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Ist Preußens Aufstieg zur Großmacht ab 1750 der Anfang vom Ende des Alten Reichs? Seinen Ausklang bis 1806 prägte der österreichisch-preußische Dualismus. Worauf zielen die Antipoden ab, wie handeln die anderen Großmächte, lauten Leitfragen des Schlußbandes zur Geschichte des Alten Reichs.

Produktbeschreibung
Ist Preußens Aufstieg zur Großmacht ab 1750 der Anfang vom Ende des Alten Reichs? Seinen Ausklang bis 1806 prägte der österreichisch-preußische Dualismus. Worauf zielen die Antipoden ab, wie handeln die anderen Großmächte, lauten Leitfragen des Schlußbandes zur Geschichte des Alten Reichs.
Autorenporträt
Aretin, Karl O. vonKarl O. von Aretin, geboren 1923, Schüler von Franz Schnabel, war Ordinarius für Neuere Geschichte an der Universität Darmstadt und Direktor des Instituts für Europäische Geschichte in Mainz. Mitglied der österreichischen Akademie der Wissenschaften, 1982 Mitglied der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; Ehrenmitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Budapest; 1998 Mitglied der Britischen Akademie, London. Karl Otmar von Aretin ist im März 2014 verstorben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.07.1997

Der Mantel schlottert um die dürre Gestalt
Karl Otmar von Aretin erzählt, warum das Heilige Römische Reich für seine Kaiser und Fürsten eine Nummer zu groß war

Wer es freundlich mit dem alten, dem Heiligen Römischen Reich meinte, verglich es mit einem weiten Mantel, der nicht viel Wärme und Wetterschutz, aber ungemeine Bewegungsfreiheit gewährte. Ein Mantel, er mag so bequem sein wie nur möglich, erweist sich freilich als ein verdrießliches Modell, wenn er bei Sturmwind und Regen nicht die Zwecke erfüllt, für die er gedacht war. Ein Mann wie Samuel Pufendorf hat im Reich wegen der übermäßigen Bewegungsfreiheit seiner Glieder nur eine aller Vernunft spottende Monstrosität erblickt.

In der frühen Neuzeit war das Reich zu einer unbestimmten Größe geworden. Die Kurfürsten betrachteten es zunehmend als ein deutsches Reich und hielten es immer seltener für ihre Verpflichtung, die Kaiser dabei zu unterstützen, ihre "Reichsherrlichkeit" in den Gebieten außerhalb des Regnum teutonicum durchzusetzen. Am offiziell-feierlichen Namen "Imperium Romanum" wurde zäh festgehalten, doch im Allgemeinverständnis war das Reich bald nur mehr die "Pfaffengasse", die Bistümer von Worms, Speyer über Mainz bis Trier sowie der unübersichtliche Raum reichsritterlichen Kleinlebens im Fränkischen und Schwäbischen.

Die habsburgischen Kaiser wiederum ordneten das Imperium und dessen Rechte der großen Idee unter, die wünschenswerte Einheit des Hauses zu sichern, also die vielen Kronländer als ein einziges Patrimonium, als Hausgut der Casa de Austria, zusammenzuhalten. Der Dualismus zwischen Kaiser und Reich, seit dem späten Mittelalter ohnehin längst vorhanden, wurde seit Karl V. fast unüberbrückbar.

Unter solchen Voraussetzungen fällt es nicht eben leicht, eine Reichsgeschichte zu schreiben, in der das form- und gestaltlose Reich gleichsam wie ein "großes Individuum" in den Mittelpunkt gerückt wird. Karl Otmar von Aretin scheute vor den Schwierigkeiten nicht zurück und legt jetzt den zweiten Band seiner gründlichen Bemühungen vor, das alte Reich nach 1648 als wirkende Macht zu vergegenwärtigen. Nun behandelt er die Jahre zwischen 1684 und 1745. Aretin mißtraut einer dynastischen Kaisergeschichte und vertraut den Institutionen. Im Reich, wie es seit 1648 verfaßt war, sieht er ein idealtypisches Modell für eine international garantierte Friedens- und Rechtsordnung, das nicht nur lebensfähig, sondern auch entwicklungsfähig war.

Wenn die in ihm angelegten Möglichkeiten gleichwohl verkümmerten, dann lag das nicht so sehr an strukturellen Mängeln dieses Modells, sondern an der Großmachtpolitik der Kaiser, deren Vorbild den Ehrgeiz in anderen Fürsten weckte, sich ebenfalls eine Stellung in Europa zu verschaffen. Von den Kaisern wurden sie, zögernd oder beflissen, unterstützt, in der Hoffnung, daß eine Hand die andere wasche. Brandenburger, Hannoveraner, Sachsen wuchsen aus dem Reich hinaus und nahmen als Könige von England, Polen oder in Preußen, das nicht zum Reich gehörte, Einfluß auf das innere Leben dieses ungefähren Gebildes, dessen politischer Charakter sich allen bekannten Begriffen entzog. Ob es eine Fürstenunion, ein Staatenbund, ein Bundesstaat, eine aristokratische Republik, eine Vorform konstitutionell beschränkter Monarchie oder von alldem etwas sei - geistige Feinmechaniker, an denen es in Deutschland nie mangelte, konnten ihr subtiles Ingenium als Reichsverfassungsrechtler üben und bestätigen.

Otmar von Aretin argumentiert als "Reichspatriot" in der Tradition der Mainzer Erzbischöfe, die zwischen den Kaisern und den dynastischen Interessen der Fürsten einen "dritten Weg" suchten, um dem Reich, wie sie es verstanden, zu einem selbständigen Gewicht zu verhelfen. Diese Mainzer Reichspolitik, die bis zu Maximilian I. zurückreicht, hat in der "alten" Bundesrepublik einfühlsame Anerkennung gefunden. Sie ließ sich zwanglos mit der späteren Idee des "dritten Deutschland" verbinden, das als das wahre, libertäre und dann liberale Deutschland an dem machtpolitischen Egoismus Österreichs und Preußens scheiterte.

Die Bundesrepublik, die bescheiden sein und auf preußische oder österreichische Überlieferungen nicht zurückgreifen wollte, begreift sich als der freieste Staat, den es je auf deutschem Boden gab. Bei solch liebenswerter Selbsteinschätzung hat es nahegelegen, sich auf ein anderes Deutschland zu besinnen, das saturiert, Europa mit Ansprüchen nicht lästig fallend wie Preußen und Österreich, dem Frieden und heimatlichem Wohlbehagen diente. Der Westfälische Friede wurde als Vorläufer des Grundgesetzes gewürdigt und die Agonie des alten Reiches als verheißungsvolles Versprechen aufgefaßt, das nun endlich eingelöst werden konnte.

Die stürmische Zuneigung, die das alte Reich dann auf einmal erfuhr, hatte insofern eine gewisse Berechtigung, als manche Traditionen des borussischen Geschichtsbildes korrigiert wurden und die Rolle des Reiches als eine den friedlichen Zusammenschluß ermöglichende Kraft gebührend anerkannt wurde. Das förderte die Neigung zur Heimatkunde und den provinziellen Selbstgenuß in der Region. Otmar von Aretin will damit nichts zu tun haben. Denn mit erstaunlicher Gelehrsamkeit und viel Geduld erwartend lockt er den Leser in das Labyrinth des deutschen Sonderlebens, ohne selber darüber begeistert zu sein oder zu hoffen, Begeisterung zu wecken.

Der Autor ist viel zu vernünftig, um sich nicht an den Kleinlichkeiten der Reichsgeschichte zu stoßen. Um sich angesichts der Gebrechen und der trostlosen Ohnmacht des Reiches bei Laune zu halten, beschwört er das "Modell Reich", die menschenfreundliche Friedens- und Rechtsordnung.

Ob alles Wissen wissenswert sei, ist eine alte Frage. Aretin weiß sehr viel, kann einen aber nicht so recht überzeugen, ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, wenn man das nicht weiß, wovon er Kenntnis hat. Um die Qualität eines Weines zu prüfen, muß keiner das ganze Faß oder auch nur eine halbe Flasche leeren. Ein Schluck, unter Umständen ein Glas genügen. Das weiß Aretin, und deshalb schenkt er nicht weiter nach, sondern öffnet eine neue Flasche oder ein neues Faß - die Neuorganisation des Reichsgerichtes, die Reichskriegsverfassung, die Reichskirche, religiöse Gegensätze -, bis er unwirsch das Spundloch schließt oder den Korken wieder aufsetzt, um weitere Gefäße zu öffnen. Eine Geschichte als Erzählung sollte sich nach der proportionalen Wichtigkeit zu richten suchen und Gesichtspunkte für die Ereignisse und deren perspektivische Verknüpfungen gewinnen. Mit seiner Überfülle unvereinbarer politischer Bestrebungen, die sich in kleinlichen Auseinandersetzungen erschöpften, gibt das Reich keinen Fluchtpunkt ab, um von ihm aus das Geschehen zu ordnen. Vielleicht handlungswillig, aber nicht handlungsfähig begleitet es in Aretins Darstellung wie der Chor in der Tragödie kommentierend oder lamentierend das Drama, ohne daß es in seinen Ablauf entscheidend einzugreifen vermag.

Das Drama ist aufregend genug: In abermaligen dreißigjährigen Kriegen wird die französische Hegemonie vorerst vereitelt. Die deutsche Nebenlinie der Casa de Austria sichert sich Teile des spanischen Erbes in Italien und Belgien, verdrängt die Türken aus Ungarn und dem oberen Balkan, erneuert ihren Einfluß in Deutschland und wird europäische Großmacht. Sie erreicht den Zenit ihrer Macht kurz vor ihrem eigenen Erlöschen. 1740, nach dem Tode Karls VI., könnte das Reich mit dem Wechsel zu einer neuen Dynastie den Dualismus von Kaiser und Reich überwinden. Aber hinter dem Kaisertum des Wittelsbachers Karl VII. steht Frankreich, das an einer Selbständigkeit des Reiches das geringste Interesse hat. Aus dem Hintergrund tritt Brandenburg-Preußen hervor. Es will mit oder ohne Zustimmung der Erbin der Habsburger, neben dem Kaiser, zur Not auch als Anführer des außerösterreichischen Deutschland, eine bestimmende Funktion im Reich ausüben.

Friedrich II., noch nicht "der Große", ist der "Kaisermacher". Er ist geneigt, eher mit Franz von Lothringen, dem Gatten Maria Theresias, und mit ihr, der Königin von Böhmen und Ungarn, eine Übereinkunft zu erzielen. Er denkt an ein Kondominat im Reiche, hält sich aber auch die andere Möglichkeit offen: notfalls gegen Österreich das übrige Deutschland um sich zu scharen. Maria Theresia hat die Vorzüge einer solchen gemeinsamen Gesamtherrschaft und Aufgabenteilung nie verstanden. Sie erachtet das Reich nur als eine Einflußsphäre, allerdings als eine unteilbare: Den Preis für ein Kondominat - Schlesien - will sie nicht entrichten.

Wenn in all diesen Auseinandersetzungen vor 1740 das Reich noch irgendwie als Erscheinung greifbar blieb, dann war es das Werk der Kaiser, welche die divergierenden Interessen mit den ihren verknüpften. Es gelang ihnen, einen vagen Reichspatriotismus auf sich zu lenken, der im Kaiser und nicht im Reich den Mittelpunkt seiner schweifenden Begehrlichkeiten erkannte. Wohl oder übel waren es die Kaiser, die auf den Schlachtfeldern im Westen, Süden und Osten "teutsche Lorbeern" sammelten. Das Reich konnte nicht wärmen und schützen. Aber der kaiserliche Ruhm sättigte das deutsche Verlangen, vor allem dem "Franzmann" zu zeigen, daß Deutschland nicht der Raum für dessen Akrobatensprünge sei.

Nicht einen Reichsstil, wie Aretin meint, setzten die politischen Architekten nach dem Wiener Vorbild im Reiche durch, sondern einen Kaiserstil. In den Reichsstiften gibt es keine Reichssäle, dort verkünden Kaisersäle die Kaiserherrlichkeit.

Aretin will Kaiser und Reich geflissentlich auseinanderhalten. Er schildert die Ohnmacht des Reiches. Ohnmacht weckt aber keine Begeisterung und ist kein Grund, einen Kaisersaal in der Würzburger Residenz auszuschmücken. Weil Aretin nur Schwerfälligkeit, Streitsucht, den Zwist unter Rechthabern protokolliert, fragt sich auch der gutwilligste Leser: "Das liebe, heil'ge Röm'sche Reich - wie hält's nur noch zusammen?" Auf die Frage Froschs in Auerbachs Keller weiß, wer das kenntnisreiche Kompendium durchgearbeitet hat, so wenig eine Antwort wie der fröhlich-trunkene Zecher Goethes. Er mag sich an Heinrich von Srbik halten, der ideengeschichtlich im ersten Band seines klassischen Werkes "Deutsche Einheit" diese Frage erörterte, oder an Bernhard Erdmannsdörffers "Deutsche Geschichte vom Westfälischen Frieden bis zum Regierungsantritt Friedrichs des Großen", der sorgsam den Faktenschutt filterte, um mit einigen Grundwahrnehmungen den Stoff zu ordnen. Dafür dankt beiden, wer diesen Band zu Ende gelesen hat, ohne jenes andere in ihm zu finden. EBERHARD STRAUB

Karl Otmar von Aretin: "Das Alte Reich 1648-1806". Band 2: "Kaisertradition und österreichische Großmachtpolitik (1684-1745)". Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 1997. 578 S., geb., 108,- DM.

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