Produktdetails
Trackliste
LP 1
1Been Away Too Long (Album Version)00:03:38
2Non-State Actor (Album Version)00:03:57
3By Crooked Steps (Album Version)00:04:01
4A Thousand Days Before (Album Version)00:04:23
5Blood On The Valley Floor (Album Version)00:03:49
6Bones Of Birds (Album Version)00:04:23
7Taree (Album Version)00:03:38
LP 2
1Attrition (Album Version)00:02:53
2Black Saturday (Album Version)00:03:30
3Halfway There (Album Version)00:03:16
4Worse Dreams (Album Version)00:04:53
5Eyelid's Mouth (Album Version)00:04:39
6Rowing (Album Version)00:05:09
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2012

Vier Herzen im Fünfvierteltakt

Außen hart und innen ganz weich: Die Band Soundgarden ist nach 15 Jahren wieder vereint. Nicht ganz so apokalyptisch gestimmt wie früher, bleibt sie die Speerspitze des komplexen Grungerocks.

Von Wolfgang Schneider

Poser in Lederhosen, die Rock'n'Roll als ewige Party verstanden und die Möglichkeiten der Geschlechtsorgane besangen - so präsentierte sich der härtere Rock in den Achtzigern. Die Songs so gefönt wie die Frisuren, bestenfalls mit einer Eddie-van-Halen-Virtuosität in Zeiten ihrer Reproduzierbarkeit. Der Seattle-Grunge bereitete dieser selbstgefälligen Szene das Ende. Depression statt Testosteron, lautete die Devise des neuen Weltschmerz-Rocks, der monomanisch Themen wie Unsicherheit, Zukunftsangst, nie wieder gutzumachende Kindheitsschäden und Drogensucht ohne jede therapeutische Hoffnung umkreiste. Die Urszene von Pearl Jam war ein Drogentoter, bei Alice in Chains war es das Ende vom Lied.

Musikalisch war man frisch und traditionsbewusst zugleich. Plastik-Synthies und Kotletthammer-Schlagzeug, die Insignien eines musikalisch heruntergekommenen Jahrzehnts, waren nun des Teufels. Nirvana reaktivierten den Punk, Pearl Jam dockten eher beim "klassischen" Rock an. Soundgarden, die in die Black-Sabbath-Schule des fies schleppenden Riffs gegangen waren, klangen mehr nach Metal, verzichteten allerdings auf den üblichen Grimm-Gesang, sondern hatten mit Chris Cornell eine der elaboriertesten Rockstimmen seit Robert Plant zu bieten.

Im Gegensatz zur Legende war Grunge kein simpler, "authentischer" Garagenrock - am wenigsten bei Soundgarden, deren Spezialität seit dem Kraftpaket "Badmotorfinger" (1991) vertrackte, kantige Grooves waren, böse durch die Songs marschierende Riffs mit ungraden Takten wie in "Spoonman", wo der Siebenachteltakt für den rotierenden Effekt sorgt. 1994 erschien das Überalbum "Superunknown", das zu den besten der Neunziger gehört: Musik voll roher Energie, zugleich wie dunkles Edelmetall produziert, mit geschliffenen Arrangements, die live in dieser Form kaum zu spielen waren.

Nach der überraschenden Auflösung von Soundgarden 1997 wurde Matt Cameron Schlagzeuger bei Pearl Jam. Cornell brachte Solo-Alben heraus und gründete mit den Musikern von Rage Against the Machine die Band Audioslave, die zeitgemäßes Rock-Kraftfutter im Angebot hatte. Gegenüber Soundgarden blieb das ungeachtet der Millionenverkäufe unterkomplex, und man hatte immer den Eindruck, dass die Chemie in dieser Band nicht stimmte. Noch weiter ging die Selbstverleugnung bei dem Album "Scream" (2009), das tief in den Mainstream tauchte: Cornell im süßlichen Timbaland-Soundgewand. Dann vollzog der Sänger eine Kehrtwende und ging bloß mit akustischer Gitarre auf Tournee. Das grandiose Live-Album "Songbook" (2011) war das Resultat - begnadete Singer/Songerwriter-Kunst. Lieder wie "Like a Stone" klingen, als würde sich Cornell die Seele aufreißen.

Und nun also "King Animal". Da sind sie wieder: diese Stimme, eine der besten der gegenwärtigen Rockmusik, mal röhrend-räudig, mal kehlig-soulig, mal geschmeidig ihre Bandbreite erkundend; dazu die Gitarre vom Kim Thayil mit den springenden Riffs und den charakteristisch verknautschten Soli sowie das fabelhafte Schlagzeugspiel von Matt Cameron mit den virtuosen Synkopen, Fills und Stolperern. Da sind sie wieder: die merkwürdigen Gitarrenstimmungen und offenen Akkorde im Wechsel mit Powerchord-Attacken. "By Crooked Steps" heißt einer der neuen Songs, und es ist Ehrensache, dass die schiefen Stufen im Fünfvierteltakt gezimmert werden.

Der Opener "Been Away to Long" bietet ein Thayilsches Stop-and-go-Riff, das bei der Strophe unvermutet mit einer wuseligen Melodielinie wechselt, oktaviert und leicht orientalisiert, unterlegt mit dem Trommelgewitter Camerons. "This place has a special kind of falling apart / like they put the whole thing together in the dark", singt Cornell nicht ohne Witz. "Non-State Actor" knüpft dann deutlich am Mittneunzigersound an, mit der vorantreibenden, in sich kreisenden Gitarrenfigur, die von Ben Shepherds Bass mitgewuchtet wird: Soundgardens Stärke ist seit "Badmotorfinger" der ungewöhnlich kompakte Gruppenklang, als wären die Musiker ein einziger Organismus, der nach vorne stürmt. Ein Überraschungsmoment ist die röhrende Orgel im Refrain. "Blood on the Valley Floor" bietet prächtigen Zeitlupenrock: schweres Riffing als Kletterwand für Cornells aufsteigende Stimme - aber spätestens beim melodischen Abgang erweist es sich als Stück, das außen hart und innen weich ist.

"King Animal" hat nicht mehr die bösartige Energie, mit der Songs wie "Outshined" oder "Jesus Christ Pose" vor zwei Jahrzehnten aufgeladen waren. Die Musiker sind inzwischen um die Fünfzig und haben ihren Deal mit dem Leben gemacht. Sie müssen nicht auf ewig den wilden Spielmann markieren und verzweifelt den Druck produzieren, den sie in den Grunge-Jahren hatten. So ist der größere Teil des Albums im Midtempo-Bereich angesiedelt, ohne je ins Seichtgebiet der klassischen Rockballade zu geraten. Dazu sind Stücke wie "Bones of Birds" und das im Vierzehnvierteltakt komponierte "Taree" trotz kulinarischer Melodiebögen zu eigensinnig. Selbst wenn ein Song wie "Worse Dreams" in eine Albtraum-Kakophonie versinkt, ist das kein wütiges Gelärme, sondern wohlkomponierter Krach, der bald wieder die Hintertür in den Refrain findet.

Die Liedtexte, die einst den Lebensekel und die apokalyptische Sehnsucht pflegten, bieten nun mantraartige Formeln brüchiger Lebensweisheit wie "Time is my friend - 'til it ain't". Im Schlussstück, dem fulminanten Galeerensklavenblues "Rowing", heißt es über ächzender Basslinie und gefährlich knarrender Leadgitarre wohl hundertmal: "Don't know where I'm going / I just keep on rowing." Ja, sie sollen mal schön weiterrudern. Denn solch ein entspanntes, souveränes Reunionsalbum hat man selten gehört. "King Animal" bietet Qualitätsrock voller Spielwitz, dem meisten überlegen, was das Genre in diesen Jahren zu bieten hat. Keine Hits, die auf Anhieb zünden, sondern komplex gebaute Stücke, die mit jedem Hören wachsen, wie "Black Saturday", das entspannt mit federnder Akustikgitarre, luftigen Akkorden und chromatischer Melodielinie einsetzt, um sich zu hymnischer Kraft und einem vom Bläser-Stakkato begleiteten "Born again!" zu steigern. Man muss nicht gleich von Wiedergeburt reden. Aber in Zeiten, in denen die Rockmusik zwischen Ratlosigkeit und Retro oft keinen Weg mehr findet, kommt dieses Album wie gerufen.

Soundgarden,

King Animal.

Mercury 0602537185504 (Universal)

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