Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 17,49 €
  • Broschiertes Buch

Welche Strategien nutzen innerparteiliche Akteure, die in Opposition zur parteioffiziellen Meinung stehen? Welche Konfliktlinien kristallisieren sich heraus, wenn die Grundwerte einer Partei Raum für unterschiedliche Auslegungen bieten? Im Fokus der vorliegenden Arbeit steht die innerparteiliche Opposition gegen die Kernenergie in der CDU. Unter Berücksichtigung aktueller Entwicklungen und auf der Basis erstmals ausgewerteten Quellenmaterials wird dabei der Frage nachgegangen, warum die Union so lange an der Kernenergie festgehalten hat und warum interne Kritiker oft chancenlos geblieben sind.

Produktbeschreibung
Welche Strategien nutzen innerparteiliche Akteure, die in Opposition zur parteioffiziellen Meinung stehen? Welche Konfliktlinien kristallisieren sich heraus, wenn die Grundwerte einer Partei Raum für unterschiedliche Auslegungen bieten? Im Fokus der vorliegenden Arbeit steht die innerparteiliche Opposition gegen die Kernenergie in der CDU. Unter Berücksichtigung aktueller Entwicklungen und auf der Basis erstmals ausgewerteten Quellenmaterials wird dabei der Frage nachgegangen, warum die Union so lange an der Kernenergie festgehalten hat und warum interne Kritiker oft chancenlos geblieben sind.
Autorenporträt
Stefan Bürgel ist Politikwissenschaftler. Sein besonderes Forschungsinteresse gilt den Rahmen- und Erfolgsbedingungen innerparteilicher Opposition.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.10.2018

Kern- und andere Spaltungen
Die Schwierigkeiten der CDU mit der friedlichen Nutzung der Atomkraft

Im Sommer 2011 beschloss die von der CDU geführte Bundesregierung den endgültigen Ausstieg aus der Atomenergie. Nachdem die Union über Jahrzehnte für die Kernkraft eingetreten war, kam diese Entscheidung denkbar überraschend. Stefan Bürgels Studie fragt deshalb, welche Rolle Atomkraftkritiker zuvor in der Union spielten und wieso die Christdemokraten so lange an der umstrittenen Technik festhielten. Nach einem kursorischen Überblick zur Geschichte der CDU, der Atomkraft und dem Protest gegen sie kann der Autor zumindest einzelne frühe Sektierer ausmachen.

So war der erste Bundestagsabgeordnete, der vehement den Ausstieg aus der Atomenergie forderte, ein Christdemokrat. Bereits seit 1974 beschwor Herbert Gruhl mit wachsender Dramatik deren Gefahren. Zwei Jahre später bezeichnete sein Bestseller "Ein Planet wird geplündert" die Atomkraft als einen faustischen Pakt, bei dem die Menschen in einem "Selbstmordprogramm" Energie gegen die Bedrohung durch tödliche Strahlen eingetauscht hätten. Dies bescherte Gruhl große mediale Aufmerksamkeit und harte Konflikte in der Union. Gruhl kritisierte generell, die CDU würde das Wachstum über das Überleben der Gemeinschaft stellen. Mitte 1978 trat er auf Druck seines niedersächsischen Landesvorsitzenden aus, obgleich prominente Parteifreunde wie Kurt Biedenkopf und Norbert Blüm zu vermitteln suchten. Gruhl war anfangs ein Aushängeschild des bürgerlichen Flügels der Grünen. Anfang 1981 verließ er diese und gründete die konservativ-ökologische ÖDP, der er bis 1989 vorstand. Im Laufe der Jahre driftete er zunehmend in rechtsextreme völkische Positionen ab. Ein prägendes Vorbild, auf das sich die Christdemokraten später berufen konnten, war er somit in langer Sicht kaum.

Gleichzeitig mit Gruhls Ein-Mann-Protest im Bundestag flammten in klassischen CDU-Hochburgen Debatten über dort geplante Atomkraft-Anlagen auf. Das galt für Whyl am Kaiserstuhl ebenso wie für das niedersächsische Wendland. Hier zeigt Bürgel, wie gespalten die dortigen CDU-Kreisverbände waren. Dass sich viele Bauern, Pastoren und die Bevölkerungsmehrheit gegen die dortigen Atomanlagen wandten und die Grünen auf Anhieb 17 Prozent in Lüchow-Dannenberg erreichten, verunsicherte auch die CDU-Spitze. Dennoch blieb ein Wandel ihrer Energiepolitik aus. Denn die dortigen Wähler hätten weiterhin zur CDU gehalten und die Atomkraft nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern nur vor ihrer Haustür, hieß es.

Ähnlich prominent wie Herbert Gruhl war unter den grünen Christdemokraten nur Franz Alt. Dieser hatte zwar weder Amt noch Mandat, war aber als kritischer Moderator des Fernsehmagazins "Report" eine bekannte moralische Autorität mit CDU-Parteibuch. Der christlich-soziale Journalist wandte sich nach dem Unfall von Tschernobyl klar gegen die Atomkraft und sprach von einem "atomaren Glücksspiel". 1988 verließ auch er die CDU und wechselte zur ÖDP.

Weniger bekannt blieb die Gruppe "Christliche Demokraten gegen Atomkraft", die die eigentliche Entdeckung des Buches ist. Sie entstand 1988 maßgeblich aus den fünf Jahre zuvor gegründeten "Christliche Demokraten für Schritte zur Abrüstung". Unter dem Vorsitz von Erwin Bürgel - dem Schwiegervater des Autors - kamen hier vor allem ältere Katholiken aus dem Rheinland zusammen, die aus christlicher Überzeugung die Atomkraft als Gefahr für das menschliche Leben ansahen. Neben Tschernobyl stießen ein vertuschter Unfall in Biblis und der Skandal um eine korrupte Entsorgung in Hanau dieses Bündnis von rund 80 CDU-Mitgliedern an. Sie demonstrierten gegen den Schnellen Brüter in Kalkar und verschickten weiträumig ihre moderate Forderung, bis 2010 aus der Atomkraft auszusteigen. Unterstützung von prominenten aktiven Christdemokraten fanden sie nicht. Nach 1990 erodierte diese Kleingruppe.

Die CDU setzte dagegen weiterhin auf die Atomkraft. Wie Bürgel ausmalt, wurde sie zur Existenzfrage der deutschen Wirtschaft stilisiert und zum Garanten des erreichten Wohlstands. Nicht thematisiert wurde, dass ihre Entwicklung und ihr Aufbau milliardenschwere Subventionen verschlangen. Vor allem die angestrebte Unabhängigkeit vom arabischen Öl rechtfertigten diese Ausgaben. Ebenso galt die Atomkraft seit den achtziger Jahren in der CDU als umweltfreundliche Energie, die den Klimaschutz sichere. Dennoch wurden bereits unter Kohl mehrere AKWs abgeschaltet, die noch nicht die maximale Lebensdauer erreicht hatten - nicht nur in Ostdeutschland. Diese damalige Vorsicht nach Tschernobyl, die sicher auch sinkenden Ölpreisen geschuldet war, verschwand jedoch. 2010 traten viele prominente Christdemokraten dafür ein, selbst für alte Kraftwerke eine deutlich längere Laufzeit einzuführen als die dann beschlossenen durchschnittlich zwölf Jahre.

Den plötzlichen Richtungswechsel nach der Katastrophe von Fukushima 2011 erklärt der Autor zum einen mit dem Umschwung der öffentlichen Meinung. Bereits vor dem Unfall traten nur noch 18 Prozent der Deutschen für eine verlängerte Laufzeit ein, danach wuchs die Skepsis noch weiter. Zum anderen habe der Erfolg regenerativer Energie, die damals bereits ein Fünftel der Stromversorgung ausmachte, die Entscheidung gefördert. Auch verfassungsrechtliche Gründe seien entscheidend gewesen. Denn ein Mitspracherecht der mehrheitlich SPD-regierten Bundesländer schien wahrscheinlich. Dennoch bleibt erklärungsbedürftig, dass von den 237 Unionsabgeordneten nur fünf gegen den Beschluss stimmten und kaum jemand protestierte. Auch einstige Befürworter längerer Laufzeiten, wie Horst Seehofer, wandelten ihre Position schlagartig.

Bürgels Studie kann insofern kaum einflussreiche Vorläufer für die Entscheidung 2011 ausmachen. Dass er von den Randfiguren der siebziger und achtziger Jahre zu Merkels zweiter Regierung springt, erschwert dies. Der langsame Wandel nach dem rot-grünen Ausstieg ist so kaum erkennbar, ebenso wenig die Haltung der Basis. Umfragen zur Atomkraft unter den CDU-Wählern werden kaum systematisch berücksichtigt. Etwas blass bleibt zudem der sprachliche Wandel in der Union, der den Ausstieg erleichterte. Schon seit dem Unfall bei Harrisburg 1979 sprach die Union zunehmend von einer Übergangstechnologie. Die Kernkraft sollte nur so lange nötig sein, bis Solar- und Windanlagen hinreichend Strom lieferten, was zumindest implizit Merkels Wende vorbereitete.

Die Entscheidung Merkels erscheint weniger ungewöhnlich, wenn man andere westliche Länder einbezieht. Viele von ihnen verabschiedeten sich bereits seit den achtziger Jahren schrittweise von der Atomkraft. Das Zeitalter der Kernkraft ist freilich nicht vorbei. In Ost-Mittel-Europa und Asien beginnt es erst.

FRANK BÖSCH

Stefan Bürgel: Das Kreuz mit dem Atom: Die Debatte um die Kernenergie und die christlichen Grundwerte der CDU.

LIT Verlag, Münster 2018. 368 S., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr