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Wie ist ein Umgang mit wissenschaftlichen Modellen möglich, der die Fremdheit der Phänomene achtet? Wodurch wird die kulturelle Dynamik vor dem Leerlauf bloßer Selbsterhaltung bewahrt? Wie sieht eine medizinische Praxis aus, in der Krankheit nicht bloß als ein zu behebendes Defizit begriffen wird? Was bedeuten Natürlichkeit, Normalität und Wirklichkeit angesichts von Telepräsenz und Virtualisierung? Bernhard Waldenfels erkundet in diesem um vier Studien erweiterten zweiten Band seiner Studien zur Phänomenologie des Fremden die Unruhe, die aus den Spannungen zwischen Normalität und Anomalität erwächst. …mehr

Produktbeschreibung
Wie ist ein Umgang mit wissenschaftlichen Modellen möglich, der die Fremdheit der Phänomene achtet? Wodurch wird die kulturelle Dynamik vor dem Leerlauf bloßer Selbsterhaltung bewahrt? Wie sieht eine medizinische Praxis aus, in der Krankheit nicht bloß als ein zu behebendes Defizit begriffen wird? Was bedeuten Natürlichkeit, Normalität und Wirklichkeit angesichts von Telepräsenz und Virtualisierung?
Bernhard Waldenfels erkundet in diesem um vier Studien erweiterten zweiten Band seiner Studien zur Phänomenologie des Fremden die Unruhe, die aus den Spannungen zwischen Normalität und Anomalität erwächst.
Autorenporträt
Waldenfels, BernhardBernhard Waldenfels, geboren 1934 in Essen, ist Professor emeritus für Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.05.1998

O ehre, was du nicht verstehst
Bernhard Waldenfels beweist Routine im Umgang mit dem Fremden

Was bei Lévinas der Andere, bei Adorno das Nichtidentische, ist bei Bernhard Waldenfels das Fremde. Es geht um Erfahrungen, darum, daß uns etwas einfällt, auffällt, befällt, überfällt oder zufällt, und darum, daß wir immer schon dabei sind, auf diesen Anspruch zu antworten. Eine solche Philosophie, die das Uneinholbare des Erfahrenen und die Unkontrollierbarkeit der Erfahrung betont, kann nicht einfach eine Theorie des Fremden an die Stelle tradierter Systeme setzen. Konkretion ist ihr Ziel. Die "Studien zur Phänomenologie des Fremden", die Waldenfels' Position für einzelne Gegenstände "fruchtbar machen" und sie an ihnen "erproben" sollen, müssen mehr sein als eine Sammlung bereits publizierter Aufsätze, die sie auch sind.

Nachdem der erste Band Orte des Fremden und Phänomene wie interkulturelles Verstehen und nationalistische Verhärtung behandelt hat, folgen jetzt Aufsätze über Wissenschaftskritik, Therapie, Erotik und Technologie. Von der medialen Erweiterung etwa heißt es, sie werde erkauft mit einer Zerstückelung der Erfahrung; der Blick in die Weite gehe auf Kosten des Blicks in die Nähe; und das Heikle an dem magischen Realismus, dem die Wirklichkeit auf den Handdruck und dann aufs Wort gehorcht, liege darin, daß er uns den Umgang mit den Dingen erspare - wobei keinesfalls die fruchtbare und leider nicht näher spezifizierte Erschütterung, die von den technologischen Experimenten ausgehe, durch Bewertung weggeredet werden solle.

Hinter dem sozialen Konstruktivismus eines freien Spiels mit den Geschlechtsidentitäten stehe oft nur der Narzißmus eigener Wünsche, verstärkt durch die Apparaturen einer Sexualtechnologie. "Den Anspruch des fremden Geschlechts bekommen wir nur dann am eigenen Leib zu spüren, wenn unser Leib von Anfang an außer sich ist, angerührt durch das, was ihm widerfährt." Und um ein drittes Beispiel zu geben: Das technisierte, administrierte und ökonomisierte Krankheitssystem erzeuge einen Normalisierungs- und Disziplinierungsdruck. Demgegenüber gelte es, der Möglichkeit eines Anderswerdens durch Krankheit gerecht zu werden und Therapie als Neufindung einer Ordnung zu beschreiben. Nicht nur in der Psychologie, sondern auch in der Medizin sei das Gespräch als integraler Bestandteil der Therapie zu begreifen - auch wenn die Geschwätzigkeit derer, deren angestautes Mitteilungsbedürfnis nur einer gehemmten Fragebereitschaft entspricht, in Rechnung zu stellen sei.

Das ist nun alles recht allgemein, und man muß leider sagen, daß es nicht viel konkreter kommt. Die Macht des Geistes ist bekanntlich nur so groß wie seine Kraft zur Entäußerung. Zwar sähe Waldenfels in dieser hegelschen Denkfigur den Logozentrismus am Werke, der das Fremde als Entfremdung denkt und in die Perspektive der Aneignung stellt. Nur hilft das Gegenteil, die Betonung seiner Irreduzibilität, auch nicht weiter. Die Sachen haben ihre Eigenlogik, Debatten ihren Diskussionsstand, den man sich eben: aneignen muß.

Wer dagegen, und sei es mit noch so großer Sensibilität für die Normalisierungen von Technik und Wissenschaft in der Tasche, in schnellem Wechsel zu den unterschiedlichsten Veranstaltungen angereist kommt, wird leicht die Verdrängung der Fremdheitserfahrung genau dort ausfindig machen, wo sie ohnehin jeder vermutet: Die mediale Simulation setzt sich über die Widerständigkeit der Dinge hinweg, das Spiel mit der Geschlechtsidentität verleugnet die Natürlichkeit des Körpers, Ärzte hören den Patienten nicht genügend zu.

Das Stereotype der Anwendung muß nicht gegen die Theorie sprechen. Befremdlich ist jedoch das Pathos der Erbaulichkeit, das mitzittert, wo Waldenfels vom Anspruch des Fremden redet, dem es antwortend zu entsprechen gelte. Bei Bergson gibt es die schöne Theorie von den Gefühlen als gehemmten Handlungen. Vielleicht erzeugt bei Waldenfels die zu knappe Analyse des jeweiligen Fremden eine emotionale Aufladung des Begriffs des Fremden. Vielleicht jedoch geht es Waldenfels mehr um die Einübung von Demut, um das Danken, das auf die Gabe des Fremden zu antworten habe. Aber wäre nicht Neugierde die bessere Antwort auf das Fremde?

Der Bergsonleser Proust bemerkt, wie unbarmherzig Giottos Misericordia aussieht. Wahres Mitleid packt zu. Zum Weinen hat es keine Zeit. Auch die Neugierde packt zu. Gewiß, sie eignet sich den Gegenstand an. Aber in dieser Aneignung erfährt sie mehr von seiner Fremdheit, als wenn sie demütig vor ihr verharrt. In Wahrheit legt auch die Demut ihren Gegenstand fest. Das eigentlich Fremde am Fremden ist das nicht Gemachte, nicht geschichtlich Gewordene. Die Verteidigung der Fremdheit gegen die Aneignung verteidigt letztlich das Kreatürliche gegen das Geistige. So lauern denn am Grunde von Waldenfels' Kulturkritik seltsam konservative Setzungen: Die Simulation hat etwas Unnatürliches, die Geschlechtlichkeit darf nicht aus dem Zusammenhang der Zeugung gelöst werden, und eine Krankheit will uns etwas sagen. GUSTAV FALKE Bernhard Waldenfels: "Grenzen der Normalisierung". Studien zur Phänomenologie des Fremden 2. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998. 276 S., br., 19,80 DM.

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»Waldenfels geht es jenseits einer Technikeuphorie und einer Technikphobie um Fragen der Einbettung technischer Eingriffe in ein therapeutisches Verfahren. Mit Waldenfels' Ansatz bei einem Verhältnis von 'Leib' und 'Selbst' gelingt es auf pointierte Weise, eine triviale, aber überaus folgenreiche Dualisierung freizulegen, die sich perspektivisch zu einer 'Normalisierung' von Eingriffen entwickeln könnte, in der hybride Randzonen eines 'Ineinander von Therapie, Ökonomie und Technik' die Grenzen zwischen 'etwas' und 'jemand' einebnen könnten.« Ignaz Knips Widerspruch