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Eine ketzerische Position: Was läuft falsch in der gegenwärtigen Physik?
Physiker glauben häufig, dass die besten Theorien schön, natürlich und elegant sind. Was schön ist, muss wahr sein, Schönheit unterscheidet erfolgreiche Theorien von schlechten. Sabine Hossenfelder zeigt jedoch, dass die Physik sich damit verrannt hat: Durch das Festhalten am Primat der Schönheit gibt es seit mehr als vier Jahrzehnten keinen Durchbruch in der Grundlagenphysik. Schlimmer noch, der Glaube an Schönheit ist so dogmatisch geworden, dass er nun in Konflikt mit wissenschaftlicher Objektivität gerät:…mehr

Produktbeschreibung
Eine ketzerische Position: Was läuft falsch in der gegenwärtigen Physik?

Physiker glauben häufig, dass die besten Theorien schön, natürlich und elegant sind. Was schön ist, muss wahr sein, Schönheit unterscheidet erfolgreiche Theorien von schlechten. Sabine Hossenfelder zeigt jedoch, dass die Physik sich damit verrannt hat: Durch das Festhalten am Primat der Schönheit gibt es seit mehr als vier Jahrzehnten keinen Durchbruch in der Grundlagenphysik. Schlimmer noch, der Glaube an Schönheit ist so dogmatisch geworden, dass er nun in Konflikt mit wissenschaftlicher Objektivität gerät: Beobachtungen können nicht mehr länger die kühnsten Theorien wie z.B. Supersymmetrie bestätigen. Um aus dieser Sackgasse herauszukommen, muss die Physik ihre Methoden überdenken. Nur wenn Realität als das akzeptiert wird, was sie ist, kann Wissenschaft die Wahrheit erkennen.
Autorenporträt
Sabine Hossenfelder, geb. 1976, studierte Physik an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, wo sie auch mit Auszeichnung promovierte. Nach Forschungsaufenthalten in den USA, Kanada und Schweden ist sie gegenwärtig Research Fellow am Frankfurt Institute for Advanced Studies. Neben ihren zahlreichen wissenschaftlichen Beiträgen schreibt sie auch regelmäßig für Magazine wie u.a. 'Spektrum der Wissenschaft', 'Scientific American' oder 'New Scientist'. Darüber hinaus betreibt sie einen Blog zu allgemeinen wissenschaftlichen Fragen. Auf Youtube hat sie einen eigenen Kanal mit u.a. eigenen Musikvideos.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2018

Die trügerische Eleganz der Formeln

Wo die Daten fehlen, da wuchern schnell die Theorien: Die Frankfurter Physikerin Sabine Hossenfelder liest ihren Kollegen die Leviten.

Von Ulf von Rauchhaupt

Carl Friedrich von Weizsäcker erzählte einmal, wie er als Physikstudent eines Tages zu seinem Lehrer Werner Heisenberg kam, um ihm eine Berechnung zu zeigen. Der habe sich aber nur die Formel am Ende der mehrseitigen Herleitung angesehen und sie dem Studenten darauf sofort zurückgegeben. "Das ist ein Fehler drin. Das Ergebnis ist nicht schön."

Aber warum sollte sich die Physik nach unseren ästhetischen Maßstäben richten? Tatsächlich war das Streben nach mathematisch eleganten Beschreibungen oft ein probater Leitfaden der theoretischen Naturforschung, von Kopernikus bis zu Einstein und der modernen Quantenfeldtheorie. Dort spielen mathematische Symmetriestrukturen sogar eine konstitutive Rolle: Da wurden nicht nur Symmetrien hinter Naturgesetzen entdeckt, sondern umgekehrt aus Symmetrieüberlegungen auf neue Naturgesetze und Teilchen geschlossen.

Man kann es damit aber auch übertreiben, findet Sabine Hossenfelder. Die theoretische Physikerin am Frankfurt Institute for Advanced Studies forscht selbst auf dem Gebiet der Quantengravitation, also jenen Bemühungen, eine übergeordnete Theorie zu finden, die sowohl Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie als auch die moderne Quantentheorie als Spezialfälle enthält. Doch in dieser und anderen fundamentalen Fragen der theoretischen Physik, stellt die Autorin fest, habe es seit 1973 keine echten Fortschritte gegeben.

Im Jahr 1973 wurden die letzten Elementarteilchen theoretisch vorhergesagt, die dann später auch gefunden wurden. Seither steht das "Standardmodell", ein Satz von Quantenfeldtheorien, da wie in Erz gegossen. Es kann der Weisheit letzter Schluss nicht sein - unter anderem, weil es keine Verbindung zur Gravitation zeigt - doch bislang haben die Beschleunigerlabore keine stabile Spur einer "neuen Physik" gefunden, die über das Standardmodell hinauswiese. Dabei haben die Theoretiker genügend davon imaginiert - nur zeigte sich nichts davon im Experiment.

Der Grund ist nach Hossenfelder eine Art Schönheitswahn in Verbindung mit psychologischen und soziologischen Effekten. Dabei würde an Theorieansätzen wie der sogenannten Supersymmetrie festgehalten, obwohl sie bei empirischen Tests nun schon mehrfach durchgefallen sind. Oder man werkelt unverdrossen an Projekten wie der Stringtheorie, obgleich diese sich aller heute oder vielleicht sogar jemals möglichen Beobachtung entzieht. Zugleich besteht man aber darauf, es handele sich um Physik und nicht um reine Mathematik oder Naturphilosophie. Dabei hänge man diesen Theorien letztlich nur deswegen an, weil sie "zu schön sind, um nicht wahr zu sein". Und weil es - infolgedessen - dafür Professuren und Postdoc-Stellen gibt.

In ihrem Buch "Das hässliche Universum" geht es Sabine Hossenfelder also nicht darum, die ästhetischen Defizite des Kosmos aufzuzählen. Der Titel der deutschen Ausgabe spielt zwar offensichtlich auf den Sachbuch-Bestseller "Das elegante Universum" an, in dem der amerikanische Physiker Brian Greene 1999 die Stringtheorie gefeiert hatte. Doch nicht nur diese wird in Hossenfelders Bestandsaufnahme entzaubert, sondern auch einige weitere Lieblingsthemen der Zunft: die erwähnte Supersymmetrie, die Vorstellung einer sogenannten Inflationsphase im sehr frühen Kosmos oder die eines Multiversums aus unendlich vielen Paralleluniversen, von denen unseres nur eines sei.

Hossenfelder sieht es als eine eklatante Fehlentwicklung an, dass diese Ideen das Forschungsfeld immer noch in der Weise dominieren, wie sie es tun. Die Ursachen dafür sieht sie allerdings durchaus differenzierter, als es der Untertitel des Buches verkündet. Konzeptionelle Eleganz und mathematische Schönheit konnten nur deswegen in einem ungesunden Ausmaß zu Qualitätskriterien werden, weil die Theorien sich heute um Bereiche der Natur bemühen, aus denen schlicht die Daten fehlen. Und selbst dort, wo sich die experimentell zugängliche Zone vielleicht noch auswerten ließe, hätten sich die Umstände nach 1973 geändert. Inzwischen könne die Zeit, die man braucht, um eine neue fundamentale Theorie zu testen, länger sein als die ganze Karriere eines Wissenschaftlers, schreibt Hossenfelder.

Wo Theorien aber lange ungetestet ventiliert werden können, da schießen bald auch die untestbaren Ideen ins Kraut, und das ganze Selbstverständnis eines Theoretikers kann sich ändern. Der Ursprung der Multiversums-Mode, schreibt Hossenfelder, liege darin, dass einige Physiker sich nicht länger mit einer Theorie zufriedengäben, die Beobachtungen beschreibt. Diese Abkoppelung von der Empirie hat zur Folge, dass der mächtige Selbstkorrektur-Mechanismus lahmgelegt ist, dem die Naturwissenschaft ihre Erfolge verdankt. Wo eine Theorie nicht mehr danach beurteilt werden kann, ob sie zur beobachtbaren Realität passt, bleiben nur ästhetische Kriterien. Und dann kommt es schnell zur Konzentration von Ressourcen auf die Theoriefelder mit der höchsten Eleganzvermutung.

Sabine Hossenfelder ist nicht die Erste, die derlei feststellt. Bereits 2006 hat der Amerikaner Peter Woit in dem Buch "Not Even Wrong" die Dominanz der Stringtheorie attackiert und im gleichen Jahr sein Landsmann Lee Smolin in "The Trouble With Physics". Doch Hossenfelder zeigt, dass das Phänomen auch andere Bereiche der theoretischen Physik erfasst hat, etwa die Kosmologie. Zudem ist ihr Buch ungleich besser strukturiert und besser geschrieben. Die Autorin wird auch weder larmoyant wie Woit, noch argumentiert sie wie Smolin durch die Brille des Anhänger einer Konkurrentin der Stringtheorie.

Überhaupt ist "Das hässliche Unversum" kein Manifest. Die Autorin fragt nach den tieferen Gründen für das Phänomen, das sie umtreibt, und hat darüber mit vierzehn Wissenschaftlern aus verschiedensten Bereichen des akademischen Spektrums gesprochen, unter anderem mit Steven Weinberg, Nima Arkani-Hamed und Joseph Polchinski, Persönlichkeiten, die das Forschungsfeld nachhaltig geprägt haben. Die gekonnt redigierten Dialoge aus diesen Treffen machen die Probleme durchsichtiger als jeder thetische Traktat und sind oft ausgesprochen unterhaltsam. Wie auch der Rest des Buches voll ist von lakonischem Witz und viel geistreicher und leichtfüßiger ausfällt, als das Thema vermuten lässt. Und trotz des vergleichsweise bescheidenen Umfanges (Brian Greene brauchte seinerzeit mehr als 500 Seiten) werden alle physikalischen Hintergründe mit großem didaktischen Geschick erläutert, auch wenn Leser ohne jede Vorkenntnisse vielleicht hin und wieder eine Seite zweimal lesen müssen.

Der Optimismus, den die Autorin am Ende bekundet, ist vielleicht das Einzige an diesem Buch, was nicht ganz überzeugt. Sicher wäre viel gewonnen, wenn die Wissenschaftler sich der verschiedenen psychologischen und sozialen Befangenheiten deutlicher bewusst würden (Hossenfelder zählt ein gutes Dutzend auf), die beim Forschen, Publizieren und Evaluieren unentwegt drohen. Und sicher lassen sich die Finanzierungsmechanismen für theoretische Physiker zeitgemäßer gestalten und so Fehlanreize bei der Auswahl der Forschungsfragen vermeiden, wie sie etwa durch Publikationsdruck erzeugt werden. Doch es bleibt das tiefere Problem, dass in den Gefilden der Fundamentalphysik die Daten fehlen - weil Beschleuniger nicht beliebig groß werden können und kein Teleskop hinter den Urknall schauen kann - und der Mensch sich auch und gerade für die Dinge interessiert, die seinen empirischen Horizont übersteigen. Es ist nicht gesagt, dass dabei keine Einsichten möglich sind. Es sind dann nur eben keine physikalischen mehr. Auch wenn sie schön sind.

Sabine Hossenfelder: "Das hässliche Universum". Warum unsere Suche nach Schönheit die Physik in die Sackgasse führt.

Aus dem Englischen von Gabriele Gockel und Sonja Schuhmacher. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018. 368 S., geb., 22,- [Euro].

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Mutig und frech Süddeutsche Zeitung 20181107