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Durch den Aufweis, dass allein das 'Ich denke' durch keinen Zweifel in Frage gestellt werden kann, hat Descartes im Sinn einer langen philosophiegeschichtlichen Tradition eine epochale Wende des Denkens auf sich selbst bewirkt und eine unreflektiert naive Ausrichtung auf die äußeren Dinge überwunden. Obwohl viele cartesianische Positionen heute als problematisch oder sogar als überholt beurteilt werden, scheint diese ihm zugeschriebene Wende ein Standpunkt zu sein, hinter den kein modernes Denken mehr zurückfallen darf. Die Tatsache, dass Descartes die Sicherheit des 'Ich denke' darauf…mehr

Produktbeschreibung
Durch den Aufweis, dass allein das 'Ich denke' durch keinen Zweifel in Frage gestellt werden kann, hat Descartes im Sinn einer langen philosophiegeschichtlichen Tradition eine epochale Wende des Denkens auf sich selbst bewirkt und eine unreflektiert naive Ausrichtung auf die äußeren Dinge überwunden. Obwohl viele cartesianische Positionen heute als problematisch oder sogar als überholt beurteilt werden, scheint diese ihm zugeschriebene Wende ein Standpunkt zu sein, hinter den kein modernes Denken mehr zurückfallen darf. Die Tatsache, dass Descartes die Sicherheit des 'Ich denke' darauf gründet, dass es 'clare et distincte' erkennbar sei, während die Anschauung nur zu dunklen und konfusen Erkenntnissen führe, wird in diesem Buch zum Anlass genommen, einen Blick zurück auf Platon zu werfen, der zum ersten Mal an eben diesen Kriterien Anschauung und Verstand unterschieden hat. Das frappierende Ergebnis dieses Vergleichs ist, dass auch Platons 'Seinsphilosophie' auf einer Reflexion des Denkens auf seine sicheren Grundlagen beruht, dass er aber dabei zu einem grundlegend anderen Begriff des Denkens gekommen ist. Die Überzeugung, die Antike sei durch ein seiner selbst bewusstes Denken in der Moderne überwunden worden, erweist sich als ein Vorurteil, das den Eindruck erweckt, die von Platon über Aristoteles bis ins hohe Mittelalter vertretene 'Seinsphilosophie' sei 'nur noch' historisch verstehbar, eine systematische Auseinandersetzung um die Sache sei nicht mehr sinnvoll. Am Beispiel der Erkenntniskritik durch Descartes und Platon zu zeigen, dass diese Auseinandersetzung dennoch lohnend ist, ist das Ziel dieses Buches.
Autorenporträt
Arbogast Schmitt, Professor für Literatur und Philosophie der griechischen Antike in Marburg. Forschungsschwerpunkte: Homer, Tragödie, Platon, Aristoteles, die Antithese von 'antik' und 'modern' und ihre Folgen für das Selbstverständnis der Moderne und die Deutung der Antike in der Moderne.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.12.2011

Descartes hat die Fußnoten vergessen
Arbogast Schmitt analysiert die moderne Wende der Philosophie – und räumt mit hartnäckigen Vorurteilen über das damit „überwundene“ Denken auf
Die Moderne begann um 1641. Sie begann damit, dass ein französischer Philosoph, vor dem Kaminfeuer sitzend, sich fragte, ob es denn sein könne, dass alles, was er in diesem Moment glaubte wahrzunehmen, in Wahrheit nichts als Täuschung, nichts als Einbildung sei. Träumte er nur, am Kaminfeuer zu sitzen? Lag er nicht vielleicht in Wahrheit entkleidet auf dem Bett? Waren sein Kopf, seine Arme und Füße in Wahrheit sein Kopf, seine Arme, seine Füße, oder halluzinierte er nur? Ja, könnte es nicht sein, dass ein böser Dämon ihm Wahrheiten einflüsterte, die keine waren, ihn sogar täuschte, wenn er glaubte zu wissen, dass zwei plus zwei vier sei? Könnte es sein, dass Gott gar nicht existiert?
Der französische Philosoph war natürlich René Descartes, und der Glockenschlag, der in dieser Konstruktion von Philosophiegeschichte die Moderne – im Gegensatz zur mittelalterlichen Philosophie der Scholastik, vor allem aber zur „naiven“ Seinsphilosophie der Antike –- einläutete, war sein Ausspruch: „Cogito ergo sum.“ Ich denke, also bin ich. Was könnte nach all dem Zweifel gewisser sein als die Tatsache, dass, wann immer ich mir sicher bin, zu denken, ich auch Subjekt dieses Denkens sein und also als solches existieren müsse? Selbst wenn alle Inhalte meines Denkens – die Repräsentationen der Außenwelt – nichts als Trug und Schein sind, so darf doch als gewiss gelten: Ich bin es, der oder die hier denkt, auch wenn ich mich in allem, was ich denke, irre.
Die Besinnung des Denkens auf sich selbst. Welch ein Durchbruch. Welche Abkehr von der mehr als 2000 Jahre alten Tradition antiken Philosophierens, der es nie recht gelungen war, das Denken als solches zu denken, ohne in eine leichtgläubige Abhängigkeit von den „seienden“ Dingen zu verfallen. Welch ein radikaler Schritt aber auch für die Wissenschaft. Wenn es einen unveräußerlichen, unanfechtbaren Punkt gibt, von dem kraft seiner absoluten Gewissheit alles andere abgeleitet werden kann, dann kann man alle Annahmen über die Welt, an denen man zuvor gezweifelt hat, schrittweise wieder einführen. Denn sie wurden reingewaschen durch die Katharsis des universellen Zweifels und dürfen nun im glänzenden Universum des cartesischen Rationalismus ihren Platz mit größerer Berechtigung denn je einnehmen.
Die rationalistische, dualistische Philosophie des René Descartes ist viel und ausführlich kritisiert worden, hat somit auch völlig neue Denkweisen entstehen lassen. Descartes ist ein Philosoph, an dem sich die Nachgeborenen abgearbeitet haben, den sie zu widerlegen suchten und dessen Denken sie auf seine unausgesprochenen Voraussetzungen abtasteten. Insofern hat er tatsächlich neue Formen des Philosophierens ermöglicht, und insofern hat wohl auch die Rede von der Besinnung des Denkens auf sich selbst ihre Berechtigung. Nur: War das wirklich so neu? Und vor allem: Tut man nicht dem älteren abendländischen Denken gewaltiges Unrecht, wenn man es „naiv“ nennt?
Der Gräzist, Philologe und Philosoph Arbogast Schmitt, der seit seiner Marburger Emeritierung als Honorarprofessor an der Freien Universität Berlin lehrt, hat sich viel mit Descartes beschäftigt, vor allem aber ist er ein großer Exeget antiker Philosophie, deren Verschränkungen und Besonderheiten er bis ins Kleinste kennt und denen er nüchtern und gleichzeitig liebevoll nachspürt. Sein Ziel ist es, der antiken Seinsphilosophie, die häufig fast schon als schrullig und anachronistisch wahrgenommen wird, wieder zu ihrem Recht zu verhelfen, ihre Lebendigkeit zu bewahren.
Schmitt will Missverständnisse ausräumen und vor allem der Vorstellung einer „naiven“ Antike entgegentreten. Die Unterstellung von der „Naivität“ platonischen Denkens ist trotz aller Kritik am neuzeitlichen Rationalismus immer noch eine Art unangetasteter Gemeinplatz, auf dem sich auch die zeitgenössische Philosophie trifft. Schmitt zeigt nun in seinem Buch „Denken und Sein bei Platon und Descartes“, dass das Verhältnis von Denken und Sein, das der Cartesianismus nahelegt, auf gewisse Weise viel reduktionistischer und somit – naiver ist als das der antiken Philosophen.
Denn wo Descartes’ von Körper und Welt gelöstes Subjekt die Dinge nur noch als bloße mathematisch berechenbare Gegebenheiten erkennen kann, deren Evidenz durch die nachwirkend wiedereingeführte Annahme eines wohlwollenden Gottes garantiert wird, hatte Platon eine ungleich differenziertere Vorstellung davon, wie das Denken zur Welt gelangt – beziehungsweise, wie es gar nicht erst zu ihr gelangen muss, weil es immer schon bei ihr ist: Platons Grundgedanke aus der „Politeia“ lässt sich, so Schmitt, durch die Formulierung „Nur Seiendes kann erkannt werden“ wiedergeben. Damit sei aber keineswegs „das Wirkliche“ im Sinne von in der Welt existierenden Gegenständen gemeint. Vielmehr könne „nur unterscheidbar Bestimmtes“ erkannt werden.
Mit dieser Interpretation verweist Schmitt auf den ganzen subtil aufgefächerten Wunderkosmos des antiken Denkens. Wenn „nur unterscheidbar Bestimmtes“ erkannt werden kann, hat das bei Platon nämlich zunächst einmal keineswegs bedeutet, dass auch unterscheidbar Bestimmtes existiert, sondern lediglich, dass ich mich als Denkender mit Hilfe von Ratio und Intellekt im Prozess der „Analysis“ darüber klar werden muss, was ich meine, wenn ich von etwas rede.
Nahezu plump erscheint im Gegensatz dazu Descartes, der daraus, dass er als Denkender etwas „Bestimmtes“ zu sein scheint, folgert, dass er als dieses „Bestimmte“ auch existiert. Durch die Gleichsetzung von „Bestimmt Erkennbarem“ und „Existentem“ bei Descartes werden auch die zu erkennenden Dinge zu reinen Gegebenheiten – der Prozess des Erkennens selbst kann innerhalb dieses Denkens aber nicht mehr beschrieben werden. Den Begriff des „Bestimmten“ (Distinctum) übernimmt Descartes von Platon – aber er reduziert ihn gewaltsam, ohne sich mit seiner Tradition auseinanderzusetzen, indem er aus ihm etwas manifest Existentes und somit automatisch auch Erkennbares macht.
Es gibt das Bonmot von Alfred North Whitehead, die philosophische Tradition Europas bestehe aus nichts als einer Reihe von Fußnoten zu Platon. Folgt man Arbogast Schmitt, so hat Descartes nicht nur vergessen, die Fußnoten zu setzen, also seine eigenen platonischen Quellen anzugeben; sein Denken hat auch eine Tradition in die Wege geleitet, welche die Subtilitäten der antiken Philosophie verkennt und verdunkelt – bis heute.
HANNAH LÜHMANN
ARBOGAST SCHMITT: Denken und Sein bei Platon und Descartes. Kritische Anmerkungen zur „Überwindung“ der antiken Seinsphilosophie durch die moderne Philosophie des Subjekts. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2011. 169 Seiten, 25 Euro.
Tut man dem älteren
abendländischen Denken Unrecht,
wenn man es „naiv“ nennt?
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Das rein Gegebene bei Descartes findet Hannah Lühmann nun doch etwas zu simpel. Das platonische Denken hingegen kann sie nach der Lektüre von Arbogast Schmitts Schrift über "Denken und Sein bei Platon und Descartes" gleich viel höher schätzen. So nüchtern und zugleich liebevoll der Autor seine Exegese betreibt, so klar stellt er der Rezensentin die Lebendigkeit und Differenziertheit antiker Philosophie vor Augen, namentlich des Seinsbegriffs beim alten Platon. Im Hinblick auf die andauernde Verkennnung platonischer Ideen im direkten Vergleich zum Cartesianismus eine bemerkenswerte Arbeit, findet Lühmann.

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