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Seit jeher beschäftigt der Traum unser Denken. Er fasziniert und erscheint doch als zutiefst fremd: etwas Andersartiges, Unwirkliches. Was aber ist es, das den Traum von der Wirklichkeit unterscheidet?

Produktbeschreibung
Seit jeher beschäftigt der Traum unser Denken. Er fasziniert und erscheint doch als zutiefst fremd: etwas Andersartiges, Unwirkliches. Was aber ist es, das den Traum von der Wirklichkeit unterscheidet?
Autorenporträt
Petra Gehring ist Professorin für Theoretische Philosophie an der TU Darmstadt. Bei Campus erschienen von ihr »Foucault - Die Philosophie im Archiv« (2004) und »Was ist Biomacht?« (2007).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.09.2008

Vor dem Moment des Erwachens

Was sagen meine Träume? Dieser Menschheitsfrage hat die Philosophin Petra Gehring ein hinreissendes Buch gewidmet. Es zeigt, warum man aus den Theorien des Traums immer auch etwas über die Wirklichkeit lernt.

Jede Nacht geben wir unseren Geist auf und sinken in den Schlaf. Wir finden nichts dabei, die Welt fahrenzulassen. Mit der Aussicht freilich, wieder in ihr anzukommen, erfrischt oder auch zerschlagen. Dazwischen liegt nicht nur der Schlaf, sondern manchmal auch der Traum. Oder sollte der Traum immer im Spiel und nur die Erinnerung an unsere nächtlichen Traumerlebnisse eine recht selektive Angelegenheit sein? Bloß, welchen Status wollten wir einem Traum zusprechen, an den wir uns nach dem Erwachen nicht erinnern? Und könnte nicht der artikulierbare Traum erst im Moment des Erwachens Form annehmen oder wenn wir dazu ansetzen, ihn uns selbst oder anderen zu erzählen? Ganz abgesehen von der Frage, was sich dann mit dieser Erzählung anfangen lässt.

Es sind wenige Schritte, mit denen man bei der merkwürdigen Unfassbarkeit des Traums anlangt. Nicht nur, weil seine Inhalte befremdlich und schwer zu fassen sein mögen, sondern weil er als Phänomen selbst nicht eindeutig festzulegen ist. Sprechen wir von ihm, befinden wir uns jenseits der Schwelle, die uns von der Sphäre trennt, der er angehören soll. Und das ist nicht irgendeine Schwelle: Die Grenze zwischen der Wirklichkeit des Wachens und jener des Traums lässt sich nicht von einem neutralen Standpunkt aus ins Auge fassen, der keinem oder beiden Bereichen angehören würde. Was den Traum ausmacht, ergibt sich deshalb nicht einfach aus einem Vergleich zwischen zwei schlicht gegebenen Bereichen, sondern ist das Resultat einer unumgänglichen Operation: Traumwirklichkeit und "wirkliche" Wirklichkeit voneinander abzusetzen.

Wie diese Operation ausgeführt wird, das bestimmt, welcher Stellenwert dem Traum jeweils zugesprochen wird. Aber gleichzeitig sollte sich an solchen Verhältnisbestimmungen dann auch zeigen, was es mit der vom Traum abgetrennten eigentlichen Wirklichkeit auf sich hat: welche Charakteristika sie auszeichnen, welche Erwartungen an sie geknüpft, welche Techniken zu ihrer Bewältigung anempfohlen werden. Mit anderen Worten: Eine Geschichte der verschiedenen Bestimmungen des Traums sollte sich auch als Geschichte der mit ihr verknüpften Wirklichkeit verstehen lassen.

Eine solche Geschichte der Wirklichkeit ist der Fluchtpunkt von Petra Gehrings Darstellung der verschiedenen Weisen der Unterscheidung zwischen Traum und Wirklichkeit im westlichen Denken. Herangezogen hat die in Darmstadt lehrende Philosophin dafür mehr oder minder ausgearbeitete Traumtheorien, sofern diese bei der Unterscheidungsfrage nur grundsätzlich genug verfahren, als zeittypisch gelten dürfen oder Perspektiven von nachhaltiger Wirkung ins Spiel brachten. Nicht die ganze Breite verschiedener Traumdiskurse und mit ihnen verknüpfter Praktiken soll also inventarisiert werden. Der Akzent liegt vielmehr auf Traumtheorie, und damit wird tiefer gezielt: auf Grundfiguren der Verhältnisbestimmung von Traum und Wirklichkeit.

Wenn wir wach sind, wissen wir darum. Doch wenn wir träumen - sogenannte Klarträume einmal beiseitegesetzt -, wissen wir nicht, dass wir träumen. Das ist der Befund, auf den Philosophen von Plato bis zur Neuzeit setzten, wenn sie die Frage ins Spiel brachten, worin sich eigentlich die reale von der geträumten Wirklichkeit letztlich unterscheiden lasse. Wir könnten doch, wenn wir nur nach den sinnlichen Eindrücken und Empfindungen gingen, alles das träumen, was wir für wirklich halten: Das wirft schon Sokrates spielerisch ein, um die bloß sinnlich vermittelte Erkenntnis um ihren Wahrheitskredit zu bringen.

Descartes scheint dieses Argument zweitausend Jahre später ganz ähnlich zu verwenden, wenn er das Beispiel des Traums verwendet, um sein Verfahren des Zweifels an allen sinnlichen Gewissheiten zuzuspitzen. Doch bei ihm wird der Traum dabei zur trügerischen Täuschung, die Traumwirklichkeit zum mangelhaften und verworrenen Derivat der einen realen Wirklichkeit. Keine Rede ist mehr davon, dass wie bei Plato zwei Wirklichkeiten eigenen Wesens aneinanderstoßen, die nicht gegeneinander aufgerechnet werden können.

Bei Descartes bekommt die Sache bei aller Abgehobenheit einen dramatischen Zug, der sich nicht mehr durch die Evidenz des Übergangs zwischen Wachen und Schlafen ganz pragmatisch bannen lässt, wie es der Antike selbstverständlich war. Zuletzt braucht es bei ihm immerhin die Garantie des Schöpfergottes, um dem äußersten Fall der Weltvortäuschung durch einen bösen Geist vorzubeugen. Und dieser Geist wäre kaum überzeugend zu fingieren gewesen, hätte er nicht seine antike dämonische Natur inzwischen christlich diszipliniert und aufs Verführungswerk gerichtet. Nicht auf die Sünde führt es in diesem Kontext, sondern zum Irrtum, der vorerst zur Signatur des Traums wird. Anhaltspunkte für die bessere Bewältigung der Wachwirklichkeit - von der Antike bis zur Renaissance selbst von ausgemachten Skeptikern dem Träumen nie ganz abgesprochen - dürfen unter diesem Vorzeichen von ihm nicht mehr erwartet werden.

Diese neuzeitliche Etablierung der einen Erfahrungsordnung von Wirklichkeit ist zwar nicht zu widerrufen, doch sie eröffnet den Raum für Annäherungen an die Grenzen dieser Wirklichkeit gleichsam aus ihrem Innenraum heraus. Der Traum kann dabei immer noch viele verschiedene Gestalten annehmen. Er kann etwa als verworrenes Körpersignal gelten, Zeugnis einer Art von innerem nächtlichen Nachhall der tagsüber gemachten Empfindungen. Schon Aristoteles hatte sich den Traum auf solche Weise physiologisch und als Element einer interessanten Schwingungsphysik der Wahrnehmung zurechtgelegt.

Der Traum lässt sich aber auch als losgelassene Imagination ansehen, die weit über einen Nachhall hinausgeht, gerade deshalb auch prekär werden und nahe ans Irresein gerückt werden kann, unterliefen die resultierenden krausen Vorstellungen nicht eben nur im Schlaf. Das Phantastische der Traumbilder kann dann gut aufklärungsphilosophisch der Stoff sein, an dem sich die Vernunft noch einmal als stabile Korrekturinstanz erweist: Sie muss vor den Monstern nicht zurückschrecken, deren Genese sie zu erkennen weiß.

Aber was vernunftphilosophisch unter strengem Monsterverdacht steht, kann auch zum Versprechen einer Gegenwelt werden. Unter romantischem Vorzeichen gewinnt der Traum einen reflexiven und poetisch produktiven Zug. Die Aufmerksamkeit gilt den Zonen der Übergänge, in denen sich die Ordnungen von Wachbewusstsein und Traumwirklichkeit berühren.

Kein passives Abgleiten in Traumwelten steht dabei auf dem Programm, sondern ein experimentierendes Ausloten von Bereichen, in denen das Bewusstseinswesen Mensch nicht ganz bei sich ist und gerade deshalb die Inbesitznahme von neuem Terrain einüben kann: Die entstehenden Wissenschaften vom Menschen passen ebenso wenig wie die romantische Naturphilosophie vor den blinden Flecken einer opaken inneren Natur. Die Tendenz zur Naturalisierung der in den Blick genommenen Grenzphänomene wird deutlicher. Auch Schopenhauer, der letztlich das wache wie das träumende Ich vom unterliegenden Willen als "heimlichen Theaterdirektor" meiner selbst bestimmt sieht, steuert auf Gehirnmechanismen zu, um die verkehrte Welt des Traums als Effekt eines tatsächlich "umgekehrt" arbeitenden schlafenden Gehirns zu erklären.

Vorbereitet ist damit das Feld, auf dem das Unbewusste seine Karriere macht. Gehring ist an der Nachzeichnung von Traditionslinien, die zu Freud führen, nur am Rande interessiert. Ihre konzise Darstellung von Freuds Theorie des Traums als Kompromissbildung zwischen der psychischen Realität unbewusster Wünsche und der Realität vorbewusster Zensur hält sich an Freuds eigene Ansprüche, mit der "Traumdeutung" den Königsweg zum Verständnis seelischer Störungen bahnen zu können.

Es ist der Analytiker, der, angeleitet vom Widerstand des Analysanden, den Abgleich der Realitäten vorantreibt. Gerade an dieser Rolle des Freudschen Analytikers als Anwalt des "Realitätsprinzips" entzündete sich freilich Kritik. Das Phänomen des Traums im Blick, verfolgt Gehring Neubestimmungen der psychoanalytischen Konstellation von Lacan über Marcuse bis zum Generalangriff von Deleuze und Guattari. Existenzphilosophische Verwahrungen gegen den Traum als psychoanalytischen Symptomanzeiger kommen auch in den Blick.

Damit ist bereits das Terrain erreicht, auf dem stattfindet, was die Autorin als künstlerische, populärpsychologische und popkulturelle Dauerkonjunktur des Traums bis in unsere Gegenwart hineinskizziert. Wobei im Hintergrund von Anfang an ein wissenschaftliches Unterfangen steht: die empirische Erforschung des Traums im Schlaflabor.

Doch die Schlafforschung bestätigt auf ihre Art und Weise nur noch einmal die Ungreifbarkeit des Traums. Was sie an Befunden bis heute versammelt hat, zeigt vor allem, dass das schlafende vom wachen Gehirn gar nicht so leicht zu unterscheiden ist: Im Gehirn ist immer etwas und auch noch erstaunlich Individuelles los. Ob es mit Träumen einhergeht, weiß zuletzt doch nur ihr einziger Zeuge, den man wecken, befragen und anhören muss: An diesem methodischen Engpass eines laborgestützten Realismus ändern auch die neuesten bildgebenden Verfahren nichts.

Dass die Grenze zwischen Traum und Wachwirklichkeit sich theoretisch nicht befestigen lässt, beunruhigt niemanden mehr. Sie ist in den Augen der Autorin vielmehr zum Ansatzpunkt vielfältiger Selbsterfahrungtechniken geworden, die die Zuschreibbarkeit des Prädikats "wirklich" erproben: Die Grenzen werden implizit verhandelt, aber dass sie solche einer einzigen Wirklichkeit sind, die nur erweitert, nicht überschritten werden kann, ist dabei immer auf naive Weise vorausgesetzt. Obwohl der Traum recht besehen doch ein sperriges Element in einer solchen Wirklichkeit bleibt, in die er sich nicht eingemeinden lässt. Man steht zuletzt wieder am Ausgangspunkt eines Problems, das "nichts in Frage stellt und zugleich doch alles". Petra Gehring hat daran auf überaus anregende Weise erinnert.

HELMUT MAYER

Petra Gehring: "Traum und Wirklichkeit". Zur Geschichte einer Unterscheidung. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2008. 280 S., br., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eingenommen zeigt sich Helmut Mayer von Petra Gehrings Buch über die Unterscheidung von "Traum und Wirklichkeit" im westlichen Denken. Begeistert folgt er der Philosophin auf ihrer Reise durch Traumtheorien von der Antike bis heute, die im Blick auf ihre Verhältnisbestimmung von Traum und Wirklichkeit unter die Lupe genommen werden. Neben Gehrings erhellenden Blick auf Traumtheorien von Denkern wie Platon und Aristoteles, Descartes, Schopenhauer und Freud, Lacan, Marcuse, Deleuze, Guattari hebt er ihre Skizzierung der künstlerischen, populärpsychologischen und popkulturellen Konjunktur des Traum sowie der empirischen Erforschung des Traums im Schlaflabor hervor. Deutlich wird für ihn immer wieder, "warum man aus den Theorien des Traums immer auch etwas über die Wirklichkeit lernt." Sein Fazit: ein ebenso "hinreißendes" wie "anregendes" Buch.

© Perlentaucher Medien GmbH
Vor dem Moment des Erwachens
"Ein hinreißendes Buch." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.09.2008)

Bodensatz der Wirklichkeit
"Eine erhellende Studie." (Neue Zürcher Zeitung, 13.10.2008)

Wenn ein Wunsch in Arbeit geht
"Von beeindruckender Gelehrsamkeit, Intelligenz und sprachlicher Prägnanz." (Die Zeit, 04.12.2008)

Am Anfang brennt der Scheiterhaufen
"Eine angenehm straffe Übersicht über die Philosophien des Traums." (Literaturen, 01.03.2009)

Das Buch ist reichhaltig und bereichernd und eröffnet viele, auch überraschende Einblicke in unser ganz persönliches Kopfkino. (der blaue reiter, 01.08.2010)