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Jens Hacke sucht die bürgerliche Idee zur Bundesrepublik
„Selbstgespräche auf Bundesebene” lautete der treffliche Untertitel, den der Literaturkritiker Friedrich Sieburg 1954 seinem zeitdiagnostischen Buch „Die Lust am Untergang” gab. „Gereiztheit, Groll und zwiespältige Gewissensregungen”, so heißt es darin, im Kapitel „Wir sind Provinz”, „nehmen bei uns Deutschen der Bundesrepublik den Platz dessen ein, was man einst das Nationalgefühl nannte. (. . .) Keine Propaganda, keine Erweckung alter Ressentiments, kein landschaftlicher Bezug vermag uns darüber hinwegzutäuschen, daß dies Provisorium, in dem wir leben, keine Seele hat und keine haben kann. Alle Versuche, uns ein Gefühl von der nationalen Wirklichkeit der Bundesrepublik einzureden, sind Selbsttäuschung.”
Für die feine Hamburger Edition hat der Historiker Jens Hacke nun eine Studie über „Die Bundesrepublik als Idee” verfasst, und man liest das schmale Buch am besten als verspäteten Anti-Sieburg, als den Versuch, dem Provisorium eine Art Seele anzudichten, etwas Begeisterndes wenigstens. Zwar galt die Republik lange als „Staat ohne Idee”, aber niemand wird dem Befund ernsthaft widersprechen wollen, dass sie eine Reihe buchenswerter Kommentare und Selbstdeutungen hervorgebracht hat. Viele davon erwähnt der Autor, er ruft konservative Technokraten, Liberale und linke Kritiker herauf. Seine Sympathie gilt sympathischerweise dem Bürgersinn und Freiheitsbekenntnissen. In der Nüchternheit der ersten Stunde habe man sie vergeblich gesucht. Großer Aufwand sei vonnöten gewesen, bis die Bundesrepublik ein Bild ihrer selbst entwickelt habe. Lässt man den Weg zur Selbstanerkennung so knapp Revue passieren, wie Hacke es tut, dann läuft am Ende wie von Zauberhand geleitet alles auf das Konstrukt „liberalkonservativer Bürgerlichkeit” zu.
Dabei gehe es im Kern um „die Entfaltungsmöglichkeiten und die Individualität des Einzelnen”, hinzu trete Aufmerksamkeit für Lebensqualität, ergänzt um die Integrationswirkung der Bürgerlichkeit. Abgerundet wird das ideenpolitische Wellnessangebot durch auf Einigung zielende Gespräche „über die gute Ordnung, das gute Leben und das Gemeinwohl”. Immer wieder müsse man sich über die Grundlagen der Politik verständigen: „Immer geht es um Ausgleich. Staatsaufgaben machen Bürgertugenden nicht obsolet; auch eine bewährte gewaltenteilige Institutionenordnung muss sich offen halten für gesellschaftliche Impulse; alternative bürgerschaftliche Initiativen müssen die Chance haben, das etablierte Parteiensystem zu bereichern.” Konkreter wird der Autor selten. Was aber, wenn der Staat seine Aufgaben nicht erfüllen will oder kann und die Bürger durch Tugendpredigt überredet werden sollen, diese zu übernehmen? So in etwa verläuft doch der Konflikt im Fall der Renten- und Pflegeversicherungen, oft auch in Bildungsfragen. Was geschieht im Falle, dass der Bürger ohnmächtig und der Staat schwach ist? Ausgleich auch dann?
Nun kann für Gegenwart und Zukunft jeder wünschen, was er mag. Das Problem dieser Studie ist ihre Schwäche im Historischen. Auf diese Weise betriebene Ideengeschichte wirkt rasch uninteressant. Da werden Zitate auf eine Perlenschnur gereiht, Argumente angedeutet. Kontexte und Konstellationen bleiben meist im Halbdunkel. Dies ist umso mehr zu bedauern, als Jens Hacke, Jahrgang 1973, sich in der bundesrepublikanischen Geistesgeschichte sehr gut auskennt und diese in der Tat einige besonders interessante Momente aufweist: etwa die Schule des „technokratischen Konservatismus” mit Hans Freyer, Arnold Gehlen, Helmut Schelsky oder die bürgerlichen Aristoteliker Dolf Sternberger und Joachim Ritter. Es fehlt ihnen allen aber in dieser Darstellung das Widerlager der Wirklichkeit. Ohne Umstände wird die „Legitimationsbedürftigkeit politischer Ordnung” zu einer Frage akademischer Zirkel erklärt. Es spricht einiges dafür, dass dies im Fall der Bonner Republik nicht ganz falsch ist, aber eben dies wäre als Besonderheit zu diskutieren, nicht schlicht vorauszusetzen. Orte, Institutionen und Verfahren der Legitimierung sind wenigstens so wichtig wie die zu diesem Zweck geäußerten Argumente und Selbsttäuschungen.
Von Helmut Schelsky stammt die Beobachtung, dass Weltsicht und Weltbild weniger von Interessen als von Herkunft und soziale Bewegungsrichtung – aufwärts oder abwärts – abhängen. Wir kämpfen meist an „Vergangenheitsfronten”. Das gilt für viele Heroen dieser Studie, die in den dreißiger Jahren geprägt worden sind, aber auch für das Buch selbst. „Wende” und Vereinigung werden, Habermas wie Dahrendorf ausgleichend und folgend, zur „revolutionären Bestätigung” der Identität des freiheitlichen Staates erklärt. Ansonsten bleibt Hackes Republik bei sich und mit sich allein. Ungestört von Empirie, Politik und Wandel führt sie die Selbstgespräche fort, die in den fünfziger Jahren begannen. Friedrich Sieburg hat sie damals verwundert als ein Neues protokolliert, Jens Hacke notiert sie nun noch einmal, als sei es Zeit geworden, sich endgültig zu verabschieden. JENS BISKY
JENS HACKE: Die Bundesrepublik als Idee. Zur Legitimationsbedürftigkeit politischer Ordnung. Hamburger Edition, Hamburg 2009. 129 Seiten, 12 Euro.
Staatsaufgaben machen Bürgertugenden nicht obsolet
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