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August 1991: Panzer auf Moskaus Straßen, Ausnahmezustand, der sowjetische Staatspräsident unter Hausarrest. Der Putsch am 19. August markiert das Ende der Ära Gorbatschow und den von da an nicht mehr aufzuhaltenden Untergang der Weltmacht Sowjetunion. Diese Zäsur in der russischen Nachkriegsgeschichte konnte mangels solider Quellen bisher nicht verlässlich und umfassend untersucht werden. Das Buch von Ignaz Lozo schließt diese Lücke. Der Russlandexperte und ehemalige Moskau-Berichterstatter hat zahlreiche Dokumente ausgewertet, die in Russland offiziell als Staatsgeheimnisse deklariert sind,…mehr

Produktbeschreibung
August 1991: Panzer auf Moskaus Straßen, Ausnahmezustand, der sowjetische Staatspräsident unter Hausarrest. Der Putsch am 19. August markiert das Ende der Ära Gorbatschow und den von da an nicht mehr aufzuhaltenden Untergang der Weltmacht Sowjetunion. Diese Zäsur in der russischen Nachkriegsgeschichte konnte mangels solider Quellen bisher nicht verlässlich und umfassend untersucht werden. Das Buch von Ignaz Lozo schließt diese Lücke. Der Russlandexperte und ehemalige Moskau-Berichterstatter hat zahlreiche Dokumente ausgewertet, die in Russland offiziell als Staatsgeheimnisse deklariert sind, und mehr als 30 Zeitzeugen befragt, darunter ehemalige Putschisten und Michail Gorbatschow selbst. War der sowjetische Präsident, wie oft behauptet, selbst einer der Verschwörer oder zumindest stiller Mitwisser? Lozos spannend geschriebenes Buch, das in Kürze auch als Übersetzung in Russland erscheint, legt die Hintergründe des Putsches dar, erläutert die Ursachen für sein Scheitern, zeigt die politischen Folgen auf und fragt nach Gorbatschows politischer Mitverantwortung. Ein historisch-politisches "Aufklärungsbuch" im besten Sinne!
Autorenporträt
Ignaz Lozo, promovierter Osteuropahistoriker und ehemaliger Russlandkorrespondent, ist ein führender Experte zu Michail Gorbatschow und zu Russland. Er arbeitet beim ZDF als Autor von Dokumentarfilmen, produzierte unter anderem die Dokumentationen "Der Untergang der Sowjetunion", "Michail Gorbatschow - Weltveränderer und Privatmann" oder "Poker um die deutsche Einheit - Wurde Russland in der NATO-Frage getäuscht?". Michail Gorbatschow hat in seiner in Russland erschienenen Publikation "Gesammelte Werke" ausführlich aus Lozos Buch zum Putsch zitiert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.03.2021

Seine Stärke lag in seiner Schwäche
Eine Biographie über Michail Gorbatschow - den Leninisten und Reformer

Der Name der Website ist Programm: gorby.ru. Nach seinem Rücktritt als letzter und einziger Präsident der Sowjetunion hat sich Michail Gorbatschow seiner Stiftung zugewandt, deren offizielle Bezeichnung noch an ihre bürokratische Herkunft erinnert: "Internationaler Fonds sozial-ökonomischer und politologischer Analysen". Die Webadresse ruft andere Assoziationen auf: Als "Gorbi" hatte der Friedensnobelpreisträger des Jahres 1990 seine größten Erfolge vor jubelnden Menschenmassen im Ausland gefeiert. Zu Hause galt er allerdings als Totengräber einer Supermacht, als Verräter an den sozialistischen Idealen und als Verursacher einer Massenarmut.

Der Dokumentarfilmer und Fernsehjournalist Ignaz Lozo legt eine neue Biographie vor, die ein ebenso ausgewogenes wie kritisches Bild von Michail Gorbatschow zeichnet. Lozo stützt sich auf eine breite Materialbasis. Er kennt den Helden seines Buches gut: Zwischen 1992 und 2019 hat er Gorbatschow insgesamt neun Mal interviewt. Überdies hat er Gespräche mit wichtigen Akteuren wie dem amerikanischen Außenminister James Baker, dem sowjetischen Verteidigungsminister Dmitri Jasow, Kohls Berater Horst Teltschik oder dem litauischen Präsidenten Vytautas Landsbergis geführt. Schließlich ist es Lozo gelungen, frühe Bekannte von Michail Gorbatschow ausfindig zu machen und zu befragen. Diesen Zeugnissen vertraut Lozo jedoch nicht ohne Weiteres. Er gleicht seine Gesprächsinformationen immer wieder mit den publizierten Memoiren wichtiger Zeitzeugen und dem aktuellen Stand der zeithistorischen Forschung ab.

Michail Gorbatschow stammt aus einfachen bäuerlichen Verhältnissen. Er wurde 1931 in einem Dorf im Nordkaukasus geboren. Schon früh geriet seine Familie ins Räderwerk der Geschichte. Die große Hungersnot der Jahre 1932 und 1933, eine direkte Folge der stalinistischen Zwangskollektivierung, forderte in der Ukraine etwa 4,5 Millionen Todesopfer. Auch in den angrenzenden südrussischen Gebieten starben viele Menschen. Gorbatschow verlor drei Familienangehörige väterlicherseits, selbst überlebte er, weil sein Großvater mütterlicherseits eine Kolchose leitete. Beide Großväter wurden Opfer des Stalin-Terrors der dreißiger Jahre. Dabei hatten sie Glück im Unglück: Sie konnten jeweils ein Jahr nach ihrer Verhaftung zurückkehren. Als Elfjähriger erlebte Gorbatschow die Besetzung seines Dorfes durch die Wehrmacht und ukrainische Kollaborateure. Sein Vater war eingezogen worden und überlebte die Kämpfe mit viel Glück. Nach dem Krieg arbeitete der junge Gorbatschow zusätzlich zur Schule als Mähdrescherführer und bekannte später, er habe in diesen fünf Jahren "viel Staub geschluckt".

Zum Rechtsstudium ging Gorbatschow nach Moskau. Dort bezog er ein Wohnheim, in dem mehr Menschen lebten als in seinem Heimatdorf. Er engagierte sich im kommunistischen Jugendverband und wurde zum überzeugten Stalinisten. Der Tod des sowjetischen Diktators im Frühjahr 1953 war für ihn ein erschütterndes Erlebnis, obwohl der Terror auch in seiner Familie gewütet hatte. In Gorbatschows Studienzeit fällt auch die Heirat mit Raissa Titarenko, die später als elegante und weltgewandte First Lady einen entscheidenden Anteil am internationalen Prestigegewinn der Sowjetunion und ihres obersten Repräsentanten haben sollte. Erst 2012 machte Gorbatschow auch eine private Tragödie öffentlich: Das junge Ehepaar musste das erste Kind abtreiben lassen, weil Raissa an einer gefährlichen Herzkrankheit litt. 1957 kam die Tochter Irina zur Welt.

Nach dem Studium kehrte Gorbatschow in seine nordkaukasische Heimat zurück und begann eine steile Karriere im Parteiapparat. In den sechziger Jahren konnte er dabei genau beobachten, welche Mischung aus Anpassung und Auflehnung dem eigenen Fortkommen in der Partei am förderlichsten war. Es gelang Gorbatschow zu dieser Zeit, sich die Unterstützung des mächtigen KGB-Chefs Andropow und des konservativen Chefideologen Michail Suslow zu sichern. 1971 wurde er zum Vollmitglied des Zentralkomitees und gehörte damit zum inneren Kreis der Macht. Er verhielt sich nicht aus Opportunismus systemkonform, sondern pries die sozialistische Gesellschaftsordnung aus tiefer Überzeugung. Als hoher Parteifunktionär genoss er auch alle Privilegien der sowjetischen Elite. Er konnte ausgedehnte Reisen ins westliche Ausland unternehmen, nach Italien, Frankreich, den Niederlanden, Belgien und in die Bundesrepublik Deutschland. Gorbatschow bewunderte die Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaften, glaubte aber fest an die Reformierbarkeit der Planwirtschaft. Bereits 1966 hatte er sich bei seiner ersten Reise in der DDR von einem sozialistischen Anreizsystem und höherer Eigenverantwortung der Betriebe beeindruckt gezeigt. Eine Ironie der Geschichte liegt darin, dass der Hardliner Erich Honecker zwanzig Jahre später aus Ärger über die "Perestrojka" eine Einladung Gorbatschows zu einem gemeinsamen Abendessen ausschlug.

In den achtziger Jahren stieg Gorbatschows Stern weiter. Sogar der greisen Führungsclique der Partei war klar, dass die Sowjetwirtschaft hoffnungslos veraltet und nicht leistungsfähig war. Allerdings fielen den Parteibonzen, die selbst kaum über ökonomische Qualifikationen verfügten, nur stalinistische Disziplinierungsmaßnahmen ein. Gorbatschow hatte in seiner Parteilaufbahn gelernt zu warten und unterstützte sowohl Juri Andropow als auch Konstantin Tschernenko bei deren Aufstieg an die Spitze der Sowjetunion. Beide verstarben aber nach kurzer Zeit im Amt. Dass Gorbatschow 1985 zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei ernannt wurde, ist dieser für ihn glücklichen Konstellation zu verdanken. Es war allen Entscheidungsträgern klar, dass angesichts der Wirtschaftskrise ein jüngerer Politiker den politischen Prozess gestalten musste - der sinkende Erdölpreis hatte die dringend benötigten Deviseneinnahmen einbrechen lassen. Gorbatschow befasste sich als Erstes mit dem ruinösen Rüstungswettlauf mit den Vereinigten Staaten. Er kündigte einen einseitigen Verzicht auf Atomwaffentests an und lancierte eine Initiative, die bis ins Jahr 2000 eine atomwaffenfreie Welt schaffen wollte. Innenpolitisch konzentrierte er sich auf ein wirtschaftliches Programm, das die Produktion von Gütern "beschleunigen" sollte. Außerdem forderte er "Glasnost", also Transparenz über politische und gesellschaftliche Missstände. Das berühmte Schlagwort der "Perestrojka" tauchte erst später auf und blieb auf seltsame Weise konturlos. Erst 1987 veröffentlichte Gorbatschow ein umfangreiches Buch über die "Perestrojka", in dem er sein Programm zu erklären versuchte. Allerdings klaffte ein grotesker Widerspruch zwischen seinem umfassenden Modernisierungsanspruch und den rückwärtsgewandten Reformvorschlägen, die von den leninistischen Prinzipien über die Vorzüge der Planwirtschaft bis hin zu der Führungsrolle der Kommunistischen Partei reichten.

Letztlich wurde Gorbatschow zum Opfer seines eigenen Liberalisierungskurses. Seine größte Illusion bestand darin, dass er bis zuletzt an die Reformierbarkeit des sozialistischen Gesellschaftssystems glaubte. Wie ein roter Faden zieht sich die Bewunderung für den Revolutionsführer Lenin durch seine Reden. Seinen Amtsantritt als Generalsekretär stellte er prominent unter das Zeichen von "Lenins Lehre", die er als "Handlungsanweisung" und "Kompass" bezeichnete. Sogar Lenins Forderung nach der Parteilichkeit der Presse und der Medien übernahm Gorbatschow ohne Änderungen. Ganz im Geiste Lenins hielt er auch die Nationalitätenfrage in der Sowjetunion für gelöst - bis auseinanderflog, was nie zusammengehört hatte. Noch im Jahr 1990 würdigte Gorbatschow den 120. Geburtstag des Revolutionsführers und behauptete, sich von Lenin abzuwenden heiße, "die Wurzeln der Gesellschaft und des Staates" abzutrennen.

Die Liste von Gorbatschows Versäumnissen und Fehleinschätzungen ist lang: Er pries die Roten Khmer als "kambodschanische Patrioten", er hob die Verbannung des Dissidenten Andrej Sacharow verspätet auf, er verurteilte nie die Niederschlagung des Prager Frühlings, er beteiligte sich aktiv an der Verharmlosung des Abschusses eines südkoreanischen Passagierflugzeugs, er wandte sich erst knapp drei Wochen nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl in einer Fernsehansprache an die Bevölkerung, er leugnete die Existenz des geheimen Zusatzprotokolls zum Hitler-Stalin-Pakt. Gleichzeitig würdigt Ignaz Lozo Gorbatschow zu Recht aber auch als weitsichtigen Staatsmann, der den Kalten Krieg beendete und den osteuropäischen Staaten ihre Souveränität zurückgab. Entscheidend war hier die von einem sowjetischen Pressesprecher geprägte Formel der "Sinatra-Doktrin": Die Sowjetunion verzichtete freiwillig auf ihre Vormachtstellung, die Länder des ehemaligen Ostblocks konnten dem berühmten Songtext folgen: "I did it my way."

Breiten Raum nimmt in Lozos Darstellung die Frage der Nato-Ost-Erweiterung ein. Er verweist richtig darauf, dass es bei den Verhandlungen über die deutsche Einheit nie schriftliche Zusagen gegeben habe, dass sich die Nato nicht weiter ostwärts ausdehnen werde. Allerdings gibt Lozo wahrscheinlich eine zu optimistische Interpretation des Entscheidungsprozesses. Helmut Kohl musste zwischen dem amerikanischen Insistieren auf der Nato und der sowjetischen Vision einer europäischen Friedensordnung vermitteln. Der Bundeskanzler wusste auch ganz genau, dass die Wiedervereinigung Deutschlands weder in Frankreich noch in Großbritannien Begeisterungsstürme auslösen würde. Die amerikanische Regierung befürchtete zudem, dass Bonn einen separaten Deal mit Moskau abschließen und dabei die eigene Nato-Mitgliedschaft in die Verhandlungsmasse einbringen könnte. Deshalb bekräftigte James Baker bei einem Gespräch am 18. Mai 1990 in Moskau die amerikanische Forderung nach einer gesamtdeutschen Nato-Mitgliedschaft. Gorbatschow erwiderte darauf ironisch, in einem solchen Fall würde auch die Sowjetunion ein Nato-Beitrittsgesuch stellen. Im endgültigen 2+4-Vertrag über die deutsche Einheit ist die Freiheit des vereinten Deutschland verbrieft, einem Bündnis anzugehören. Die Frage einer allfälligen Nato-Ost-Erweiterung taucht hingegen nicht auf. Ignaz Lozo erwähnt zwar, dass Bonn und Moskau sich kurz vor der Unterzeichnung des 2+4-Vertrags auf eine deutsche Zahlung von 15 Milliarden Mark für den Abzug der Roten Armee verständigten, stellt aber keinen Kausalzusammenhang zwischen den beiden Ereignissen her. Dabei war genau das die amerikanische Taktik. Der damalige stellvertretende nationale Sicherheitsberater Robert Gates brachte die Methode später unverfroren auf den Punkt: "to bribe the Soviets out". Schon im Oktober 1993 machte der russische Präsident Jelzin seinem Unmut Luft und wies in einem Brief an Präsident Clinton darauf hin, dass der "Geist" des 2+4-Vertrags, der explizit eine Stationierung fremder Nato-Truppen in den neuen Bundesländern verbiete, gleichzeitig eine Nato-Ost-Erweiterung ausschließe. Putin machte in seiner erzürnten Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz von 2007 deutlich, dass er genau diese Argumentationslinie teilt. Bis heute scheiden sich in Russland und Westeuropa die Geister an Gorbatschows letztlich konsequenter Haltung, dass auch die ehemaligen Satellitenstaaten der Sowjetunion ihre militärische Bündniszugehörigkeit selbst bestimmen können.

ULRICH SCHMID

Ignaz Lozo: Gorbatschow. Der Weltveränderer.

wbg Theiss, Darmstadt 2021. 400 S., 28,- [Euro].

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