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Jehan Sadat, die Witwe des 1981 ermordeten ägyptischen Staatschefs Anwar as-Sadat, kann sich von der Vergangenheit nicht lösen und idealisiert gleichermaßen ihren Mann wie den Islam
Vom Cover blickt eine stolze Frau, der Blick ist so majestätisch, als habe ein Hof-Fotograf seine Königin porträtiert. Und tatsächlich war Jehan Sadat, die Witwe des 1981 ermordeten ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat, zu dessen Lebzeiten eine einflussreiche Frau. Der Staatschef zeigte sich mit ihr nicht nur auf Partys und Empfängen, sondern auch auf dem politischen Parkett, eher untypisch damals für die arabische Welt. Er ließ es auch zu, dass sie ihre eigenen Projekte verfolgte – unter anderem ein Frauenkollektiv auf dem Land, das Bäuerinnen die Möglichkeit verschaffen sollte, sich selbst ein Einkommen zu erarbeiten, und eine Rehabilitationsklinik für Kriegsveteranen. Nach dem Tod ihres Mannes, der sich wegen seines Friedensschlusses mit Israel die Feindschaft radikaler Muslime zugezogen hatte, ging sie in die USA, wo sie seither an Universitäten unterrichtet und einen Lehrstuhl zum Gedenken an Anwar as-Sadat in Maryland einrichten half. Ihr Themengebiet unter anderem: erfolgreiche Frauen der arabischen Welt.
Ihr Buch hat den simplen wie prätentiösen Titel: „Meine Hoffnung auf Frieden”, was angesichts des Stillstands, ja der Rückwärtsbewegung des Friedensprozesses im Nahen Osten, um den sich ihr Text über weite Strecken dreht, tatsächlich ein wenig gespreizt klingt. Hoffnung ja – aber auf welcher Grundlage? Mit Benjamin Netanjahu und seiner Siedlungspolitik, der Unversöhnlichkeit beider Palästinenserlager, mit der Radikalisierung oder auch dem politischen Zerfall einiger muslimischer Nachbarstaaten ist ein neues Camp David, wie es Sadat einst mit Menachem Begin und Jimmy Carter bewerkstelligte, in weite Ferne gerückt.
Aber Jehan Sadat befasst sich auch nicht mit der Frage, was geschehen müsste, um diesen Prozess wieder zum Laufen zu bringen. Ihr Blick richtet sich in die Vergangenheit, auf ihren Mann, ihren Helden, und auf sein politisches Handeln – in Teilen liest sich ihr Text wie das postume Vermächtnis ihres Gatten, aber auch wie der Versuch einer postumen Ehrenrettung. Denn der Ägypter, zweifelsohne ein großer Präsident seines Landes, ein Modernisierer und ein Mann des Ausgleichs, hatte einerseits die offiziell verbriefte Freundschaft mit der Sowjetunion aufgekündigt, sich der Unterstützung der USA versichert und mit dem Sieg im Jom-Kippur-Feldzug das im Sechs-Tage-Krieg stark beschädigte Selbstbewusstsein der Araber repariert sowie die massiven Landverluste wettgemacht.
Gleichzeitig hatte er zeitweilig mit dem Erstarken des Fundamentalismus im eigenen Land zu kämpfen und setzte sich in innenpolitischen Krisenzeiten auch mit Massenverhaftungen gegen seine Kritiker zur Wehr. Bei seiner Witwe liest sich das schlicht: „Nach Anwars Auffassung war dieses rigorose Durchgreifen eine vorbeugende Schutzmaßnahme. Er sah keine andere Möglichkeit, den Friedensprozess am Laufen zu halten.” An anderer Stelle ist ihre nachträgliche Interpretation seines Handels nahezu anrührend, wenngleich auch in der Verkürzung von unfreiwilliger Komik: „Da sein Friedensangebot ignoriert wurde (Sadat hatte Richard Nixon vor dem Jom-Kippur-Krieg übermitteln lassen, er sei „zum Frieden bereit”), rüsteten sich Sadat und die Araber für den Krieg.”
Die mittlerweile 76-jährige Tochter eines ägyptischen Chirurgen und einer britischen Musiklehrerin bemüht sich außerdem um eine Art Ehrenrettung des Islam (wohlgemerkt der Religion, nicht der oftmals irrigerweise pauschal mit der gleichen Begrifflichkeit belegten Ideologie).
Sie versucht, jene Klischees zu widerlegen, die in ihren Augen eine Annäherung, ja Versöhnung von West und Ost nach 9/11 erschweren; und sie weist allfällige Klischees über ihre Glaubensgenossen in der muslimischen Welt zurück – einer Welt, die so vielfältig ist und doch allzu häufig unter Terrorismus und Frauenfeindlichkeit, Ignoranz und Modernisierungsfeindlichkeit subsumiert wird.
Jehan Sadat durchsucht den Koran und die Hadithe (Überlieferungen über den Propheten Mohammed) nach Belegen dafür, dass der Islam gerade nicht „monolithisch, demokratiefeindlich und militant” sei, wie der große Stammtisch des Westens zu wissen glaubt. Wer zulasse, dass ein paar tausend „medienerfahrene Hassprediger den Diskurs beherrschen”, schreibt sie, der übertrage diesen eine erhebliche Macht. Islam – das sei sui generis vielmehr „Mitgefühl, soziale Gerechtigkeit, Toleranz”.
Was diesem Buch fehlt, was Jehan Sadat ausklammert – und das macht die Lektüre bisweilen schwer erträglich –, ist die Realität. Das wird besonders deutlich bei ihrem dritten Schwerpunkt: der muslimischen, oder wie sie sagt „orientalischen” Frau. Diese sei keineswegs generell „rückständig und unterdrückt, unterwürfig und verschüchtert. Zwar haben alle Frauen in der muslimischen Welt noch enorme Hindernisse zu überwinden, der Islam zählt aber nicht dazu.”
Soweit, so richtig. Doch die Ägypterin wäre keine gläubige Muslimin und keine prominente Tochter ihres Landes, würde sie nicht das Frauenbild des Islam feiern und rechtfertigen – allen Zweifeln zum Trotz, dass die Lebenswirklichkeit vieler Musliminnen eben doch von Entrechtung geprägt ist. Jehan Sadat allerdings findet, der Feminismus westlicher Prägung sei ohnehin nichts für eine Frau ihres Glaubens; Mutterschaft und Familie hätten einen so hohen Stellenwert im Islam, die Rolle der Eltern und ihr Weisungsrecht über die Töchter sei traditionell so stark, dass Selbstbestimmung im westlichen Sinne nicht machbar oder erstrebenswert sei.
„Warum auch”, fragt sie, „sollten wir uns von Menschen trennen, von denen wir so viel Liebe, Weisheit, Unterstützung und Rückhalt bekommen?” Der Islam sei eine Lebensart, die völlig kompatibel sei mit den Bestrebungen der meisten Frauen, und sie darin sogar unterstütze. Auch eine sexuelle Revolution, wie sie der Westen vollzogen habe, sei nicht erstrebenswert, denn sexuelle Erfüllung finde eine Muslimin in der Ehe. Die Gleichberechtigung als islamisches Prinzip belegt sie auch hier mit Zitaten aus dem Koran; doch dass diese vielseitig auslegbare heilige Schrift den Lebensalltag von Frauen in Pakistan, Afghanistan oder Saudi-Arabien widerspiegelt, wäre denn doch eine allzu wohlwollende Lesart der Dinge.
„Er war meine Kraft, ich sein Licht”, schreibt Jehan Sadat über ihre Beziehung zum Friedensnobelpreisträger Anwar as-Sadat. Ihre Liebe und ihr Stolz auf den toten Gatten haben an diesem idealistischen, bisweilen leicht entrückten Buch mitgeschrieben.
CATHRIN KAHLWEIT
Jehan Sadat
Meine Hoffnung auf Frieden
Hoffmann und Campe, Hamburg 2009. 220 Seiten, 20 Euro.
Liebe und Stolz auf den toten Gatten: Jihan Sadat – hier bei der Eröffnung eines Museums zu Ehren ihres 1981 ermordeten Mannes Anwar as-Sadat in Kairo – schrieb eine postume Ehrenrettung des früheren ägyptischen Präsidenten. Die inzwischen 76-Jährige ist die Tochter eines ägyptischen Chirurgen und einer britischen Musiklehrerin. Foto: dpa/pa
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