erschien Gauck der Bundeskanzlerin wegen dessen Popularität als Konkurrent. Manches spricht dafür, dass sie ihm, dem Nichtjuristen, die staatsrechtlichen Anforderungen des Bundespräsidentenamtes nicht zutrauen wollte. Mario Frank geht diesen Fragen nicht wirklich nach. Er belässt es bei der korrekten Beschreibung, Merkel habe Gauck persönlich seit langem geschätzt.
Zutreffend heißt es im Titel des Buches nicht "die", sondern "eine" Biographie, was allein deshalb angemessen ist, weil Lebensbeschreibungen aktiver Politiker unter der Ungewissheit der nächsten Tage verfasst sein müssen. Die Zeit als Bundespräsident erscheint dann wie ein aus Zeitungsarchiven entstandener Appendix zu den Beschreibungen von Gaucks Leben vor dem 18. März 2012.
Die Jahrzehnte davor werden intensiv beleuchtet: Gaucks Jugendjahre, seine Familie und Freunde, das seine politische Haltung prägende Erlebnis, wie sein Vater von der DDR-Staatssicherheit "abgeholt" wurde und für Jahre in Sibirien verschwand, sein auch im politischen Sinne aufsässiges Verhalten an der Schule, woraus wiederum folgte, dass außer einem Studium der Theologie ihm fast nichts anderes blieb, sein Zögern, ob er Pfarrer werden solle, dann seine Erfolge als Pfarrer: Gauck der Seelsorger, der Menschenfischer. Dass er ins Visier der Stasi kam, lag nahe. Dass er der Stasi nicht verfiel, war deren Akten zu entnehmen, die Gauck auch als eitel und sich in den Vordergrund drängend beschrieben, was nicht falsch, aber für nahezu alle gewöhnlich ist, die an die Spitze des öffentlichen Lebens geraten. Gauck wurde zum Antikommunisten, trat früher als andere für eine Vereinigung beider deutscher Staaten ein.
Er kam zum "Neuen Forum", wurde im März 1990 Mitglied der einzig frei gewählten DDR-Volkskammer, kümmerte sich um die Stasi-Akten - dermaßen aufklärerisch, dass es nicht nur Mitgliedern der DDR-Regierung, dem Ministerpräsidenten Lothar de Maizière und dem Innenminister Peter-Michael Diestel (beide CDU), sondern in Bonn auch Bundeskanzler (Helmut Kohl) und Bundesinnenminister (Wolfgang Schäuble) unheimlich wurde. Für nur gut einen Tag war Gauck Mitglied des Deutschen Bundestages (dorthin entsandt von der DDR-Volkskammer). Dann wurde er Chef jener Behörde, die in jenen Jahren nicht Stasi-Unterlagen-Behörde genannt wurde, sondern im Sprachgebrauch "Gauck-Behörde" hieß, was wiederum auch Ausdruck seiner Ausstrahlungskraft war. Enthalten sind die Hinweise auf sein Privatleben: seine Ehe, die trotz der mittlerweile jahrzehntelangen Trennung nicht geschieden wurde, sein Bemühen, die Kinder vom Verlassen der DDR abzuhalten, auch der Umstand, dass eine frühere Lebensgefährtin, Helga Hirsch, später mit ihm an Büchern und Reden zusammen gearbeitet hat, und ihm noch in diesem Sinne hilft.
Gauck ist kein Mann des Aktenstudiums und der Verwaltungsarbeit. Selbst Bundeskanzler haben dafür ihre Staatssekretäre und Justitiare. Gauck hat sich einen Rest freundlicher, wahrscheinlich auch kalkulierender Naivität erhalten. Die Biographie ist Ausdruck davon. Sein Mitwirken daran hatte er vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten zugesagt. Auch nach der Wahl blieb er dabei. Dass der Autor Frank dem Bundespräsidenten im Text vorhielt, Gauck habe das Buch durch seine Gesprächsbereitschaft doch tatsächlich beeinflussen wollen, ist freilich nicht Ausdruck von Gaucks Naivität. Es gab - aufsehenerregende - Besprechungen des Buches, die ein Konzentrat voll übler Nachrede verbreiteten. Stichworte: Eitelkeit, Frauenheld, Vergesslichkeit, Amtsmüdigkeit. Ebenso gut könnte das Buch als Hymne auf den Bundespräsidenten bewertet werden.
GÜNTER BANNAS
Mario Frank: Gauck. Eine Biographie. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 414 Seiten, 19,95 Euro.
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