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Als "eine der großen Demokratiebegründungsschriften überhaupt" hat man diesen Text bezeichnet. Kelsen, der maßgeblich an der Ausarbeitung der ersten demokratischen Verfassung Österreichs von 1920 beteiligt war, geht von der Frage aus, wie die Freiheit des einzelnen am wirkungsvollsten zu sichern ist; er behandelt die Rolle des Parlaments und sein Verhältnis zum Volkswillen, die Bedeutung von Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, von Elitenauslese und Gewaltenteilung. Kelsens Schrift ist ein Plädoyer für die Demokratie. Angesichts heutiger Demokratiemüdigkeit ist dieser kluge Klassiker so wichtig wie nie.…mehr

Produktbeschreibung
Als "eine der großen Demokratiebegründungsschriften überhaupt" hat man diesen Text bezeichnet. Kelsen, der maßgeblich an der Ausarbeitung der ersten demokratischen Verfassung Österreichs von 1920 beteiligt war, geht von der Frage aus, wie die Freiheit des einzelnen am wirkungsvollsten zu sichern ist; er behandelt die Rolle des Parlaments und sein Verhältnis zum Volkswillen, die Bedeutung von Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, von Elitenauslese und Gewaltenteilung. Kelsens Schrift ist ein Plädoyer für die Demokratie. Angesichts heutiger Demokratiemüdigkeit ist dieser kluge Klassiker so wichtig wie nie.
Autorenporträt
Hans Kelsen, 1881¿1973, war einer der bedeutendsten Rechtswissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Der erklärte Rechtspositivist war österreichischer Verfassungsrichter und maßgeblicher Mitgestalter der Österreichischen Verfassung von 1920.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.11.2018

Im Kompromiss erhebt auch die Minderheit ihre Stimme
Die Parteien sind unpopuläre, aber unabdingbare Bestandteile der Freiheit: Hans Kelsens Klassiker "Vom Wesen und Wert der Demokratie" in einer neuen Ausgabe

Ist die Demokratie eine stets gefährdete Staatsform? Damit muss man wohl rechnen. Denn sie ist gekennzeichnet durch eine "außerordentliche Spannung zwischen Ideologie und Wirklichkeit". Hans Kelsen trifft 1929 diese Feststellung in seiner Schrift "Vom Wesen und Wert der Demokratie" und fährt fort, es sei womöglich die Funktion der "demokratischen Ideologie", die "Illusion der in der sozialen Wirklichkeit unrettbaren Freiheit aufrecht zu erhalten" und mit der "hell klingenden Freiheitsmelodie" das dumpfe Motiv der "ehernen Ketten der sozialen Wirklichkeit" zu übertönen.

Dabei macht Freiheit die Idee der Demokratie aus: Es ist "die Natur selbst, die sich in der Forderung der Freiheit gegen die Gesellschaft aufbäumt". Aber die Idee der Gleichheit gehört dazu, die Ablehnung jedes Anspruchs, mehr zu sein als andere: "Er ist ein Mensch wie ich, wir sind gleich! Wo ist also sein Recht, mich zu beherrschen?" Und Kelsen zitiert Ciceros "Über den Staat" (I, 31, 47): Wenn die Freiheit "nicht gleich ist für alle, so ist sie überhaupt keine Freiheit". Diesem fast schon biologischen Widerwillen gegen den Zwang, sich einem fremden Willen zu beugen - der Autor spricht von einem "Urinstinkt" - will die Demokratie gerecht werden. Die anarchische Freiheit, die Freiheit von Zwang kann sie nicht bieten, Gesellschaft und Staat sind ohne Herrschaft nicht vorstellbar.

Möglich aber ist die demokratische Freiheit, sich nur jenen Bestimmungen zu unterwerfen, mit denen wir übereinstimmen, weil wir an ihrer Entstehung teilgenommen haben. Und doch liegt in dieser historischen Wandlung von der gesellschaftlichen Ungebundenheit zum Recht auf politische Teilhabe eine "Denaturierung" des ursprünglichen Freiheitsinstinkts. Die ist nicht leicht zu ertragen, sie ist eine Quelle sich ständig erneuernder Enttäuschungen, des immer wieder hochkochenden Hasses auf "Establishment", "System" oder "Washington".

Hans Kelsen, 1881 in Prag geboren, Professor in Wien und Köln, 1933 in die Emigration getrieben und 1971 in den Vereinigten Staaten gestorben, war unter den Staatsrechtlern der Weimarer Zeit einer der wenigen überzeugten Demokraten. "Vom Wesen und Wert der Demokratie" ist ein Klassiker, die zweite Auflage von 1929 ist nun wieder erschienen, und das war eine gute Idee des Verlags. Als Nachgeborene haben wir Gelegenheit zu prüfen, an welchen Stellen das aktuelle Interesse einhakt.

Wer oder was zum Beispiel ist das Volk, das zugleich Subjekt und Objekt der Herrschaft ist? Es ist ein "Bündel von Gruppen", nichts natürlich Gegebenes. Von einer Einheit kann nur in einem normativen Sinn die Rede sein, Volk ist ein juristischer Begriff, "die Einheit der das Verhalten der normunterworfenen Menschen regelnden staatlichen Rechtsordnung". Hier ist man dem Gedanken des Verfassungspatriotismus schon ziemlich nahe. An anderer Stelle kommen allerdings auch kulturelle Bedingungen ins Spiel. Denn das genuin demokratische Majoritätsprinzip setzt die Verständigung von Majorität und Minorität voraus, und dazu "müssen gegeben sein: eine kulturell relativ homogene Gesellschaft, insbesondere gleiche Sprache".

Der starke Eindruck, den Kelsens Buch bis heute macht - oder gerade heute -, hat mit dem Willen zur Nüchternheit zu tun, zum Beispiel bei der Verteidigung der Parteien. In ihnen sieht er unpopuläre, aber unabdingbare Bestandteile der Demokratie und Freiheit. Denn sie sortieren die gesellschaftliche Meinungsbildung und führen zu ersten Kompromissen. Der Kompromiss aber ist der eigentliche Kern der Demokratie. Wenn die moderne Freiheit in der Übereinstimmung mit jenen Gewalten besteht, die uns regieren, folgt daraus zunächst das Majoritätsprinzip: Danach hat zumindest die Mehrheit die Genugtuung, den eigenen Gesetzen zu gehorchen.

Doch im Kompromiss, der ausgehandelt wird nach den Kräfteverhältnissen, die Wahlen und Abstimmungen ergeben, erhebt auch die Minorität ihre Stimme, auch sie wird Gesetzgeberin. Hier liegt, nebenher bemerkt, auch ein Problem der direkten Demokratie. Kelsen ist keineswegs ein Gegner von Referenden. Aber er sieht, dass in der direkten Demokratie die Mehrheit in der Unmittelbarkeit der Entscheidung - ohne Zwischenschaltung von Parteien und Parlamenten - einen Machtgenuss erlebt, der der Verständigung mit der Minderheit nicht günstig ist.

Der Kompromiss steht seit längerem in geringem Ansehen, das populäre Ideal ist das scharfe Profil, die "klare Kante". Das aktuelle Elend der SPD etwa beruht zu einem Teil jedenfalls auf dem Unwillen, die von ihr erreichten Kompromisse mit Selbstbewusstsein zu vertreten, um stattdessen einer Eindeutigkeit nachzustreben, die unerreichbar ist. Und das liegt nicht etwa an mangelnden Wahlerfolgen. Die auch von vielen Leitartiklern so ersehnte Klarheit (ein Konzept, eine Vision und so fort) ist, wie Kelsen argumentiert, dem gesellschaftlichen Leben fremd. Selbst die Majorität, durch Auszählung festgestellt, ist "in der sozialen Wirklichkeit gar keine absolute Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit".

Denn der "Gemeinschaftswille" bildet sich in der wechselseitigen Beeinflussung der beteiligten Gruppen, als eine "Resultante" der aufeinanderstoßenden Willensrichtungen, nicht als Diktat der einen Richtung über die andere. Der politische Triumphalismus, der in verschiedenen Ländern gerade um sich greift, mag sich auf Wahlsiege stützen, Leser Kelsens sehen die fundamentale Demokratiefeindlichkeit dahinter. Warum aber scheint es gerade in der jüngsten Zeit zu solchen Aggressivitäten zu kommen? Darauf kann ein Buch von 1929 nicht antworten, aber einen Hinweis kann man ihm vielleicht entnehmen. Zweimal und in verschiedenen Zusammenhängen spricht Kelsen von der Notwendigkeit der Erziehung zur Demokratie, einer "praktischen Hauptforderung", einem "Problem allergrößten Stils". Erziehung aber setzt ein Autoritätsgefälle voraus, wodurch aber wird es legitimiert? Die politischen Institutionen, die großen Parteien, die Medien haben einmal so gewirkt, sie haben in ihrem Paternalismus den Ton gedämpft. Da hat sich möglicherweise etwas verbraucht, was derzeit nicht ersetzt werden kann.

STEPHAN SPEICHER

Hans Kelsen: "Vom Wesen und Wert der Demokratie". Mit einem Nachwort von Klaus Zeleny.

Reclam Verlag, Ditzingen 2018. 164 S., br., 4,80 [Euro].

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