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Fast 25 Jahre nach seinem Bestseller 'Unsere postmoderne Moderne' legt Wolfgang Welsch eine neuartige und tiefer gehende Infragestellung der Moderne vor. Als zentral für die Moderne sieht er das anthropische Prinzip an: In allem ist vom Menschen auszugehen, alles ist auf den Menschen zu beziehen; der Mensch ist das Maß der Welt, die Welt ist Menschenwelt - und nichts sonst, nichts darüber hinaus.
Dem stellt er kritisch eine Reihe von Phänomenanalysen und die Skizze einer Anthropologie auf evolutionärer Grundlage entgegen. Indem nicht die Welt vom Menschen her, sondern zuerst einmal der
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Produktbeschreibung
Fast 25 Jahre nach seinem Bestseller 'Unsere postmoderne Moderne' legt Wolfgang Welsch eine neuartige und tiefer gehende Infragestellung der Moderne vor. Als zentral für die Moderne sieht er das anthropische Prinzip an: In allem ist vom Menschen auszugehen, alles ist auf den Menschen zu beziehen; der Mensch ist das Maß der Welt, die Welt ist Menschenwelt - und nichts sonst, nichts darüber hinaus.

Dem stellt er kritisch eine Reihe von Phänomenanalysen und die Skizze einer Anthropologie auf evolutionärer Grundlage entgegen. Indem nicht die Welt vom Menschen her, sondern zuerst einmal der Mensch von der Welt her zu begreifen ist, ist den anthropischen Spiegelspielen der Moderne der Boden entzogen, und eine neue Denklandschaft zeichnet sich ab.
Autorenporträt
Wolfgang Welsch, geboren 1946, ist Professor für Theoretische Philosophie am Institut für Philosophie der Friedrich Schiller-Universität Jena
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.08.2012

In unserem Erkennen erfasst sich die Welt
Wolfgang Welschs radikaler philosophischer Neuansatz versöhnt Natur und Kultur – und deren Wissenschaften gleich dazu
„Seit langem trieb mich ein Unbehagen an der modernen Denkform um.“ So beginnt Wolfgang Welsch den eintausend und vier Seiten dicken Band „Homo mundanus“. Der Philosoph galt bisher als einer der wenigen wichtigen deutschen Vertreter der Postmoderne, hatte typischerweise stets den Dialog mit den Künsten gepflegt, war aber auch als profunder Aristoteles- und Hegel-Kenner hervorgetreten.
  Jetzt scheint er, der vor kurzem von der Universität Jena emeritiert wurde, so etwas wie die Summe ziehen zu wollen – und könnte, hätte er Recht mit dem, was er sagt, tatsächlich so etwas wie eine philosophische Revolution auslösen. Denn neben „Homo mundanus“ sind allein im letzten halben Jahr drei weitere Bücher in unterschiedlichen Verlagen erschienen, in denen Welsch allesamt gegen das argumentiert, was er das „anthropische Prinzip“ nennt: dass der Mensch die Welt als seine Konstruktion begreift.
  Die europäische Neuzeit lebt vom Dualismus zwischen Materie und Geist, Sein und Bewusstsein, Natur und Vernunft, Welt und Mensch. Darin besteht das Subjekt-Objekt-Denken Descartes’, darin besteht aber auch der Empirismus eines Berkeley oder Hume, darin besteht das Postulat Kants, dass die äußeren Dinge „nichts als bloße Erscheinungen, d.i. Vorstellungen in uns sind“ und darin besteht Fichtes und jeder sonstige Idealismus. „Der Mensch ist der einzigartige Begriff, von dem man ausgehen und auf den man alles zurückführen muss“, bringt Diderot in der Enzyklopädie den, wie Welsch es nennt, „Generalbass der Moderne“ auf den Punkt.
  Die historischen Wurzeln liegen für ihn freilich in einer eigentümlichen Ambivalenz der Renaissance: Einerseits verliert der Mensch mit der Erkenntnis, dass die Erde sich um die Sonne dreht, das Vertrauen in seine Sinne. Zeitgleich aber beginnt etwa Pico della Mirandola in „Über die Würde des Menschen“ die Ausnahmestellung des Menschen als Vernunftwesen zu betonen und Freiheit als Emanzipation von der Natur zu begreifen. Der Mensch wird damit zum Weltfremdling. Aber je tiefer diese Entfremdung werde, so Welschs These, desto mehr beginne der Mensch, die Welt als Konstrukt seines einzigartigen Geistes zu deuten. Mit der Zentralperspektive der Renaissance blicken wir nur noch durch ein Fenster, deuten aber da draußen die Welt als Vorstellung, wie Schopenhauer seinen Teil der immer gleichen Erzählung fassen wird. „Unser Erfahrungs- und Erkenntnisgeschäft“, summiert Welsch in der Reclam-Neuerscheinung „Blickwechsel“, „ist ein Spiel bei geschlossenen Türen.“
  Welsch ist ein brillanter Stilist und wie er auf hunderten Seiten die gesamte westliche Philosophiegeschichte durchdenkt, prüft und bestens lesbar darstellt, muss für meisterlich selbst halten, wer ihm nicht zustimmt. Denn die große Opposition der Neuzeit findet für Welsch ihr Ende in einem ausweglosen Um-sich-selbst-Kreisen der gegenwärtigen akademischen Philosophie. Die Analytische Philosophie setzt für ihn nämlich im Grunde einfach den deutschen Idealismus fort, auch wenn sie die Welt an den Grenzen der Sprache statt an denen des Geistes oder des Ichs enden lässt. Zugleich schreibt der gesamte Apparat der Kulturwissenschaften nichts als den guten alten Historismus weiter: Indem alles mit wachsenden Binnendifferenzierungen als kontext-, sozial-, geschichtsgebunden gilt und Natur selbst noch als kulturell konstruiert gedeutet wird, bleibt alles hübsch relativ.
  Die Philosophie ist als Weisheits- und Erkenntnislehre deshalb eigentlich längst tot. Es seien, schreibt Welsch in der Neuerscheinung „Mensch und Welt“, „die modernen Denkformen insgesamt tendenziell idealistisch. Ob sie sich selber so nennen oder nicht, ist sekundär.“ Zwar habe zum Beispiel Gottlob Frege zu Beginn des 20. Jahrhunderts postuliert, dass zumindest logisch-mathematische Formen universal gültig und damit schlechthin wahr sein müssen, auch Husserl, Heidegger, Adorno oder Foucault hätten den Anthropozentrismus angegriffen. Aber: „Man weiß immer schon die Antwort auf alle Fragen. Sie lautet: ‚Es ist der Mensch.‘“ Die Folgen? Intellektuelle Lähmung, Sattheit, Selbstzufriedenheit.
  Deshalb stellt Welsch sich nun auf die Position des Kindes im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern und fragt: Warum eigentlich? Und stellt durchaus überzeugend fest, erstens: dass das anthropische Prinzip eine unbewiesene Annahme und damit letztlich ein Dogmatismus ist. Dass die Welt nicht genau so sei, wie der Mensch sie sich vorstelle, könnte nur ein unabhängiger Beobachter zwischen beiden feststellen. Zweitens: Der Dualismus erweise sich selbst als kulturgebunden; der asiatischen Philosophie, wie sie Welsch in dem Band „Immer nur der Mensch?“ an dem japanischen Philosophen Dogen exemplifiziert, sei er völlig fremd. Drittens: In der Gestalt der Sophistik – und einigen empiristischen und skeptischen Strömungen – kannte die antike europäische Philosophie durchaus das Postulat einer sozialgebundenen Weltsicht, und im einflussreichen Satz vom Menschen als „Maß aller Dinge“ reicht Protagoras Diderot die Hand.
  Doch die „Hauptstromphilosophen“ der Antike, wie sie Welsch nennt, betreiben durchgängig „Adäquanzsicherung“: Schon für Heraklit galt es, den subjektiven Blick gerade zugunsten einer objektiven Orientierung am universalen Logos zu überwinden. Platon postuliert, dass die Welt nach eben jenen Anschauungsformen geformt sei, die auch uns angeboren seien. Aristoteles hält die Welt selbst für „geistsüchtig“. Immer beschreibe sich, so Wolfgang Welsch, Erkenntnis gerade dadurch, dass sie etwas schlechthin Zutreffendes erkenne.
  Das wiederherzustellen, könnte man für einen konservativen Impuls halten; Robert Spaemann etwa haben ähnlichen Fragen beschäftigt. Doch das Faszinierende und Neue bei Welsch ist, dass er gegen den Dualismus jene Erkenntnisse ins Spiel bringt, die die Philosophie seiner Ansicht aus reiner Besitzstandswahrung ignoriert: die der Naturwissenschaften. Welschs Unternehmen ist eines der Versöhnung der „zwei Kulturen“. Wenn nämlich die Evolutionstheorie, so lautet sein zentrales Argument, damit Recht hat, dass jedes Lebewesen sich der Umwelt anpasst, dann bedeutet das gleichzeitig auch, dass es seine Umwelt prinzipiell zutreffend erkennen muss. Schon Bakterien erweisen sich in diesem Sinne als „Erkenner“, indem sie in Zucker zu Recht eine Nährlösung „erblicken“. Eine Biene fliegt ebenso wenig gegen einen Baumstumpf, wie ein Kleinkind dagegen läuft. Dass Baumstümpfe undurchdringlich sind, bleibe also objektiv gültig.
  „Ich behaupte“, so Welsch in „Mensch und Welt“, „dass unser Elementarwissen weltrichtig ist, dass es sich dabei um veritables Weltwissen handelt“. Der Grund liege darin, dass unsere Sinne in der Evolution exakt auf jene Qualitäten hin entstanden seien, die sie erfassen. Dem menschlichen Sehen ist das Wissen angeboren, ob sich ein Gegenstand vor einem Hintergrund bewegt oder umgekehrt der Hintergrund. Umwelt und Lebewesen, Natur und Geist, Sinn und Sinne, Erkanntes und Erkennen sind vollständig ko-evolutiv. Für Welsch liegt in der Evolutionstheorie deshalb nicht nur der Ausweg aus dem modernen Dualismus, sondern sogar aus dem älteren der klassischen Tradition. Diese habe eine Doppelnatur des Menschen aus Körper und Geist postulieren müssen, ohne sich den Zusammenhang beider erklären zu können.
  Welsch zitiert naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse nicht nur ebenso geläufig wie Hegel, er verbindet beide auch zu einem neuen Argument: Hegel, erinnert er in „Immer nur der Mensch?“, deutet das Zu-sich-selbst-Kommen des Geistes ebenfalls als evolutiven Prozess: In der Logik entfaltet sich also nichts als der Logos selbst. Genau diesen Vorgang beschreibt in den Naturwissenschaften die Evolutionstheorie. Dass mathematische Formeln natürliche Vorgänge zutreffend beschreiben – eines der größten Probleme der Philosophiegeschichte –, findet seine Erklärung bei Welsch darin, dass erstere zugleich mit letzteren entstanden sind. Neurobiologen haben tatsächlich zeigen können, dass mathematische Formen in neuronalen Prozessen verankert sind. Unsere Logik, so Welsch, sei buchstäblich onto-logisch, hegelianisch lasse sich sagen: „In unserem Erkennen erfasst sich die Welt.“
  In seiner Verbindung aus Epistemologie und Ästhetik, aus Naturwissenschaft, Geschichte und Philosophie setzt Welsch selbst geradezu Hegels systemischen Anspruch fort. Deshalb postuliert er für den Bereich der Ästhetik in der Neuerscheinung des Reclam-Verlags auch folgerichtig, dass es eben solche selbstevolutiven, sich selbst organisierenden Systeme sind, die wir gemeinhin als schön empfinden. Dass Schönheit nur im Auge des Betrachters liege, hält Welsch für ein widerlegbares Axiom der Moderne. Empirisch sowieso: Neben zahllosen kulturell codierten hat die Ethnologie der vergangenen Jahrzehnte einige transkulturelle ästhetische Präferenzen für Menschen aufzeigen können. Aber auch philosophisch: Weil eben Selbstorganisation „das allgemeinste ontologische Prinzip der Natur“ sei, so Welsch, sei „unser ästhetischer Sinn geradezu extrem objektiv orientiert“. Mit anderen Worten: In der Erfassung natürlicher Schönheit feiert das Gehirn exakt die „Passung“, die gemeinsame Geschichte zwischen Mensch und Welt, gegen die die Philosophie der Neuzeit argumentiere. Aber auch Künstler haben den Schaffensprozess vielfach so beschrieben, dass nicht sie die Kunstwerke konstruieren, sondern dass diese sich quasi unter ihren Händen selbst generieren. Deshalb sprengt auch Kunst den Kokon der vorgeblichen Weltfremdheit. Wenn wir uns beim Musikhören also eins mit der Welt wissen, hat das nach Welsch nichts mit romantischem Mystizismus zu tun, sondern ist die vollständig präzise Beschreibung des entsprechenden Erkenntnisvorgangs.
  Hatte es in den vergangenen Jahren oft vulgär gewirkt, wenn die Evolutionsbiologie auf andere Gebiete übertragen wurde, so verfällt Welschs Ansatz also keinem der gängigen Reduktionismen. Er betont vielmehr beständig, dass beim Menschen bereits vor ungefähr 40000 Jahren die kulturelle eine rein genetische Innovation abgelöst habe und dass seitdem auch kulturelle Faktoren Selektionsdruck erzeugen. Seitdem siegen nicht noch immer, wie diverse Ratgeber die Evolutionstheorie verstehen, die Muckis, sondern meistens das Köpfchen. „Die Protokultur hatte unsere Natur hervorgebracht“, schreibt Welsch in „Homo mundanus“, „die Kultur agiert diese aus.“ Der Mensch bleibe das „Kulturwesen par excellence“, weil einzig bei ihm die kulturelle Evolution auch ohne weitere genetische voranschreite. Kultur lässt sich deshalb ebenso wenig auf Natur reduzieren, wie umgekehrt Natur sich auf Kultur reduzieren lässt, was wiederum die Kulturwissenschaften tun. Der Mensch ist nicht besonders an Eigenschaften, aber sehr besonders in ihrer Nutzung. Wenn die Naturwissenschaften zunehmend entdecken, dass Tiere über ähnliche Erkenntnisvermögen verfügen wie wir, ist also die Einzigartigkeit des Menschen nicht bedroht. Bedroht ist nur das anthropische Prinzip, weil dieses zur seiner Aufrechterhaltung einen absoluten Gegensatz zwischen Mensch und Welt, Mensch und Natur erzählen muss. Welsch, könnte man formulieren, gibt in seiner Doppelargumentation dem Menschen sozusagen den in der Renaissance verlorenen Platz als Krone der Schöpfung zurück, indem er ihn in diese allererst wieder einbettet. „Wir sind von Grund auf nicht Weltfremdlinge, nicht Aliens in dieser Welt“, heißt das in „Mensch und Welt“, „sondern wir sind durch und durch welteinheimisch und weltverbundene Wesen.“ Der Mensch ist nicht homo humanus, sondern homo mundanus – Weltmensch.
  Revolutionen waren bekanntlich immer schon Restaurationsversuche mit progressivem Ausgang. Welschs Entwurf erweist sich als höchst zeitgenössisch nicht nur darin, dass er in Zeiten der Globalisierung die natürlichen wie kulturellen Gemeinsamkeiten zwischen allen Menschen betont. Den Anthropozentrismus zu überwinden, fordert derzeit keineswegs nur die „documenta“ mit ihrer reduktionistischen Hundekunst. Sollte Welsch sein System demnächst auch auf die Ethik ausweiten, könnte er die händeringend gesuchte transkulturelle Ethik ebenso mühelos begründen wie die vieldiskutierten Tierrechte. Der Tod des cartesianischen Subjekts ist schon lange ausgerufen, Ganzheitlichkeit angesagt, allzu radikaler Individualismus als zerstörerisch verschrien.
  Auch Welsch fordert etwa, Architektur wieder stärker an der Natur statt an menschlichen Bedürfnissen zu orientieren. Wenn er dann ein wenig ins Schwärmen gerät über den neuen Einklang und eine Philosophie als Weisheitslehre gleich dazu, klingt er fast wie das Mastermind der Grünen. „Dass man atmen kann, ist ohnehin mein Hauptkriterium in allen Dingen“, heißt das im Reclam-Verlag, „in Sachen Stadt und Umwelt ebenso wie in der Philosophie und in persönlichen Beziehungen.“ Welsch argumentiert dafür gegen fünfhundert Jahre Philosophiegeschichte und nahezu die gesamte philosophische Wissenschaft dazu – das wird ihm in den kommenden Jahren ebenso berechtigte wie unberechtigte Kritik einbringen. Dass er gelesen wird, bleibt in jedem Fall zu wünschen.
MICHAEL STALLKNECHT
  
WOLFGANG WELSCH: Homo Mundanus – Jenseits der anthropischen Denkform der Moderne. Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2012. 1004 Seiten, 78 Euro.
Mensch und Welt – Eine evolutionäre Perspektive der Philosophie. Verlag C. H. Beck, München 2012. 191 Seiten, 14,95 Euro.
Blickwechsel – Neue Wege der Ästhetik. Reclams Universalbibliothek, Stuttgart 2012. 339 Seiten, 9,80 Euro.
Immer nur der Mensch? Entwürfe zu einer anderen Anthropologie. Akademie Verlag, Berlin 2011. 339 Seiten, 49,80 Euro
Muss die Antwort immer
„der Mensch“ lauten?
Es scheint, als setze er Hegels
systemischen Anspruch fort
Wir sind nicht Weltfremdlinge,
sondern welteinheimisch
  
  
Wolfgang Welsch ,
geboren 1946,
ist als Theoretiker der Postmoderne ebenso bekannt geworden wie als Aristoteles- und Hegel-Kenner. Er lebt in Berlin.
Foto: Universität Jena
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