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Wirksame Empfehlungen zum Widerstand: 'Justizpalast'-Autorin Petra Morsbach über Machtmissbrauch und Zivilcourage
Warum deckt eine Kirchenbehörde einen Kardinal, von dem intern seit Jahrzehnten bekannt ist, dass er Schüler und Novizen sexuell missbraucht? Warum will in einem Untersuchungsausschuss nicht mal die Opposition den Fehltritt einer Ministerin wirklich aufklären? Warum akzeptieren die Künstler einer Akademie ein Verbot von Dichterlesungen? Weniger der Machtmissbrauch an sich ist unheimlich - Menschen haben nun mal diese Neigung -, als das verdruckste, verworrene, widersprüchliche,…mehr

Produktbeschreibung
Wirksame Empfehlungen zum Widerstand: 'Justizpalast'-Autorin Petra Morsbach über Machtmissbrauch und Zivilcourage

Warum deckt eine Kirchenbehörde einen Kardinal, von dem intern seit Jahrzehnten bekannt ist, dass er Schüler und Novizen sexuell missbraucht? Warum will in einem Untersuchungsausschuss nicht mal die Opposition den Fehltritt einer Ministerin wirklich aufklären? Warum akzeptieren die Künstler einer Akademie ein Verbot von Dichterlesungen? Weniger der Machtmissbrauch an sich ist unheimlich - Menschen haben nun mal diese Neigung -, als das verdruckste, verworrene, widersprüchliche, explosive Verhältnis der Untergebenen dazu. Petra Morsbach erkundet es in drei spannenden Reportagen. Wie in ihrem preisgekrönten Essay "Laura" über die "Wahrheit des Erzählens" hält sie sich dabei an die Sprache der Dramen. Denn die Sprache scheint nicht nur in der Literatur, sondern auch im realen Leben mehr zu wissen als der Mensch.

Über die moralischen Dilemmata hinaus zeigen die Szenarien vielschichtige, fesselnde Geschichten, deren Muster jedoch auch in Alltagssituationen erkennbar sind, ob in Familie oder Verein, Ausbildung oder Beruf, Kita oder Behörde. Eine präzise und verständliche Analyse der Mechanismen von Machtmissbrauch und dessen Duldung - und eine hilfreiche Anleitung zum Widerstand, die durch Corona eine besondere Aktualität erlangt hat. Wie achtet und beachtet man Grundrechte? Wie verteidigt man sie? Und wie holt man sie zurück, wenn sie verloren gegangen sind?
Autorenporträt
Petra Morsbach, geboren 1956, studierte in München und St. Petersburg. Danach arbeitete sie zehn Jahre als Dramaturgin und Regisseurin. Seit 1993 lebt sie als freie Schriftstellerin in der Nähe von München. Bisher schrieb sie mehrere von der Kritik hoch gelobte Romane, u.a. »Opernroman«, »Gottesdiener« und »Justizpalast«. Ihr Werk wurde mit zahlreichen Stipendien und Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Jean-Paul-Preis. 2017 erhielt sie den Roswitha-Literaturpreis der Stadt Bad Gandersheim und den Wilhelm-Raabe-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2020

Machtmissbrauch berauscht nicht weniger als Sex

Analyse eines Tabus: Petra Morsbach entwickelt einen essayistischen Aufklärungsratgeber.

Von Angelika Overath

Warum verfasst eine Schriftstellerin einen Essay über Manipulation und Widerstand? Vielleicht weil die Sprache der Manipulatoren sie interessiert. Denn Sprache ist eine subversive Komplizin der Aufklärung. So nimmt "Ein Elefant im Zimmer" das Thema eines früheren Essays von Petra Morsbach auf: In "Warum Fräulein Laura freundlich war" las sie Marcel Reich-Ranickis Autobiographie, Alfred Anderschs "Der Vater eines Mörders" und die "Blechtrommel" von Günter Grass sprachprüfend gegen den Strich und zeigte, was die Autoren sich und den Lesern vorenthalten. "Sprache ist ein Zaubermedium. Sie kennt uns besser als wir selbst."

Diesmal geht es nicht um literarische Prosa, sondern um drei (Rechts-)Fälle von Machtmissbrauch aus dem kirchlichen, dem politischen und dem kulturellen Leben. Damit bewegt sich das Buch im Themenbereich ihres preisgekrönten Romans "Justizpalast", in dem Petra Morsbach am Beispiel einer Richterin in das Justizmilieu unserer Gesellschaft führte. Was ihre drei Bücher verbindet, ist die Frage nach der Selbstbestimmtheit und Verantwortung des Individuums.

Ausgang für das neueste, "Der Elefant im Zimmer", war eine scheinbare Lappalie, die die Autorin selbst betraf. Im Sitzungsprotokoll der Bayerischen Akademie der Schönen Künste vom 21. Mai 2010 erschien beiläufig der Satz: "Buchvorstellungen macht die Akademie nicht." Vorausgegangen war ein Antrag der Autorin, seit 2004 Mitglied der Akademie, einen russischen Autor zu einer Lesung einzuladen. Er wurde abgelehnt. Auf ihre Nachfrage bei den Unterzeichnern des Protokolls (der Referentin und dem damaligen Direktor der Abteilung Literatur), woher diese "Regel" komme, erhielt sie keine Antwort, nur eine Wiederholung: "Als Problem an der Veranstaltung wird gesehen, dass es sich um eine Buchvorstellung handeln würde. Buchvorstellungen macht die Akademie nicht." Nur waren Dichterlesungen in der Akademie bis dahin üblich. Auch Petra Morsbach hatte wiederholt Schriftsteller eingeladen. Es folgten sich über Monate hinziehende Querelen mit letztlich vagem Ausgang. Das Ganze klingt kafkaesk, lässt sich aber - von Morsbach detailliert nachgezeichnet - in seinem Widersinn nachvollziehen. Mit dieser Erfahrung (diffuser Machtmissbrauch einer Instanz, Wegsehen der meisten Betroffenen) war bei ihr ein prinzipielles Erkenntnisinteresse geweckt.

Ein Individuum ändert sein Verhalten mit der Gruppe, zu der es gehört oder gehören möchte. Es nimmt sich zurück, schweigt um seiner Sicherheit willen. Ohne genau zu wissen, was es tut, akzeptiert es den Elefanten im Raum, ignoriert ein Problem, das alle spüren, aber nicht anzusprechen wagen. Lassen sich solche Prozesse, die es in allen gesellschaftlichen Gruppen, von der Kita bis zum Firmenaufsichtsrat, geben kann, beschreiben und systematisieren?

Zu den zentralen Strategien im Machtmissbrauch gehört das Tabu. Den Elefanten benennen hieße, die Ruhe der Macht zu stören, die, je mehr sie sich bedroht fühlt, umso heftiger reagiert. Petra Morsbach schrieb also das Buch, das sie, wie sie sagt, damals in ihrem Streit selbst gerne gehabt hätte. Bevor sie aber genauer auf den "Sturm im Reagenzglas" der Akademie eingeht, greift sie auf zwei weit schwerwiegendere gut dokumentierte Fälle zurück.

Im ersten Kapitel geht es um den einst ranghöchsten Kleriker Österreichs, Hans Hermann Groër, Kardinal und Vorsitzender der Bischofskonferenz des Landes. Im März 1995 beschuldigte ihn ein ehemaliger Schüler im Wiener Nachrichtenmagazin "Profil" des sexuellen Missbrauchs. Daraufhin meldeten sich, nach zwanzig, dreißig Jahren, weitere Opfer. Es kam eine Lawine ins Rollen, die klarmachte, dass die sexuellen Neigungen und Taten des Kardinals in hohen Kirchenkreisen durchaus bekannt waren. Morsbach interessiert sich in ihrem close reading der Dokumente (sie sind vom Journalisten Hubertus Czernin in "Das Buch Groër" versammelt worden) weniger für die sexuellen Handlungen selbst als für die Reaktionen auf beiden Seiten. Mächtige wichen aus, wehrten ab, explodierten, schüchterten ein; Opfer lavierten.

Morsbach ist eine Sprachdetektivin, die Formulierungen abklopft: "Wie wir gesehen haben, hatte kein Hochkleriker dem Kardinal auch nur ein Gramm Vertrauen ausgesprochen, was darauf schließen lässt, dass sie an Groërs Unschuld nicht glaubten, seiner Schuld aber weniger Bedeutung beimaßen als dem Image der Kirche." Mit "kaltem Auge" seziert sie Wutbriefe auf deren Rhetorik hin, vom "autoritären Stil", dem "Gestus der moralischen Entrüstung", der "gekränkten Unschuld", in der sich der Beschuldigte als Opfer zeigt, dem "Züchtigungston", den "Drohgebärden" und nichtssagenden "Generalisierungen" bis hin zur Vermeidung von konkreten Sachebenen. Sie zeigt den Bluff der Macht. Und das Sichwinden mancher Opfer, die lieber zu Mitläufern der Mächtigen werden, als ihre Karriere innerhalb der Kirche zu gefährden.

Auch im Fall der bayerischen Sozialministerin Christine Haderthauer wollte sich niemand so recht mit den öffentlich erhobenen Vorwürfen auseinandersetzen. Selbst die Opposition kuschte. Mit Unterstützung ihres Mannes, Arzt in der Psychiatrie Ansbach, und des Patienten Roland Steigerwald, eines genialen Modellbauers, konnte Christine Haderthauer die Firma "Sapor Modelltechnik GbR" aufbauen, die ein Vierteljahrhundert lang unter dem Signum "Arbeitstherapie Modellbau" für wenig Geld in der Klinik Modellautos herstellen ließ und sie dann für Unsummen verkaufte. Mitgliedern der Staatsregierung sind Privatgeschäfte aber untersagt. Wie im Fall Groër kam auch im Fall Haderthauer erst Bewegung ins Spiel, als sich Einzelne (ein pensionierter Richter, ein Landtagsabgeordneter, unterstützt von Bloggern, dann von der Presse) wehrten.

Im Fall Hans Hermann Groër ging es um Sex, bei Christine Haderthauer um Geld. Um was aber ging es den Kulturfunktionären der Bayerischen Akademie der Künste? (Sie werden - aus rechtlichen Gründen? - nicht namentlich genannt, sind über die Akademie-Seite aber leicht zu identifizieren.) Ihr Antrieb muss banale Lust an der Macht gewesen sein. Wie im neunzehnten Jahrhundert Sex tabuisiert wurde, schreibt Morsbach, so werde im 21. Jahrhundert Macht tabuisiert. Aber Macht kann berauschend wirken wie Sex. Machtmissbrauch ist der moderne Elefant, über den sich das Individuum einschüchtern lässt.

Petra Morsbachs Buch ist ein großes Plädoyer für Kritik und Korrektur; sie sind der Sauerstoff des Rechtsstaats. Am Ende liefert sie einen Katalog mit 33 Empfehlungen und Überlegungen, die noch einmal zusammenfassen, wie - so abenteuerlich verschieden ihre drei Fälle auch sind - man Machtmissbrauch erkennt und wie dagegen vorzugehen wäre. Denn: "Oft können wir gefahrlos ethischer handeln, als wir meinen." Dabei ist nicht zu vergessen, dass jeder Einzelne, der den Protest wagt, die Lage verbessert. Er möge sich Verbündete suchen: "Zwei sind mehr als doppelt so viele. Drei stellen bereits eine organisierte Gegenwehr dar." Die Antwort auf ihre Ausgangsfrage - "Können Unmächtige mit legalen Mitteln einem Machtmissbrauch praktisch abhelfen?" - findet eine paradoxe Antwort: "Eigentlich nicht, aber sie sollten es versuchen, denn es bewirkt etwas."

Immerhin: "Der gefürchtete Kardinal Groër verschwand im Nonnenkloster, Frau Haderthauer zog sich aus der Politik zurück, der Akademiedirektor warf hin, der Präsident wurde abgewählt." Das alles liest sich streckenweise wie ein Krimi und verbirgt nicht, dass ein solcher Reportagen-Essay, wie der Widerstand selbst, sehr viel präzise Kleinarbeit kostet.

Petra Morsbach: "Der Elefant im Zimmer". Über Machtmissbrauch und Widerstand. Essay.

Penguin Verlag, München 2020. 368 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Angelika Overath lernt von Petra Morsbach, den Machtmissbrauch zu erkennen und nicht zu fürchten, sondern sich dagegen zu wehren. Spannend und lehrreich findet sie, wie Morsbach anhand dreier Beispiele aus dem politischen und kulturellen Bereich (eins davon aus ihrem eigenen Erfahrungsschatz) Machtmissbrauch identifiziert, analysiert und systematisiert. Von kühlem Erkenntnisinteresse geleitet, schreibt die Autorin laut Overath ein Plädoyer für die Kritik und gibt der Leserin schließlich Empfehlungen, wie gegen Machtmissbrauch vorzugehen wäre. Ein Buch wie ein Krimi, findet die Rezensentin.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Ihr Buch ist ein scharfsinniges und mutiges Plädoyer dafür, Widerstand zu leisten gegen die schlechten Sitten und gewohnheitsmäßigen Kungeleien, durch die Demokratie und Rechtsstaat beschädigt werden.« SWR2 "Lesenswert", Eberhard Falcke