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Marcel ist nun ein gern gesehener Gast im Hause Swann und verbringt viel Zeit mit Gilberte. Auf Spaziergängen im Bois de Boulogne begegnen sie dabei namhaften Personen, wie etwa Prinzessin Mathilde, der Nichte von Napoleon I. Bei einem Abendessen trifft Marcel den Schriftsteller Bergotte, den er sehr verehrt. Zu seiner Enttäuschung entspricht dieser so gar nicht seinen Vorstellungen, sodass dessen literarisches Werk mit einem Mal seinen Reiz verliert. Nach einiger Zeit bemerkt Marcel, dass seine Freundschaft zu Gilberte erkaltet und sie ihn immer mehr meidet. Er schreibt ihr wütende Briefe,…mehr

Produktbeschreibung
Marcel ist nun ein gern gesehener Gast im Hause Swann und verbringt viel Zeit mit Gilberte. Auf Spaziergängen im Bois de Boulogne begegnen sie dabei namhaften Personen, wie etwa Prinzessin Mathilde, der Nichte von Napoleon I. Bei einem Abendessen trifft Marcel den Schriftsteller Bergotte, den er sehr verehrt. Zu seiner Enttäuschung entspricht dieser so gar nicht seinen Vorstellungen, sodass dessen literarisches Werk mit einem Mal seinen Reiz verliert. Nach einiger Zeit bemerkt Marcel, dass seine Freundschaft zu Gilberte erkaltet und sie ihn immer mehr meidet. Er schreibt ihr wütende Briefe, mit der Absicht, sich von ihr abzukehren, doch bereut er dies bald darauf und hofft auf Versöhnung. Gilberte jedoch geht ihm aus dem Weg und so versinkt Marcel in Liebeskummer. Doch der nahende Frühling verspricht Linderung ...

Gewohnt gekonnt setzt Stéphane Heuet in seinem Stil der »Ligne claire« einen weiteren Teil von Marcel Prousts Werk Auf der Suche nach der verlorenen Zeit um und setzt damit die Teilserie »Im Schatten junger Mädchenblüte« fort.

Autorenporträt
Marcel Proust, geboren 1871, führte ein Leben als Dandy und Schriftsteller in den höchsten Pariser Kreisen. Aufgrund seines Asthmas musste er sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurückziehen. Von da an arbeitete er obsessiv an dem literarischen Großepos, das er unvollendet hinterließ, als er 1922 verstarb.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.12.2022

Lange Zeit ist er früh ans Zeichenbrett gegangen

Ein Lebenswerk im Dienste des Lebenswerks von Marcel Proust: Nach mehr als zwanzig Jahren beendet Stéphane Heuet seine Comicadaption von "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit".

Heute endet sie: die lange Gedenksaison für Marcel Proust, die mit der Feier seines hundertfünfzigsten Geburtstags im Juli 2021 begonnen und am hundertsten Todestag im November 2022 ihren Höhepunkt erreicht hatte. Noch aber läuft in der französischen Nationalbibliothek die beeindruckendste von gleich drei Pariser Großausstellungen zu den Jahrestagen (F.A.Z. vom 18. November), und an Publikationen von und über Proust herrschte in den letzten achtzehn Monaten kein Mangel, weder in Frankreich noch in Deutschland. Darunter ist auch der Abschlussband eines Projekts, das dessen Autor mehr Zeit gekostet hat als jene knapp anderthalb Jahrzehnte, die Proust von der ersten Ideenskizze an für die Abfassung des schließlich mehr als viertausendseitigen Romanzyklus "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" (À la Recherche du temps perdu) noch vergönnt waren. Stéphane Heuet nämlich verbrachte ein Vierteljahrhundert damit, dieses Riesenwerk als Comic zu gestalten.

Als der bisherige Werbezeichner 1997 damit begann - als Comic-Autodidakt, der aber über etwas verfügte, was damals noch wenige Kollegen im neuen Fach besaßen: Computergraphikkenntnisse -, hatte Stéphane Heuet vor, tatsächlich den gesamten Romanzyklus zu adaptieren. Und er zeichnete denn auch zunächst "Combray", die Kindheitsgeschichte von Prousts Ich-Erzähler, die auch den Auftakt der Romanhandlung bildet. 1998 kam Heuets erster Band in Frankreich heraus: sechzig Seiten Comic für 250 Seiten Roman. Bis er ins Deutsche übersetzt wurde, vergingen zwölf Jahre, während derer der 1957 geborene Heuet bereits vier weitere Proust-Alben veröffentlicht hatte. Denjenigen, die diese französischen Fortsetzungen verfolgten, wurde klar, dass Heuet es ernst meinte. Und dass er sich genau deshalb große Probleme eingehandelt hatte.

Nicht Probleme mit dem Prinzip der Comicadaption eines anerkannten literarischen Meisterwerks. Von Beginn an ist Heuet für die Akribie, mit der er dabei ans Werk ging, und den Detailreichtum seiner Bilder gepriesen worden (gerade von versierten Proust-Lesern), wie auch für seinen Einfallsreichtum im Umgang mit den Proust'schen Textmassen. Originalzitate aus der siebenteiligen "Recherche" setzt Heuet in Kästen auf beigem Fond - nach der typischen Farbe der Bände der "Nouvelle Revue Française", in deren Buchreihe Prousts Romanzyklus seit 1919 erscheint. Dagegen sind die Sprechblasen weiß gehalten, weil ihre Texte von Heuet stammen - seien es Exzerpte aus Prousts Dialogen oder auf der Grundlage des erzählten Geschehens rekonstruierte wörtliche Figurenreden. Heuet legt auf diese Weise optisch Rechenschaft über die Authentizität der schriftlichen Komponente seiner Comics ab. Und bildästhetisch bedient er sich bei allen Einflüssen des fin de siècle, die man bei Proust nachgewiesen hat: Gemälde, Plakate, Mode, Bühneninszenierungen, Architektur.

Aber die vier Folgebände hatten trotz der Regelmäßigkeit ihres Erscheinens (meist alle zwei Jahre) ein anderes Problem offenbart: Heuet hatte sich bei ihnen auf jeweils 48 Comicseiten pro Album beschränkt, also insgesamt deren knapp zweihundert hinzugefügt, was aber jetzt nur noch 650 Seiten von Prousts Romanhandlung entsprach. Eine Komplettadaption war bei einem solchen Verhältnis in Heuets absehbarer Schaffenszeit unmöglich geworden. Und er hatte sich in den Alben zwei und drei von Prousts Romankomposition gelöst und auf "Combray" erst einmal die Adaption des Kapitels "Namen und Orte: Orte" folgen lassen, ehe er dann wieder zur ursprünglichen Reihenfolge zurückkehrte, als er im vierten und fünften Band "Eine Liebe Swanns" in Bilder setzte.

Bis zum Abschluss des sechsten sollten dann fünf Jahre vergehen - eine Zeit, in der er sich selbst Rechenschaft darüber ablegte, wie es weitergehen könnte. Heuet zeichnete währenddessen das Kurzkapitel "Namen und Orte: Namen" - 48 Comicseiten für kaum sechzig des Romans, aber damit war nun wenigstens der erste Teil von "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" vollständig adaptiert. Und mit "Namen und Orte: Orte" auch schon die zweite Hälfte des zweiten Teils. Blieben aber immer noch fünfeinhalb mit insgesamt mehr als dreitausend Romanseiten, und das nach mittlerweile fünfzehn Jahren Arbeit. Stéphane Heuet war da bereits Mitte fünfzig.

Wenn man damals mit ihm sprach, verdichtete sich der Eindruck, dass er mit einem Plan liebäugelte, der lange Prousts favorisierte Idee gewesen war: eine dreiteilige Handlung, bestehend aus den späteren Teilen eins ("Unterwegs zu Swann"), zwei ("Im Schatten junger Mädchenblüte") und sieben ("Die wiedergefundene Zeit"). Bis zum November 1922 hatte der Schriftsteller aber immer weitere Passagen zwischen den schon publizierten zweiten und den erst als Manuskript vorliegenden Abschlussteil eingeschoben, und niemand kann sagen, wohin das noch geführt hätte, wenn Proust nicht darüber gestorben wäre. "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" ist bei aller Illusion literarischer Vollendung ein Torso, von dem man nur nicht weiß, welche Glieder ihm noch angefügt worden wären. Oder auch wieder amputiert. So wollte Proust einen großen Teil des heute als "Die Flüchtige" bekannten sechsten Teils gestrichen sehen; seine Erben indes missachteten die im hinterlassenen Manuskript enthaltene Weisung bei der postum erschienenen Publikation.

Warum sich also nicht bei der Comicadaption an das halten, was Proust nie infrage gestellt hat: die Teile eins, zwei und sieben? Und so machte sich Heuet an die Abrundung von Teil zwei. Auf dessen erste Hälfte, "Im Umkreis von Madame Swann" betitelt, verwandte er noch einmal zwei Comicalben, mit knapp hundert Seiten für etwa dreihundert aus dem Roman. "Die wiedergefundene Zeit" als danach anstehende Herausforderung hat mehr als sechshundert Seiten, Heuet, mittlerweile Mitte sechzig, hatte für sein siebtes und achtes Album noch einmal acht Jahre gebraucht. Er zog einen Schlussstrich: Mit dem zweiten Band von "Im Umkreis von Madame Swann", erschienen auf Deutsch in diesem Jubiläumsjahr, hat er seine Serie beendet. Lange genug ist er täglich früh ans Zeichenbrett gegangen.

Also auch ein Torso? Ja, und doch einer, der Literaturgeschichte geschrieben hat: Auf keinen anderen Roman ist eine derartige Adaptionsmühe verwendet worden. Dafür erhielt Heuet 2021 den Prix Céleste Albaret, benannt nach der treuen Haushälterin von Proust und gewidmet Menschen, die sich um das Werk des Schriftstellers so verdient gemacht haben wie sie.

Aber hat Heuets Proust-Projekt auch Comicgeschichte geschrieben? Wie gesagt: Die Sorgfalt der Textgestalt ist bemerkenswert. Was dagegen die Bilder angeht, war Heuets Vorgehen von Beginn an Gegenstand von Diskussionen, weniger in Frankreich selbst - wo man seinen eindeutigen Bezug auf die von Hergés "Tim und Struppi" begründete Ligne claire, die vor realistischen Hintergründen stark stilisierte Figuren agieren lässt, erkannte und würdigte - als im Ausland: Der Mangel eigener Zeichner-Handschrift wurde da beklagt. Dass Heuet dadurch Proust Reverenz erwies, weil er sein Lebenswerk ganz in den Dienst von dessen Lebenswerk stellte und nicht ästhetisch auftrumpfte, wurde übersehen oder nicht verstanden.

Und deshalb ein letzter Blick in dieser Zeitung auf den Comic "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit", auf dessen Abschlussband (Stéphane Heuet: "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Im Schatten junger Mädchenblüte: Im Umkreis von Madame Swann II. Knesebeck Verlag, München 2022. 48 S., geb., 22,- Euro). Heuet konnte darin noch eine Schlüsselszene umsetzen: das erste Erscheinen von Bergotte, der im Romanzyklus als Figur die Literatur verkörpert - wie Vinteuil die Musik, die Berma das Theater oder Elstir die Malerei. Diese drei Figuren waren alle schon bei Heuet aufgetreten, aber Bergotte sehen wir erst jetzt, und er prägt das ganze letzte Album. Denn der Ich-Erzähler ist ein leidenschaftlicher Bewunderer seines Schreibens, und wie Heuet aus einer winzigen Bemerkung bei Proust zu Bergottes "schneckenhausartiger Nase" (en forme de coquille de colimaçon) ein zeichnerisches Leitmotiv in seinen Ligne-claire-Bildern macht, das ist eine zauberhafte Hommage an den Text. Der Band schließt mit einem Satz von Proust, in dem festgestellt wird, dass "die mittlere Lebenserwartung poetischer Empfindungen größer ist als die Leiden unseres Herzens". Das ist ein Trost angesichts des Endes von Stéphane Heuets Wunderwerk. ANDREAS PLATTHAUS

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.11.2013

14. November 1913 Vor 100 Jahren erschien der erste Band von Marcel Prousts Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“
Die chemische
Reaktion des Leidens
Bernd-Jürgen Fischer bringt Prousts „Recherche“ noch
einmal komplett ins Deutsche – der erste Band liegt vor
VON INA HARTWIG
Mit dem Titel geht es schon los. „Du côté de chez Swann“ – was soll das, bitteschön, bedeuten? Grammatisch ist das ein Clash, ein Zusammenprall zweier Ortsbestimmungen, und keineswegs das vornehme Französisch, das Marcel Proust nachgesagt wird. „Auf der Seite von bei Swann“ wäre die wörtliche Übersetzung, was natürlich weder Rudolf Schottlaender befolgte, der erste Übersetzer Prousts ins Deutsche, noch Eva Rechel-Mertens, die in den Fünfzigerjahren als bisher Einzige die sieben Bände von „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ vollständig übertragen hat; sie prägte den bis heute bei deutschsprachigen Proust-Lesern geläufigen Titel „In Swanns Welt“. Schottlaender hatte 1926 „Der Weg zu Swann“ vorgeschlagen. Jetzt, hundert Jahre nach der Originalausgabe, will Bernd-Jürgen Fischer die „Recherche“ noch einmal komplett übertragen; der erste Band liegt vor. Er nennt ihn „Auf dem Weg zu Swann“.
  Man kann lange darüber streiten, ob „côté“ treffend mit „Seite“, „Weg“ oder „Welt“ zu übertragen sei. Wichtig ist, dass ein weiterer Band der „Recherche“ das Wort im Titel führt: „Le côté de Guermantes“. Rechel-Mertens hatte, konsequent, „Die Welt der Guermantes“ daraus gemacht; Fischer kündigt „Der Weg nach Guermantes“ an. Mit „Unterwegs zu Swann“ versus „Guermantes“ hat sich Luzius Keller vorgewagt, als er Rechel-Mertens’ Übersetzung für die kommentierte Frankfurter Proust-Ausgabe bei Suhrkamp (1994-2002) überarbeitete; damit wurde die Titel-Korrespondenz der beiden „côtés“ ausgerechnet von einem der besten Proust-Kenner eliminiert.
  Der arme Rudolf Schottlaender, dessen „Swann“ von dem einflussreichen Romanisten Ernst Robert Curtius brutal verrissen worden war, durfte nicht weitermachen. Walter Benjamin und Franz Hessel haben die Staffel übernommen, aber nur „Im Schatten junger Mädchen“ und „Die Herzogin von Guermantes“ geschafft. Damit war die Ära der deutsch-jüdischen Proust-Übersetzer fürs Erste beendet.
  Das ist ein großer Jammer und nicht nur deshalb von Belang, weil Charles Swann, in dessen „Welt“ Proust uns eben hier einführt, ein Jude ist und damit Gegenpol zur „Welt“ der katholischen Aristokratie, prototypisch vertreten durch das Geschlecht der Guermantes (zu dem neben der Herzogin auch der schwule Charlus zählt). Die ganze „Recherche“, deren Gesellschaftsleben durch die Dreyfus-Affäre die härteste Prüfung erfährt, ist von Gegensätzen, von getrennten Welten oder Seiten, gekennzeichnet. Der tiefste Graben dürfte zwischen einem republikanisch gesinnten Judentum verlaufen und einer Aristokratie, die die Französische Revolution am liebsten rückgängig machte. Proust, erzogen von einer jüdischen Mutter, deren Humor er aufgesogen hat, witterte offenbar schon früh die Illusion vollständiger Integration. Sein jüdisch-katholisches Elternhaus war keineswegs die Regel, vielmehr im Paris der Jahrhundertwende die Ausnahme.
  Im ersten Band der „Recherche“ befinden wir uns in der jüdisch-republikanischen Illusionsphase: Swann, steinreich, gebildet, Mitglied des Jockeyclubs, ist ein anerkanntes Mitglied der Gesellschaft, bis hinein in höchste Regierungskreise. Bei den Eltern des Erzählers in Combray ist er ein gern gesehener Gast (seinetwegen muss Marcel auf den sehnlich erwarteten mütterlichen Gute-Nacht-Kuss verzichten). Swann ist verheiratet mit Odette, einer ehemaligen Kokotte, und hat eine Tochter, Gilberte, in die sich der Erzähler, durch eine Weißdornhecke spähend, verliebt.
  „Du côté de chez Swann“ besteht aus drei Teilen, wovon der mittlere und längste, „Eine Liebe von Swann“, rückblickend aus Sicht eines allwissenden Erzählers berichtet wird, als Roman im Roman. Die Story geht vor die Geburt Marcels zurück, als Swann einer Frau verfiel, die „nicht sein Genre“ war; eben Odette. Von Wagner versteht die Dame etwa so viel „wie der Hund vom Klavierspielen“ (Schottlaender) oder „wie die Kuh vom Zitherspielen“ (Rechel-Mertens) oder: die Wagners Opern anzuhören „so viel interessiert wie eine Kuh das Stricken“ – so übersetzt Fischer und wirft ein gelungenes „na, viel Spaß!“ hinterher. Damit kommt er dem Originaltext durchaus nah: „Entendre du Wagner . . . avec elle qui s’en soucie comme un poisson d’une pomme, ce serait gai!“ Sieh an, bei Proust sind’s Fisch und Apfel, die Odettes musikalischen Stupor anzeigen! Redewendungen sind das Schlaraffenland der Übersetzer. Das Vergnügen sei ihnen gegönnt.
  Empfindlicher muss man auf Eingriffe reagieren, die an die Substanz des Gedankengebäudes rühren. So ist im Original in Bezug auf Swanns notorische Eifersucht vom „chimisme même de son mal“ die Rede. Diesen „Chemismus seines Leidens“ hat bislang lediglich Luzius Keller übernommen; alle anderen stören sich daran. Bei Rechel-Mertens wird eine „merkwürdige Alchemie“ daraus, die im Original aber nicht zu finden ist: „Ainsi, par le chimisme de son mal, après qu’il avait fait de la jalousie avec son amour, il recommencait à fabriquer de la trendresse, de la pitié pour Odette.“ Fischer, dazu neigend, Fremdwörter zu unterdrücken, schreibt: „So also begann er wieder nach dem gleichen Umwandlungsverfahren seines Leidens, mit dem er aus seiner Liebe seine Eifersucht erzeugt hatte, Zärtlichkeit und Mitleid für Odette hervorzubringen.“ Es ist ja nicht so, dass Proust der „Chemismus“ unterlaufen wäre! Er trifft vielmehr den Kern der Sache: Eifersucht folgt chemischen Gesetzen; sie ist zugleich Bedingung der Liebe und eine Krankheit. Diese Sinnlichkeit chemischer Reaktionen hat mit romantischer Hingabe und geteilter Zuneigung nichts, aber auch gar nichts zu tun. Für Prousts böse Liebestheorie, die sich in der Beziehung des Erzählers zu Albertine noch steigern wird, ist Swann das Urmodell.
  Hinzu kommt: Prousts Roman steckt voller Ärzte-Satire, was pikant ist angesichts der medizinischen Großkarriere seines eigenen Vaters (Choleraforscher, Universitätsprofessor, Akademiemitglied), von dessen Wissen er offenkundig profitierte. So sehr, dass die Ärzte der „Recherche“ im Grunde Hochstapler sind, allen voran Doktor Cottard aus dem „kleinen Kreis“ der Salonkönigin Madame Verdurin. Da passt es doch ganz vorzüglich, wenn es über Swanns Liebe resümierend heißt, sie sei, „wie man es in der Chirurgie ausdrückt, nicht mehr operabel“.
  Um Prousts Biss hat sich der lange Zeit unterschätzte Rudolf Schottlaender hochverdient gemacht. So macht er beispielsweise aus „ça ne devrait pas être permis de jouer Wagner comme ça!“ (wörtlich: Es sollte nicht erlaubt sein, Wagner so zu spielen!): „Es ist einfach polizeiwidrig schön, wie er seinen Wagner kann.“ Man vernimmt hier das unverklemmte, gewitzte, das moderne Deutsch der Weimarer Republik, das die Nazis konsequent zu vernichten wussten. Eva Rechel-Mertens’ Übertragung mit ihrer ausgewogenen, stilsicheren Sprache bleibt kanonisch. Luzius Keller liefert den interessantesten, werkgenetisch aufschlussreichen Anmerkungsteil. Auch Bernd-Jürgen Fischers Apparat beeindruckt durch eine schwerpunktmäßig historische Detailfülle.
  Die neue Übersetzung vermag die von Eva Rechel-Mertens dennoch nicht abzulösen, das lässt sich nach dem ersten Band bereits sagen. Zu schwankend sind bei Fischer die Sprachebenen; mal altertümelnd, dann wieder kommt mit einer „Bauernmaid“ (für „paysanne“) eine allzu forsche Färbung herein. Sicher, „Fehler“ lassen sich in jeder Übersetzung nachweisen. Was die Neuübersetzung eines Klassikers aber leisten muss, ist, den Ton zu treffen, den des Werks wie den der Gegenwart. Bei Fischer fehlen Glanz und zeitgenössischer Drive. Das eben war bei Schottlaender, aller „Fehler“ zum Trotz, anders.
Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. 1: Auf dem Weg zu Swann. Übersetzung und Anmerkungen von Bernd-Jürgen Fischer. Reclam Verlag, Stuttgart 2013. 693 Seiten, 29,95 Euro.
Wagners Musik interessiert Odette
so viel „wie eine Kuh das Stricken“
    
    
So profan sah sie aus, die Erstausgabe von Band eins des monumentalen Romans:
Marcel Prousts „À la recherche du temps perdu –
Du côté de chez Swann“ erschien 1913 bei Bernard Grasset, Paris. FOTO: OH
Im Schatten junger Männerblüte: Marcel Proust im Kreis
seiner Freunde, Robert de Flers (links) und Lucien Daudet, undatierte kolorierte Aufnahme.
FOTO: RUE DES ARCHIVES / SÜDDEUTSCHE ZEITUNG PHOTO
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Staunenswert ist das Projekt, an dem der Franzose Stephane Heuet schon ein Weilchen sitzt und, wenn alles gut geht, für mehr oder minder den Rest seines Lebens noch sitzen wird. Er erarbeitet nämlich eine Comic-Version von Marcel Prousts Jahrhundertroman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Im Original sind bereits fünf Bände erschienen, dieser hier ist der dritte in deutscher Übersetzung, nämlich der zweigeteilte Proust-Unterroman "Im Schatten junger Mädchenblüte". Heuet gewinnt, stellt der Rezensent Christian Schlüter fest, im Fortgang seiner Produktion neue Freiheiten. Er lässt souveräner als zu Beginn mehr Text einfach weg und räumt die ligne-claire-Bildflächen öfter mal frei. Das ist nur gut so, findet Schlüter, der auch den Umgang mit den Bildklischees lobt - schließlich sei Erinnerung als Wiederholung beziehungsweise die Frage der Wiederholbarkeit schon Prousts ureigenes Thema.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Wann kommt es im Leben eines Menschen dazu, dass er zu Marcel Prousts Riesenwerk greift? Wenn er in einem Buch lesen will wie in sich selbst.« Jochen Schmidt DIE ZEIT 20231127
Er studierte allein sich selbst und die Welt

Die Länge der "Suche nach der verlorenen Zeit" wäre eine Zumutung, wenn sie nicht tiefen Sinn hätte: Über Marcel Proust, das Gesellschaftstier und den phänomenalen Seelenzergliederer, der nie arbeiten musste.

Von Jürgen Kaube

Die Bedeutung eines Werkes erschließt sich meistens nicht durch einmalige Lektüre. Doch was machen wir, wenn der wiederholten Lektüre durch das Werk selbst Grenzen gesetzt sind? Kaum eine Erinnerung an das Romanwerk von Marcel Proust, die nicht zu den vielerlei Gründen, von ihm fasziniert zu sein, den Hinweis auf seine Länge hinzufügt. Der vor einhundertfünfzig Jahren geborene Autor hat mit "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" im Grunde nur ein einziges Buch geschrieben, in sieben Bänden und auf ungefähr viertausendfünfhundert Seiten. Ein Buch über einen Erzähler, das aus seiner Perspektive berichtet, wie er zum Schriftsteller wird, indem er seinen Kindheitserinnerungen nachgeht, den "Sensationen" der Natur und Kunst, der Liebe und der Eifersucht, der Interaktion in den adeligen und bürgerlichen Salons in Paris zwischen Belle Époque und Erstem Weltkrieg sowie der Erfahrung des eigenen Müßiggangs - auch das heißt "temps perdu", vertane Zeit. Viertausendfünfhundert Seiten zur Frage, woran sich geistige Weltwahrnehmung einer Zeit schult.

Alles andere aus Prousts Feder sind Vorarbeiten, Seitenwege, interessante Übungen, diesseits der Forschung aber unwichtig und wichtig allenfalls zum Verständnis der Entstehung des großen Romans. Das eine Werk wiederum, da ist nichts zu machen, erschließt sich allein durch vollständige Lektüre. Es hat keinen Sinn, nur die Kindheitserinnerungen des Erzählers im ersten Band zu lesen, die Beschreibungen der Pariser Partys in Band drei für ein eigenständiges Buch zu halten oder sich ganz den Fanatismen des masochistischen Eros in Band fünf zu widmen. Prousts Figuren kehren wieder, sie altern im Roman, sie haben überraschende Karrieren, oder es wiederholt sich in ihnen, was zuvor geschah.

Die Geliebte des ersten Protagonisten etwa, Charles Swann, zu dem und seiner Tochter der Erzähler in Band eins aufschaut, hält den Maler Vermeer für einen Zeitgenossen und verliert das Interesse an ihm, als sie erfahren muss, man wisse nicht einmal etwas über seine Frau. Drei Bände und zwanzig Jahre später denkt in "Sodom und Gomorrha" die Geliebte des Erzählers, Albertine, als von den Vermeers in Holland die Rede ist, es handele sich um eine dortige Familie, und verneint, sie zu kennen. So geht es ständig. Ein ganzes Kapitel widmet der Erzähler eingangs der These, in Ortsnamen sei die Essenz der Orte aufbewahrt, später himmelt er fast einen ganzen Band lang eine Herzogin nicht zuletzt aufgrund ihres Namens an, noch später tritt ein Professor auf, der die Geselligkeit ständig mit etymologischen Ableitungen von Eigennamen unterhält oder quält. Nichts geht verloren, vieles zeigt erst seine schöne, dann seine groteske oder böse Seite. Die "Recherche" existiert nur in der Einzahl. Das macht sie zu einem der längsten Romane der Literaturgeschichte.

Doch der Anatole France zugeschriebene Satz, das Leben sei zu kurz, Proust hingegen zu lang, bezog sich nicht so sehr auf den Umfang des Werks. Er meinte Prousts Sätze, deren Nebensatzverkettungen dem Dichter die Beschreibung eingetragen haben, er formuliere im Französischen deutsch.

Nehmen wir nur diesen über die bettlägerige Tante des Erzählers: "Sie liebte uns wirklich und wahrhaftig, es hätte ihr Genuß bereitet, uns innig zu beweinen, die etwa in einem Augenblick, da sie sich wohlfühlte und nicht an Schweißausbrüchen litt, eintreffende Nachricht, daß das Haus einer Feuersbrunst zum Opfer gefallen und die ganze Familie dabei umgekommen sei, daß bald kein Stein mehr davon stehen werde, wobei ihr aber noch Zeit bleibe, sich ohne Eile in Sicherheit zu bringen, sofern sie auf der Stelle aufstehe, hat sicher als Möglichkeit in ihren Hoffnungen eine Rolle gespielt, besonders da sich hier zu dem nicht ganz so ins Gewicht fallenden Vorteil, ihre ganze Liebe zu uns in langer Wehmut auszukosten und zum grenzenlosen Staunen des ganzen Dorfes unseren Trauerzug anzuführen - mutig, wenn auch tiefgebeugt, todgeweiht, aber ungebrochen -, noch jene weit verlockendere gesellt hätte, daß sie dann gerade im richtigen Augenblick ohne enervierendes Zaudern den Sommer auf ihrem hübschen Landbesitz Mirougrain hätte verbringen können, wo es einen Wasserfall gab."

An dieser Stelle ist erkennbar, dass die Längen Prousts oft nicht solche der Hingabe an Reflexion sind, die dem Roman zunächst seine kontemplative Atmosphäre geben und später, wenn die Eifersucht mächtig wird, über Hunderte von Seiten zu so unerbittlichem wie sinnlosem Hin- und Herwenden von Verdächtigungen und taktischen Plänen führen. Proust ist vielmehr lang aus Genauigkeit, hier in der Schilderung einer maliziösen Seele. Er häuft ihre scheinheiligen Motive, um sie am Ende in die selbstgerechte Freude am Besitz eines Wasserfalls münden zu lassen. Aber Seebilder, Theaterabende, Blumen, Klaviersonaten und Gesichter behandelt er ganz genauso, mit unermüdlicher Aufmerksamkeit. Immer entdeckt er dabei etwas Vergleichbares. Wendungen, etwas sei "wie" etwas anderes, stehen auf jeder dritten Seite: "Er verkroch sich wie ein Reisender, der ohne Neugier, stumpf und starr, in der Eisenbahn im Halbschlaf seinen Hut über die Augen schiebt." Alles, was zum Hinsehen, Beschreiben und Denken zwingt, hängt bei ihm untereinander zusammen. Theaterlogen sind Meeresgrotten, Restaurants Aquarien, Liebe nur die Bedingung dafür, das Leid der Eifersucht auskosten zu können. Gilles Deleuze hat es so formuliert: Prousts Dichtung rivalisiere mit der Philosophie.

Warum also soll man sich auf den weiten Weg dieses Werks begeben, womöglich sogar mehrfach? Warum etwa, so hat ein früher Kritiker sinngemäß formuliert, einem Knaben sechzig Seiten lang bei seinem vergeblichen Versuch folgen, ohne Gutenachtkuss einzuschlafen? Eine Antwort darauf liegt im Arsenal der Figuren Prousts. Sie werden meistens ganz klar gezeichnet und bis in die Winkel ihrer Kleinlichkeit und Größe ausgeleuchtet. Und dann werden sie auf einmal ihr Gegenteil. Oder besser: Es wird deutlich, dass wir und oft auch der Erzähler etwas Entscheidendes an ihnen nicht bedacht haben. Schon die Angst des Knaben vor dem strengen Vater beispielsweise, der ihn bestimmt bestrafen wird, wenn er die mütterliche Zuwendung durch Wachbleiben zu erpressen versucht, geht völlig ins Leere. Swann hängt sein Leben an eine Frau, die ,nicht von seinem Genre' ist. Die schreckliche Salonbetreiberin Madame Verdurin, die wir tausend Seiten später fast vergessen haben, steigt am Ende durch eine dritte Ehe phantastisch auf. Den furchteinflößenden Baron Charlus, Inbegriff ältesten aristokratischen Selbstbewusstseins, finden wir zuletzt als masochistisches Opfer von bezahlten, für ihn also "unechten" Sadisten.

Überhaupt werden vor allem die Befürchtungen wahr, die man gar nicht hatte. Auch das führt zur Länge des Romans: Es gibt in ihm kaum Figuren, von denen feststeht, dass es Nebenfiguren bleiben werden. Zunächst auf drei Bände angelegt, hat ihn wohl nur Prousts Bewusstsein vom Schreiben gegen die eigene tödliche Krankheit davor bewahrt, noch weiter anzuwachsen.

Doch es ist nicht das hingebungsvoll wie polemisch gezeichnete geistige Tier- und Pflanzenreich, durch das Proust die Leser am meisten beschenkt. Und es sind auch nicht die Hunderte von Aphorismen im Stil der französischen Moralistik, auf die er seine Beschreibungen oft zulaufen lässt, von "Was man weiß, gehört nicht einem selbst" über "Sobald man zu zweit ist, verschwinden die Ideen" bis zum Satz über den Tod des Dichters Bergotte, in den Züge von Anatole France eingegangen sein sollen: "Man kann nur sagen, daß alles in unserem Leben sich so vollzieht, als träten wir mit der Bürde in einem früheren Dasein übernommener Verpflichtungen in das derzeitige ein; die Umstände unseres Erdendaseins bedingen keineswegs, daß wir uns für verpflichtet halten, Gutes zu tun, zartfühlend, ja höflich zu sein."

Prousts Roman, so hat Ernst Robert Curtius in seiner soeben neu aufgelegten wunderbaren Studie von 1925 notiert, sei geschrieben von einem Menschen, der weder einen Beruf noch je die Sorge hatte, vom Romaneschreiben leben zu müssen. Der Erzähler studiert nur sich selbst und die Welt, kein Fach. Er hat keine Karriere, es sei denn, man bezeichnete seine Aufnahme in den Salon der Herzogin von Guermantes so. Man kann die Stellen leicht abzählen, an denen in der "Recherche" von Geld oder gar wirtschaftlichem Drangsal die Rede ist. Fast möchte man sagen: aber von allem anderen Drangsal schon. Jede Form von Leid - geschlechtliches, religiöses, intellektuelles, politisches - wird erkundet, um nicht zu sagen ausgekostet, so als bliebe der Kunst, die sich von glücklichen Erinnerungen nährt, ansonsten nur die Hohlform des Glücks. Das war sein Beruf, die Herstellung eines Messinstruments für Leid und Glück. Es ist aufgrund der Sachverhalte, die mit ihm gemessen werden sollen, ein Unikat. Das sekundäre Glück, diese Messung nachzuverfolgen, ist groß. Es gibt keinen Grund, sich den Roman kürzer zu wünschen.

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"In der Tat kann diese Aufnahme süchtig machen. Matic versteht es wie kein Zweiter, Prousts Prosa, die an kunstvollen Bandwurmsätzen ebenso reich ist wie an Reflexionen und ausführlichen Beschreibungen scheinbar nebensächlicher Dinge, zum Schwingen zu bringen......Die Gesamtausgabe ist ein Meilenstein in der Geschichte des Hörbuchs und Matics Lesung eine Meisterleistung der Sprecherkunst."