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Produktdetails
Trackliste
CD
1Coles Corner00:04:49
2Just Like The Rain00:03:15
3Hotel Room00:03:40
4Darlin' Wait For Me00:03:50
5The Ocean00:05:30
6Born Under A Bad Sign00:03:39
7I Sleep Alone00:03:44
8Tonight00:04:30
9(Wading Through) The Waters Of My Time00:03:43
10Who's Going To Shoe Your Pretty Feet00:04:00
11Last Orders00:04:59
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.11.2005

Süßer Vogel Jugend
Zeitlupenpop: Richard Hawley singt wie ein alter Schwerenöter

Wer Richard Hawley hört, muß an Georges Lucas' Film "American Graffiti" von 1973 denken, in dessen Zentrum sich vier voneinander Abschied nehmende Protagonisten durch eine laue Sommernacht des Jahres 1962 bewegen, in der Hoffnung, diese letzte aller Nächte möge nie zu Ende gehen. Das Sittenbild der amerikanischen Kleinstadtjugend am Vorabend der Ermordung Kennedys und Martin Luther Kings bebilderte die trügerische Ruhe vor dem Sturm, ehe es diese in alle Winde zerstreut: ins College oder nach Vietnam.

Die eigentümliche Mischung aus Angst, Sehnsucht und Vorfreude verleiht Lucas' Filmbildern ihre Dringlichkeit. Ein Gefühl, das, in Töne verwandelt, auch den Grundstoff bildet zu den neuen Songs des Sheffielder Sängers und Gitarristen Richard Hawley; eine schweifende, bisweilen Schluchzen machende Sehnsucht, die jedem seiner Lieder Glanz verleiht. Er beschreibt das Vibrieren einer Lebensverheißung, das auch die Sheffielder Jugend einst erfaßte, den Verlust der Unschuld und die Desillusion. Hawley, der zuvor Produktionen von Robbie Williams, Beth Orton und Nancy Sinatra bereicherte, ist ein melancholischer, vor keiner Geste zurückschreckender Pathetiker, der musiziert, als komme er aus jener längst versunkenen Zeit, in der Roy Orbison und Carl Perkins die Jugend verzauberten. Der Mann mit dem dunklen Timbre ist Großbritanniens derzeit wohl hinreißendster Pop-Romantiker, dessen Songs klingen, als musiziere ein von den Toten auferstandener Elvis gemeinsam mit den Alternativ-Rockern von "Yo La Tengo".

Dabei kam Hawley, der seine Künste zunächst in diversen Britpop-Formationen erprobte, ehe er bei Jarvis Cockers Band "Pulp" anheuerte, eher zufällig dazu, selbst zum Mikrophon zu greifen. Und Cocker selbst war es, der seinen alten Weggefährten aus dem Sumpf zog und ihm den Weg zur Solokarriere wies. Nachdem Hawley sich lange dem Alkohol und Drogen hingegeben hatte, schleifte Cocker ihn kurzerhand ins nächste Tonstudio: "Ich hatte mich von einem Musiker, der gelegentlich trank, in einen Trinker verwandelt, der gelegentlich Musik machte. Und ich hatte das Gefühl, mich zu betrügen und mein Talent zu verschleudern. Doch das Wunder geschah! Doch als ich begriff, daß ich etwas zu erzählen hatte, nämlich all die kleinen Anekdoten aus meiner Jugend in Sheffield, ging alles wie von selbst." Das Solodebüt "Late Night Final" von 2001 war ein schwermütiger Geniestreich. Das Folgewerk "Lowedges" belegte dank der elf mit betörender Grandezza intonierten Songs endgültig Hawleys Verwandlung vom introvertierten Gitarristen zum charismatischen Crooner.

Und nun "Coles Corner", die Krönung, der Gipfel, die Apotheose. Luxuriös instrumentierter Zeitlupenpop, so bestechend und klar wie ein Kinderreim. Hawley spielt ein halbes Dutzend Instrumente, von der zwölfsaitigen Gitarre übers Vibraphon bis hin zum Piano: "Hier und da ein Trick, und die Songs saßen. Man kann etwas sehr Großes sehr einfach und etwas Einfaches sehr groß klingen lassen." Vor allem aber präsentiert sich der Brite einmal mehr als moderesistenter Wiedergänger alter Helden.

Ungeniert setzt er wieder auf die große Geste, angefangen bei dem in der Tat elvishaften "Darlin' Wait For Me", das nur noch vom triumphalen "The Ocean" überflügelt wird. Dann gibt er sich versunken wie auf dem mit süßlichen Streichern anhebenden Titelstück, das von Sheffields nächtlichen Lockungen handelt. "(Wading Through) The Waters Of My Time" klingt wie Johnny Cash, ein sanfter Countrygroove, der schließlich in schmalzig jaulenden Gitarrenklängen kulminiert.

"Ich habe eine Menge Freunde verloren und beinahe sogar meinen Vater", erzählt der Brite. "Und ich denke, daß man dies auch spürt. Es ist wie ein tiefer Atemzug, den man nimmt, bevor das Leben weitergeht." Die Lieder wurzeln dort, wo Hawley einst die Verheißung der Nacht genoß und der Himmel noch voller Geigen hing: in "Coles Corner", an der Ecke jenes längst abgerissenen Kaufhauses, an dem sich Sheffields Verliebte trafen und einander ewige Liebe schworen. "Dort fing alles an."

PETER HENNING.

Richard Hawley, Coles Corner. Mute Records 33510005 (EMI)

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