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Eine junge Frau ruft sich nach dem Tod der Mutter alles ins Gedächtnis zurück, was sie von dieser leidenschaftlichen, mutigen, aber auch rücksichtslosen und egozentrischen Frau weiß, die ihr Leben drei Jahrzehnte lang bestimmt hat. "Ein ganz und gar nicht sentimentaler Mutter-Tochter-Roman." Die Zeit

Produktbeschreibung
Eine junge Frau ruft sich nach dem Tod der Mutter alles ins Gedächtnis zurück, was sie von dieser leidenschaftlichen, mutigen, aber auch rücksichtslosen und egozentrischen Frau weiß, die ihr Leben drei Jahrzehnte lang bestimmt hat. "Ein ganz und gar nicht sentimentaler Mutter-Tochter-Roman." Die Zeit
Autorenporträt
Nurowska, Maria
Maria Nurowska lebt als freie Autorin in Warschau. Im Fischer Verlag liegen folgende ihrer Romane vor: 'Jenseits ist der Tod', 'Ein anderes Leben gibt es nicht', 'Postscriptum für Anna und Miriam', 'Spanische Augen', 'Fräulein und Witwen' (zunächst erschienen unter dem Titel 'Die Frauen vom Gut Lechice'), 'Briefe der Liebe', 'Ehespiele', 'Der russische Geliebte', 'Tango für drei' und 'Wie ein Baum ohne Schatten'. Maria Nurowska ist eine der populärsten Schriftstellerinnen der polnischen Gegenwartsliteratur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.01.1998

Mamas plärrendes Kuscheltier
Bekenntnisse fürs Leben: Maria Nurowska verliert die Fassung

Dieser Roman der polnischen Schriftstellerin Maria Nurowska schlägt das abendländische Muttermodell in Scherben. Schützende Liebe, nimmermüde Fürsorge, selbstloser Dienst am Kind - von wegen! Die Romanmutter Irina ist ein egoistisches Scheusal, eine rücksichtslose Nervensäge. Die Empfindungen von Mann und Kindern kümmern sie wenig, sie braucht die Ihren als Statisterie im eigenen Gefühlstheater. Obendrein verletzt sie ständig den Kanon gesellschaftlichen Miteinanders und häuft damit Peinlichkeiten auf die Familie. Eine unmögliche Person, alles, was recht ist. Doch Tochter Magda, die uns Irinas Porträt malt, verzehrt sich in unerwiderter Kindesliebe - Kindeshaßliebe, um genau zu sein. Sie klammert sich, lebenslanger Erfahrung zum Trotz, an ihr Wunschbild von der Mutter, die sie nie gehabt hat und nie haben wird. Sie kann nicht loslassen.

Nun wissen wir spätestens seit Freud, daß die Familie nicht zwangsläufig ein wärmendes Kaminplätzchen im kalten Gespensterschloß des Daseins bietet, sondern oft genug selbst Tummelplatz von Gespenstern ist. Ein großer Teil der Literatur des letzten Fin de siècle lebt davon. Freilich leiden darin vor allem Söhne an ihren Vätern, die Beziehung von Töchtern und Müttern hat erst unser Jahrhundert so recht ins Rampenlicht gerückt. Das treusorgende Mütterlein emigrierte in die Niederungen der Heftchenromane und der Yellow Press. Die Leser, die ihm dort begegnen, haben selten eine Ahnung, was diese Idealfigur eigentlich darstellt - nämlich eine Ikone bürgerlicher Ideologie, die Definition der Rolle, die die neue Klasse des neunzehnten Jahrhunderts ihren Frauen zuwies. Vorangegangene Zeitalter kannten auch andere Mutterbilder: die Antike zum Beispiel Medea, die ihre Kinder mordet, um sich am ungetreuen Iason zu rächen; das Mittelalter die Märchenmutter, die Hänsel und Gretel in den wilden Wald verstößt, um die knappe Nahrung nicht mit ihnen teilen zu müssen.

Vergleichbare Schrecknisse gibt es genug, nicht bloß in alten Überlieferungen, auch in den Protokollen moderner Psychotherapeuten. Die klassische Psycho-Mutter, irgendwie entwicklungsgeschädigt, haßt sich selbst in der Tochter und lädt auf sie ihre Traumata ab. Die Tochter vermag die fatalen Einflüsse nicht zu verarbeiten; also wächst sie zur Kopie des haßgeliebten Vorbilds heran und wird schließlich eine Mutter vom selben Muster. Das Verhängnis vererbt sich durch die Generationen. Eben davon handelt der Roman aus Polen.

Ob und wieweit die Autorin eigene Erfahrungen abbildet, sagt sie uns nicht, und unserer Neugier setzt der Takt Grenzen. Doch waltet in der erzählten Familiengeschichte eine so überzeugende Psycho-Logik, daß man sich schlecht vorstellen kann, sie sei nichts als ein Produkt literarischen Einfallsreichtums. Wie auch immer, Maria Nurowska führt uns in der Zentralfigur Magda eine Generationsgenossin vor, die unter den gleichen politischen und gesellschaftlichen Aspekten aufwuchs wie die Autorin und zumindest in dieser Hinsicht mit ihr verschwistert ist. Geboren im vorletzten Kriegsjahr, hat das Kind Magda deutsche Verfolgung und stalinistische Inquisition, das Mädchen den mangelgepeinigten polnischen Alltagssozialisums miterlitten. In der Gegenwart des Romans, dessen polnisches Original 1977 erschien, ist Magda eine junge Frau, geschieden, ein Töchterchen.

Zu Beginn der Handlung hockt die Heldin neben dem Leichnam der Mutter. Deren Tod erstickt jeglichen Streit zwischen Magda und Irina, nichts mehr kann ausgetragen, nichts geklärt werden. Also akzeptiert Magda diesen Tod nicht, sie beginnt die ganz große Auseinandersetzung. Nie zuvor hat sie so ausführlich, so ohne Widerspruch mit der geliebten Erzfeindin rechten können. Andererseits wirkt sich gerade die Stummheit der Toten als Handicap aus. Magda muß, um Antworten zu erhalten, auch den Part der Mutter übernehmen. Die zwei Stimmen in ihrer Brust entsprechen ihren gespaltenen Gefühlen; hier empörte Auflehnung, dort Verlangen nach zärtlicher Anerkennung.

Vor allem aber entwickelt sich aus dieser Dualität ein vielfach gesplittertes Mutterporträt; Irina als junge Schönheit, der die Männer nachlaufen; als alternde Frau, geplagt von körperlichen Gebrechen, die sie vor ihren diversen Liebhabern versteckt. Irina, die ihren Ehemann demütigt, die beiden Söhne zugunsten der Tochter vernachlässigt, die Tochter mit einem Wechselbad von Liebe und Überdruß peinigt, ihr diktiert, wie sie leben soll, sie aber im Stich läßt, wenn es darauf ankommt. Es leuchtet schon ein, daß Magda mit all dem schlecht fertig wird, daß sie sich in fruchtlosem Aufbegehren verzappelt. Aber ist sie wirklich bis ans Ende ihrer Tage dazu verurteilt, als Mamas plärrendes Kuscheltier im Laufrad zu strampeln?

Maria Nurowkas Buch bietet keine Entwicklung an. Sowohl Irina wie Magda waren im Grunde schon immer, was sie in der Gegenwart der siebziger Jahre sind, nur die Kulissen wechselten. Eigentlich haben wir es weniger mit einem Roman im klassischen Sinne zu tun als mit einer Anammese. Daß Magda, während sie sich offenbart, vom Intellekt und von den gestalterischen Fähigkeiten der Schriftstellerin Nurowska profitiert, kommt ihrer Geschichte zugute. Daß die offenbarten Verhältnisse so heillos statisch bleiben, beeinträchtigt sie. Magda gerät vor der toten Mutter genauso aus der Fassung wie vor der lebenden. Unaufhörlich wiederholen sich ihre Anfechtungen - eine Dokumentation in der Endlosschleife. SABINE BRANDT

Maria Nurowska: "Jenseits ist der Tod". Roman. Aus dem Polnischen übersetzt von Albrecht Lempp. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1997. 224 S., geb., 36,- DM.

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