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Die Erstpublikation dieses Wörterbuchs 250 Jahre nach der Entstehung ist nicht nur für die Lexikographiegeschichte ein einmaliges Zeugnis, sondern wirft auch ein neues Licht auf das Weltwissen des 18. Jahrhunderts. Die hunderttausend Artikel basieren auf zeitgenössischen und historischen Quellen, insbesondere aus den Bereichen Literatur, Bibel, Religion, Rechtswesen, Handwerk, Technik und Wissenschaft. Berücksichtigt sind alle bis dahin zugänglichen literarischen Texte des Gotischen, Althochdeutschen, Mittelhochdeutschen und der benachbarten deutschen (germanischen) Sprachen (etwa…mehr

Produktbeschreibung
Die Erstpublikation dieses Wörterbuchs 250 Jahre nach der Entstehung ist nicht nur für die Lexikographiegeschichte ein einmaliges Zeugnis, sondern wirft auch ein neues Licht auf das Weltwissen des 18. Jahrhunderts. Die hunderttausend Artikel basieren auf zeitgenössischen und historischen Quellen, insbesondere aus den Bereichen Literatur, Bibel, Religion, Rechtswesen, Handwerk, Technik und Wissenschaft. Berücksichtigt sind alle bis dahin zugänglichen literarischen Texte des Gotischen, Althochdeutschen, Mittelhochdeutschen und der benachbarten deutschen (germanischen) Sprachen (etwa Skandinavisch, Angelsächsisch, Niederländisch). Die Artikel sind narrativ verfasst: Man kann das Glossarium mit unzähligen Histörchen, Anekdoten, Rezepten, Sprichwörtern und Redensarten aus Gegenwart und Vergangenheit durchaus als ein Lesebuch bezeichnen. Gedruckt mit Unterstützung der Patrum Lumen Sustine-Stiftung, Basel
Autorenporträt
Heinrich Löffler war von 1975 bis 2004 Professor für Germanistik an der Universität Basel; seine Spezialgebiete sind Sprachgeschichte, Dialekte, Namenforschung, Soziolinguistik und Medien. 2005 erhielt er den Konrad Duden-Preis.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Wolfgang Krischke kann kaum glauben, dass das Glossarium des Sprachgelehrten Johann Jakob Spreng fast 250 Jahre nach seiner Fertigstellung erstmals vollständig erscheint. Die von Heinrich Löffler und seinem Team herausgegebenen und "informativ" eingeleiteten Bände, übertragen von den Zetteln, die der Autor zu Streifen montierte, wie Krischke staunt, machen den Rezensenten nicht nur mit sprachlichen Schätzen wie "atzlen" (vollabern) und "kaibelen" (stinken) bekannt, sondern lassen ihn auch erkennen, dass Spreng das Deutsche für ebenso vielfältig und kultursprachlich tauglich hielt wie das Lateinische und Französische. Auch wenn der Autor sprachhistorisch nicht immer richtig lag, wie Krischke weiß, scheinen ihm allein schon die versammelten "Kraft- und Sprüchwörter" den Leser-Blick wert.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.11.2021

Im Paradies der Wortschönheiten
Das „Allgemeine deutsche Glossarium“ war das Lebenswerk des Basler Philologen Johann Jakob Spreng. Jetzt erscheint es, mit einer Verspätung von 265 Jahren
Woran liegt es, dass sich weder im Grimm noch im Duden noch sonst wo Wörter wie „Barnfödsel“ (Kindbett), „ramps“ (hochbeinig) oder „Gemühtsfinsternisß“ (Schwermut) finden? Das liegt, zugespitzt gesagt, am Siebenjährigen Krieg. Diese Heimsuchung festigte nicht nur Preußens Machtstellung. Sie verhinderte indirekt auch, dass Johann Jakob Spreng sein großes Wörterbuch in Druck geben konnte, ein Werk, das an die 100 000 Einträge umfasst hätte und das dem Deutschen, wie die Welt spekulierte, auf lange Sicht einen Drall zum Schweizerischen hätte geben können.
Es war nicht der Krieg selbst, der die Edition hintertrieb, wohl aber die aus allgemeiner Existenzangst resultierende Vorsicht in wirtschaftlichen Dingen. Sprengs Plan war es ja, sein Glossarium auf der Subskriptionsbasis zu verwirklichen: Wer sich einschrieb, finanzierte mit seinem Vorschuss das Werk – ein bei ausgefalleneren Projekten auch heute noch übliches Geschäftsmodell. Wären genügend Interessenten zusammengekommen, hätte Spreng, wie er selbst schrieb, sofort „mit dem Werke unter die Presse eilen, und solche bis zu dessen Vollendung nicht ruhen lassen“ wollen.
Die Subskriptionseinladung strich das geplante Werk als eines heraus, das „nicht nur den Sprachforschern, sondern überhaubt auch allerley Gelehrten, Standespersonen, Kanzleybeamten, und Liebhabern schöner Wissenschaften nützlich und gleichsam unentbährlich“ werden könnte. Daraus wurde nichts, wie wir gesehen haben. Nun aber, 265 Jahre danach, wird diesem Personenkreis, sofern es ihn noch gibt, und darüber hinaus allen, die an nicht alltäglichen Sprachdingen ihre Freude haben, das Werk zugänglich: Am 1. Dezember bringt der Schwabe-Verlag Sprengs „Allgemeines deutsches Glossarium“ in sieben Bänden heraus.
Das Traditionshaus Schwabe ist insofern die angemessene Heimat für Spreng, als es seinen Hauptsitz dort hat, wo auch Spreng wirkte: in Basel. Johann Jakob Spreng (1699 bis 1768) war Theologe und ein beeindruckend vielseitiger Philologe. Es gehörte zu den Beschwerlichkeiten seines Lebens, dass ihm die seinen Talenten, seiner Findigkeit und seinem Fleiß angemessene akademische Karriere verwehrt blieb. Zwar erhielt er eine außerordentliche Professur für deutsche Sprache und Poesie an der Universität Basel; sie war aber unbesoldet, weswegen er noch die Pfarrstelle am Waisenhaus übernahm. Wie Bettelbriefe an die Behörden bezeugen, ging es im Hause Spreng trotzdem knapp her, was auch nicht wesentlich besser wurde, nachdem er auf den ordentlichen Lehrstuhl für Griechisch berufen worden war.
Nach allem, was man über ihn weiß, war Spreng kein klug rechnender Hausvater und hat wohl auch eine Menge Geld in Bücher gesteckt. Für die darbende Familie war das betrüblich, für die Nachwelt hingegen ein Gewinn, denn auf dem Feld dessen, was Spreng immerfort las und exzerpierte, wuchs die gewaltige Ernte, die jetzt eingefahren wird. Das heißt, ein kleiner Teil der Ernte ist bereits in der Scheuer. Es hat sich nämlich gefügt, dass der Berliner Verlag „Das Kulturelle Gedächtnis“ Wind von der Sache bekam.
Unter dem barock ausgreifenden Titel „Eine unerhörte Auswahl vergessener Wortschönheiten“ brachte er Anfang des Jahres ein Florilegium heraus, den „Kleinen Spreng“ sozusagen, den Heinrich Löffler, der Herausgeber des nun erscheinenden „Großen Spreng“, als „Vortrab“ bezeichnet, wozu man wissen muss, dass es der Vortrab ist, der bei der Basler Fasnacht mit freundlicher Bestimmtheit Platz macht für die Pfeifer- und Tambouren-Cliquen. Das Buch wurde freudig begrüßt, und wer wissen will, was der liebevoll gestaltete Band im Inneren bietet, sollte nicht „nasweyse Fragen tun“, sondern hingehen und bestellen. Um hier gleich mit einem Stichwort zu locken: Spreng bietet für diese Art des Fragens das Verb „firkelen“, das er aus Johann Geilers Predigtsammlung „Christenlich bilgerschafft zuom ewigen vatterland“ gezogen hatte.
Gabriel Schaffter, dessen Masterarbeit „Verzettelte Wortwelten“ Sprengs Tun und Streben umfassend darstellt, schildert den Mann im Vorwort zu der Berliner Blütenlese als einen Universalisten großen Zuschnitts. Spreng war über seine Profession hinaus auch Dichter, Übersetzer von Psalmen, Historiker und Festredenschreiber. Es verfasste ein Dialektwörterbuch des Basler Idioms und gründete, Gottscheds Vorbild vor Augen, 1742 in Basel eine „Deutsche Gesellschaft“. Nach Art vieler, die es damals gut mit dem Deutschen meinten, sann er über Verbesserungen nach. Gegen Fremdwörter hatte er im Prinzip nichts, doch sollten sie nur „aus grosser Nohtdurfft“ verwendet werden. Sprachpurismus war auch ihm nicht fremd, das belegen kauzige Verdeutschungen wie „Erzschule“ (Akademie), „Zuchtsöhne“ (Studenten) oder die schon bei Leibniz auftauchenden „Wisskünstler“ (Mathematiker). Bei allem Eifer, den Spreng aufs Suchen und Exzerpieren verwandte, ging es ihm nicht darum, den damals aktuellen, schon in anderen Lexika fassbaren Wortschatz abzubilden; Standardwörter wie „Heer“, „Kopf“ oder „Tisch“ findet man bei ihm nicht. Löffler zufolge wollte seine Sammlung „Zeugnis geben von alten und neuen Bräuchen und Sitten, Religionen, Vorfahren, möglichst mit Belegen aus alten Texten und Dokumenten“.
In seiner Intention ließ sich Spreng von dem eben erwähnten Leibniz leiten, der 1697 in seinen „Unvorgreiflichen Gedanken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der deutschen Sprache“ zu einer Art Bilanz aufgerufen hatte. Seiner Beobachtung nach hätten es die Deutschen „bereits hoch gebracht in allem dem, so mit den fünf Sinnen zu begreifen ist und auch dem gemeinen Mann vorkommt“; ja, es gebe keine Sprache in der Welt, die bei handfesten Sujets „nachdrücklicher rede als die deutsche“. Freilich hinke das Deutsche bei den abstrakteren Gegenständen hinterher, also bei Gemütsbewegungen, bei Tugenden und Lastern sowie bei den Erkenntnissen, „so die Liebhaber der Weisheit in ihrer Denkkunst (…) auf die Bahn bringen“.
Sprengs Glossarium wollte das leisten, was Leibniz den Sprachfreunden aufgegeben hatte: „Aufsuchung guter Wörter, die schon vorhanden, aber jetzt, weil sie wenig beobachtet werden, zu rechter Zeit nicht beifallen“, und „Wiederbringung alter verlorener Worte, so von besonderer Güte.“ Das Erdenken neuer Wörter war ebenso wenig ausgeschlossen wie die Revitalisierung alter, und was die unanständigen, niederträchtigen Wörter angeht, so sollten sie zwar vermerkt, aber in sprachpflegerischer Fürsorge als solche markiert werden. Spreng nahm dafür, aus welchen Gründen auch immer, das Venussymbol zu Hilfe, beispielsweise bei dem Verb „abcontrefaÿen“, das er als barbarisch und dem Französischen „nachgehudelt“ wertete und durch „abmahlen, nachmahlen, abbilden“ ersetzt sehen wollte.
Spreng hat natürlich keine Datei hinterlassen, wohl aber ein Manuskript – und was für eines! Für jedes Wort, das ihm unterkam, legte er einen Zettel an, auf dem er in altdeutscher Schreibschrift vermerkte, was er dazu wusste. Da er keiner war, der sich einen Zwang antat, konnten diese Zettel, die immer zehn Zentimeter breit waren, eine furchterregende Länge annehmen. Bei dem Wort „Triwerat“ zum Beispiel begnügte er sich mit dem Hinweis „(Weibsn.) getreue Gattinn“. Bei dem Lemma „Barrecht“ hingegen erläuterte er zunächst, dass es sich dabei um das alte Recht handle, einen mutmaßlichen Mörder zum Opfer zu führen und darauf zu achten, ob die Wunde blute oder nicht, welch knapper Definition er eine ellenlange Geschichte aus Petermann Etterlins „eidsgenössischer Chronik“ folgen ließ.
Da Spreng ja auf Drucklegung hoffte, hatte er zwei Drittel der rund 100 000 Zettel bereits in zwanzig alphabetisch geordnete Manuskriptbände montiert, und zwar so, dass genügend Raum für Zettelzuwachs blieb. Die restlichen Zettel ordnete er in 1754 kleine Papierumschläge ein. Über all dem starb Spreng. Sein Nachlass verblieb 100 Jahre bei den Erben und gelangte 1862 an die Basler Universitätsbibliothek, wo er weiterschlummerte. Jetzt tritt er, gut ausgeschlafen, den seinerzeit verpassten Weg in die Welt an.
HERMANN UNTERSTÖGER
Spreng steckte sein Geld vor
allem in Bücher – gut für die
Nachwelt, schlecht für die Familie
Universalist großen Zuschnitts: Johann Jakob Spreng.
Foto: gemeinfrei/Wikipedia
Heinrich Löffler (Hg.): Johann Jakob Spreng: Allgemeines deutsches Glossarium. Historisch-etymologisches
Wörterbuch der
deutschen Sprache. Schwabe Verlag,
Basel 2021.
4567 Seiten, 249 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.01.2022

Ein lexikographisches Monument aus dem Archiv
Mit Sinn für Kraftwörter: Zweihundertfünfzig Jahre nach dem ersten gescheiterten Versuch erscheint Johann Jakob Sprengs Wörterbuch

Darf man Johann Jakob Spreng "besessen" nennen? Für sich selbst hätte der Basler Theologe und Sprachgelehrte diese Bezeichnung wohl nicht akzeptiert, aber vielleicht für sein "Allgemeines Glossarium der deutschen Sprache". Denn "besessen" - so ist darin zu lesen - sind "Bruteyer, worüber die Brüterinn schon eine lange Zeit gesessen". Dreißig Jahre lang hat Spreng "gebrütet", In dieser Zeit hat er sich - allein und ohne Projektförderung - durch ein Gebirge aus Lexika und Chroniken, Gesetzestexten, Kirchenliedern, wissenschaftlichen Werken, technischen Fachbüchern, handwerklichen Anleitungen und geographischen Beschreibungen gearbeitet, hat alt- und mittelhochdeutsche, altsächsische, gotische, niederländische, skandinavische und friesische Quellen ausgewertet. Zwischen "Deutsch" und der germanischen Sprachfamilie als ganzer machte Spreng, ähnlich wie die Brüder Grimm, keinen scharfen begrifflichen Unterschied.

Auf insgesamt hunderttausend Zetteln - manche von ihnen zu armlangen Streifen verklebt - notierte er seine Exzerpte mit dem Ziel, das umfangreichste deutsche Wörterbuch seiner Zeit zu schaffen. Das gelang ihm auch - fast. Als das lang "besessene" Werk im Jahr 1759 schlüpfen sollte - knapp hundert Jahre bevor der erste Band des Grimmschen Wörterbuchs herauskam -, fanden sich nicht genügend Subskribenten, um die Druckkosten vorzustrecken. Erst jetzt, mit mehr als einem Vierteljahrtausend Verspätung, ist Sprengs Glossarium erschienen. Die sieben Bände mit ihren 95 000 Artikeln sind eine echte Dresekamera (Schatzkammer). In ihr findet man Kleinodien wie "tuckelbollen (mit der Stirne wider einander stossen), "atzlen" (einem die Ohren vollplaudern wie Atzeln / Elstern) oder "kaibelen" (nach einem Schindasße riechen). Man trifft den "Grosßoberältervater" (dritter Urahnherr) und die "Geirlaug", "eines tapferen Mannes Gattinn, die ihn nach saurer Arbeit mit einem Bade erquickt". Entgegen den damaligen Gepflogenheiten sind die Bedeutungserklärungen in Sprengs Wörterbuch nicht lateinisch, sondern deutsch. Allerdings gibt es Ausnahmen: Dass es sich beim Futbürger - nicht verwandt mit dem Wutbürger - um jemanden handelt, der das Bürgerrecht durch Heirat erworben hat, erfährt man nur aus einer knappen, fast verschämt wirkenden Definition auf Latein. Wer Genaueres wissen will, muss bei Grimm nachschlagen. Dort findet sich nicht nur der Futbürger als jemand, der durch die Ehe mit einer Straßburgerin Bürger dieser Stadt wurde, sondern auch die Fut als vulgäre Bezeichnung der Vulva.

Viele seiner Bedeutungserklärungen hat Spreng durch "annemliche und merkwürdige" Beispiele, Anekdoten und Redensarten angereichert, denn er wollte, dass sein Werk "nicht nur den Sprachforschern, sondern überhaubt auch allerley Gelehrten, Standespersonen, Kanzleybeamten, und Liebhabern schöner Wissenschaften nützlich und gleichsam unentbährlich werde". Dass dieses lexikographische Monument aus dem Archiv der Universitätsbibliothek Basel ans Licht der Öffentlichkeit gelangte, ist dem Sprachhistoriker Heinrich Löffler und einem Team ehrenamtlicher Helfer zu verdanken. Sie haben die handgeschriebenen Zettel, die Spreng zu zwanzig dickleibigen Bänden montiert sowie in einigen Tausend Kuverts verwahrt hatte, transkribiert und in eine druckfertige und datenbankfähige Vorlage gebracht.

Schon 1885 hatte einmal ein Experte Sprengs Werk in Augenschein genommen. Doch er schätzte den Wert des "Wusts" gering und bemängelte die "krausen Etymologien". Letzteres war nicht ganz unberechtigt. Die systematische Erforschung der indogermanischen Sprachfamilie und ihrer Geschichte stand zu Sprengs Zeit noch bevor. Angesteckt von der Keltenbegeisterung des 18. Jahrhunderts, sah Spreng im Keltischen keinen separaten Sprachzweig des Indogermanischen, sondern die Wurzel des Deutschen, Lateinischen und anderer Sprachen. Die sprachhistorische Bedeutung, die das Glossarium trotz solcher Irrtümer hat, erkannte knapp hundert Jahre später ein Germanist, der an der Neubearbeitung des Grimmschen Wörterbuchs beteiligt war. Doch sein Urteil, dass man Sprengs Arbeit dafür wohl hätte berücksichtigen sollen, kam zu spät und verhallte unbeachtet, bis Heinrich Löffler 2014 entdeckte, dass der "Wust" ein komplett ausgearbeitetes Wörterbuch war.

Spreng wollte mit seinem Glossarium nicht nur die Gegenwart und Geschichte des deutschen Wortschatzes in seiner ganzen Vielfalt dokumentieren, sondern auch dessen prinzipielle Gleichwertigkeit mit den Kultur- und Wissenschaftssprachen Latein und Französisch nachweisen. Darin folgte er den Ideen des hannoverschen Philosophen, Mathematikers und Historikers Gottfried Wilhelm Leibniz zur "Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache". Das Ziel, die Stellung des Deutschen zu stärken, verfolgte Spreng auch außerhalb seiner Wörterbucharbeit. Seit 1742 hatte er an der Universität Basel eine Professur für die Dichtkunst und Rhetorik des Deutschen inne, lange bevor die Germanistik als akademisches Fach etabliert war. Unter diesem Zeichen standen auch seine Vorlesungen zur Schweizer Geschichte, die er nicht auf Latein, sondern auf Deutsch für ein außeruniversitäres Publikum hielt.

Spreng stand im Austausch mit vielen anderen Sprachforschern und -pflegern in der Schweiz, Deutschland und Österreich. Wie sie verstand er sein Engagement für den Ausbau einer korrekten deutschen Hochsprache als patriotische Aufgabe im Dienste einer gemeinsamen Kulturnation. Mit seinem ungleich erfolgreicheren Konkurrenten Johann Christoph Gottsched, der in Leipzig zur großen Sprach- und Literaturautorität der Epoche aufstieg, hatte Spreng die Unduldsamkeit des aufgeklärten Besserwissers gemeinsam. Beide waren, in Sprengs Wörterbuch-Worten, Wirseler (zänkische Gesellen), die die Stigelhupfer (ungelehrte Nichtskönner) schnabelräß (mit bissigen Worten) anstraußten (tapfer anfielen).

Ob es auch Sprengs polteriger Charakter war, der die erhofften Wörterbuch-Subskribenten verschreckte, oder, wie er selbst vermutete, die unsichere Lage des Siebenjährigen Krieges, muss offenbleiben. Ein Wörterbuch für den Alltagsgebrauch wäre Sprengs Glossarium, hätte er es denn veröffentlichen können, jedenfalls nicht gewesen, ebenso wenig wie später das Grimmsche Wörterbuch. Dem stand nicht nur der Umfang entgegen, sondern auch das Bestreben des Autors, statt des normalen Wortschatzes vorzugsweise Ausdrücke mit einem besonders interessanten fachlichen, lebensweltlichen oder historischen Hintergrund sowie "Kraft- und Sprüchwörter" aufzunehmen. Erst Johann Christoph Adelungs "Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart", dessen erster Band 1774, sechs Jahre nach Sprengs Tod, erschien, erfüllte die praktischen Bedürfnisse der Schreiber. Es wurde zu einem autoritativen Standardwerk in allen deutschsprachigen Gebieten - gewissermaßen der Duden vor dem Duden.

In der informativen Einleitung äußert Heinrich Löffler die Vermutung, dass Sprengs Glossarium, wäre es erschienen, der sich formenden deutschen Standardsprache eine stärker schweizerisch-alemannische Färbung gegeben hätte. Doch das ist fraglich. Zum einen sind schweizerdeutsche Ausdrücke im Glossarium nicht stärker vertreten als Wörter aus den anderen Regionen des deutschen Sprachraums. Das ist jedenfalls der Eindruck, der sich beim Durchblättern einstellt. Überraschend ist vielmehr der starke nördliche Einschlag, für den zahlreiche Wörter mit niederdeutschen, friesischen und niederländischen Wurzeln sorgen. Zum anderen war die Gelegenheit, der Standardisierung des Deutschen einen helvetischen Stempel aufzudrücken, zu Sprengs Zeit schon verstrichen. Die Herausbildung einer einheitlichen Schriftsprache hatte bereits in der frühen Neuzeit eingesetzt. Prägend waren die Kanzleisprachen der sächsischen Wettiner und der österreichischen Habsburger, unter deren Einfluss die meisten anderen deutschen Schreibdialekte allmählich zu einer einheitlichen Schriftsprache zusammenwuchsen. Das schweizerdeutsche Gebiet jedoch schottete sich schon im sechzehnten Jahrhundert von dieser Entwicklung ab und übte in der Folge nur wenig Einfluss auf die Genese der deutschen Hochsprache aus.

Luthers Bibelübersetzung verstärkte diesen Prozess noch. Der Reformator orientierte sich für sein sprachintegrierendes Werk zwar vor allem an der sächsischen Kanzleisprache, war aber auch anderen Mundarten und Schreibvarianten gegenüber aufgeschlossen. Mit einer Ausnahme: Die alemannischen und insbesondere die schweizerdeutschen Dialekte erschienen ihm filtzicht und zotticht, ihre Ausdrücke fanden kaum Eingang in sein Vokabular. Folglich musste man, als seine Bibelübersetzung 1523 in Basel nachgedruckt wurde, Übersetzungshilfen für die Leser beifügen. Die wechselseitige Entfremdung zwischen den Sprachvarianten, die sich bis in die Gegenwart fortsetzt, hätte Sprengs Glossarium nicht mehr aufhalten können. WOLFGANG KRISCHKE

Heinrich Löffler (Hrsg.): "Johann Jakob Spreng - Allgemeines deutsches Glossarium". Ein historisch-etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache.

Schwabe Verlag, Basel 2022. 7 Bd., zus. 4567 S., geb., Subskr.-Preis bis 1. März: 249,- Euro, danach 280,- Euro.

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