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1 Kundenbewertung

Die Reformation gilt als Zäsur, mit der das Mittelalter endet. Volker Leppin zeigt demgegenüber, dass der junge Luther einer von vielen mystischen Schriftstellern war, und führt uns eine Reformation vor Augen, die viel mittelalterlicher und fremder ist, als es die Meistererzählungen von diesem "Umbruch" wahrhaben wollen. Der Thesenanschlag zu Wittenberg, die Urszene der Reformationsgeschichte, hat nicht stattgefunden. Vielmehr hat Luther an diesem Tag ein "Disputationszettelchen" verschickt, so wie es akademischer Brauch war. Diese und viele andere überraschende Erkenntnisse lassen sich…mehr

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Produktbeschreibung
Die Reformation gilt als Zäsur, mit der das Mittelalter endet. Volker Leppin zeigt demgegenüber, dass der junge Luther einer von vielen mystischen Schriftstellern war, und führt uns eine Reformation vor Augen, die viel mittelalterlicher und fremder ist, als es die Meistererzählungen von diesem "Umbruch" wahrhaben wollen. Der Thesenanschlag zu Wittenberg, die Urszene der Reformationsgeschichte, hat nicht stattgefunden. Vielmehr hat Luther an diesem Tag ein "Disputationszettelchen" verschickt, so wie es akademischer Brauch war. Diese und viele andere überraschende Erkenntnisse lassen sich gewinnen, wenn man Luther konsequent in seinem spätmittelalterlichen Umfeld betrachtet. Rechtfertigungslehre und "Priestertum aller Gläubigen", Predigtgottesdienst, Papstkritik und landesherrliches Kirchenregiment - all dies war selbstverständlicher Teil des spätmittelalterlichen Spektrums an Positionen und Protesten. Neu war allerdings die Art, wie Luther diese Elemente miteinander verband und von unterschiedlichen Interessengruppen zum Vordenker erhoben wurde. Erst diese Gemengelage führte zur Zuspitzung des Konflikts mit Rom. Vergessen und verdrängt wurden dabei Luthers mystische Wurzeln. Volker Leppin ruft sie anschaulich in Erinnerung und gibt Luther den spätmittelalterlichen Kontext zurück, der ihm von Protestanten wie Katholiken seit Jahrhunderten vorenthalten wird.

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Autorenporträt
Volker Leppin ist Professor für Kirchengeschichte an der Universität Tübingen, Mitglied der Sächsischen und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Wissenschaftlicher Leiter des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen sowie Präsident des Mediävistenverbands. Für seine Forschung zum späten Mittelalter wurde er u. a. mit dem Ruprecht-Karls-Preis der Universität Heidelberg, dem Hanns-Lilje-Preis der Göttinger Akademie der Wissenschaften und dem Gerhard-Hess-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Rezensent Stephan Speicher stellt zwei neue Bücher über Luther vor: Volker Leppins "Die fremde Reformation" und Volker Reinhardts "Luther, der Ketzer". Auch wenn er Reinhardt den Vorzug geben mag, kann er doch beide Bücher als Ergänzung empfehlen. Denn Leppin schildert die Reformation eher als Kultur- denn als Religionsgeschichte. Eine wesentliche Rolle spielt dabei das Verhältnis der Deutschen zu den italienischen Geistlichen, erklärt Speicher. Die Italiener hielten die Deutschen für Barbaren, die Deutschen hatten einen Minderwertigkeitskomplex, hielten sich dafür aber moralisch für überlegen. Wie Leppin das erzählt, fand der Rezensent offenbar anregend, Volker Reinhardts Buch, das die theologische Entwicklung der Reformation nachzeichnet findet er allerdings "feiner gearbeitet". Laut Reinhardt war Luther stark von spätmittelalterlichen Theologen geprägt, die bereits den Grundstein für die Ideen der Reformation legten, indem sie - anders als die Kirche mit ihren theologischen Haarspaltereien - das Verhältnis des Einzelnen zu Gott betonten. Dass die Katholische Kirche nach den Konzilen in Konstanz und Basel an den eigenen Vorrechte festhalten musste, findet Speicher verständlich. Dass es darüber zu einem "geistigen Bürgerkrieg" kam, war vielleicht unvermeidlich, so der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2016

Ein Gespenst namens Protestantismus

Reformatoren-Zwerge und ein Schrumpfgermane: Drei neue Bücher über Martin Luther werfen die Frage auf, warum 2017 eigentlich gefeiert wird.

Die heute bekannteste zeitgenössische Luther-Darstellung ist die massenhaft reproduzierte Skulptur Otmar Hörls - ein Verkaufsschlager, lieferbar in den Farben Kobaltblau, Moosgrün, Purpurrot, Schwarz und Bronze, hergestellt in der Materialität unserer Wegwerfzivilisation: Kunststoff. Das dem knapp einen Meter großen Luther-Zwerg zugrundeliegende "Urbild" ist jene Monumentalstatue J. G. Schadows, die seit 1821 den Marktplatz Wittenbergs beherrscht. Die bunte und billige Reproduktion eines nationalistischen Heros des neunzehnten Jahrhunderts - das Luther-Bild unserer Zeit. In Hörls Strategie, ein überkommenes Geschichtsbild zugleich zu konterkarieren und zu reproduzieren, zeigt sich ein symptomatischer Zug unserer Gegenwart.

Diesen Zug kann man auch an einigen Neuerscheinungen wahrnehmen - ein erstes Rauschen der heraufziehenden Reformationsjubiläumspublizistik. Jedes dieser Bücher macht sich Luthers Bekanntheit zunutze und führt seinen Namen im Haupt- oder Untertitel; keines dieser Bücher erkennt ihm und der mit ihm verbundenen Reformation Größe im Sinn originaler historischer Prägekraft oder bleibender Bedeutsamkeit zu. "Luther der Ketzer - Rom und die Reformation", vorgelegt von Volker Reinhardt, dem in Fribourg lehrenden profunden Kenner Italiens und des Papsttums um 1500, erzählt die Geschichte des Wittenberger Reformators aus der Perspektive Roms, also der im Auftrag und Umkreis des Papstes tätigen Skribenten, Nuntien, Kurtisanen.

Auf anschauliche Weise führt Reinhardt vor Augen, wie wenig die römischen Akteure von Luther verstanden, wie tief sie in Ressentiments gegenüber den germanischen Barbaren befangen waren, wie blasiert-befremdet sie der Luther-Begeisterung nördlich der Alpen gegenüberstanden und wie unfähig und -willig sie waren, die religiöse Inbrunst, die ihnen hier entgegenschlug, auf theologisch ernsthafte Weise zu parieren.

Mit diesem durchaus originellen ultramontanen Blick aber ist die Grenze des Buches erreicht, denn im Grunde teilt der eloquente Stilist Reinhardt das Befremden seiner Quellen; was an Luthers Sicht des Christentums zu faszinieren vermochte, warum Menschen vor einem halben Jahrtausend bei der Lektüre seiner Texte elektrisiert waren, weshalb Lebensgeschichten infolge der Begegnung mit seiner Botschaft einen neuen Verlauf nahmen - Mönche und Nonnen ihre Klöster verließen, Priester heirateten, Stifter ihre Bilder und Altäre abbrechen ließen -, von all dem erfährt der Leser nichts.

Ärgerlich, ja hart am Limit der Seriosität, ist die reißerische Werbebanderole: "Geheimakte Luther. Vatikanische Quellen decken auf, was in der Reformation wirklich geschah". Nicht ein einziges Aktenpartikelchen aus den reichen römischen Archiven bringt der Rom-Kenner Reinhardt neu bei! Was er auswertet und -schreibt, sind die seit 1892 publizierten Nuntiaturberichte und die von Th. Brieger und P. Kalkoff seit 1884 veröffentlichten Depeschen, in denen Alexander und andere Emissäre in die Ewige Stadt berichteten. Dass ein Autor italienische Quellen auswerten kann, ist fein - aber "Geheimakte Luther"?! Die gab es eben nicht, und das ist Teil jener Tristesse, die das Thema "Rom und die Reformation" umgibt.

Verfremdung und Enthüllung verspricht auch ein zweiter Titel: "Die fremde Reformation - Luthers mystische Wurzeln". Sein Verfasser, Volker Leppin, evangelischer Kirchenhistoriker, fasst hier monographisch kompakt zusammen, was ihn seit längerem umtreibt: die tiefe und nachhaltige Prägung Luthers durch die mystische Theologie Johannes Taulers und einiger Nachfolger. Unermüdlich zeigt er Parallelen zwischen Frömmigkeitstraditionen des späten Mittelalters und dem theologischen Werden des Wittenberger Reformators auf; entscheidende intellektuelle Weichenstellungen wie die Konzentration auf das Gotteswort, die Freiheit eines Christenmenschen, das Priestertum aller Gläubigen, die Sakramentenlehre sind nichts anderes als "Transformationen" - so der von Leppin als Alternative zu der auf "Umbruch" abonnierten Reformationsterminologie eingebrachte Schlüsselbegriff - mystischer Traditionsbestände.

Leppins Luther wird zugunsten der ihm vorangegangenen Frömmigkeitstradition geschrumpft. Konzeptionell unbefriedigend, eine Folge der methodischen Engführung auf Frömmigkeits- und Theologiegeschichte, bleibt, dass die Rekonstruktion des theologischen Werdens Luthers schon gleich "die Reformation" sein soll. Leppin kämpft unablässig gegen das offenbar namen- und gesichtslose Gespenst "des Protestantismus", der sich der Erkenntnis seiner Prägung durch "das Mittelalter" entzieht und die fälligen Konsequenzen für die Ökumene, die Angebetete des tragischen Tübinger Ritters, verweigert. Keine Angst, Jubiläumsfreude kommt so nicht auf!

Dass diese Gefahr auch bei "Der deutsche Glaubenskrieg. Martin Luther, der Papst und die Folgen" von Tillman Bendikowski, einem Neuzeit-Historiker und Journalisten, nicht besteht, ist klar. Bendikowski zeigt die deutsche Geschichte im Bann tiefer religiöser Verwerfungen, die unendliches Leid - kulminierend im Dreißigjährigen Krieg - über die Deutschen gebracht, im Kulturkampf fröhliche Urständ gefeiert habe und in der "neuen Konjunktur" der Religion in unserer Gegenwart bedrohlich zurückkehre. Luther und die Reformation - der Anfang einer Unheilsgeschichte, deren lange Schatten bis zu den "Privilegien" der Amtskirchen unserer Tage reichten, die in der "deutschen Religionspolitik" "etwa dem Islam gegenüber" noch immer "bessergestellt" würden.

Das Alarmierend-Bemerkenswerte dieses Buches besteht in dreierlei: in der völligen Ignoranz gegenüber religiös induzierten Konflikten vor Luther, deren Kenntnis eine Voraussetzung für die in der Reformation auftretenden Konfliktlagen wäre; in der Fixierung auf die deutsche Geschichte, das heißt der Unkenntnis der etwa in Frankreich tobenden Religionskriege; schließlich im Unwillen oder in der Unfähigkeit, den mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 beziehungsweise dem Westfälischen Frieden von 1648 mit großem Erfolg eingeschlagenen Weg der Pazifizierung der Religionsfrage mittels ihrer staatlichen Verrechtlichung angemessen zu würdigen.

Das deutsche Staatskirchenrecht, in der Tat die Blut-und-Tränen-Saat eines mörderischen Religionskonflikts, repräsentiert ein Modell der Entschärfung religiöser Gewaltpotentiale durch staatlich verbürgte und durchgesetzte Toleranz - um des förderlichen Interesses an der Religion willen. Ein Modell, das von protestantischen Juristen propagiert und von evangelischen Theologen bereits verteidigt wurde, als Katholiken noch darüber stritten, ob man mit Ketzern überhaupt Frieden schließen dürfe!

Der 31. Oktober 2017 wird in der Bundesrepublik Deutschland als außerordentlicher Feiertag begangen werden. Die hier besprochenen Bücher liefern keinen Grund, dies zu tun. Doch einen solchen Grund gibt es: Die Antwort unserer Rechtskultur auf die Gretchenfrage lautet nicht, dass die Religion überwunden oder ignoriert werden kann und soll; der Königsweg der Moderne ist der der Zivilisierung der Religion mit den Mitteln des staatlichen Rechts.

Die Legitimität dieses Weges hat übrigens kein Theologe des sechzehnten Jahrhunderts nachdrücklicher verfochten als Luther; die weltliche Gewalt habe nicht zum Glauben zu erziehen, sondern dem Bösen zu wehren und den äußeren Frieden zu sichern. Neben vielem anderen war Luther ein genialer Publizist, ein virtuoser Sprachkünstler, ein Kämpfer für den Sinn und die Freiheit des Glaubens. Jenseits des abstoßenden Heroismus des neunzehnten Jahrhunderts kommt ihm historische Größe zu; zum Schrumpfgermanen taugt er nicht.

THOMAS KAUFMANN

Volker Reinhardt: "Luther der Ketzer". Rom und die Reformation.

Verlag C. H. Beck, München 2016. 352 S., Abb., geb., 24,95 [Euro].

Volker Leppin: "Die fremde Reformation". Luthers mystische Wurzeln.

Verlag C. H. Beck, München 2016. 247 S., Abb., geb., 21,95 [Euro].

Tillmann Bendikowski: "Der deutsche Glaubenskrieg". Martin Luther, der Papst und die Folgen.

C. Bertelsmann Verlag, München 2016. 384 S., geb., 24,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.04.2016

Das allersüßeste Schauspiel
Luther und die Mystik – eine Beziehung, deren Tiefe Volker Leppin nicht voll ergründen kann
Je näher das Reformationsjubiläum rückt, umso weiter rückt der Reformator in die Ferne. „Der fremde Luther“ heißt das Leitmotiv fast aller ernst zu nehmenden Veröffentlichungen, die auf die 500. Wiederkehr des legendären Thesenanschlags im kommenden Jahr einstimmen. Es hat sich herumgesprochen, dass Luther keiner „von uns“ ist. Und es schadet nicht, es weiter zu sagen. Denn ein sachgerechtes Gedenken, das sich von falschen Aktualisierungen und Vereinnahmungen fern hält, muss Luther zunächst als Fremden, als Gestalt des ausgehenden Mittelalters vorstellen.
  Doch Fremdheit kann unterschiedliche Gesichter besitzen. Sie kann etwas Vergangenes und Totes sein. Schlimmer noch, sie kann absurd-abständig, überhaupt nicht mehr nachvollziehbar wirken. Doch kann das Fremde auch etwas Exotisches an sich haben, das auf gute Weite irritiert und die Neugier reizt. Mehr noch, das Fremde kann einem auf paradoxe Weise nahe kommen, weil es etwas in sich birgt, das der eigenen Gegenwart fehlt, von ihr aber ersehnt wird: eine ungeahnte eigene Möglichkeit. Auch wer vom „fremden Luther“ spricht, kommt also nicht an der Aufgabe vorbei zu sagen, was die Reformation heutige Leser noch angeht.
  Der Tübinger Kirchenhistoriker Volker Leppin versucht Luthers Fremdheit dadurch zu profilieren, dass er ihn als Mystiker versteht. Damit verstößt er gegen einen althergebrachten Konsens kirchenkonventioneller Lutherforschung, wonach Luther als Wort-Gottes-Theologe, Rechtfertigungsdogmatiker und Konfessionsgründer das reine Gegenteil eines Mystikers darstellte. Denn Mystik sei doch genuin katholisch, eine Angelegenheit nur für überspannte Nonnen und Mönche. Leppin dagegen zeigt, wie tief Luther von Motiven der mittelalterlichen Mystik geprägt und wie eng er in die Kommunikationsnetze mystischer Schriftsteller verwoben war.
  Sein spiritueller Lehrer und Beichtvater Johann von Staupitz zum Beispiel führte ihn in die spirituelle Welt eines Johannes Tauler ein, durch die er Grundimpulse von Meister Eckhart, dem wohl bedeutendsten Mystiker des Mittelalters, kennenlernte. In dieser Perspektive versucht Leppin zu zeigen, dass die Reformation kein revolutionärer Epochenbruch war, sondern nur allmählich zu einer Umformung des Christentums führte und dabei ihren mystischen Ursprüngen treu blieb. Luther war eben nicht der Begründer der Neuzeit, sondern Teil der spätmittelalterlichen Frömmigkeitswelt.
  So interessant sich diese Ausführungen lesen, fragt man sich, ob Leppin einen Begriff von seinem Thema besitzt. Ohne groß zu unterscheiden, verwendet er „Mystik“ als Wechselbegriff zu „Frömmigkeitstheologie“, „Erbauung“, „Innerlichkeit“, „Meditation“ oder „geistlich“. Manches, was er mit stolzem Gestus als „Mystik“ kennzeichnet, könnte man auch ganz unaufgeregt als Ausdruck einer persönlichen Frömmigkeit verstehen.
  Leppins schroffe Gegenüberstellung der Mystik zu scholastischer Theologie, Amtskirche und veräußerlichtem Ritualwesen ist dagegen zu einseitig und polemisch. „Mystik“ ist ein Zauberwort, das viele Menschen fasziniert. Es ist aber auch ein Container-Begriff, in den alles Mögliche gepackt wird. Man sollte deshalb sagen können, was man darunter versteht.
  Hat man dies aber getan, dann eröffnen sich weite Horizonte, und es stellen sich grundlegende Fragen. Danach, ob es einen gemeinsamen Kern aller Religionen gibt. Danach, wie dies metaphysisch zu denken und spekulativ zu ergründen sei. Danach, ob eine unmittelbare Gotteserfahrung möglich ist und wie sie individuell erlebt wird – nicht nur seelisch, sondern auch körperlich. Danach, ob man Gott so lieben kann, dass man mit eins wird. Danach, ob man deshalb über den Genuss der Gotteserfahrung in erotischen Bildern sprechen darf. Danach, welche Anstrengungen man auf sich nehmen und worauf man verzichten muss, um zu diesem religiösen Gipfel zu gelangen. Danach, welche ästhetische Kräfte hier freigesetzt werden. Danach, ob auch religiöse Gemeinschaften ohne Macht und Herrschaft möglich wären. Und schließlich danach, ob sich die traditionellen Religionen dadurch der Moderne annähern könnten, dass sie sich in eine nicht-theistische und nachkonfessionelle Spiritualität verwandeln.
  Im Licht dieser Fragen könnte man Luther ganz anders in den Blick nehmen, als die erschreckend langlebigen nationalistischen und konfessionalistischen Klischees erlauben: In seiner ganzen Fremdheit könnte einem der Reformator dann überraschend nahe kommen. Doch Leppin verfolgt ein viel engeres Ziel. Er möchte mit seiner mystischen Deutung nur die alte protestantische Meistererzählung widerlegen, wonach die Reformation die Neuzeit hervorgebracht habe. Doch wenn nicht alles täuscht, wird dies von niemandem mehr behauptet. Deshalb läuft Leppins Argumentation ins Leere, es scheint, als hätte er das Potenzial seiner eigenen These nicht erkannt.
  So erwähnt er einen Punkt nicht, an dem man die Faszination des fernen-nahen Luther besonders gut erfasst: Die Mystik ist eine sprachästhetische Kraft, eine Quelle immer neuer Wörter und Wortbilder, in denen das höchste religiöse Glück und Unglück sich Ausdruck verschaffen, und so hat sie auf Luther gewirkt. Sein Sprachgenius war mystisch inspiriert. Dessen Zauber kann sich auch der heutige Leser kaum entziehen. Zum Beispiel, wenn Luther die innige Liebesverbindung zwischen Christus und Seele, dieses „allersüßeste Schauspiel“, feiert: „Wer vermag diese königliche Hochzeit genug zu schätzen? Wo der reiche und fromme Bräutigam Christus das arme, verachtete, gottlose Hürlein zur Frau nimmt, indem er es loskauft von allen seinen Übeln und es schmückt mit allen seinen Gütern.“ Ist das nun mystisch oder einfach nur der anrührende Ausdruck einer innigen Religiosität?
JOHANN HINRICH CLAUSSEN
  
  
  
  
Volker Leppin: Die fremde Reformation. Luthers
mystische Wurzeln. Verlag C. H. Beck, München 2016.
247 Seiten. 21,95 Euro. E-Book 17,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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"Ein sehr lesenswertes, unbedingt zu empfehlendes Buch."
Martin H. Jun, sehepunkte, 15. Oktober 2017