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"Eines der einflussreichsten politischen Bücher des letzten Jahrzehnts." The Washington Monthly Der Rechtspopulismus, für den US-Präsident Trump steht, wird meist vom klassischen Konservativismus unterschieden. Zu Unrecht, wie dieses Buch zeigt. Denn alles, was den Rechtspopulismus ausmacht, gehört zum grundlegenden Ideenbestand der Konservativen seit der Französischen Revolution. Europäische Intellektuelle haben das Fundament für die amerikanische Rechte gelegt, in deren Gedankenwelt der Anti-Intellektuelle Trump verankert ist. Anhand prägender Gestalten wie Edmund Burke - von Alexander…mehr

Produktbeschreibung
"Eines der einflussreichsten politischen Bücher des letzten Jahrzehnts."
The Washington Monthly
Der Rechtspopulismus, für den US-Präsident Trump steht, wird meist vom klassischen Konservativismus unterschieden. Zu Unrecht, wie dieses Buch zeigt. Denn alles, was den Rechtspopulismus ausmacht, gehört zum grundlegenden Ideenbestand der Konservativen seit der Französischen Revolution. Europäische Intellektuelle haben das Fundament für die amerikanische Rechte gelegt, in deren Gedankenwelt der Anti-Intellektuelle Trump verankert ist. Anhand prägender Gestalten wie Edmund Burke - von Alexander Gauland gern zitiert -, Friedrich Nietzsche und Ayn Rand deckt Corey Robin die Kontinuitäten im konservativen Denken auf und stellt viele überraschende Verbindungen her. Ein kluges, elegant geschriebenes und provozierendes Buch.
Autorenporträt
Robin, Corey
ist Professor für Politikwissenschaften am Brooklyn College und dem Graduate Center der City University of New York. Er schreibt regelmäßig für den Guardian; Artikel von ihm sind außerdem u. a. in der New York Times, Harper's, The New Republic und der London Review of Books erschienen. Seine Bücher, Artikel und Aufsätze wurden in mehr als zehn Sprachen übersetzt. Für sein Buch »Fear: The History of a Political Idea« (2006) wurde er von der American Political Science Association ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.01.2019

Jedes Mittel
ist recht
Corey Robin dämonisiert den „reaktionären Geist“
Wenn eine Lage unübersichtlich wird, ist Orientierung nötig. Das gilt im Gelände wie im öffentlichen Diskurs. Steckt man in Wald und Wiese fest, kann ein Pfadfinder helfen, zur Not auch jemand, der bei der Bundeswehr mal einen Einzelkämpferlehrgang absolviert hat. Bevor man fragt, in welcher Richtung das Ziel liegt, muss man wissen, in welcher Richtung eigentlich welche Richtung liegt. Sonst läuft man Gefahr, den falschen Weg einzuschlagen.
Im öffentlichen Diskurs sondieren Experten die Lage. Historiker erklären die Geschichte, Soziologen die Gesellschaft und Politikwissenschaftler die Politik. Weil es aber im öffentlichen Diskurs, anders als im Gelände, keine für alle sichtbaren Wegmarken gibt, müssen diese Experten auf ihre Glaubwürdigkeit aufpassen. Sie müssen ihre Beobachtungen begründen, ihre Perspektive kritisch reflektieren und nicht mit dem Ganzen verwechseln und darauf achten, dass aus dem Experten kein Aktivist wird. Das ist ein schmaler Grat. Man muss oft genau hinsehen, um zu entscheiden, ob derjenige, der einem gerade die Welt erklärt, das eine oder das andere ist.
Bei Corey Robin muss man das nicht. Schon auf den ersten Seiten seines Buches „Der reaktionäre Geist“ erklärt er dem Leser: „Mein Feld ist nicht die Empirische Politikwissenschaft, sondern die Politische Theorie.“ Robin sieht sich als einen Theoretiker, nicht als Empiriker des reaktionären Geistes und des konservativen Denkens. Welcher Art seine Theoriebildung ist, wird ebenfalls gleich deutlich. Das Grundschema des Buches ist einfach: „Seit Beginn der Moderne sind Männer und Frauen aus gesellschaftlich benachteiligten Gruppen auf die Straße gegangen und haben gegen die Machthaber in Staat und Kirche (…) protestiert. (…) Bei so gut wie jedem Schritt wehrten sich die Herrschenden dagegen mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen (…).“
Im Folgenden wird sich das konservative Denken immer wieder auf der Seite der Herrschenden, das emanzipatorische, linke, liberale Denken auf der Seite der Unterdrückten wiederfinden. Trotz dieser simplen und abstrakten Konstruktion besteht Robin auf einer empirischen Herangehensweise: „Mein Material sind Texte und Ideen, meine Methoden sind Close Reading und historische Analyse.“ Es ist gut, wenn ein Buch seine Ansprüche so klar formuliert. Das macht es leichter, es genau daran zu messen.
Der reaktionäre Geist ist die Übersetzung einer Aktualisierung. Robins Buch „The Reactionary Mind“ erschien bereits 2011, damals noch mit dem Untertitel „Conservatism from Edmund Burke to Sarah Palin“. Einige Jahre nach dem Wahlsieg von Donald Trump hat er den Untertitel an die aktuelle Situation angepasst. Er lautet nun „Conservatism from Edmund Burke to Donald Trump“. Es mag Beobachter geben, die wesentliche ideologische Unterschiede zwischen dem zeitweisen Star der Tea-Party-Bewegung, Sarah Palin, und dem aktuellen Präsidenten der USA sehen.
Für Robin gehören beide in die gleiche Tradition. Das konservative Denken zeichne sich einerseits durch bestimmte „Kernelemente“ aus, die es dem politischen Theoretiker erlauben, es dort, wo diese Kernelemente auftauchen, eindeutig zu identifizieren. Andererseits muss man dabei aber auch auf der Hut sein, denn das konservative Denken ist trickreich und verschlagen: „Der konservative Geist ist außerordentlich geschmeidig, reagiert auf Veränderungen der Geschicke und Umstände lange bevor andere sie wahrnehmen.“ Wegen dieser Eigenschaften besitze er „eine Virtuosität im politischen Taktieren, die ihresgleichen sucht“.
An dieser Stelle kann eine Anekdote weiterhelfen, die man sich über den griechischen Rhetoriker und Sophisten Protagoras erzählte. Protagoras stritt sich mit einem Schüler darüber, ob dieser ihm das Geld für die rhetorische Ausbildung, die er genossen hatte, zahlen müsse. Der Fall ging vor Gericht. Protagoras argumentierte so: Wenn der Schüler den Prozess verliert, müsse er ihn bezahlen, denn er habe verloren. Gewinnt er ihn, müsse er ihn ebenfalls bezahlen, denn das wäre der Beweis für eine erfolgreiche Ausbildung. Der Schüler entgegnete: „Ich muss in keinem Fall zahlen. Gewinne ich, muss ich nicht zahlen, denn ich habe gewonnen. Verliere ich, muss ich auch nicht zahlen, denn dann war die Ausbildung nicht gut.“
Ganz ähnlich verhält es sich mit Corey Robins Begriff des konservativen Geistes. Auf der einen Seite ist dieser Geist so schwer zu fassen, dass nur ein wahrer Experte ihm mit der Hilfe von „Close Reading und historischer Analyse“ beikommen kann. Erst die Kärrnerarbeit des politischen Theoretikers kann in der Virtuosität die Regelmäßigkeit, im politischen Taktieren die Kernelemente erkennen, die den konservativen Geist bestimmbar machen.
Man kann es aber auch umkehren: Robin legt Kernelemente des konservativen Geistes fest, die so allgemein gefasst sind, dass sich für ihn die gesamte Moderne als Geschichte von Klassenkämpfen darstellt. Konsequenterweise muss der konservative Geist deswegen „außerordentlich geschmeidig“ sein, denn dadurch wird die eigene selektive Wahrnehmung eine Eigenschaft des Gegenstandes. Man selbst beschreibt dann nur noch „Ideengeschichte“.
Robin zitiert laufend Konservative, die Aussagen über den Konservativismus treffen, um daraus allgemeine Bestimmungen über „den Konservativismus“ abzuleiten. Das ist nicht nur wissenschaftlich fahrlässig, es ignoriert auch vollkommen den jeweiligen historischen Kontext. Wo Zitate nicht passen, werden sie passend gemacht – so im Fall einer Aussage Samuel Johnsons aus dem Jahr 1779: „Ich glaube, wir wünschen uns kaum, dass der Pöbel die Freiheit haben sollte, uns zu regieren.“
Robin zieht dieses Zitat als Beleg dafür heran, dass „ein Konservativer“ im Allgemeinen gleiche Freiheiten ablehnt, der „Pöbel“ dient hier als vulgärmarxistisches Kriterium. Im englischen Originaltext folgt darauf jedoch noch ein weiterer Satz: „When that was the case some time ago, no man was at liberty not to have candles in his windows.“
Dieser Folgesatz, zusammen mit der Tatsache, dass Johnson seine Ansicht nicht etwa „verkündet“, wie Robin behauptet, sondern in einem Tischgespräch mit einem schottischen Adligen äußert, verweist auf den (wahrscheinlichen) historischen Kontext: Der „mob“ ist kein Verweis auf das Lumpenproletariat, sondern eine Anspielung auf die Zeit der „Glorious Revolution“, den Sieg Wilhelms III. von Oranien über Jakob II. am Boyne: Wer anlässlich der Siegesfeiern keine Kerze ins Fenster stellte, machte sich verdächtig, den neuen Herrscher abzulehnen.
Robin betreibt also nicht „Close Reading und historische Analyse“, sondern das genaue Gegenteil: eine selektive Lektüre, die Aussagen aus ihrem historischen Kontext reißt, um sie zur Bestätigung des eigenen Freund-Feind-Schemas zu instrumentalisieren. Entsprechend sorgenfrei springt er dann auch durch die Geschichte – Aussagen aus dem vorrevolutionären und dem revolutionären 18. Jahrhundert werden, ohne weitere Kontextualisierung, neben solche aus dem 19. und dem 20. Jahrhundert gestellt. Ob Französische oder Amerikanische Revolution, ob konfrontiert mit Sozialismus oder mit Sozialdemokratie – alles ist recht, solange es sich nur gegen die Vorstellung richtet, die Robin aus der Sicht des 21. Jahrhunderts als linksliberalen Maßstab ansetzt.
Diese fehlschlüssige Perspektive zieht sich durch das gesamte Buch. Autoren wie Burke oder Hobbes dienen vor allem als Pappkameraden, um Robins eigene politisch gefärbte Auffassung von Ideengeschichte zu bestätigen. Eine kritische Auseinandersetzung mit klügeren Büchern zum Thema, gar mit Reinhart Kosellecks „Kritik und Krise“ (1954) oder Panajotis Kondylis’ „Konservativismus“ (1986), fehlt. Man wähnt sich bei der Lektüre gefangen in einem nicht enden wollenden Blogbeitrag, in dem ein ums andere Mal bewiesen werden soll, wie absurd und menschenverachtend das konservative Denken ist.
Dass Robin dabei auch kluge Beobachtungen macht und unvermutete Zusammenhänge herausstellt, geht in seinem ideologiekritischen Furor fast vollkommen unter. Wer sich durch offensichtlich polemisch oder politisch gefärbte, seitenlange Nacherzählungen zu Burke, Hobbes und Nietzsche arbeiten muss, um zu richtigen Überlegungen zu kommen, wird selbst Close Reading betreiben müssen, um das Buch überzeugend zu finden. Historische Kontextualisierung bedeutet für Robin vor allem assoziative Lektüre. Bezieht sich Nietzsche etwa auf die Brüder Goncourt, werden deren Thesen zu einem Schlüssel für die Auslegung von Nietzsches Philosophie. Wenn dieser dann über die Umwertung aller Werte spricht, stellt Robin die ökonomische Theoriebildung daneben und erweckt so den Eindruck einer gemeinsamen Ideologie. Das nimmt bisweilen komische Formen an, wie in der Formulierung „Das war 1882. Nur ein Jahrzehnt zuvor hatte Menger geschrieben …“.
Wer aus vagen Gemeinsamkeiten, die auf eigenen stillen Prämissen beruhen, Ideengeschichte ableiten will, hat es sich nicht nur sehr einfach gemacht, sondern sorgt auch laufend für die Bestätigung der eigenen Prämisse. Der Teufel, das wusste schon die Inquisition, ist zugleich unendlich listenreich und an eindeutigen Zeichen zu erkennen. Die vulgäre Ideologiekritik hat dieses Schema nur säkularisiert, aber die Hermeneutik des Verdachts ist geblieben. Sie sorgt zuverlässig dafür, dass Komplexität auf einfache Formeln reduziert wird. Das kann man hilfreich finden. Aber selbst dann hätte es Robins Buch gutgetan, die Feindbildbestimmung einzuhegen, Konservativismus, libertären Alt- oder Neoliberalismus und Populismus klar zu scheiden. So wird aus „Der reaktionäre Geist“ nur eine Enzyklopädie dessen, was man alles schlecht finden kann, wenn man links ist. Und das ist entschieden zu wenig für den Anspruch, den das Buch an sich selbst stellt.
DANIEL-PASCAL ZORN
Corey Robin: Der reaktionäre Geist. Von den Anfängen bis Donald Trump. Aus dem Englischen von Bernadette Ott. Christoph-Links-Verlag, Berlin 2018. 344 Seiten, 25 Euro.
„Der konservative Geist ist
außerordentlich geschmeidig“,
virtuos im Taktieren
Wo Zitate nicht passen,
werden sie einfach
passend gemacht
Vulgäre Ideologiekritik
reduziert Komplexität auf
einfache Formeln
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.01.2019

Musterbeispiel für Diskursverweigerung
Corey Robins Buch über den reaktionären Geist zeigt den geistigen Sinkflug der amerikanischen Linken

Es gibt Bücher, die sind schlecht, regen aber immerhin zum Nachdenken an, und es gibt Bücher, die einfach nur schlecht sind. Das vorliegende Werk zählt zur letzteren Kategorie. Wenn es in irgendeiner Weise für die intellektuelle Situation der amerikanischen Linken kennzeichnend sein sollte, dann befindet sich diese in einem geistigen Sinkflug, der sich mehr an den Twitterorgien des regierenden Präsidenten als an den theoretischen und methodischen Diskussionen der progressiv-kritischen Traditionen des Landes orientiert. Corey Robins Buch ist ärgerlich, weil es gar zu simpel, gar zu uninformiert und gar zu wenig reflexiv angelegt ist.

Gewiss, aus der Perspektive eines echten Linken sind Konservative, Reaktionäre, Traditionalisten, Rechtspopulisten und Faschisten hochproblematische Figuren. Das ist in sich verständlich und nachvollziehbar, bis zu einem gewissen Grad eine notwendige Folge emanzipatorischen Denkens. Aber noch der einfältigste Progressive sollte sich doch zumindest ansatzweise um Nuancierungen und Differenzierungen bemühen und einen Hauch von Verständnis für Argumentationen beziehungsweise explizite und implizite anthropologische Vorannahmen haben, die dann eine konservative oder reaktionäre politische Haltung nahelegen. Robin erspart sich all diese Feinheiten und wirft schon vorab jede Unterscheidung über Bord.

Für ihn sind Konservative und Reaktionäre, Traditionalisten und Faschisten, Rechtspopulisten und alle anderen Varianten nichtprogressiven Denkens unterschiedslos eins. Sie repräsentieren ein rein reaktives Gespenst "von oben", das als Nachhut patriarchal-hierarchischer, auf Ausbeutung, Rassismus, ökonomischer Unterdrückung und militanten Bellizismus gegründeter Systeme immer dann sein Unwesen treibt, wenn die progressiv-emanzipatorischen Kräfte "von unten" den offenbar notwendigen Weg des Fortschritts vorangehen. Diese simple Dichotomie von Gut und Böse durchzieht jede Seite von Robins vorgeblicher Ideengeschichte. Es ist ein wenig, als würde ein Konservativer eine Ideengeschichte der Linken schreiben, in der Stalinisten, Trotzkisten, Maoisten, Anarchisten, Sozialdemokraten, Grüne und Liberale nur ein Ziel haben: den Totalitarismus.

Hier wie dort fehlt jedes Gespür für notorische Ambiguitäten in der Geschichte. Warum etwa ging in den Vereinigten Staaten die Durchsetzung des demokratischen Wahlrechts zumindest für alle freien weißen Männer im frühen neunzehnten Jahrhundert durchweg mit der rassistisch motivierten Entrechtung freier, grundbesitzender Schwarzer einher? Oder warum waren so viele emanzipatorische Abolitionisten ähnlich vorurteilsbeladen wie südstaatliche Sklavenhalter? Hier war offenkundig der Fortschritt selbst rassistisch. Ähnliches gilt für die unsäglich antisemitischen und antischwarzen Äußerungen von Karl Marx über Ferdinand Lassalle. Mehr noch: Im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert waren es Konservative, wie Friedrich von Gentz, Constantin Frantz und selbst der Fürst Metternich, die für eine - in der Tat antirevolutionäre, aber eben auch antibellizistische - föderalistische Friedensordnung in Europa eintraten.

Sie alle machten die Kriegspolitik der überkommenen Fürstenwelt der Spätaufklärung für die blutigen Folgen der Französischen Revolution, die sie zu Beginn voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft begrüßt hatten, und der "fortschrittlichen" Napoleonischen Angriffskriege mit ihren Hekatomben von Opfern verantwortlich. Selbst der Hochimperialismus mit seinem liberal-kapitalistischen Rassismus fand immer auch konservative und eben nicht nur sozialistische oder linksliberale Kritiker. Robin erwähnt sie sämtlich entweder überhaupt nicht oder wischt ihre Kritik am Ancien Régime und seiner Kriegspolitik als bedeutungslos vom Tisch.

Schließlich mangelt es ihm an einer sauberen Analyse der konservativen und katholischen Kapitalismuskritik im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert. Iring Fetscher, ganz sicher kein Konservativer, hat einmal bemerkt, die Konservativen des neunzehnten Jahrhunderts hätten ein sehr viel feineres Gespür für die soziale Frage gehabt als die "Herren des Fortschritts". Nur ihre Antworten seien halt falsch gewesen. Und die "roten Kapläne" zur Zeit des "Großen Ruhrarbeiterstreiks" von 1889 standen in einer ultramontanen Tradition, als sie oder der intellektuelle Vordenker der katholischen Sozialehre, der Jesuit Heinrich Pesch, von den Kapitalisten als "blutsaugenden Vampyren" sprachen.

Man fragt sich zudem, warum beispielsweise zutiefst reaktionäre Päpste wie Gregor XVI. und Pius IX. den Traditionalismus eines de Maistre wegen seines antiintellektuellen Fideismus ebenso verurteilt haben wie später Pius XI. Charles Maurras und die rechtsextreme Action Française in den 1920er Jahren? All dies kommt in Corey Robins Buch nicht vor, weil es die schöne Einfachheit der dogmatischen Grundthese stören und zum neuerlichen Nachdenken zwingen würde.

Das Schlimme ist, dass Robin die vielfältigen Diskussionen um eine adäquate Definition konservativer und anderer rechter Phänomene, darüber, ob es sich um situative, relationale oder fixe, überhistorische Denksysteme handelt, kennt. Aber er verweigert sich schlicht dem Diskurs, ohne freilich irgendetwas anbieten zu können, das interpretativ weiterhelfen würde. Ein Grundfehler seines Ansatzes liegt in der problematischen Gleichsetzung von angelsächsischem, zuvörderst amerikanischem conservatism und europäischem Konservatismus. Ersterer verteidigt immerhin die von ihm als Errungenschaften verstandenen Ergebnisse der amerikanischen Revolution, der selbst der Vater der Tories in Großbritannien, Edmund Burke, durchaus Positives abzugewinnen vermochte.

Gleichzeitig huldigt er, neben seinem inhärenten Traditionalismus, einem individualistischen, libertär anmutenden Freiheitsbegriff, der - und da hat Robin vollkommen recht - oft einzig dazu dient, die liberale Klassengesellschaft zu rechtfertigen. Demgegenüber sieht sich Letzterer in der Opposition zu den Idealen des Terrors in der Französischen Revolution, ist staatsorientierter und ordnungspolitisch gerade nicht libertär oder wirtschaftsliberal. Der "Manchesterliberale" war der Erzfeind des kontinentaleuropäischen Konservativen. Da hilft es dann auch nicht weiter, locker eine Zettelsammlung von Zitaten, die nie in den historischen Kontext gerückt werden, über die Buchseiten zu verteilen.

Besonders übel wird Robins artifizieller Einheitsbrei dort, wo er sich selbst originelle Denkanstöße verbaut. So hätte man gerne Tiefschürfenderes über die repressiven und patriarchalischen Strukturen konservativen oder reaktionären Familiendenkens erfahren sowie über deren mannigfaltige Wechselwirkungen mit sozial- und wirtschaftspolitischen Anliegen. Auch der Zusammenhang des Denkens von Nietzsche mit dem gegenwärtigen Neoliberalismus, den Robin konstatiert, hätte weitere Reflexionen gelohnt. Dann aber hätte man auch über die ökonomisch-theoretischen Schwachstellen des nietzscheanischen Dekonstruktivismus und seiner anhaltenden Unfähigkeit, dem Neoliberalismus ein tragfähiges, kritisches Konzept entgegenzustellen, diskutieren müssen.

Das aber war offenkundig nicht gewollt. Und dies führt am Ende dazu, dass das Buch uns nicht wirklich etwas zum Aufstieg Donald Trumps und des sogenannten Rechtspopulismus zu sagen hat. Wenn alle Katzen "der Rechten" gespensterhaft grau sind, kann man auf präzise historische Verortungen und konkrete politische Bestandsaufnahmen offenbar getrost verzichten.

MICHAEL HOCHGESCHWENDER

Corey Robin:

"Der reaktionäre Geist".

Aus dem Englischen von

Bernadette Ott.

Christoph Links Verlag,

Berlin 2018.

344 S., geb., 25,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Eines der einflussreicheren politischen Bücher des letzten Jahrzehnts." The Washington Monthly "Das Buch, das Trump vorhergesagt hat." The New Yorker "Ein äußerst lesenswerter Parforceritt durch die Sünden des Konservativismus." The Observer "Wir haben unsere Redakteure gefragt, was sie zuletzt gelesen haben ... Wir empfehlen u. a. Corey Robins DER REAKTIONÄRE GEIST." n+1 "Eine originelle, gebildete und meinungsstarke Darstellung einer der maßgeblichen Bewegungen unserer Zeit." Times Higher Education "Meiner Meinung nach hat Corey Robin [den Konservativismus] am besten auf den Punkt gebracht: Es geht um den Erhalt von Hierarchien." Paul Krugman, New York Times "Ein bahnbrechendes Buch ..." Rolling Stone
Jedes Mittel
ist recht

Corey Robin dämonisiert den „reaktionären Geist“

Wenn eine Lage unübersichtlich wird, ist Orientierung nötig. Das gilt im Gelände wie im öffentlichen Diskurs. Steckt man in Wald und Wiese fest, kann ein Pfadfinder helfen, zur Not auch jemand, der bei der Bundeswehr mal einen Einzelkämpferlehrgang absolviert hat. Bevor man fragt, in welcher Richtung das Ziel liegt, muss man wissen, in welcher Richtung eigentlich welche Richtung liegt. Sonst läuft man Gefahr, den falschen Weg einzuschlagen.

Im öffentlichen Diskurs sondieren Experten die Lage. Historiker erklären die Geschichte, Soziologen die Gesellschaft und Politikwissenschaftler die Politik. Weil es aber im öffentlichen Diskurs, anders als im Gelände, keine für alle sichtbaren Wegmarken gibt, müssen diese Experten auf ihre Glaubwürdigkeit aufpassen. Sie müssen ihre Beobachtungen begründen, ihre Perspektive kritisch reflektieren und nicht mit dem Ganzen verwechseln und darauf achten, dass aus dem Experten kein Aktivist wird. Das ist ein schmaler Grat. Man muss oft genau hinsehen, um zu entscheiden, ob derjenige, der einem gerade die Welt erklärt, das eine oder das andere ist.

Bei Corey Robin muss man das nicht. Schon auf den ersten Seiten seines Buches „Der reaktionäre Geist“ erklärt er dem Leser: „Mein Feld ist nicht die Empirische Politikwissenschaft, sondern die Politische Theorie.“ Robin sieht sich als einen Theoretiker, nicht als Empiriker des reaktionären Geistes und des konservativen Denkens. Welcher Art seine Theoriebildung ist, wird ebenfalls gleich deutlich. Das Grundschema des Buches ist einfach: „Seit Beginn der Moderne sind Männer und Frauen aus gesellschaftlich benachteiligten Gruppen auf die Straße gegangen und haben gegen die Machthaber in Staat und Kirche (…) protestiert. (…) Bei so gut wie jedem Schritt wehrten sich die Herrschenden dagegen mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen (…).“

Im Folgenden wird sich das konservative Denken immer wieder auf der Seite der Herrschenden, das emanzipatorische, linke, liberale Denken auf der Seite der Unterdrückten wiederfinden. Trotz dieser simplen und abstrakten Konstruktion besteht Robin auf einer empirischen Herangehensweise: „Mein Material sind Texte und Ideen, meine Methoden sind Close Reading und historische Analyse.“ Es ist gut, wenn ein Buch seine Ansprüche so klar formuliert. Das macht es leichter, es genau daran zu messen.

Der reaktionäre Geist ist die Übersetzung einer Aktualisierung. Robins Buch „The Reactionary Mind“ erschien bereits 2011, damals noch mit dem Untertitel „Conservatism from Edmund Burke to Sarah Palin“. Einige Jahre nach dem Wahlsieg von Donald Trump hat er den Untertitel an die aktuelle Situation angepasst. Er lautet nun „Conservatism from Edmund Burke to Donald Trump“. Es mag Beobachter geben, die wesentliche ideologische Unterschiede zwischen dem zeitweisen Star der Tea-Party-Bewegung, Sarah Palin, und dem aktuellen Präsidenten der USA sehen.

Für Robin gehören beide in die gleiche Tradition. Das konservative Denken zeichne sich einerseits durch bestimmte „Kernelemente“ aus, die es dem politischen Theoretiker erlauben, es dort, wo diese Kernelemente auftauchen, eindeutig zu identifizieren. Andererseits muss man dabei aber auch auf der Hut sein, denn das konservative Denken ist trickreich und verschlagen: „Der konservative Geist ist außerordentlich geschmeidig, reagiert auf Veränderungen der Geschicke und Umstände lange bevor andere sie wahrnehmen.“ Wegen dieser Eigenschaften besitze er „eine Virtuosität im politischen Taktieren, die ihresgleichen sucht“.

An dieser Stelle kann eine Anekdote weiterhelfen, die man sich über den griechischen Rhetoriker und Sophisten Protagoras erzählte. Protagoras stritt sich mit einem Schüler darüber, ob dieser ihm das Geld für die rhetorische Ausbildung, die er genossen hatte, zahlen müsse. Der Fall ging vor Gericht. Protagoras argumentierte so: Wenn der Schüler den Prozess verliert, müsse er ihn bezahlen, denn er habe verloren. Gewinnt er ihn, müsse er ihn ebenfalls bezahlen, denn das wäre der Beweis für eine erfolgreiche Ausbildung. Der Schüler entgegnete: „Ich muss in keinem Fall zahlen. Gewinne ich, muss ich nicht zahlen, denn ich habe gewonnen. Verliere ich, muss ich auch nicht zahlen, denn dann war die Ausbildung nicht gut.“

Ganz ähnlich verhält es sich mit Corey Robins Begriff des konservativen Geistes. Auf der einen Seite ist dieser Geist so schwer zu fassen, dass nur ein wahrer Experte ihm mit der Hilfe von „Close Reading und historischer Analyse“ beikommen kann. Erst die Kärrnerarbeit des politischen Theoretikers kann in der Virtuosität die Regelmäßigkeit, im politischen Taktieren die Kernelemente erkennen, die den konservativen Geist bestimmbar machen.

Man kann es aber auch umkehren: Robin legt Kernelemente des konservativen Geistes fest, die so allgemein gefasst sind, dass sich für ihn die gesamte Moderne als Geschichte von Klassenkämpfen darstellt. Konsequenterweise muss der konservative Geist deswegen „außerordentlich geschmeidig“ sein, denn dadurch wird die eigene selektive Wahrnehmung eine Eigenschaft des Gegenstandes. Man selbst beschreibt dann nur noch „Ideengeschichte“.

Robin zitiert laufend Konservative, die Aussagen über den Konservativismus treffen, um daraus allgemeine Bestimmungen über „den Konservativismus“ abzuleiten. Das ist nicht nur wissenschaftlich fahrlässig, es ignoriert auch vollkommen den jeweiligen historischen Kontext. Wo Zitate nicht passen, werden sie passend gemacht – so im Fall einer Aussage Samuel Johnsons aus dem Jahr 1779: „Ich glaube, wir wünschen uns kaum, dass der Pöbel die Freiheit haben sollte, uns zu regieren.“

Robin zieht dieses Zitat als Beleg dafür heran, dass „ein Konservativer“ im Allgemeinen gleiche Freiheiten ablehnt, der „Pöbel“ dient hier als vulgärmarxistisches Kriterium. Im englischen Originaltext folgt darauf jedoch noch ein weiterer Satz: „When that was the case some time ago, no man was at liberty not to have candles in his windows.“

Dieser Folgesatz, zusammen mit der Tatsache, dass Johnson seine Ansicht nicht etwa „verkündet“, wie Robin behauptet, sondern in einem Tischgespräch mit einem schottischen Adligen äußert, verweist auf den (wahrscheinlichen) historischen Kontext: Der „mob“ ist kein Verweis auf das Lumpenproletariat, sondern eine Anspielung auf die Zeit der „Glorious Revolution“, den Sieg Wilhelms III. von Oranien über Jakob II. am Boyne: Wer anlässlich der Siegesfeiern keine Kerze ins Fenster stellte, machte sich verdächtig, den neuen Herrscher abzulehnen.

Robin betreibt also nicht „Close Reading und historische Analyse“, sondern das genaue Gegenteil: eine selektive Lektüre, die Aussagen aus ihrem historischen Kontext reißt, um sie zur Bestätigung des eigenen Freund-Feind-Schemas zu instrumentalisieren. Entsprechend sorgenfrei springt er dann auch durch die Geschichte – Aussagen aus dem vorrevolutionären und dem revolutionären 18. Jahrhundert werden, ohne weitere Kontextualisierung, neben solche aus dem 19. und dem 20. Jahrhundert gestellt. Ob Französische oder Amerikanische Revolution, ob konfrontiert mit Sozialismus oder mit Sozialdemokratie – alles ist recht, solange es sich nur gegen die Vorstellung richtet, die Robin aus der Sicht des 21. Jahrhunderts als linksliberalen Maßstab ansetzt.

Diese fehlschlüssige Perspektive zieht sich durch das gesamte Buch. Autoren wie Burke oder Hobbes dienen vor allem als Pappkameraden, um Robins eigene politisch gefärbte Auffassung von Ideengeschichte zu bestätigen. Eine kritische Auseinandersetzung mit klügeren Büchern zum Thema, gar mit Reinhart Kosellecks „Kritik und Krise“ (1954) oder Panajotis Kondylis’ „Konservativismus“ (1986), fehlt. Man wähnt sich bei der Lektüre gefangen in einem nicht enden wollenden Blogbeitrag, in dem ein ums andere Mal bewiesen werden soll, wie absurd und menschenverachtend das konservative Denken ist.

Dass Robin dabei auch kluge Beobachtungen macht und unvermutete Zusammenhänge herausstellt, geht in seinem ideologiekritischen Furor fast vollkommen unter. Wer sich durch offensichtlich polemisch oder politisch gefärbte, seitenlange Nacherzählungen zu Burke, Hobbes und Nietzsche arbeiten muss, um zu richtigen Überlegungen zu kommen, wird selbst Close Reading betreiben müssen, um das Buch überzeugend zu finden. Historische Kontextualisierung bedeutet für Robin vor allem assoziative Lektüre. Bezieht sich Nietzsche etwa auf die Brüder Goncourt, werden deren Thesen zu einem Schlüssel für die Auslegung von Nietzsches Philosophie. Wenn dieser dann über die Umwertung aller Werte spricht, stellt Robin die ökonomische Theoriebildung daneben und erweckt so den Eindruck einer gemeinsamen Ideologie. Das nimmt bisweilen komische Formen an, wie in der Formulierung „Das war 1882. Nur ein Jahrzehnt zuvor hatte Menger geschrieben …“.

Wer aus vagen Gemeinsamkeiten, die auf eigenen stillen Prämissen beruhen, Ideengeschichte ableiten will, hat es sich nicht nur sehr einfach gemacht, sondern sorgt auch laufend für die Bestätigung der eigenen Prämisse. Der Teufel, das wusste schon die Inquisition, ist zugleich unendlich listenreich und an eindeutigen Zeichen zu erkennen. Die vulgäre Ideologiekritik hat dieses Schema nur säkularisiert, aber die Hermeneutik des Verdachts ist geblieben. Sie sorgt zuverlässig dafür, dass Komplexität auf einfache Formeln reduziert wird. Das kann man hilfreich finden. Aber selbst dann hätte es Robins Buch gutgetan, die Feindbildbestimmung einzuhegen, Konservativismus, libertären Alt- oder Neoliberalismus und Populismus klar zu scheiden. So wird aus „Der reaktionäre Geist“ nur eine Enzyklopädie dessen, was man alles schlecht finden kann, wenn man links ist. Und das ist entschieden zu wenig für den Anspruch, den das Buch an sich selbst stellt.

DANIEL-PASCAL ZORN

Corey Robin: Der reaktionäre Geist. Von den Anfängen bis Donald Trump. Aus dem Englischen von Bernadette Ott. Christoph-Links-Verlag, Berlin 2018. 344 Seiten, 25 Euro.

„Der konservative Geist ist
außerordentlich geschmeidig“,
virtuos im Taktieren

Wo Zitate nicht passen,
werden sie einfach
passend gemacht

Vulgäre Ideologiekritik
reduziert Komplexität auf
einfache Formeln

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