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Der unabweisbare Anspruch des Fremden stellt eine philosophische Herausforedrung dar. Die vorliegende Studie versucht sich dieser zu stellen, indem sie ergründet, inwieweit es möglich ist, auf das Fremde einzugehen, ohne es durch Aneignung aufzuheben. Der Anspruch des Fremden rührt an ein Unmögliches, das in Bestimmungen wie Abwesenheit, Unzugänglichkeit oder Unantastbarkeit angedeutet wird. Da es ohne das Fremde, das sich dem Zugriff entzieht, nichts zu sagen und zu tun gäbe, was nicht im Grunde schon gesagt und getan ist, wirkt der fremde Anspruch als Gegengift gegen alle Versuche, zu einer…mehr

Produktbeschreibung
Der unabweisbare Anspruch des Fremden stellt eine philosophische Herausforedrung dar. Die vorliegende Studie versucht sich dieser zu stellen, indem sie ergründet, inwieweit es möglich ist, auf das Fremde einzugehen, ohne es durch Aneignung aufzuheben. Der Anspruch des Fremden rührt an ein Unmögliches, das in Bestimmungen wie Abwesenheit, Unzugänglichkeit oder Unantastbarkeit angedeutet wird. Da es ohne das Fremde, das sich dem Zugriff entzieht, nichts zu sagen und zu tun gäbe, was nicht im Grunde schon gesagt und getan ist, wirkt der fremde Anspruch als Gegengift gegen alle Versuche, zu einer Rationalisierung und Normalisierung zu gelangen, die ihre Herkunft verkennen und im Zuge bloßer Vernunft- oder Systemerhaltung jene irrationalistischen Kräfte freisetzen, die sie zu bannen vorgeben.
Autorenporträt
Bernhard Waldenfels, geboren 1934 in Essen, ist Professor emeritus für Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum. Für sein Werk wurde er u. a. mit dem Sigmund-Freud-Kulturpreis und dem Dr.-Leopold-Lucas-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.03.1995

Erst die Antwort, dann die Frage
Bernhard Waldenfels legt die Summe seines Philosophierens vor

Die Faszination der Philosophie besteht vor allem darin, daß sie Geltungsansprüche nicht widerlegt, sondern hintergeht. Dieses Verfahren läßt sich bereits in Platons sokratischen Dialogen beobachten. Statt eine neue Wahrheit zu verkünden, zielen sie darauf, den Wahrheitsanspruch der Sophisten, aber auch den Skeptizismus zu desavouieren, indem sie ein Reich hinter den Erscheinungen erfragen.

Die sokratische Dialogkunst ist, vielleicht sogar gegen die Absicht ihres Begründers, im Verlaufe der Philosophiegeschichte immer mehr zu einem geschlossenen System der Metaphysik erstarrt. Selbst das nachmetaphysische Denken, das sich seit der Aufklärung ankündigte und mit Nietzsche und Heidegger in eine radikalisierte Philosophiekritik mündete, steht letztlich noch im Banne dessen, wogegen sie sich wendet: die überkommene Metaphysik.

Konsequenterweise wendet sich daher das Denken unserer Zeit immer wieder Platon zu, um erneut an das sokratische Fragen anzuknüpfen. So haben seit einigen Jahrzehnten poststrukturalistische Denker wie Jacques Derrida und Emmanuel Lévinas in Frankreich und, weitgehend unabhängig davon, die postanalytische Sprachphilosophie im Anschluß an Wittgenstein die abendländische Metaphysiktradition durchaus im Rückgang auf Platon dekonstruiert, ohne freilich bisher in einen fruchtbaren Dialog eingetreten zu sein.

Daß sich beide philosophischen Schulen durchaus unter dem theoretischen Dach einer von metaphysischen Implikaten weitgehend freigehaltenen Phänomenologie zusammenführen lassen, ist seit langem die Arbeitshypothese des Bochumer Philosophen Bernhard Waldenfels. Intensiv wie kaum ein zweiter in Deutschland hat sich der Phänomenologe mit der französischen Husserl- und Heidegger-Rezeption auseinandergesetzt. Den sprachphilosophischen Bezug gewinnt Waldenfels aus dem von Husserl inspirierten Einsatz seines Denkens bei der Lebenswelt, die wesentlich durch sprachliche Zeichen vermittelt ist.

Unter dem rätselhaften Titel "Antwortregister" legt Waldenfels dem Leser nun eine in jeder Hinsicht durchgearbeitete und den Leser bis hart an den Rand der Überforderung treibende Summe seiner bisherigen lebensweltlichen Studien und sprachanalytischen Reflexionen vor. Man ist gut beraten, sich vor der Lektüre wenigstens mit den wichtigsten vorausgegangenen Schriften des Autors vertraut zu machen - vor allem dem 1990 erschienenen "Der Stachel des Fremden" -, denn viele der Motive, die das "Antwortregister" durchziehen, finden sich dort angelegt. Freilich werden sie erst jetzt in ihrer ganzen Bedeutung erkennbar.

Waldenfels stellt seine philosophische Rekonstruktion der menschlichen Erfahrungswirklichkeit in den Horizont des sokratisch-platonischen Denkens, indem er den Status der Frage und der zu ihr gehörigen Antwort analysiert. Auf diese Weise ist sogleich der Bereich des dialogischen Denkens und der kommunikationstheoretischen Sprachbetrachtung betreten und irreführender Metaphysik vorgebeugt. Waldenfels vermag in der phänomenologischen Analyse des Relationsverhältnisses von Fragenden und Antwortenden die Grundfigur seines Denkens zu entfalten und sie sowohl die auf die philosophisch-logischen, die handlungstheoretischen als auch die ethischen "Register" des Dialogischen zu beziehen.

Freilich arbeitet er im ersten Teil seine Position vor allem in der Abgrenzung gegen alternative Positionen heraus. Da seine Fragen und Antworten nicht nur auf die Sachhaltigkeit des Gefragten und Geantworteten abgezielt sind, sondern stets auch auf den Akt des fragenden und antwortenden "Sagens" selber, müssen laut Waldenfels alle sprachphilosophischen oder kommunikationstheoretischen Ansätze als ungenügend zurückgewiesen werden, die den "Überschuß des Sagens" über das Gesagte dadurch zerstören, daß sie den Dialog in teleologisch, metaphysisch oder formallogisch festgeschriebene Rahmenbedingungen einspannen. Eine solche Reduktion des Dialogs auf den Teilaspekt des Informations(aus)tauschs findet der Autor fast in der gesamten modernen Sprachphilosophie, in der Sprechakttheorie von Bühler bis Searle ebenso wie in der Cogito-Lehre Husserls, gleichermaßen bei Habermas und Tugendhat wie in Gadamers Texthermeneutik.

Will man dagegen die Überschußqualität des dialogischen Sprechens akzentuieren, muß laut Waldenfels der Primat des sachbezogenen Anfragens gebrochen und die Vorrangigkeit des Antwortens herausgearbeitet werden. Diese Drehung der Untersuchungsperspektive wirkt plausibel, wenn man vom Ungleichgewicht zwischen Frage und Antwort ausgeht: Während die Frage auf eine Antwort zielt, aber ohne Antwort bleiben kann, ist jede Antwort stets Antwort auf eine Frage. Aus der Perspektive der Responsivität des Dialogischen sind daher Fragen und Antworten nicht rein voneinander zu trennen, sondern stets mit ihrem jeweils Anderen auf zweifache Weise verknüpft: "chiastisch" durch ihren Bezug aufeinander und zugleich "hiatisch" durch ihre Differenz und Nicht-Äquivalenz.

Mit diesem Ineinander von chiastischer Verknüpfung und unüberbrückbarem Hiatus innerhalb der sprachlichen Kommunikation ist zugleich das logische Grundmuster der gesamten Responsivitätslehre von Waldenfels skizziert. Bruchlos, wenn auch nicht ohne spezifische Differenz, läßt es sich von der Sprechakttheorie auf eine Phänomenologie der Leiblichkeit in der Selbst-und Fremderfahrung übertragen. Waldenfels rekurriert in seiner leibkörperlichen Handlungstheorie vor allem auf die "Phänomenologie der Erfahrung" Merleau-Pontys und die Freud-Lektüre von Lacan. Bei beiden Denkern wird in der Tat der Übergang vom "Sprachkörper" zur "Körpersprache", vom Sprechen zum Handeln und vom "Physischen" zum "Bewußtsein" nicht mehr antagonistisch, sondern verschränkt und diskontinuierlich zugleich gedacht. Der "Response" des Körpers auf den "Anspruch" der Umwelt erfolgt gerade nicht nach dem behavioristischen Reiz-Reaktions-Schema.

Auch Waldenfels' Ethik steht unter dem Vorzeichen der Nicht-Äquivalenz. Er rekurriert in erster Linie auf die Philosophie des "Anderen" von Emmanuel Lévinas. Der "Anspruch des Anderen", dem Lévinas philosophisch Ausdruck verleiht und der den Anderen in seiner radikalen Fremdheit als letztlich unüberwindliche Störung aufscheinen läßt, kehrt bei Waldenfels wieder als Grunderfahrung von Gesellschaftlichkeit, die sich gleichursprünglich aus der hiatischen Ungleichheit der sozialen Begegnung und dem chiastischen Moment der Achtung auf der Grundlage wechselseitiger Ver-Antwortung ergibt.

Am Beispiel der Lévinas-Lektüre kann der Leser allerdings auch deutlich die sprachphilosophischen Vorbehalte des Autors gegen die Theologie des französischen Denkers ablesen. Denn während Lévinas das "Fremde" in einen Letztbezug zu Gott setzen zu können glaubt, dient für Waldenfels die sprachlich orientierte Responsivitätslehre gerade als ein Mittel, jede theologische Fragestellung als ursprungsphilosophische Problemverfehlung zu entlarven. Für ein responsives Denken gibt es eben keine "erste Frage", keine "absolute Ordnung" der Dinge, keinen unantastbaren "obersten Gesetzgeber", sondern lediglich das chiastisch-hiatische Hineinragen der Antwort in die Frage. Das Ereignis des Sagens und des Handelns bleibt stets herrenlos und letztlich ohne Verortung.

Allerdings muß Waldenfels, indem er jede wie immer komplex vermittelte Metaphysik der Präsenz leerlaufen läßt, zugleich auch die Exteriorität eines absoluten "Außen" der Ordnung, einer vollkommenen "Andersheit" oder vollständigen "Ungleichheit" bestreiten. Den naheliegenden Einwänden, daß die Philosophie der Responsivität das Gefüge der Ordnung letztlich gar nicht antaste und daß sie sich selbst dementiere, weil sie, um sich durchzuhalten, das ihr andere, nämlich die Irresponsivität und damit die eigene Folgenlosigkeit, mitdenken müsse, kommt der Autor aber mehrfach erfolgreich zuvor. Die Aufgabe von Philosophie besteht, so Waldenfels, gerade darin, vorgeformte Antworten und festgefügte Ordnungsmuster aufzubrechen, kritisch zu befragen und immer wieder auf die Konstituiertheit jeder Ordnung und die "Nachträglichkeit" ihrer Legitimierung zu verweisen. Daß ein solches Projekt scheitern könne, liege in der Logik der Sache selbst.

Auch in diesem Punkt wird man Waldenfels folgen können: Gerade weil der Respondenzphilosoph die Möglichkeit seines Scheiterns im Abbruch des Dialogs mit bedenkt, gewinnt er für das heutige Denken jene sokratische Dimension zurück, die sich ursprünglich selbst als ein Antwortangebot unter dem Vorzeichnen der Ablehnung verstanden hatte. Mit dem "Antwortregister" signalisiert der Autor die Bereitschaft der nachhusserlischen Phänomenologie, erneut Ver-Antwortung für die großen Fragen des Denkens zu übernehmen. MATTHIAS KROSS

Bernhard Waldenfels: "Antwortregister". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1994. 651 S., geb., 98,- DM.

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