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Die meisten Übeltaten des Menschen entspringen nicht gezielter Willkür und Bosheit, sondern weithin verbreiteten Unsitten und Lastern. Wolfgang Sofsky erkundet in seinem neuen Buch das Spektrum unmoralischer Haltungen. Präzise seziert er die Schattenseiten der menschlichen Natur und ihre Bedeutung für Politik und Gesellschaft.

Produktbeschreibung
Die meisten Übeltaten des Menschen entspringen nicht gezielter Willkür und Bosheit, sondern weithin verbreiteten Unsitten und Lastern. Wolfgang Sofsky erkundet in seinem neuen Buch das Spektrum unmoralischer Haltungen. Präzise seziert er die Schattenseiten der menschlichen Natur und ihre Bedeutung für Politik und Gesellschaft.
Autorenporträt
Wolfgang Sofsky, geboren 1952, lehrte als Professor für Soziologie an den Universitäten Göttingen und Erfurt. Seit 2001 arbeitet er als Privatgelehrter, Autor und politischer Kommentator. 1993 erhielt er den "Geschwister-Scholl-Preis" und 2015 wurde Wolfgang Sofsky mit dem "Holbachpreis" ausgezeichnet. Seine Bücher wurden vielfach übersetzt. Seine Essays sind regelmäßig in der deutschsprachigen Presse zu lesen und im Rundfunk zu hören.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2009

Machen Sie das Beste aus sich!

Lasterbücher sind Anthropologien von unten: Wolfgang Sofsky und Harry Nutt nähern sich auf verschiedenen Wegen den schwachen Seiten des Menschen.

Den Einstieg von Wolfgang Sofskys "Buch der Laster" bildet das allegorische Gemälde "Minerva vertreibt die Laster aus dem Garten der Tugend" von Andrea Mantegna (1502, jetzt im Louvre). Das Bild findet man auf der Rückseite des Schutzumschlags, und wer eine gute Lupe besitzt, hat auch etwas davon. Minerva, die Pallas der Römer, Göttin der Weisheit, verjagt einen Haufen von verkommenen Gestalten, die jeweils für ein bestimmtes Laster stehen, aus einem abendlichen Garten. Prudentia, die Klugheit, war von den Lastern lebendig eingemauert worden. Man sieht ihren Kerker nicht, nur ein Schriftband kündet von der Schandtat. Die anderen Kardinaltugenden Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung schauen der Befreiung ihrer Schwester vom Himmel aus zu.

Was folgt, ist eine Art Lexikon der Laster. Untersucht werden aber nicht nur die aus dem allegorischen Gemälde. Sofsky betrachtet achtzehn Stück, von der Gleichgültigkeit (Nr. 1) bis zur Grausamkeit (Nr. 18). Die Serie folgt dem Prinzip des Crescendos gnadenlos wie Ravels Bolero. Die Gleichgültigkeit ist weniger ein Laster als ein Nährboden für andere Laster. Über die Vulgarität (Nr. 2) kann man sich streiten. Ich trage keine weißen Socken und bin auch nicht tätowiert, aber wie Voltaire würde ich das Recht meiner Mitmenschen darauf bis in den Tod verteidigen. Nun ja, vielleicht nicht bis in den Tod, aber doch, solange es mich nicht viel kostet. Die Laster weiter hinten im Buch werden dann aber immer eindeutiger.

Der Autor beschreibt die diversen Untugenden sehr differenziert. Sorgfältig unterscheidet er zum Beispiel den Grobian und den Lümmel vom Rüpel. Zorn (Nr. 16) ist etwas anderes als Wut oder Ärger. Die vorgeführten Laster sind aber nur platonische Ideale. Kein Mensch hat jemals diesen Beschreibungen genau entsprochen. Bei der Grausamkeit, dem übelsten Laster im Buch, musste ich oft an Saddam Hussein und seinen gelehrigen Sohn Udai denken, aber selbst die hätten keine fünfzig von hundert Punkten erzielt.

Wolfgang Sofskys Bücher beschreiben immer nur die düsteren Seiten des Massenwesens Homo sapiens. Seine hier vorgeführten Laster sind soziopathisch oder haben doch eine starke soziopathische Komponente. Die Maßlosigkeit (Nr. 10) ist da eher untypisch, weil sie hauptsächlich das Individuum selbst korrumpiert. Sicher, man könnte argumentieren, dass der Maßlose den armen Kindern in Afrika den Kaviar wegisst, aber das wäre doch weit hergeholt. Die Maßlosigkeit kommt deshalb auch vergleichsweise gut weg, vor allem wenn sie nur gelegentlich im Rahmen von Festen wie dem Karneval auftritt.

Insgesamt glaubt Sofsky nicht an einen moralischen Fortschritt der Menschheit. Die Laster machen sich im Garten der Tugend immer wieder breit. Das Literaturverzeichnis enthält genug Werke, um im Regal zwei Meter zu füllen. Der Autor hat viel verarbeitet. Trotzdem macht sein Buch einen recht altertümlichen Eindruck. Seit Aristoteles hat sich das "Gattungswesen" eben nur wenig verändert. Ich hatte bei der Lektüre immer das Gefühl, ich lese einen Wiegendruck, und gleich auf der nächsten Seite kommt dann ein Holzschnitt, der die Habgier (Nr. 8), den Hochmut (Nr. 14) oder die Hinterlist (Nr. 17) drastisch darstellt. Kein Wunder, wenn dieser Schreibstil manche Leser verwirrt.

Viel bodenständiger ist "Mein schwacher Wille geschehe" von Harry Nutt, einem Feuilletonisten der "Frankfurter Rundschau". Im Gegensatz zu dem freien Autor und Ex-Soziologieprofessor Sofsky, der hauptsächlich von den Wurzelsünden redet, für die man durchaus im Höllenfeuer enden kann, befasst sich Nutt mehr mit den lässlichen Sünden, mit so etwas wie Kiffen oder Shoppen eben. Sofskys Buch ist eine Reise durch zwei Jahrtausende, Nutt berichtet aus der Perspektive der letzten 15 Minuten. Sofsky erläutert sein Thema mit der antiken Mythologie, Nutt kommt uns mit Film, Fernsehen, Illustrierten und Popmusik, was aber kein so großer Unterschied ist.

Nutt nennt sein Buch ein "Ausredenbuch". Ich würde eher von einem Trostbuch sprechen. Schon der Evangelist Matthäus wusste, dass das Fleisch schwach ist. Das ist eine Tatsache und keine Ausrede. Wenn wir diese Tatsache mit etwas mehr Realismus und etwas mehr Gelassenheit zur Kenntnis nehmen, dann tun wir uns mit dem Leben leichter. Wir alle sind wie der Dr. Jekyll bei Robert Louis Stevenson. Es gibt einen Mr. Hyde in uns, der manchmal die Oberhand gewinnt. Dieser Mr. Hyde ist in der Regel aber viel harmloser als sein Kollege aus der berühmten Novelle.

Harry Nutt führt uns diverse Laster vor. Ein Teil seiner Geschichten ist wohl autobiographisch, das größere Quantum sicher nicht. Sonst würde er längst unter einer Brücke wohnen und keine Bücher mehr schreiben. Manches ist eher harmlos. Er berichtet ziemlich am Anfang von seinem Widerwillen, die Steuererklärung anzufertigen und pünktlich einzureichen. Gegen Ende des Buchs aber schildert er die Probleme einer starken, existenzbedrohenden Sucht am Beispiel eines Zockers. Beide Geschichten unterscheiden sich gar nicht so sehr in ihrer Intensität. Vielleicht gibt es da ja eine logarithmische Skala der Lasterhaftigkeit. Wir messen unsere Sünden wie den Fluglärm in Dezibel.

Im Buch begegnen uns die üblichen Verdächtigen: das Rauchen, das Fressen, das Faulenzen, der unvernünftige Konsum, das Schuldenmachen, die Unpünktlichkeit, die sofortige Befriedigung von Bedürfnissen. Typisch für alle diese Laster ist, wie irrational wir damit umgehen. Egal, ob Zigarettenkonsum, Bauchumfang oder Überziehungskredit, wir scheitern immer wieder an übergroßen Vorsätzen, statt zu versuchen, unsere Probleme, wenn es denn welche sind, mit Augenmaß zu lösen. In den abschließenden Kapiteln wird dann diese manisch-depressive Art, mit unseren Schwächen umzugehen, noch weiter analysiert. Die einen resignieren und lassen sich treiben. Sie schleppen ständig Trinkgefäße mit sich herum, um auch den leichtesten Durst gleich zu löschen. Die anderen versuchen hyperaktiv zu beweisen, dass gerade sie der Superstar sind, den Deutschland schon lange gesucht hat. Lasterbücher sind, liest man sie nur recht, Anthropologien von unten. Im Spiegel der Laster scheint die Möglichkeit der Tugend auf. Lasterbücher zeigen auf sehr menschliche Weise, wie sich das Beste aus uns machen lässt. So gibt es keine gehaltvolleren Einblicke in die Stärken der menschlichen Natur als die Beschäftigung mit ihren Schwächen.

ERNST HORST

Wolfgang Sofsky: "Das Buch der Laster". Verlag C. H. Beck, München 2009. 272 S., geb., 19,90 [Euro].

Harry Nutt: "Mein schwacher Wille geschehe". Warum das Laster eine Tugend ist - ein Ausredenbuch. Campus Verlag, Frankfurt a.M. 2009. 221 S., geb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Ein wenig fühlt sich Uwe Justus Wenzel von Wolfgang Sofskys "Buch der Laster" an Dantes Purgatorium erinnert. Wie dieser zeichne Sofsky ein Panorama der Laster: von der Gleichgültigkeit über Hochmut, Vulgarität und Trägheit bis hin zur Grausamkeit. Als Kulturkritik will Sofsky dies jedoch nicht verstanden wissen, informiert der Rezensent. Vielmehr gehe es ihm darum, "was Menschen tun, empfinden und erleiden, wenn sie unmoralisch sind". Dies darzustellen gelingt Sofsky allemal, bescheinigt ihm Wenzel, besonders da der Autor die Charakterübel stets szenisch ausmalt, ehe er sie analysiert. Fast ist das ganze schwarzmalerisch geworden, gibt der Rezensent zu. Doch immerhin glaube Sofsky daran, dass der Mensch den Lastern nicht ausgeliefert, sondern vielmehr für seinen Charakter selbst verantwortlich sei: Wenn er sich seines Verstandes bediene, kann er sich von den Lastern losmachen - das findet der Rezensent tröstlich.

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