich immer deutlicher ab: Der islamische Extremismus, zu dessen Bekämpfung ISAF-Truppen in Afghanistan stationiert sind, hat sich erst durch die Zusammenarbeit von Aufstandsbekämpfern und konservativen Autoritäten entwickelt. Und diese Zusammenarbeit verhindert, dass sich islamische Gesellschaften demokratisieren und sich der ausländischen Dominanz entziehen.
Autorenporträt
Marc Thörner, Jahrgang 1964, Studium der Geschichte und Islamwissenschaften, lebt in Hamburg. Seit 1994 freier Journalist, überwiegend für ARD-Rundfunkanstalten. Berichtet aus dem Maghreb, den Golfstaaten, dem Irak, Pakistan und Afghanistan. Buchveröffentlichungen: Von Saddam City zu Sadr City. Die irakischen Schiiten, Göttingen 2005. Der falsche Bart. Reportagen aus dem Krieg gegen den Terror, Nautilus 2007.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2010

Für wen kämpft die Bundeswehr in Afghanistan?
Der Reporter Marc Thörner hat das Land wochenlang bereist und beunruhigende Erkenntnisse mit nach Haus gebracht
Marc Thörner fährt in einem afghanischen Taxi hinter einem Konvoi der Bundeswehr. Plötzlich stoppt der Konvoi. Einige Soldaten steigen aus, einer nimmt ein Gewehr, legt an und schießt ohne Warnung. Was er da erlebte, wird dem Journalisten später erklärt, sei lediglich die „erste Eskalationsstufe” gewesen, „nur Signalmunition”. Marc Thörner verstand: Die Bundeswehrsoldaten konnten ja nicht wissen, dass in dem Taxi keine drei Selbstmordattentäter saßen, sondern bloß ein neugieriger Landsmann mit seinem Fahrer und einem Übersetzer. Vieles andere, was Thörner auf seinen ausgedehnten Reportagereisen in Nordafghanistan erlebte, wo die deutschen ISAF-Truppen stationiert sind, hat ihn mehr schockiert.
Am 21. März 2009 landeten amerikanische Soldaten auf der deutschen Basis in Kundus und töteten im Gästehaus des nördlich gelegenen Ortes Imam Sahib einige Unschuldige im Schlaf. Anschließend wurde von Seiten der USA die Lüge verbreitet, die Männer seien Al Qaida-Sympathisanten gewesen, die wild um sich geschossen hätten. Im Spiegel war ein paar Tage später zu lesen: „Die US-Truppen hatten sich nach Informationen aus Geheimdienstkreisen offenbar von einem Drogen-Clan dazu einspannen lassen, einen Rivalen zu liquidieren.”
Dem Reporter Marc Thörner war das nicht genug. Er wollte herausfinden, was die Hintergründe der Desinformation sind, die im Westen über den Afghanistankrieg verbreitet wird. 2009 verbrachte er etliche Wochen im Land und sprach mit allen, die bereit waren, mit ihm zu reden. Wie war es möglich, dass US-amerikanische Truppen einen Landeplatz der Bundeswehr benutzten, um eine Attacke auszuführen, von der die Befehlshaber der Bundeswehr nichts wussten? Was sagt die Bundesregierung dazu? Warum agieren Truppen der Operation Enduring Freedom, als wären sie bewaffnete Handlanger afghanischer Bosse?
Thörner schreibt, die USA verfolgten „eine Politik des teile und herrsche”, wie einst Kolonialmächte sie praktizierten. Überraschend ist das nicht. Dass die USA unterschiedliche und miteinander verfeindete Faktionen in Afghanistan unterstützt haben, ist bekannt. Übertrieben erscheint allein Thörners Idee, die USA würden die liberalen Kräfte in Afghanistan nicht hochkommen lassen und lieber mit Extremisten zusammenarbeiten: Letzteres ist denn doch wohl eher ein bedauerlicher Nebeneffekt, der sich aus dem Umstand ergibt, dass liberale, demokratisch denkende Menschen selten schlagkräftige Truppen zu ihrer persönlichen Verfügung haben.
Auch um die Fiktion aufrechtzuerhalten, nicht an einem „Krieg” beteiligt zu sein, hat die Bundesregierung 2009 rhetorisch noch strikt zwischen Kriegseinsätzen der Operation Enduring Freedom (OEF) und den unterstützenden Einsätzen der ISAF unterschieden. Thörners Buch zeigt, dass die Wirklichkeit anders aussah. Citha Maass, eine Afghanistan-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik, hat dem Autor erklärt, warum OEF-Einsätze im Bundeswehr-Gebiet ohne Absprache mit den Deutschen erfolgt sind: „Die Amerikaner werfen der Bundeswehr vor, in Punkten der Bekämpfung von Aufständischen und Drogenhandel nicht hart genug vorzugehen.” Auch dies gehört zu den Hintergründen des von Oberst Klein herbeigeführten Luftangriffs auf zwei entführte Tanklaster am 4. September 2009, mit dem ein Untersuchungsausschuss des Bundestages sich derzeit befasst. Einen Tag nach diesem Bombardement in der Provinz Kundus durfte ein Chefreporter der afghanischen Nachrichtenagentur Pajh-wok den US-General McChrystal begleiten. Thörner erfuhr „brühwarm”, wie sein afghanischer Kollege sich die Katastrophe erklärte: Alle Opfer sind Paschtunen – das sei kein Zufall: Die Deutschen in ihrem Einsatzgebiet im Norden Afghanistans seien natürlich auf Informanten angewiesen, „in der Regel Tadschiken”, Feinde der Paschtunen; die Tadschiken wollten die Deutschen dazu einspannen, gegen die Paschtunen vorzugehen.
Gouverneur Attas Schwadronen
In der nordafghanischen Provinz Balkh, die zum deutschen Mandatsgebiet gehört, hat Marc Thörner viele Paschtunen getroffen, friedliche Dorfälteste und Mullahs, ehemalige Mudschaheddin und erfahrene Taliban-Kämpfer, die sich alle vor dem tadschikischen Provinz-Gouverneur Ustad Atta Mohammed fürchten. Gouverneur Atta verfolgt das Ziel, seinen usbekischen Rivalen, den berüchtigten Warlord Abdul Raschid Dostum, beiseitezudrängen. Der afghanische Journalist Yaqub Ibrahimi, der für das unabhängige Londoner „Institute for War & Peace Reporting” berichtet, hat Thörner die herrschenden Zustände erklärt: „Das gesamte Polizei- und Geheimdienstnetz im Norden wird von Atta, Dostum und ihren Unterführern kontrolliert. Nach Belieben verüben sie Verbrechen, morden, vergewaltigen, ohne dass sie jemand zur Verantwortung ziehen kann.” Weil es zu den Aufgaben der Bundesrepublik gehört, afghanische Polizisten auszubilden, hat Marc Thörner das Camp der deutschen Polizeiausbilder besucht, wo er erfuhr, dass man sich auf Atta verlasse. Er fragt: „Könnte es also sein, dass Bundeswehr und Polizei nur auf den ersten Blick ,afghanische Polizisten’ ausbilden, tatsächlich aber die Schwadronen des Gouverneurs?”
Thörners Exkursionen in die kolonialistische Herrschaftstheorie sind nicht nötig. Überzeugend ist hingegen seine Reportage: Nach der Lektüre fragt man sich, was deutsche Truppen in einem Land zu suchen haben, dessen innere Konflikte sie entweder nicht ganz überschauen oder im Interesse der unkomplizierteren Ausübung ihres Mandats ignorieren. FRANZISKA AUGSTEIN
MARC THÖRNER: Afghanistan-Code. Eine Reportage über Krieg, Fundamentalismus und Demokratie. Edition Nautilus, Hamburg 2010. 155 Seiten, 16 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Wie der Autor selbst ist auch Franzisky Augstein schockiert, über das, was sie hier erfährt. Auf ausgedehnten Reportagereisen im Norden Afghanistans hat Marc Thörner den deutschen ISAF-Truppen über die Schulter geschaut und Hintergründe ausgeleuchtet. Augstein erfährt, wie eng verzahnt Aktionen von US-Militär und ISAF tatsächlich sind. Dass Thörner bei seinen Enthüllungen mitunter übers Ziel hinausschießt, etwa, wenn er den USA vorwirft, lieber mit den Extremisten als mit den liberalen Kräften im Land zusammenzuarbeiten, oder wenn er kolonialistische Herrschaftstheorien bemüht, findet die Rezensentin bedauerlich. Dennoch erscheint ihr die Reportage überzeugend genug, um Fragen zu provozieren, die Rolle deutscher Truppen in Afghanistan betreffend.

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