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Die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs war eines der zentralen Versprechen der »alten« BRD - und tatsächlich wurde es meistens eingelöst: Aus dem Käfer wurde ein Audi, aus Facharbeiterkindern Akademiker. Mittlerweile ist der gesellschaftliche Fahrstuhl stecken geblieben: Uniabschlüsse bedeuten nicht mehr automatisch Status und Sicherheit, Arbeitnehmer bekommen immer weniger ab vom großen Kuchen. Oliver Nachtwey analysiert die Ursachen dieses Bruchs und befasst sich mit dem Konfliktpotenzial, das dadurch entsteht: Selbst wenn Deutschland bislang relativ glimpflich durch die Krise gekommen sein…mehr

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Produktbeschreibung
Die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs war eines der zentralen Versprechen der »alten« BRD - und tatsächlich wurde es meistens eingelöst: Aus dem Käfer wurde ein Audi, aus Facharbeiterkindern Akademiker. Mittlerweile ist der gesellschaftliche Fahrstuhl stecken geblieben: Uniabschlüsse bedeuten nicht mehr automatisch Status und Sicherheit, Arbeitnehmer bekommen immer weniger ab vom großen Kuchen. Oliver Nachtwey analysiert die Ursachen dieses Bruchs und befasst sich mit dem Konfliktpotenzial, das dadurch entsteht: Selbst wenn Deutschland bislang relativ glimpflich durch die Krise gekommen sein mag, könnten auch hierzulande bald soziale Auseinandersetzungen auf uns zukommen, die heute bereits die Gesellschaften Südeuropas erschüttern.

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Autorenporträt
Oliver Nachtwey, geboren 1975, ist Professor für Sozialstrukturanalyse am Fachbereich Soziologie der Universität Basel. Für sein Buch Die Abstiegsgesellschaft wurde er 2017 mit dem Hans-Matthöfer-Preis für Wirtschaftspublizistik ausgezeichnet.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Jens Bisky lobt die Gegenwartsdiagnose des Soziologen Oliver Nachtwey. Erstens, weil der Autor Diskussionen zum Thema klug zusammenführt, Beobachtungen zur Postdemokratie, zur Unterschicht, zu prekären Arbeitsverhältnissen, zum stagnierenden Kapitalismus. Zweitens, da er heutige Diagnosen mit denen der alten Bundesrepublik, von Dahrendorf bis Habermas und Ulrich Beck sowie mit Protestkollektiven wie Occupy und Pegida abgleicht. Drittens, weil er damit eine - wenngleich nicht immer empirisch belegbare - "Krisenerzählung" vorlegt, die Bisky so noch nicht gelesen hat, voll mit klugen Fragen und Beispielen zum Neoliberalismus und einer "regressiven Moderne", beunruhigend und als dezidiert linke, aber endlich mal nicht vorgestrige Kritik so schnell nicht zu toppen, wie Bisky meint.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.06.2016

Abrutschen aus der Sicherheit
Reden wir so viel über Aufstieg, weil es ihn in der Wirklichkeit immer seltener gibt?
Oliver Nachtwey entwirft ein komplexes Bild der „Abstiegsgesellschaft“ und eines neuen Aufbegehrens
VON JENS BISKY
Nicht nur Kinder rennen ab und an Rolltreppen entgegen der Laufrichtung empor. Einmal kann es gelingen, auch zweimal, aber ein ganzes Leben lang möchte wohl keiner so sich verausgaben. Und wer dazu verdonnert ist, der dürfte von einer Rolltreppe träumen, die ihm den Aufstieg erleichtert. Dann müsste er nur noch die vielen vor ihm überholen und keinen der Nachdrängelnden vorbeilassen. Die Rolltreppen-Metapher erfasst ein Gegenwartsgefühl. Andere sprechen vom Eindruck, bei angezogener Handbremse ständig Gas zu geben. Viel mehr als ein Durchdrehen der Reifen und Ermüdung des Fahrers kommt nicht zustande, solange die Bremse sich nicht lösen lässt.
  Beflissenes Bemühen um den Statuserhalt und Angst vor dem Abstieg prägen die soziale Atmosphäre; Rekordmeldungen über Beschäftigtenzahlen oder Lohn- und Rentenerhöhungen scheinen daran wenig ändern zu können. Die Konjunktur auf dem Markt der Krisendiagnosen wird wohl noch lange anhalten. Eine neue hat nun der Soziologe Oliver Nachtwey, derzeit Fellow am Frankfurter Institut für Sozialforschung, vorgelegt. Sein Buch über die „Abstiegsgesellschaft“ führt verschiedene, oft getrennt geführte Diskussionen klug zusammen.
  Nachtwey verbindet Beobachtungen zur Postdemokratie mit Befunden über die neuen Unterschichten, über prekäre Arbeitsverhältnisse und eine Mittelschicht unter Druck sowie Thesen über einen stagnierenden Kapitalismus, in dem kaum noch mit Wachstum gerechnet werden kann. Aber das ist noch nicht alles. Besonders aufschlussreich wird sein Essay, weil er heutige Diagnosen und die Selbstbeschreibungen der alten Bundesrepublik – von Dahrendorf über Habermas bis hin zu Ulrich Beck – ineinander spiegelt und abschließend die unkonventionellen Protestkollektive – Stuttgarter Wutbürger, Occupy, Pegida – mustert. Die Argumentation orientiert sich vor allem an Ulrich Becks „Risikogesellschaft“ aus dem Jahr 1986. Nachtwey gelingt es, den Klassiker plausibel zu aktualisieren und zu überschreiben. An die Stelle der „reflexiven Moderne“ Ulrich Becks – der Modernisierungsprozess wird selbst zum Thema und zum Problem – tritt für Nachtwey die „regressive Moderne“: Gegenwartsgesellschaften fallen hinter das erreichte Niveau sozialer Integration zurück. Sie fragmentieren sich, durchleben Polarisierungen, Schübe der Exklusion. Man mag den Thesen von der „Abstiegsgesellschaft“ an einigen Punkten widersprechen, der Autor selbst weist darauf hin, wo empirische Belege fehlen, Studien ausstehen. Eine vergleichbar verständliche, meist präzise formulierte und in sich stimmige Krisenerzählung dürfte auf dem deutschen Buchmarkt schwer zu finden sein. In der Postdemokratie wird der politische Konflikt stillgestellt zugunsten eines „über Expertentum, Verrechtlichung und die Konstruktion von Sachzwängen“ erschlichenen Konsenses. Wem das gegen seine Selbstachtung als Staatsbürger geht, der findet in Nachtweys „Abstiegsgesellschaft“ jene Räume erhellt, in denen Konflikte ausgetragen werden müssen.
  Am Anfang steht das typisierte Bild der alten Bundesrepublik: stabil, sozial abgesichert, demokratisch auf der Basis wirtschaftlichen Wohlstands. Diese Epoche nennt Nachtwey „soziale Moderne“, sie befand sich seit 1973 in der Krise und endete in etwa mit der Agenda 2010.
  Der Fels, auf dem sich die im Rückblick immer rosiger erscheinenden Verhältnisse der „sozialen Moderne“ entwickelten, war das Normalarbeitsverhältnis: „die unbefristete, dem Kündigungsschutz unterliegende und sozialversicherungspflichtige Vollzeiterwerbstätigkeit als Voraussetzung einer eigenverantwortlichen Lebensgestaltung“.
  Auch heute gibt es noch eine große Zahl an Normalarbeitsverhältnissen, aber die Lage hat sich grundsätzlich verändert. Zur Veranschaulichung führt Nachtwey den Leser in die Fabrik eines deutschen Automobilherstellers, eine arg moderne, eine „atmende Fabrik“. Die Stammbelegschaft erfreut sich guter Bedingungen; die Leiharbeiter haben – dank Gewerkschaft und Betriebsrat – formal gleiche Bedingungen erkämpft. In der Werkshalle markiert eine blaue Linie die Grenze zwischen den Beschäftigten des Herstellers und den Werkverträglern. Ein Logistikunternehmen liefert als Werkvertragsdienstleister Materialien. Sein Personal ist schlechtergestellt. Um den Verdacht, es handele sich um einen Scheinwerksvertrag, gar nicht erst aufkommen zu lassen, darf die blaue Linie nicht überschritten werden. Ein paar Hundert Meter entfernt steht die Fabrikhalle eines Zulieferers, der Leiharbeiter aus sieben Verleihunternehmen beschäftigt, und zwar unter – verglichen mit den Stammarbeitern des Hauptunternehmens – miserablen Bedingungen. Ähnliche Hierarchien lassen sich vielfach finden. Das hat Folgen für alle. Auch wer ein Normalarbeitsverhältnis ergattert hat, erlebt jeden Tag, wie die Faust des Marktes gut hörbar an die Tür klopft. Abstieg ist eine stete Möglichkeit, Aufstieg oft eine Illusion. 
  An dieser Stelle muss das Stichwort Neoliberalismus fallen. Nachtwey hält sich zum Glück nicht lange mit der Wiederholung bekannter Klagen auf. Er fragt, wie „neoliberale Komplizenschaft“ entstehen, breite Zustimmung erzeugt werden konnte. Bereits auf dem Höhepunkt der „Sozialen Moderne“ meldete sich Kritik am „sozial-bürokratischen Gehäuse aus Standardisierungen, Normierungen und Homogenisierungen“. Populär wurde sie als „Künstlerkritik“ an Sozialstaat und Industriekapitalismus. Beides behinderte den Einzelnen, seine Autonomie zu entfalten, selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu leben. Die Gewerkschaften kümmerten sich um „vertikale Ungerechtigkeiten“, der Neoliberalismus ging einher mit Emanzipationserfolgen von Frauen, Schwulen, Migranten, der „Verringerung horizontaler Diskriminierung entlang kultureller Merkmale“. Es ging um Gleichberechtigung und Identität, weniger um Ausbeutung. Wer von den Freiheitsgewinnen der neoliberalen Individualisierung nicht reden will, kann kaum ihre paradoxen Effekte begreifen: Jeder und jede ist im Zeichen der Chancengleichheit stärker als zuvor dem Markt ausgesetzt, doch werden die Marktergebnisse dennoch nicht nach dem Leistungsprinzip verteilt. Geburtsdaten und Postleitzahlen werden wieder Schicksalsmächte, Lebenswege unsicher.
  Den Aufbegehrenden der Gegenwart, so Nachtwey, fehlen einleuchtende Visionen. Die Verklärung der „sozialen Moderne“ hilft wenig, ein Zurück zu ihr wird es nicht geben. Es wäre auch nicht wünschenswert. Der Teilemanzipation der arbeitenden Klassen standen gegenüber: Raubbau an der Natur, Diskriminierungen, beschränkte Autonomie. Neben linkem Aufbegehren, das politisch oft amorph bleibt, steht ein „marktkonformer Extremismus“, der die liberale Geschäftsordnung im Ganzen verwirft. Das Auf und Ab in der „regressiven Moderne“ könnte auch autoritär stillgestellt werden. Aus dieser Furcht gewinnt Nachtweys Buch seine beunruhigende Kraft. Endlich eine dezidiert linke Kritik, die nicht den Normen von vorgestern folgt oder eine Renationalisierung beschwört, endlich eine, die aus dem Wust der Einkommens- und Vermögensstatistiken hinaus führt aufs freie Feld. Auf dem wäre etwa über Arbeitnehmerrechte zu streiten.
Oliver Nachtwey: Die Abstiegsgesellschaft. Über das Aufbegehren in der regressiven Moderne. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 264 Seiten, 18 Euro. E-Book 17,99 Euro.
Die alte Bundesrepublik, das war
die „soziale Moderne“ und
ihr Normalarbeitsverhältnis
Das Auf und Ab heute in der
„regressiven Moderne“ könnte
autoritär stillgestellt werden
Ein Traum, der immer weniger geträumt wird – von einer Rolltreppe, die den Aufstieg erleichtert.
Foto: Florian Peljak
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.09.2016

Wie glücklich war gestern, wie traurig ist heute?

Oliver Nachtwey deutet uns als eine polarisierte Gesellschaft, die wirtschaftlich im Abstieg und demokratisch im Aufbruch begriffen ist. Ein irritierend deutsches Buch.

Ob wir Deutsche nun, nach Jahrzehnten des "Wohlstands für alle", in der "Abstiegsgesellschaft" leben? Auch nach der Lektüre von Oliver Nachtweys anregendem langen Essay weiß man es nicht so recht. Zwar liefert das Buch zahlreiche Anhaltspunkte dafür, dass dem so sei: die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses, der Rückbau sozialstaatlicher Sicherungen, das Anwachsen des Prekariats und das Schrumpfen der Mittelschicht - all das spricht dafür, dass sich die Zeichen der Zeit verändert haben, die Zeiten der Aufstiegsgesellschaft vorbei sind. Doch bietet der Verfasser selbst Argumente genug, um seine Generaldiagnose zu dementieren: Die sogenannten Normalbeschäftigten sind einstweilen "nominal majoritär", weiterhin bestehen "große Zonen der sozialen Stabilität" - und normativ ist der soziale Aufstieg durchaus lebendig, er bleibt "Sehnsuchtsobjekt, Handlungsnorm, politisches Leitbild". Also doch alles beim Alten?

Wohl kaum - auch wenn man den Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse anders deuten und auf einen anderen begrifflichen Nenner bringen mag. Nachtwey zeichnet das Bild einer polarisierten, entlang "neuer Klassenstrukturierungen" gespaltenen Gesellschaft, für die eher das aus der alten Bundesrepublik bekannte Etikett der "Zweidrittelgesellschaft" passend erscheint als die suggestive Formel vom kollektiven sozialen Abstieg. Eine Diagnose, die zudem Plausibilität nur gewinnt im Lichte eines plakativen Gegenbilds von Deutschland, wie es vor Wiedervereinigung, Finanzkrise und Gerhard Schröder gewesen sei: eine "Gesellschaft der Gleichgestellten", in der für breite Mehrheiten "Sicherheit, Status, Prestige" gewährleistet waren.

Auch wenn Nachtwey stets betont, dass es so nicht gemeint ist: Letztlich bietet sich dem Leser doch das recht manichäisch anmutende Panorama eines glücklicheren Gestern, das einer traurigen Gegenwart des sozialen Rückschritts, der demokratischen Regression, ja der gesellschaftlichen "Dekadenz" gewichen ist.

Wo fing das an und wann? Selbstverständlich optiert Nachtwey nicht für eine eindimensionale Erklärung des Aufstiegs der "Abstiegsgesellschaft". Wohl aber hat er einen heißen Kandidaten für den politisch-ökonomischen Siegeszug des die Errungenschaften der "sozialen Moderne" schleifenden Neoliberalismus: Schuld war nicht der Bossanova, ganz entscheidend mit von der Partie aber die "Künstlerkritik". Mit diesem Begriff wird häufig das mit "1968" beziehungsweise "den 68ern" in die Welt gekommene gesellschaftliche Autonomiebegehren belegt, das der bis dahin herrschenden "Sozialkritik" am Kapitalismus den Rang abgelaufen und die Spitze genommen habe.

Seither stünden nicht mehr Fragen materieller Ungleichheit und der Ausbeutung in der Lohnarbeit, sondern solche der kulturellen Identität und entfremdeter Lebensführung im Mittelpunkt der Kapitalismuskritik - ein Kritikmodus, der in idealer Weise anschlussfähig gewesen sei für neoliberale Selbstbestimmungs-, Individualitäts- und Flexibilitätsversprechen. Auch Nachtwey schließt sich diesem - nach wie vor auf dünner empirischer Basis aufruhenden - Deutungsmuster an, wenn er den Postmaterialismus der neuen sozialen Bewegungen als Quelle "neoliberaler Komplizenschaft" und "Ressource der Demontage der gesamten sozialen Moderne" identifiziert.

Nun mag es in der Vergangenheit soziale Akteure mit politischer Diskursmacht gegeben haben, die sich postmaterielle Werte auf die Fahnen schrieben. Die gesellschaftsstrukturierende Kraft eines vermeintlich herrschenden "Post-Materialismus" wird jedoch weithin überschätzt. Für große gesellschaftliche Mehrheiten stand auch nach "68" die beständige Steigerung des Wohlstands, der Konsumchancen, einer im Materiellen verankerten "Lebensqualität" im Zentrum ihres Begehrens. Ein bisschen Postmaterialismus konnte man sich dabei leisten - solange es auch so wirtschaftlich bergauf ging.

Es war der anscheinend unstillbare, zu keiner Zeit der jüngeren Geschichte versiegende Wunsch nach Mehr, aus dem sich die von Nachtwey zu Recht konstatierte "Komplizenschaft mit dem Markt" und "marktbereitender Staatlichkeit" speiste. Denn dass eben dieses Mehrprodukt sich auf Dauer nur mit marktliberalen "Reformen" würde erwirtschaften lassen, war die zentrale Botschaft neoliberaler Politik in Deutschland wie im Rest der Welt. Nicht die Moral (Autonomie), das Fressen (Wachstum) war das As im Ärmel des Neoliberalismus. Und es sticht bis heute.

Apropos Rest der Welt: Er spielt in Oliver Nachtweys Analyse leider so gut wie keine Rolle. Weder als Geburtshelfer des deutschen Nachkriegsaufstiegs noch als Sündenbock eines heute wahrgenommenen Abstiegs. Eingangs war von "uns Deutschen" die Rede, und dies mit Bedacht: "Die Abstiegsgesellschaft" ist ein auf irritierende Weise deutsches Buch.

Die Bedeutung migrantischer Milieus für die Bundesrepublik kommt (außer in der Wendung, dass sie sich "selten als ,Avantgarde des Proletariats' gezeigt" hätten) nicht vor, die "Flüchtlingskrise" als Katalysator der jüngeren deutschen Protestdynamik erst ganz am Ende. Jedoch keine Asylgesetzgebung oder brennenden Flüchtlingsheime, kein institutionalisierter Rassismus und praktisch keine Islamhetze. Für den Autor steht die jüngste "Renaissance des Aufbegehrens" unter demokratisch-sozialen Vorzeichen, dessen "politische DNA" sei progressiv. Doch neue Dienstleistungsstreiks hin, "Blockupy" her: Im Deutschland der Gegenwart ist leider - wiewohl aus sozioökonomisch nachvollziehbaren Gründen - nicht der "Aufruhr der Ausgebildeten" wie etwa im krisengeschüttelten Spanien an der Tagesordnung. Was hierzulande tobt, ist der Aufstand der Eingebildeten: Der lautstarke und politisch folgenreiche Protest derer, die sich einbilden, es könnte und müsste immer so weitergehen mit der nationalen Aufstiegsgesellschaft - und an "unserem" imaginierten Abstieg seien die bösen Anderen schuld.

Oliver Nachtwey hofft, "dass das Aufbegehren nicht irgendwann selbst regressiv wird". Jedenfalls was diesen Wunsch angeht, ist die "regressive Moderne" bereits über sein Buch hinweggegangen.

STEPHAN LESSENICH

Oliver Nachtwey: "Die Abstiegsgesellschaft". Über das Aufbegehren in der regressiven Moderne.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2016.

264 S., br., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Nachtweys Analyse dürfte zum Wichtigsten der letzten Jahre gehören; sie dokumentiert auch, dass Soziologie durchaus mit dem auskommen kann, was derzeit an Begrifflichkeit zur Verfügung steht.« Walter Hollstein NZZ am Sonntag 20170226