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Am Anfang war der Zorn. Im ersten Satz von Homers Ilias ist von ihm die Rede, und Peter Sloterdijk beschreibt ihn in seinem Bestseller als zentrale Triebkraft von Entwicklung und Veränderung. Dabei wurde der ungestüme Impuls schon während der Antike in geregelte Bahnen gelenkt. Judentum und Christentum, aber auch die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts lassen sich als Ökonomisierungen beschreiben, als große Ideologien, die den Zorn sammeln und organisieren. Sloterdijks erhellende Analyse, mit der er einmal mehr Fragen der Gegenwart in ihre lange Geschichte einbettet, behandelt auch das…mehr

Produktbeschreibung
Am Anfang war der Zorn. Im ersten Satz von Homers Ilias ist von ihm die Rede, und Peter Sloterdijk beschreibt ihn in seinem Bestseller als zentrale Triebkraft von Entwicklung und Veränderung. Dabei wurde der ungestüme Impuls schon während der Antike in geregelte Bahnen gelenkt. Judentum und Christentum, aber auch die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts lassen sich als Ökonomisierungen beschreiben, als große Ideologien, die den Zorn sammeln und organisieren. Sloterdijks erhellende Analyse, mit der er einmal mehr Fragen der Gegenwart in ihre lange Geschichte einbettet, behandelt auch das aktuelle Phänomen des Islamismus - der Wiederkehr des Zorns als ungelenktes Ressentiment.
Autorenporträt
Peter Sloterdijk wurde am 26. Juni 1947 als Sohn einer Deutschen und eines Niederländers geboren. Von 1968 bis 1974 studierte er in München und an der Universität Hamburg Philosophie, Geschichte und Germanistik. 1971 erstellte Sloterdijk seine Magisterarbeit mit dem Titel Strukturalismus als poetische Hermeneutik. In den Jahren 1972/73 folgten ein Essay über Michel Foucaults strukturale Theorie der Geschichte sowie eine Studie mit dem Titel Die Ökonomie der Sprachspiele. Zur Kritik der linguistischen Gegenstandskonstitution. Im Jahre 1976 wurde Peter Sloterdijk von Professor Klaus Briegleb zum Thema Literatur und Organisation von Lebenserfahrung. Gattungstheorie und Gattungsgeschichte der Autobiographie der Weimarer Republik 1918-1933 promoviert. Zwischen 1978 und 1980 hielt sich Sloterdijk im Ashram von Bhagwan Shree Rajneesh (später Osho) im indischen Pune auf. Seit den 1980er Jahren arbeitet Sloterdijk als freier Schriftsteller. Das 1983 im Suhrkamp Verlag publizierte Buch Kritik der zynischen Vernunft zählt zu den meistverkauften philosophischen Büchern des 20. Jahrhunderts. 1987 legte er seinen ersten Roman Der Zauberbaum vor. Sloterdijk ist emeritierter Professor für Philosophie und Ästhetik der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und war in Nachfolge von Heinrich Klotz von 2001 bis 2015 deren Rektor.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2006

Wenn ganze Kulturen sich beleidigt fühlen
Raus aus der Einschüchterung: Peter Sloterdijks gewaltig erzählte Analyse der Zornkollektive / Von Julia Encke

Kälte hilft uns vor den neuen Zornkollektiven der Beleidigten nicht, die sich in den islamischen Ländern formieren. Wir selbst müssen einen gerechten Zorn entwickeln, der uns Freiheit und Kultur besser verteidigen läßt.

Der Zorn hat keinen guten Ruf. Grundsätzlich sind wir, im produktiven Sinn, gar nicht mehr zornig, sondern beleidigt. Wir kennen nur noch die ressentimentbeladene Variante eines "gerechten Zorns", der auf Vergeltung sinnt, es dem anderen heimzahlen will.

Für Peter Sloterdijk, der in seinem sehr eindrucksvollen Buch eine Weltgeschichte des Zorns geschrieben hat, ist diese Austreibung des produktiven Zorns aus der Kultur lähmend. Anstatt aufwallende Energien kollektiv und domestiziert zu nutzen - er versteht Zorn im Sinne des antiken "thymos" als in der Polis zivilisierte Form des Furors homerischer Helden -, zerstreuen wir unsere Kräfte wirkungslos. Die Empörung hat keine Weltidee vorzuweisen. Also habe mit großer Folgerichtigkeit "die Mitte, das formloseste der Monstren", das Gesetz der Stunde erkannt: Gefragt seien belastbare Langweiler, von denen erwartet wird, an großen runden Tischen die Weltformeln des Ausgleichs zu finden.

"Zorn und Zeit" ruft nach der Rehabilitierung dessen, was Sloterdijk die "thymotischen Energien" nennt. Das ist kein leichtes und kein selbstverständliches Projekt, hat der Zorn als politische Energie im zwanzigsten Jahrhundert doch Verheerendes angerichtet. Blickt man auf das vergangene Jahrhundert zurück, schreibt Sloterdijk, so drängt sich der Eindruck auf, daß in ihm die von Platon geforderte, von Aristoteles gelobte und von den Pädagogen des bürgerlichen Zeitalters praktisch versuchte Zivilisierung der Zorn-Energien in den Nationalstaaten gescheitert sei. Die starken Regungen der Menge für einen "Fortschritt" zu nutzen schlug katastrophal fehl - egal ob die Manager der Zornpolitik rote oder braune Kittel trugen.

Verheerend mußte diese Zornwirtschaft sein, weil sie eine Kriegswirtschaft des Ressentiments war. In großen, vom Furor seiner Metaphernwirtschaft zuweilen hinweggetragenen Kapiteln (Sloterdijk gefällt seine Allegorie von den verwaltenden "Weltbanken des Zorns" so sehr, daß er das Vokabular, von der "Veruntreuung der Zornkapitale" über "Thymosmonopole" bis hin zu "thymotischen Renditen", ausreizt) führt er diese These historisch aus. Zorngeschäfte wurden unter verhängnisvollen Vorzeichen durch die Jahrhunderte gemacht, wobei die Revolutionäre des neunzehnten Jahrhunderts das Versprechen endgültiger Gerechtigkeit, das die Kirche auf das Jenseits verschob, in die irdische "Geschichte" verlegten. Lenin, Stalin und Mao sind für Sloterdijk "Weltgeistliche des Hasses" mit "makelloser Rücksichtslosigkeit".

Die Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts gehen für ihn auf das Konto der modernen Radikalismen, "die dem kollektiven Zorn, unter idealistischen wie materialistischen Vorwänden, nie betretene Wege zur Befriedigung weisen wollten - Wege, die vorbei an moderierenden Instanzen wie den Parlamenten, den Gerichten, den öffentlichen Debatten, auf gewaltige Freisetzungen von ungefilterten Racheenergien, Ressentiments und Ausrottungswünschen zuliefen". Betrachtet man die gegenwärtig freiwerdenden Rachenergien des Islamismus, wird deutlich, wie sehr das Ressentiment eine treibende Kraft ist. Uns steht noch einiges bevor.

Es hieße Peter Sloterdijk aber mißverstehen, wenn man glaubte, es ginge ihm in "Zorn und Zeit" nur deshalb um die Analyse der Zornwirtschaft des zwanzigsten Jahrhunderts, um düstere Szenarien für die Zukunft zu entwerfen. Die nahe Zukunft sieht tatsächlich düster aus. Es steht für ihn außer Frage, daß in Tausenden von Koranschulen, die überall dort aus dem Boden schießen, wo es Jungmännerüberschüsse gibt, weiterhin Märtyrer auf Heiligen Krieg getrimmt werden. Ein kleiner Teil werde zu terroristischen Zwecken eingesetzt, der größere in Bürgerkriege auf arabischen Territorium investiert werden - Kriege, von denen das iranisch-irakische Massaker von 1980 bis 1988 einen Vorgeschmack gegeben hat. Es steht für ihn auch außer Frage, daß Israel weitere Bewährungsproben vor sich hat, also ohne eine weitsichtige Politik der Abschottung gar nicht wird überstehen können. "Selbst Kenner der Lage", so lautet die Diagnose, "besitzen heute nicht die geringste Vorstellung davon, wie der machtvoll anrollende muslimische youth bulge, die umfangreichste Welle an genozidschwangeren Jungmännerüberschüssen in der Geschichte der Menschheit, mit friedlichen Mitteln einzudämmen wäre."

Doch liegt es nicht im Interesse Sloterdijks, bloß die Rolle des düsteren Propheten zu spielen. Was ihn umtreibt, ist die Frage, woraus der politische Islam seine Drohgewalt bezieht und ob er das Potential hat, sich zu einer "Weltbank des Zorns" zu entfalten, also den Kommunismus als Weltdogma abzulösen. Die Antwort fällt negativ aus: Für Sloterdijk stellt der radikale Islamismus eine allein auf Rache gegründete Ideologie dar, die strafen kann, die aber nichts hervorbringt. Die Anschläge vom 11. September 2001 machen dies deutlich: Sie seien keine Demonstration islamistischer Stärke gewesen, sondern das Symbol einer hämischen Mittellosigkeit, zu deren Kompensation nichts als die religiös maskierte Opferung von Menschenleben aufzubieten war. Sicher wird der Traum der Aktivisten von einem islamischen Großimperium viele gewaltbereite Mitträumer inspirieren. Die politischen Voraussetzungen für ein solches Imperium aber fehlen. Aus regionalen Reichsbildungen islamischer Staaten könnten sich bestenfalls konventionelle Mittelmächte entwickeln. Grundsätzlich, schreibt Sloterdijk, hat der Islam wenig vorzuweisen, was ihn befähigte, die technologischen, ökonomischen und wissenschaftlichen Existenzbedingungen für die Menschheit des einundzwanzigsten Jahrhunderts fortzubilden.

Die Einschüchterung funktioniert, und sie kommt den angegriffenen westlichen Mächten auf eine bitter-ironische Weise gelegen: Trotz wachsender sozialer Ungleichheiten können wieder nationale Solidargemeinschaften beschworen werden, "Überlebenseinheiten", in denen der Imperativ der Sicherheit regiert. Sich aus den mittlerweile wohlbekannten nahöstlichen Quellen bedroht fühlen bedeutet jetzt: Gründe sehen, warum man eventuell bereit sein könnte, sich in der westlichen politischen Kultur von demokratischen Zuständen zu verabschieden. Doppelt bitter daran ist, "Zorn und Zeit" zufolge, daß der Islamismus über den Rang eines Randphänomens, das er vor kurzem noch war, tatsächlich nie so rasend schnell gekommen wäre, wenn die westlichen Gesellschaften ihn nicht so bereitwillig für ihre innerpolitischen Zwecke genutzt hätten und weiterhin nutzen.

Gibt es eine Chance für einen ressentimentfreien Zorn heute? Für einen Zorn, der anderes hervorbringt als Vergeltungsdrang? Als treibende politische Kraft, das muß Sloterdijk einräumen, hat der Zorn nicht gerade seine besten Zeiten hinter sich. Eher im Gegenteil. Doch gibt es Nietzsche, und in gewisser Weise muß man sich Sloterdijk als demokratisch denkenden Nietzsche-Leser vorstellen. Was er in seinen mit "Jenseits des Ressentiments" überschriebenen Schlußfolgerungen in Aussicht stellt, ist eine mit Nietzsche gedachte Ablösung der "rachsüchtigen Demut" durch eine Intelligenz, die sich ihres produktiven Zorns neu vergewissert. Sloterdijk zufolge konnte das Verlangen nach Gerechtigkeit für die Welt - sei es jenseits des irdischen Lebens, sei es in der geschehenden Geschichte - zur Theologie des Gotteszornes und zum Kommunismus nur so lange Zuflucht nehmen, wie die Verbindung von Geist und Ressentiment stabil war. Das religiös und politisch überhöhte Vergeltungsdenken ist seiner Ansicht nach an sein Ende gekommen. Es sei Zeit für die Befreiung der Weltkultur vom Geist des Ressentiments.

Sloterdijks gewaltig erzählte Analyse der Zornkollektive liefert die historischen Voraussetzungen für das, was er als eine ressentimentfreie politische Theorie des Zorns erst noch zu entwerfen verspricht. Sie ist ein erster Schritt. Daß man sich auf eine solche Theorie in einer Welt, in der ganze Kulturen sich beleidigt fühlen und damit beschäftigt sind, diese Beleidigtheit in negative Energie umzuwandeln, nur freuen kann, ist klar. Sie wäre eine echte Option.

Peter Sloterdijk: "Zorn und Zeit". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 356 S., geb., 22,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.10.2006

Sachbücher des Monats November
Empfohlen werden nach einer monatlich erstellten Rangliste Bücher der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften sowie angrenzender Gebiete.
1.SAUL FRIEDLÄNDER: Die Jahre der Vernichtung. Das Dritte Reich und die Juden. Zweiter Band 1939 - 1945. Aus dem Englischen von Martin Pfeiffer. C.H. Beck Verlag, 869 S., 34,90 Euro.
2.JED PERL: New Art City. Manhattan und die Erfindung der Gegenwartskunst. Aus dem Amerikanischen von Jörg Trobitius. Carl Hanser Verlag, 720 Seiten, 39,80 Euro.
3.AMNESTY INTERNATIONAL: Jahresbericht 2006. S. Fischer Verlag, 528 Seiten, 14,90 Euro.
4.PETER SLOTERDIJK:Zorn und Zeit. Politisch-psychologischer Versuch. Suhrkamp Verlag, 356 Seiten, 22,80 Euro.
5.HELMUT DUBIEL:Tief im Hirn. Verlag Antje Kunstmann, 144 Seiten, 14,90 Euro.
6 - 7. RALPH BOLLMANN: Lob des Imperiums. Der Untergang Roms und die Zukunft des Westens. Wolf Jobst Siedler Verlag, 220 Seiten, 18 Euro.
ERNST PÖPPEL: Der Rahmen. Ein Blick des Gehirns auf unser Ich. Carl Hanser Verlag, 552 Seiten, 25,90 Euro.
8.WOLF LEPENIES: Kultur und Politik. Deutsche Geschichten. Carl Hanser Verlag, 448 Seiten, 29,90 Euro.
9. MICHAEL ZÜRN, STEPHAN LEIBFRIED (Hg.):Transformationen des Staates? Suhrkamp Verlag, 354 Seiten, 19,80 Euro.
10.GERHARD HIRSCHFELD, GERD KRUMEICH, IRINA RENZ (Hg.): Die Deutschen an der Somme 1914 - 1918. Krieg, Besatzung, Verbrannte Erde. Klartext Verlag, 281 Seiten, 18,90 Euro.
Besondere Empfehlung des Monats November 2006 von Jörg Dieter Kogel: MARTIN KÄMPCHEN: Ghosaldanga. Geschichten aus dem indischen Alltag, Wallstein Verlag, 208 Seiten, 16 Euro.
Mitglieder der Jury: Rainer Blasius, Eike Gebhardt, Fritz Göttler, Wolfgang Hagen, Daniel Haufler, Otto Kallscheuer, Matthias Kamann, Petra Kammann, Guido Kalberer, Elisabeth Kiderlen, Jörg-Dieter Kogel, Hans Martin Lohmann, Ludger Lütkehaus, Herfried Münkler, Johannes Saltzwedel, Wolfgang Ritschl, Florian Rötzer, Albert von Schirnding, Norbert Seitz, Eberhard Sens, Hilal Sezgin, Volker Ullrich, Andreas Wang, Uwe Justus Wenzel.
Redaktion: Andreas Wang (NDR)
Die nächste SZ/NDR/BuchJournal-
Liste erscheint am 30. November.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Peter Sloterdijk modifiziert in seinem langen Essay das psychoanalytische Menschenbild, indem er den Zorn nicht als Ventil für unbefriedigte Wünsche, sondern als natürlichen Zug des Menschen voraussetzt, konstatiert Jens Bisky. Der Philosoph legt mit "Zorn und Zeit" einen ausführlichen Gang durch die abendländische Geistesgeschichte vor, die nicht gerade unbekannt ist, der er aber so manche Pointe abgewinnt, wie Bisky erwähnt. Für den Autor sei diese Geschichte zuallererst eine Geschichte des "Zornmanagements". Stimmt der Rezensent hier noch zu, sieht er sich bei Sloterdijks Ausgangspunkt, Achills Zorn, wie in der "Ilias" geschildert, beschreibe ein ungebrochenes antikes Ideal, das wieder in unsere Zeit zu integrieren sich lohne, zum Widerspruch aufgefordert. Achill werde in dem Homerischen Epos durchaus problematisch gezeigt und sein Zorn übersteige jedes Maß, informiert er. Zudem stört den Rezensenten, dass der Autor zwar zunächst zwischen Zorn, Hass, Wut und Ressentiment unterscheidet, in seinen späteren Ausführungen aber keine Rücksicht mehr auf diese Unterschiede nimmt. Auch der Verbindung von "Zorn und Stolz" wäre eine genauere Betrachtung zu wünschen gewesen, murrt der Rezensent. Dafür haben ihn die Auslassungen zum Roman "Der Graf von Monte Christo", die Sloterdijk zur Illustration für die These, dass auch dem Bürgertum Zorn, Hass und Rachegefühle nicht fremd sind, ziemlich amüsiert.

© Perlentaucher Medien GmbH
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