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Produktdetails
  • Anzahl: 1 DVD
  • Hersteller: Zyx Music
  • Erscheinungstermin: 5. Juni 2015
  • FSK: ohne Alterseinschränkung gemäß §14 JuSchG
  • EAN: 0090204706044
  • Artikelnr.: 42703913
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.2000

Der mit dem Löffel tanzt
Eine mißlungene "Sade"-Verfilmung aus Frankreich führt an die Grenze des Literaturkinos

PARIS, im Oktober

Wenn die Welle der französischen Literaturverfilmungen ein Nachtschattengewächs wie den Marquis de Sade erfaßt, müßte es eigentlich triebhaft schwarz und zugleich genialisch hell über die Leinwand blitzen. Breitet sich aber der gut gemeint apologetische Schein des immer nur vermeintlich Bösen aus, dann ist da offenbar etwas schiefgelaufen. Und schalten sich dann auch noch die Antimoralprediger wie der Schriftsteller Philippe Sollers in die Debatte ein mit der kritischen Warnung, Sade sei ein "absoluter Fall", somit also filmisch gar nicht darstellbar, dann gewinnt das Literaturkino plötzlich wieder einen Hauch von Brisanz. Mögen die kostümierten Balzac-, Victor-Hugo- und Giono-Bearbeitungen, jeweils mehr oder weniger gelungen, schnell konsumiert und vergessen werden, so stößt dieser Film Benoit Jacquots mit dem schneidend knappen Titel "Sade" an eine interessante Grenze des Genres - wohl gerade weil er so gründlich mißraten ist.

Das im Roman "Die Mißgeschicke der Tugend" wunderbar beschriebene Gleichgewicht zwischen Gut und Böse, wonach der Übeltäter durch absolute Summenvermehrung stets auch dem Wohl einen neuen Anstoß gibt, hat Jacquot in seinem Film auf verblüffend direkte Weise übernommen und einfach gegen den Zeitkontext umgedreht im Sinne: Die Revolution war in ihrer Schreckensherrschaft das Böse und der inhaftierte Marquis de Sade das insgeheim Gute. Die Filmhandlung folgt dem unlängst bei Grasset erschienenen Roman "Sade" von Serge Bramly. Die paar Monate, die Sade während der Schreckenszeit zwischen März und Oktober 1794 im Aristokratengefängnis des ehemaligen Pariser Frauenklosters Picpus verbrachte, sind so wenig erforscht, daß ein Romanautor hineinphantasieren konnte, was er wollte. Der Roman und der Film stilisieren Sade zum heiteren Gegengestirn jenes finsteren "Etre suprême", das Robespierre über dem schon blutroten Revolutionshorizont gottartig aufgehen lassen wollte.

Während der Anstaltsverwalter von Picpus im Film den am Kantinentisch versammelten Vicomten und Gräfinnen vor dem Essen feierlich die Schaffung der neuen Gottheit verkündet, als sollte ihr nun gerade auch gleich schon das erste nachrevolutionäre Tischgebet gelten, taucht Sade im ungeduldigen Alleingang den Löffel in die bereits erkaltende Suppe. Er, der sich vor der Revolution Marquis und danach ohne weiteres gern auch Citoyen nennen läßt, erscheint mit seinem genußfrohen Materialismus als der einzige wahrhafte Revolutionär in einer Zeit, die nur mickriger und zugleich blutiger das fortführt, was vorher schon war.

Denn dieser Sittenrevolutionär taucht eben nicht nur seinen Löffel in lauwarme Suppen. Die noch jungfräuliche Emilie de Lancris, die mit ihren Eltern dieselbe Etage der Anstalt Picpus bewohnt, verleitet ihn zu ganz anderen Unternehmen. Während draußen die Opposition schon den Tyrannen Robespierre und seine Gesellen auf die Guillotine schafft, beeilt er sich, noch schnell dieses Mädchen zu entjungfern und so für das endliche Leben zu retten. Der vierundfünfzigjährige Sade hat zu diesem Dienst einen Gärtnerburschen ausgesucht und wird nur regieführend aktiv.

Die Art aber, wie er sich dabei vom etwas vierschrötigen Burschen in der Scheune auspeitschen läßt, um dessen Lust auf das Mädchen zu steigern, treibt die Verklärung des Titelhelden denn doch etwas weit. Dieses zerrissene Hemd über dem Rücken und diese blutigen Peitschenstriemen auf der Haut lassen weniger an Lustgewinn denken als an den Menschenerlöser aus alter Zeitrechnung auf Golgotha. Sade: ein spielfilmverträglicher, halbgöttlicher Menschenfreund?

Jedenfalls einer, der immer nett seine Mitinsassen grüßt, zu ihrer Unterhaltung kleine Aufführungen im Garten arrangiert, die Jugend ins Geschlechtsleben einführt und die älteren Herrschaften mit witzigen Worten tröstet und der bei der Entlassung schließlich in der Kalesche der draußen samt Söhnchen auf ihn wartenden Freundin brav nach Hause fährt wie der anständigste aller Familienväter. Von seiten des sonst begabten Filmregisseurs Jacquot, der zu Beginn dieses Jahres noch mit einer subtilen "Falschen Zofe" nach Marivaux überzeugte, erstaunt so eine Verirrung und läßt den Verdacht aufkommen, da sei eine krasse Fehlleistung des Entmystifizierens mit im Spiel.

Mit viel Geschick sucht der Darsteller Daniel Auteuil als Sade der Figur ihre dämonischen Züge zu nehmen und den Libertin als leutseligen Kerl mit einer etwas zu großen Libido zu geben. Schließlich habe er nie gemordet, beteuert der Marquis in die hellblau listigen Mädchenaugen der Emilie (Isild Lebesco), während durchs Fenster der Verwesungsgestank der Guillotine-Leichen dringt.

Diese Schematik muß natürlich mißlingen. Sade läßt sich so wenig zur fröhlichen Entjungferungsschule für Enthemmte herab- wie zum Halbgott für ewige Provokateure hochstilisieren, über den Leute wie Philippe Sollers am liebsten ein Bilderverbot verhängen möchten. Um dem Autor filmisch gerecht zu werden, müßte man vor laufender Kamera echt martern und morden, spekuliert Sollers in einem Interview und läßt allenfalls den verwackelten Schwarzweißfilm "Hurlements en faveur de Sade" von Guy Debord mit Off-Stimme aus dem Jahr 1952 durchgehen.

Zwischen realistischem Kostümschinken und abstraktem Leinwandhörspiel irrt der französische Skandalautor weiterhin durch die Kinogeschichte. Nur bei Roland Topor hatte er einmal seinen Platz kurz gefunden. In einer schönen Szene von Topors Marionetten- und Trickfilm "Marquis" aus dem Jahr 1989 sitzt Sade einsam am Fenster der Bastille vor verlassener Landschaft und führt melancholische Zwiegespräche mit seinem steif in die Fensterrahmung schwellenden Alter ego. Dieses Zuviel im Zuwenig, diese überbordende Leere, die Sades Texte so großartig unter Spannung hält, muß vom Kino erst noch entdeckt werden.

JOSEPH HANIMANN

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