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Als der "Lotse von Bord" ging, zerfiel auch das sorgfältig geknüpfte außenpolitische Bündnis- und Vertragsgeflecht Bismarcks. Wirklicher Ersatz wurde nicht gefunden. Die deutsche Russlandpolitik im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts stand im Zeichen des Niedergangs und der vertanen Chancen. Polenproblematik, Abrüstung, Zollpolitik, Orient- und Fernostfragen - trotz Bemühungen vermochten weder die Reichskanzler noch ihre Staatssekretäre die Beziehungen zu Russland auf eine langfristig tragfähige Basis zu stellen und die russische Annäherung an Frankreich aufzuhalten. Das Ergebnis dieser…mehr

Produktbeschreibung
Als der "Lotse von Bord" ging, zerfiel auch das sorgfältig geknüpfte außenpolitische Bündnis- und Vertragsgeflecht Bismarcks. Wirklicher Ersatz wurde nicht gefunden. Die deutsche Russlandpolitik im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts stand im Zeichen des Niedergangs und der vertanen Chancen. Polenproblematik, Abrüstung, Zollpolitik, Orient- und Fernostfragen - trotz Bemühungen vermochten weder die Reichskanzler noch ihre Staatssekretäre die Beziehungen zu Russland auf eine langfristig tragfähige Basis zu stellen und die russische Annäherung an Frankreich aufzuhalten. Das Ergebnis dieser misslungenen Politik: die außenpolitische Situation des Reiches um 1900 hatte sich gegenüber 1890 deutlich verschlechtert. Das Thema wird auf breiter Quellen- und Literaturgrundlage dargestellt und in seiner Verknüpfung mit dem gesamteuropäischen Entwicklungsprozess betrachtet.
Autorenporträt
Irmin Schneider, Dipl.Volkswirt, Dr. phil., geb. 1932, nach mehreren Jahrzehnten Tätigkeit in deutschen Industrieunternehmen Studium der Geschichte und Philosophie in Mainz. Promotion 2002 aufgrund vorliegender Arbeit.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.07.2003

Die Auskreiser
Deutsch-russische Beziehungen nach Otto von Bismarck

Irmin Schneider: Die deutsche Rußlandpolitik 1890-1900. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2003. 346 Seiten, 38,- [Euro].

Das Verhältnis zu Rußland war für die Stellung Preußen-Deutschlands von zentraler Bedeutung. Preußen hatte mehrfach erfahren müssen, daß das Zarenreich seinen Zielen überwindliche Grenzen setzen konnte, und es war diese Lehre, die Bismarck veranlaßte, sich der russischen Unterstützung bei der Ausdehnung Preußens zu vergewissern. Auch wenn sich die Konstellationen der Mächte nach 1870 wandelten und das orientalische Geschwür latent das deutsch-russische Verhältnis zu infizieren drohte, bemühte sich der Reichsgründer, den Zaren durch ein kompliziertes Vertragswerk, an dessen Ende der Rückversicherungsvertrag von 1887 stand, für sich zu gewinnen, um dem cauchemar des coalitions zu entrinnen. Immanente Voraussetzungen dafür waren Selbstbescheidung und gegenseitiges Vertrauen, die Zügelung nationaler Leidenschaften und die "Pflege" gutnachbarschaftlicher wirtschaftlicher Beziehungen.

Während ersteres mehr oder weniger durchgängig gegeben war - in der Theorie schloß Bismarck bekanntlich sogar nicht aus, Österreich-Ungarn zu opfern, um Rußland an der Seite des Reiches zu halten -, mangelte es an letzterem bereits in den späten 1880er Jahren. Durch wirtschaftliche "Keulenschläge" hatte der alternde Kanzler dem Zaren "seinen Vorteil" beizubringen versucht. Dabei hatte er unterschätzt, daß dieser, von inneren und ökonomischen Zwängen getrieben, seinen tiefsitzenden Antirepublikanismus vergessen und in Paris viel reichhaltigere Quellen finden konnte als in Berlin. Dennoch, und hier setzt die gut lesbare Studie an, war 1890 noch keineswegs entschieden, daß enge wirtschaftliche Beziehungen über kurz oder lang auch intensivere Kontakte auf politischem und militärischem Gebiet zwischen Rußland und Frankreich zur Folge haben würden. Den Weg dazu haben die "Wilhelminer" freilich selbst geebnet: Mit Bismarcks Entlassung im März 1890 riß der Draht nach Petersburg, und sosehr die Russen der Regierung in Berlin nachliefen, so wenig waren der neue Kanzler und der junge Kaiser bereit, die bisherige Außenpolitik fortzusetzen. Sie erschien ihnen zu kompliziert und zu widersprüchlich. Caprivi war zudem überzeugt, einen Zweifrontenkrieg nicht vermeiden zu können, und setzte daher militärisch-nüchtern auf eine starke Armee anstatt auf Verträge, die ihm das Papier nicht wert schienen, auf denen sie geschrieben waren. Hinzu kamen antirussische Ressentiments im Auswärtigen Amt, im Generalstab und in der Öffentlichkeit; bereits in der Doppelkrise hatten diese Kreise vehement einen Präventivkrieg nach Osten und - in der Verlängerung - eine Anlehnung an England gefordert. Bismarck hatte das eine zu verhindern gewußt, das andere zu sondieren versucht, um sich alle Optionen offenzuhalten.

Wilhelm II., Caprivi und, allen voran, die "Graue Eminenz der deutschen Außenpolitik, Holstein, sahen dies ganz anders: die "Globalisierung" europäischer Politik bot ihrer Meinung nach die Chance, zum größtmöglichen eigenen Nutzen zwischen den Flügelmächten operieren zu können, ohne sich vorzeitig selber Fesseln anlegen oder Rußlands Vormachtstellung anerkennen zu müssen. Die Beziehungen nach Petersburg "verfielen" daher - angefangen von den persönlichen Kontakten zwischen den Monarchen über tiefgreifende wirtschaftliche Differenzen und gegenseitige Vorwürfe hinsichtlich der Behandlung von Minderheiten bis hin zu außenpolitischen Konflikten in Europa und Asien.

Die Konsequenzen dieses "Verfalls" waren für das Deutsche Reich langfristig fatal. Seit 1891 näherten sich Rußland und Frankreich politisch und militärisch einander an und, wenn auch eher zögerlich, stimmte Alexander III. 1893 einer schriftlichen Fixierung der bisherigen Gespräche zu. Aus russischer Perspektive war dieser Schritt nur konsequent, und zu diesem Zeitpunkt bedeutete er auch nicht, daß damit der "Ring" geschmiedet war, der das Reich 1914 zu einer höchstgefährlichen Politik verleiten sollte. Im Gefühl der eigenen Stärke tat die Reichsleitung allerdings auch nichts, das Vertrauen des Zarenreiches wiederzugewinnen. Warnungen verhallten ungehört. Verantwortlich dafür war zunächst zweifellos der junge, impulsive Kaiser. Bereits 1891 hatte ein Berater des Zaren, Graf Lamsdorff, notiert: "Wilhelm II. verdient unsererseits ein schönes Denkmal, da er sich bemüht, die Position Deutschlands zu erschüttern, und auf diese Weise mittelbar unseren Interessen dient." Dies war allerdings nur die "halbe Wahrheit"; kaum weniger entscheidend war der weitverbreitete Wille, gleichberechtigte Weltmacht zu werden.

MICHAEL EPKENHANS

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Irmin Schneiders "Die deutsche Russlandpolitik 1890-1900" widmet sich den deutsch-russischen Beziehungen nach der Entlassung von Otto von Bismarck 1890. Während Bismarck sich mit allen Mitteln für eine Verständigung mit Russland eingesetzt hatte, so Rezensent Michael Epkenhans, verfolgten der neue Kanzler und der junge Kaiser eine neue Linie in der Außenpolitik, da ihnen Bismarcks Politik zu kompliziert und zu widersprüchlich erschienen war. Die neue Politik war indes von antirussischen Ressentiments und Großmachtambitionen geprägt, was langfristig fatale Folgen hatte. Epkenhans erzählt zwar ausführlich vom Verfall der deutsch-russischen Beziehungen zwischen 1890 und 1900. Auf Schneiders Buch geht er aber nicht weiter ein. Man erfährt lediglich, dass es sich um eine "gut lesbare Studie" handeln soll.

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