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Alexandre Kojève soll 1967 in Westberlin, wo er auf seinem Weg von Peking nach Plettenberg einen Zwischenstopp eingelegt hatte, den revoltierenden Studenten auf die Frage "Was tun?" geantwortet haben, sie sollen Griechisch lernen. So will es die Legende. Doch Legenden, und zunächst als solche fris¬tet Kojève sein dürftiges Nachleben in Deutschland, neigen seit alters dazu, zu verblassen. Hier hilft nur Text: Etwa jene Fußnote, die in der deutschen Ausgabe der Hegeleinführung fehlt. Nachgeliefert wird sie von dem unver¬gesslichen Jacob Taubes in seinem Aufsatz "Ästhetisierung der Wahrheit im…mehr

Produktbeschreibung
Alexandre Kojève soll 1967 in Westberlin, wo er auf seinem Weg von Peking nach Plettenberg einen Zwischenstopp eingelegt hatte, den revoltierenden Studenten auf die Frage "Was tun?" geantwortet haben, sie sollen Griechisch lernen. So will es die Legende. Doch Legenden, und zunächst als solche fris¬tet Kojève sein dürftiges Nachleben in Deutschland, neigen seit alters dazu, zu verblassen. Hier hilft nur Text: Etwa jene Fußnote, die in der deutschen Ausgabe der Hegeleinführung fehlt. Nachgeliefert wird sie von dem unver¬gesslichen Jacob Taubes in seinem Aufsatz "Ästhetisierung der Wahrheit im Posthistoire". Sie stellt ein weiteres Mal die Frage, was aus dem sogenannten Menschen wird am Ende der Geschichte, ein Tier oder womöglich doch ein Snob. Bereits in den 50er Jahren hatte Kojève in zwei Rezensionen für "Critique" gemutmaßt, welche Wesen eine kommende Gemeinschaft bevöl¬kern könnten: untätige Gauner (le voyou desoeuvré) und junge Mädchen (la jeune fille). Bataille war erwartungsgemäß entsetzt. Seine "arbeitslose Negati¬vität" wollte sich den "Sonntag des Lebens" bekanntlich auf heiligere Weise vertreiben. Kojève behält das letzte Wort: In einem Interview, das Gilles Lapouge für die "Quinzaine littéraire" mit dem Philosophen und Staatsbeam¬ten führte. Es erschien im Juli 1968 postum; Kojève war am 4. Juni während eines Vortrags in Brüssel gestorben, wo er auch begraben liegt.
Autorenporträt
Alexandre Kojève soll 1967 in Westberlin, wo er auf seinem Weg von Peking nach Plettenberg einen Zwischenstopp eingelegt hatte, den revoltierenden Studenten auf die Frage "Was tun?" geantwortet haben, sie sollen Griechisch lernen. So will es die Legende. Doch Legenden, und zunächst als solche fris¬tet Kojève sein dürftiges Nachleben in Deutschland, neigen seit alters dazu, zu verblassen. Hier hilft nur Text: Etwa jene Fußnote, die in der deutschen Ausgabe der Hegeleinführung fehlt. Nachgeliefert wird sie von dem unver¬gesslichen Jacob Taubes in seinem Aufsatz "Ästhetisierung der Wahrheit im Posthistoire". Sie stellt ein weiteres Mal die Frage, was aus dem sogenannten Menschen wird am Ende der Geschichte, ein Tier oder womöglich doch ein Snob. Bereits in den 50er Jahren hatte Kojève in zwei Rezensionen für "Critique" gemutmaßt, welche Wesen eine kommende Gemeinschaft bevöl¬kern könnten: untätige Gauner (le voyou desoeuvré) und junge Mädchen (la jeune fille). Bataille war erwartungsgemäß entsetzt. Seine "arbeitslose Negati¬vität" wollte sich den "Sonntag des Lebens" bekanntlich auf heiligere Weise vertreiben. Kojève behält das letzte Wort: In einem Interview, das Gilles Lapouge für die "Quinzaine littéraire" mit dem Philosophen und Staatsbeam¬ten führte. Es erschien im Juli 1968 postum; Kojève war am 4. Juni während eines Vortrags in Brüssel gestorben, wo er auch begraben liegt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.12.2007

Der Mensch geht, das Tier kommt
Warum es hilft, mit dem Philosophen Alexandre Kojève über das Ende der Geschichte nachzudenken

In den zahlreichen Nachschauen zu den Ereignissen von 1968 blieb eine Episode unbemerkt, die helfen könnte, die geistige Situation der Zeit besser zu verstehen, als es die immer gleichen Fotos von Uschi Obermaier, Fritz Teufel oder Rudi Dutschke mit ihrer theoriefernen Kommentierung vermögen. 1967 traten die Philosophen Herbert Marcuse und Alexandre Kojève an der Freien Universität Berlin auf. Beide waren während ihrer Aufenthalte umlagert von den geistigen Häuptern der Studentenrebellion, und beide handelten in ihren Vorträgen auf verschiedene Weise vom selben Thema: dem Ende der Geschichte.

Während sich Marcuse weigerte, den Studenten aktuelle Handlungsanweisungen zu geben, hatte Kojève einen konkreten Rat: Das Wichtigste sei es jetzt, Griechisch zu lernen. Kojève und Marcuse waren Flüchtlinge, beide kannten die Verhältnisse der Weimarer Republik sehr genau, weil sie in der Zeit in Deutschland studiert und in der Nazizeit aktiv auf der Seite der Alliierten gekämpft hatten. Dazu hatte Kojève mit der Selbstbeschreibung als "einziger echter Stalinist" nachhaltig irritiert. Um zu verstehen, was für Kojève Stalinismus heißt und warum man auch noch Griechisch lernen soll, muss man einen Blick auf seine Geschichte werfen. Kojève war zur Zeit seiner Selbstverortung bereits ein hoher Beamter der französischen Regierung, der sich mit Fragen der ökonomisch-rechtlichen Ordnung des neuen westeuropäischen Marktes befasst hatte und vom Direktor der Bank von Frankreich als "ökonomisches Genie" bewundert wurde.

1902 in Moskau unter dem Namen Alexander Koschewnikow in eine wohlhabende Bankiersfamilie hineingeboren, verlor er in den Wirren der russischen Revolution zuerst seinen Stiefvater und wurde verhaftet, als er Sachen aus dem Familienbesitz auf dem Schwarzmarkt verkaufte. Kojève musste fliehen, und das, obwohl er, wie er später immer wieder betonte, Kommunist war.

Auf der Flucht hatte er dann 1920 in einer Bibliothek in Warschau ein Erweckungserlebnis: Er sah, wie eine Descartes-Büste und eine Buddha-Büste zu einer Verkörperung verschmolzen. Die Radikalität des Buddhismus, "der einzigen atheistischen Religion" (Kojève), im Einklang mit der abendländischen Rationalität - das sollte sein Schlüssel für die kommende Gemeinschaft sein. Einen Moment dachte er in Warschau nach, wohin er fliehen sollte - dann entschied er sich für den Westen. In Heidelberg begann er ein Philosophiestudium und lernte Sanskrit, Tibetanisch und Chinesisch. 1931 wurde er mit einer Arbeit über "Die religiöse Philosophie Wladimir Solowjews" von Karl Jaspers promoviert und ging nach Paris.

Und dort, an der École Pratique des Hautes Études begann er 1933 Vorlesungen über Hegels "Phänomenologie des Geistes" zu halten, die sich über sechs Jahre hinzogen. Die Vorlesungen begründeten Kojèves Ruhm, und um ihre Ausstrahlung einschätzen zu können, muss man nur die Namen einiger Hörer aufzählen: André Breton, Jean-Paul Sartre, Raymond Aron, Georges Bataille, Raymond Queneau, Maurice Merleau-Ponty, Jacques Lacan, Pierre Klossowski, Eric Weil, Roger Caillois und Jean Wahl. Kojève interpretierte Hegels "Phänomenologie", die damals noch nicht ins Französische übersetzt war, unorthodox. Anstatt sie in ihren historischen Kontext einzuordnen, unternahm er den "Versuch einer Einführung Hegels in die Gegenwart".

Die von Raymond Queneau aus den Aufzeichnungen verschiedener Hörer zusammengestellte und 1947 erschienene Textfassung der Vorlesungen gibt nur einen unzulänglichen Eindruck von der Wirkung Kojèves. Es war die Lebendigkeit, mit der er Hegel und Napoleon zusammenführte, zum Endpunkt von Geschichte und Philosophie erklärte und doch immer auf der Höhe der Zeit blieb, weil jenseits des Hörsaals andauernd unerhörte Dinge geschahen. Es kam der Krieg. Kojève wurde zur französischen Armee eingezogen, er entzog sich den Deutschen und schloss sich im Zentralmassiv der Résistance an.

Im Berliner Merve-Verlag ist nun ein kleiner Band erschienen, dem der Herausgeber Andreas Hiepko den treffenden Titel "Überlebensformen" gegeben hat. Der Band enthält zwei in den fünfziger Jahren erschienene und bisher nicht auf Deutsch verfügbare Rezensionen Kojèves. Sie gelten drei Romanen Raymond Queneaus, die Kojève "die Romane der Weisheit" nennt, und Françoise Sagans "Bonjour Tristesse". Die Kritiken sind zugleich Illustrationen der These vom Ende der Geschichte. Sie nehmen den Inhalt der Bücher auf und kritisieren ihn nicht. Vom Krieg hört man noch die letzten Töne aus der Vergangenheit herüberwehen, aber es ist schon gleichgültig geworden, ob es sich am Ende der Kampfhandlungen um einen Sieg oder eine Niederlage gehandelt hat - jetzt, am "Sabbat des Menschen", profitieren alle gleichermaßen von seinem Ende.

Diese "letzte Neue Welt" mag heutigen Menschen glanzlos und banal erscheinen, es fehlt jede Aktion, jede Meinung, jede Selbstbehauptung, all das, wofür Menschen schon immer gekämpft haben. Aber genau das, schreibt Kojève, ist nicht schlimm: "Das Verschwinden des Menschen am Ende der Geschichte ist also keine kosmische Katastrophe; die natürliche Welt bleibt, was sie seit aller Ewigkeit ist. Ebenso wenig ist es eine biologische Katastrophe: Der Mensch bleibt als Tier am Leben, das im Einklang mit der Natur und dem Seienden existiert. Was verschwindet, ist der Mensch im eigentlichen Sinne, d. h. das das Gegebene nichtende Handeln und der Irrtum, oder - allgemeiner - der Gegensatz von Subjekt und Objekt."

Drei Männer, sagte Kojève, hätten im selben Moment verstanden, dass man nach Napoleons Sieg 1806 in der Schlacht bei Jena nicht mehr Soldat sein könne: Hegel, der Marquis de Sade und Beau Brummel. Anlässlich seiner Besprechung von "Bonjour Tristesse" stellt Kojève die drei vor und konfrontiert sie mit ihrem Widerpart: einem amerikanischen Autor, der die ganze Welt "nach dem letzten menschlichen Männchen oder vielmehr dem letzten, wirklich männlichen Mann" absucht, um ihn in einem Fischer in der Karibik zu finden, der keinen würdigeren Gegner als einen Fisch gefunden hat. Man merkt schon am Personal von Kojève, dass er mit den kämpfenden Männern nach Napoleon ein Problem hat und warum Sagan für ihn zur Schöpferin einer neuen literarischen Welt werden konnte: Die Vaterschaft ihres Werkes muss schon deshalb ungeklärt bleiben, weil sie ledig ist und sich nicht von einem Krieger hat "nehmen lassen".

Die Melancholie, die über Kojèves Text wie über Sagans Buch liegt, kommt über die Krieger in die Welt, die weitermachen, als hätte Napoleon nie gelebt. Natürlich gab es Marx und die Marxisten - aber was war Marx anderes als eine Radikalisierung Hegels? Und war nicht "Henry Ford der einzige bedeutende, authentische oder orthodoxe Marxist des zwanzigsten Jahrhunderts"? Und Mao? "Die chinesische Revolution ist nichts anderes als die Einführung des Code Napoleon in China."

Es geht Kojève gar nicht darum, eine konkrete historische Situation philosophisch zu analysieren; es geht darum, nach dem Ende der Philosophie, nach Hegel, kurze Blitze der Weisheit zu schleudern, die aus sich selbst heraus, aus dem Denken des Denkens leuchten, ohne deshalb nur ein Nichts zu sein. Denn wenn sie nur Nichts wären, handelte es sich nicht um Weisheit, sondern um Mystik, und Mystik ist nach dem Ende der Geschichte keine Kunst mehr, schreibt Kojève. Was das bedeutet, erläutert im Merve-Band der Religionsphilosoph Jacob Taubes, der Kojève 1967 nach Berlin eingeladen hatte und mit ihm und Marcuse im überfüllten Audimax auf dem Podium saß. Taubes' Aufsatz "Die Ästhetisierung der Wahrheit im Posthistoire" liefert den Schlüssel zu Kojèves enigmatischen Sätzen, und er erklärt die Faszination, die Kojèves Hegel-Deutung auf Künstlergruppierungen wie Surrealisten oder Situationisten und auch auf die 68er ausübte. Taubes hatte, wie Kojève, anfänglich die Aktionen der 68er als ein Programm verstanden, in dem das "stählerne Gehäuse" (Max Weber) des Kapitalismus aus der Perspektive von Kunst und Leben einer Kritik unterzogen wird, die auch die Wissenschaften nicht unberührt lässt.

Bei Taubes wurde diese Parteinahme handgreiflich, als er in einem Gutachten ein Flugblatt der Kommunarden Rainer Langhans und Fritz Teufel in die Tradition der "europäischen Avantgarde" einordnete und damit ihre Verurteilung vor Gericht verhinderte. Wohingegen Kojève, der 1968 während eines Vortrags in Brüssel einem Herzinfarkt erlag, sich nicht sicher war, ob die Aktionen der Künstlerstudenten nicht "auf ein Blutbad hinauslaufen". Unabhängig von dieser Lageeinschätzung bleibt bei Taubes und Kojève der kunsttheoretische Impuls in ihrem politischen Denken. Im Kunstwerk, im Akt der Kunstproduktion sollte der "Mensch seine Gehäuse als Verstellungen" erkennen und sein "eigen Maß als Lüge und Irrtum" entlarven. Das Maß der Wissenschaft, die Uhr, die Descartes auch im Menschen selbst gesucht hat, kann den Menschen nicht fassen in jenem Moment, in dem sich der "Schleier hebt, der über der Welt lagert, die Nebel zerreißen und die vermessenen Maße des Menschen fallen" (Taubes).

Kojève entwickelte seine Kunsttheorie der Unmessbarkeit des sinnlichen Begreifens in einem Briefwechsel mit seinem Onkel Wassily Kandinsky und hat sie später in Briefen und Gesprächen mit Georges Bataille vertieft. Der Mensch bleibt für ihn immer gefangen in der Dialektik von Herr und Knecht, und weil sich jede Arbeit negativ zur Natur verhält, ist der Mensch immer eine "tödliche Krankheit der Natur". Weil aber kein Tier sein Leben einsetzt, "um eine Fahne zu erobern", folgert Kojève, hören die Kämpfe der Negation mit der Tierwerdung des Menschen auf. Und um sie vor dem Versuch zu warnen, die Fahnen zu erobern, empfahl Kojève den Studenten, Griechisch zu lernen. Denn in Griechenland begann jener Denkweg, der mit Hegel an sein Ende kam - und bis heute nicht aufgehört hat, seine Kraft in der Wiederholung ewiger Anerkennungskämpfe zu verzehren.

CORD RIECHELMANN

Alexandre Kojève: "Überlebensformen". Herausgegeben und übersetzt von Andreas Hiepko. Merve-Verlag, Berlin, 88 Seiten, 7 Euro

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