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Um es gleich vorwegzunehmen: Das Schicksal des roten Katers ist schrecklich. Aber das der übrigen Figuren in dieser bitterbösen Geschichte nicht minder.Charles und Eva Caradec sind in die Vorstadt gezogen, um etwas Platz zu haben und im Grünen zu leben. Das Heizsystem wird aus erneuerbarer Energiegespeist, das Abwasser ebenso wie der Kompost recycelt. Und hinter den frisch verputzten Fassaden belauern sich die Nachbarn bald gegenseitig. Sie überwachenund strafen einander, es entstehen Intrigen und Affären. Die gemeinsamen Grillabende können nicht darüber hinwegtäuschen, dass das…mehr

Produktbeschreibung
Um es gleich vorwegzunehmen: Das Schicksal des roten Katers ist schrecklich. Aber das der übrigen Figuren in dieser bitterbösen Geschichte nicht minder.Charles und Eva Caradec sind in die Vorstadt gezogen, um etwas Platz zu haben und im Grünen zu leben. Das Heizsystem wird aus erneuerbarer Energiegespeist, das Abwasser ebenso wie der Kompost recycelt. Und hinter den frisch verputzten Fassaden belauern sich die Nachbarn bald gegenseitig. Sie überwachenund strafen einander, es entstehen Intrigen und Affären. Die gemeinsamen Grillabende können nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Versprechendauerhaften Glücks nicht im Neubaugebiet liegt, und als eine Nachbarin spurlos verschwindet, scheint die Katastrophe unabwendbar.Julia Deck komponiert genüsslich und grausam eine Handlung aus falschen Fährten und fragwürdigen Indizien, um den Leser gleichzeitig auf die Spur alsauch in die Irre zu führen. Ein bitterböse- ironischer Nachbarschaftsroman über moderne Mythen.
Autorenporträt
Julia Deck wurde 1974 in Paris geboren. Sie studierte Literatur an der Sorbonne, arbeitete für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften und unterrichtet an der Journalistenschule.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.2020

Nur Realität, keine Wahrheiten, bitte!

In ihrer fein komponierten Milieustudie "Privateigentum" dekonstruiert die Pariserin Julia Deck neubürgerliche Vorstellungen vom richtigen Leben.

Ich transkribiere nicht, ich konstruiere!", hielt der französische Romancier Alain Robbe-Grillet den Kritikern des Nouveau Roman einst entgegen. Nicht Realismus oder gar Verismus, sondern allein die Realität müsse Gegenstand der Literatur sein, heißt es in seinem 1955 erschienenen Aufsatz "Du réalisme à la réalité". Eindeutig gezeichnete Figuren, eine kohärente Handlung und eine konsistente Erzählinstanz erklärten Robbe-Grillet und seine Mitstreiter im prestigeträchtigen Verlagshaus Les Éditions de Minuit, Nathalie Sarraute, Claude Simon oder Michel Butor, damals zu "überkommenen Begriffen". Die Literatur übertrage nicht Phänomene der Realität in Sprache, sondern ordne vielmehr das Chaos der Welt und die multiplen Perspektiven auf sie in einen Kontext ein, der die Bezeichnung "Realität" überhaupt erst verdiene.

In Zeiten, in denen Wahrheit und Realität vielerorts synonym verwendet werden, ist dieser literarische Ansatz, der die Widersprüchlichkeit und Vorläufigkeit aller Weltbetrachtung immer mitdenkt, hochaktuell. "Ich rationalisiere keine Gedankenflüsse, die nicht rationalisierbar sind", gab unlängst die französische Autorin Julia Deck zu Protokoll. Deck gilt als virtuoseste zeitgenössische Vertreterin der "École de Minuit". Anders als ihre Vorgänger verankert die 1974 in Paris geborene Autorin ihre Romane allerdings in einem greifbaren Hier und Jetzt. Ihr 2013 auf Deutsch erschienener Erstling "Vivianne Elisabeth Fauville" etwa erzählt von einer alleinerziehenden Mutter, die im Wutrausch ihren Psychiater ersticht, wobei die Schilderung aus fünf verschiedenen Perspektiven erhebliche Zweifel am "realen" Ablauf des Geschehens hinterlässt. Julia Deck erzählt von Frauen, die aus Erwartungen, Rollenbildern und Fremdbestimmung ausbrechen, um sich alternative Identitäten und Realitäten zu erschaffen.

Auch in "Privateigentum", Decks drittem ins Deutsche übersetzten Roman, geht es um ein Verbrechen und um eine Frau, die mit aller Gewalt versucht, die Wirklichkeit nach ihrer Vorstellung zu interpretieren. Eva Caradec, eine erfolgreiche Urbanistin Anfang fünfzig, hat genug vom Leben in der Pariser Innenstadt und erfüllt sich mit ihrem Mann Charles endlich den Traum vom Eigenheim jenseits der Stadtgrenze. Ihre hochpreisige Ökowohneinheit in einer aufwendig sanierten Speicherstadt mit Solarstrom, Kompostbecken, Biogasheizung und Gemüsegarten untermauert Evas und Charles' "Triumph, unseren Aufstieg zum Privateigentum". Spätestens als die anderen Eigentümer einziehen und Eva im Vorort-Supermarkt keinen Schafsmilchjoghurt für ihren maladen Ehemann findet, kippt das neubürgerliche Glücksszenario allerdings in einen Albtraum: Die Hölle, das sind die Nachbarn, und im Vorort gibt es zwar jede Menge Grün, aber "nicht genug Platz, damit jeder so leben konnte, wie er wollte". Eine massakrierte Katze, eine vermisste, vermutlich ermordete Nachbarin sowie ein ausgebranntes Doppelhaus stehen am Ende dieser bitteren Erkenntnis.

Julia Deck legt zahlreiche Fährten aus, wie es zu diesen kuriosen Unglücksfällen kommen konnte, konterkariert diese aber sogleich mit alternativen Versionen des Geschehens. Den offensichtlich tendenziösen Monolog, den Decks Ich-Erzählerin Eva an Charles richtet, liest man als Spiegel ebenjenes Selbstbetrugs, der unweigerlich in den Abgrund führt: "Ich dachte, dass wir wirklich Grund hatten, glücklich zu sein, es sprach einfach alles dafür." Wären da nur nicht die anderen. Nicht nur streikt die brandneue Bioheizungsanlage, auch die Nachbarn entpuppen sich nach und nach als ideale Projektionsfläche für das eigene Lebensunglück.

Annabelle Lecoq etwa ist Agentin in der Immobilienagentur ihres Mannes Arnaud, sorgt mit ihren "Mikroshorts" für Aufsehen bei den männlichen Anwohnern und inszeniert sich als perfekte Mutter und wilde Partymaus zugleich. Ihr Kater streunt im Garten der Caradecs umher, und die Bauarbeiten an ihrer neuen Terrasse stören die himmlische Ruhe im Viertel. Die Lecoqs führen Böses im Schilde, da sind sich Eva und Charles Caradec sicher: "Sie hofften nicht darauf, dass wir umzogen. Sie wollten uns leiden sehen, uns am Denken hindern, am Lieben. Sie wollten das komplexe Konstrukt unseres Bündnisses zerstören. Sie planten unsere totale und endgültige Vernichtung", monologisiert Eva, wobei da längst klar ist, dass sie als Erzählerin höchst unzuverlässig ist und vor allem die Absicht verfolgt, ihre Affäre mit Arnaud Lecoq als hinterhältige Verführung auszugeben.

Den Vorwurf des akademischen Elitismus, den man dem Nouveau Roman oft machte, widerlegt Julia Deck trotz der anspruchsvollen Architektur ihres Romans durch eine subtil-ironische und immer konkrete Gesellschaftskritik. Als Urbanistin entwickelt Eva gegen den sozialen Verfall am Stadtrand etwa das herrlich unsinnige Konzept des "unbestimmten Raums", das eine "dichte, aber leichte Bepflanzung" vorsieht und mit auswechselbaren Materialien arbeitet, "so dass die Anwohner selbst entscheiden können, wie sie den Raum nutzen wollen". Zugleich verkauft der Immobilienmakler Arnaud, der "wirkte wie jemand, der nicht den leisesten Selbstzweifel hatte", eine marode Erdgeschosswohnung, deren Käufer darauf setzt, "dass seine Investition sich dadurch rentieren werde, dass er die Wohnung an arbeitende Immigranten vermietet".

Eigentum, so scheint es bei Julia Deck, verpflichtet nicht, sondern berechtigt vielmehr zur bedingungslosen Verteidigung der eigenen Bedürfnisse. Die innere Verlorenheit derjenigen, die um jeden Preis die Kontrolle über ihr kleines Glück bewahren wollen und genau daran zugrunde gehen, ist in diesem Roman nirgends explizit formuliert, aber überall präsent. Ihren erklärten Vorbildern vom Nouveau Roman ist Julia Deck in dieser Milieustudie in Thrillerformat treu geblieben. Sie erzählt nicht von einer kohärenten Realität, sie deklamiert keine Wahrheiten, sondern erschafft durch die Struktur ihrer Erzählung erst eine widersprüchliche Version der Welt da draußen. Der Wagenbach-Verlag veröffentlicht das schmale, von Antje Peter vortrefflich übersetzte Buch in seiner Reihe "Romane für eine Nacht". Julia Decks Kammerspiel über ein zutiefst verunsichertes Kleinbürgertum, dem jede gesellschaftliche Solidarität abhandengekommen ist, beschäftigt weit darüber hinaus.

CORNELIUS WÜLLENKEMPER

Julia Deck:

"Privateigentum". Roman.

Aus dem Französischen von Antje Peter. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2020.

140 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Für Rezensentin Marielle Kreienborg erweist sich die französische Autorin Julia Deck mit diesem Roman einmal mehr als spöttische Beobachterin bourgeoiser Bizarrerien. Wenn sie von der Stadtplanerin Eva erzählt, die mit ihrem depressiven Ehemann in ein Ökoviertel am Pariser Stadtrand zieht, erweist sich die ethisch korrekte Neubausiedlung ziemlich bald als Vorhölle der Heuchelei, frohlockt die Rezensentin, die auch dank der unzuverlässigen Ich-Erzählerin Eva mit großem Vergnügen den "banalen Ungeheuerlichkeiten" dieser Szenerie gefolgt ist.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2020

Gefährlich
aufgeräumt
In dieser Geschichte vergisst man leicht, wo oben
und unten ist: Julia Decks „Privateigentum“
VON ALEX RÜHLE
Also, schöner geht doch gar nicht. Ein Häuschen im Grünen, im Umland von Paris, funkelnagelneu, in einer verkehrsberuhigten Straße. Kommet herzu, es ist alles bereit. Auf den Dächern glitzern die Solaranlagen. Die Abfälle werden durch ein unterirdisches Netz automatisch zur Müllverwertungsanlage transportiert. „Das war modern und moralisch einwandfrei zugleich. Wir waren begeistert.“
Wir, das sind Eva und ihr Mann Charles Caradec, beide Anfang 50, sie Urbanistin, er anscheinend Privatier, jedenfalls ist er dauernd zuhause. Beide haben das Gefühl, hier endlich angekommen zu sein. Gut, die Straße muss noch mal aufgerissen werden, um Wärmeaustauscher zu installieren. Und diese Lecoqs, die direkten Nachbarn, scheinen doch recht prollig zu sein, er immer laut am Telefonieren, sie mit ihren pornösen Hotpants, dazu ein nerviges Baby und dieser penetrante Kater, der einfach durch alle Gärten streift. Aber sonst ist wirklich tout parfait, die schneeweißen Wände, der buchsbaumumsäumte Garten. „Wir hatten von unserem Wohnzimmer aus noch nie soviel Himmel gesehen.“
Dieses Intro erinnert in seiner Mischung aus Immobilienwerbung und Kleinstadtpersiflage an den Anfang von David Lynchs „Blue Velvet“, in dem die Kamera die pittoresken Häuserfronten der Kleinstadt Lumberton geradezu abzuschlecken scheint – aber dann liegt da plötzlich ein abgeschnittenes Ohr auf der Wiese. Hier, in der verkehrsberuhigten Seitenstraße der schicken Speicherstadt, liegt eines Morgens der Kater der Nachbarn in der Baugrube. Also die Reste des Katers. Einige Gedärme liegen auch auf der Absperrung der Baustelle rum. Kurz darauf verschwindet Madame Lecoq mit ihrem Sohn. Das war’s dann auch schon wieder mit dem Idyll.
Die Pariser Autorin Julia Deck schreibt seit zehn Jahren feine, fiese Meisterwerke. „Privateigentum“ passt hervorragend in die Wagenbachreihe „Kleine Romane für eine Nacht“. Um im Immobilienjargon zu bleiben: Auf den ersten Blick mutet der Texte an wie ein helles Tiny House, herrlich, wie hier alles am richtigen Ort steht und auf jedes Beschreibungsdetail geachtet wird. Aber kaum hat man sich über die Schwelle des Romans begeben, wirkt vieles suspekt, ja bald unheimlich wie Gregor Schneiders Haus Ur, in dem sich Räume drehen, hinter der Wand ein Ticken zu hören ist und man irgendwann nicht mehr weiß, bin ich hier im Keller oder auf dem Dachboden? Und wo ist eigentlich die Hausherrin hin, die mich gerade noch so zuvorkommend in ihr neues Eigenheim gebeten hat?
In Decks erstem Roman „Viviane Élisabeth Fauville“ bringt eine Psychopathin ihren Analytiker um, weil der ihr nicht die Antworten liefert, die sie bei ihm sucht, sondern stattdessen nur immer ihre Fragen an sie zurückspielt. Das nervt natürlich, da muss man schon verstehen, wenn Viviane eines Tages zum Messer greift. Oder hat sie gar nicht? Schon in diesem Erstling hat Julia Deck ihren Text so gestrafft, dass er vom ersten Satz an wie ein perfektes Uhrwerk tickt, alle Federn bis auf Äußerste gespannt. Auch da hat sie unter der Oberfläche eines Krimis ein so scharfsinniges wie gemeines Sozialporträt einer überspannten Bourgeoisie in ständiger Angst vor dem Absturz versteckt. Vor allem aber fiel an diesem Erstling die Erzählstruktur auf: Jedes Kapitel war durch ein anderes Personalpronomen geprägt. Im ersten erzählte „Ich“, das zweite richtete sich an ein „Du“, das dritte erzählte von einer „sie“ und irgendwann sind „wir“ eben alle ein bisschen psychopathisch und man weiß nicht mehr Recht, wer nun schuld an was noch mal genau sein soll.
In „Privateigentum“ wendet sich Eva, die Erzählerin, an ein Du, ihren Mann. Sie arbeitet als Urbanistin am Konzept des „unbestimmten Raumes“, das mit architektonischen Modulen arbeitet, „so dass die Anwohner selbst entscheiden können, wie sie den Raum nutzen wollen.“ Alles kann alles sein, die Architekten halten sich raus. Klingt erstmal nach postmodernem Bullshit-Bingo. Kann aber später, wenn es um tote Tiere und verschwundene Nachbarn geht, auch zum verdächtigen Indiz werden, die Frau drückt sich ja schon in ihrer Arbeit vor aller Verantwortung.
Man bekommt früh mit, dass diese Eva einiges nicht erzählt, ja es wirkt, als stünde sie in ihrer neu erworbenen Immobilie wie auf einer perfekt aufgeräumten Bühne vor dem heruntergelassenen Vorhang, während hinter diesem Vorhang des Schweigens, zwischen den Kapiteln, irgendwo in den Weiten des Weißraums, ganz andere hochinteressante Dinge geschehen. Vieles muss man sich aus Nebensätzen erschließen. Ihr Mann ist einem eingangs durchaus sympathisch mit seinen misanthropischen Kommentaren über die neuen Nachbarn. Er liest begeistert auf der Terrasse anthropologische Bücher, in denen es um „die Entstehung von Gemeinschaften“ geht, „ihre Sitten und Gebräuche, die Art und Weise, wie sie zusammenwachsen und sich erhalten und am Ende unweigerlich zerstört werden.“ Aber dann stellt sich nebenbei heraus, dass er seit 27 Jahren in Therapie ist und nicht mehr arbeiten kann, weil er permanent irgendwelche Mittel nehmen muss. Wenn so jemand eingangs laut darüber sinniert, den nervigen Kater der Nachbarn am besten umzubringen, hat er später sehr schlechte Karten.
Sex scheint erst mal keine Rolle zu spielen, es wirkt, als seien die beiden Mittfünfziger längst sozusagen aus der Vögel- in die Vogelperspektive gerückt, man beobachtet das Treiben der anderen aus der Ferne, und die jungen Frauen auf der Straße gewinnen „wie das Unkraut unter unseren Fenstern immer mehr an Boden.“ Aber dann mehren sich die Indizien dafür, dass diese Eva immer wieder deftigen Sex mit ihrem Architektenkollegen hat. Wer hier noch nicht gemerkt hat, dass er beim Lesen dieses hochintelligenten Textlabyrinths höllisch aufpassen muss, der läuft Gefahr, dass er irgendwann im falschen Haus steht und plötzlich fliegt ihm alles um die Ohren.
Julia Deck: Privateigentum. Aus dem Französischen von Antje Peter. Klaus Wagenbach Verlag Berlin 2020. 144 Seiten, 18 Euro.
Die beiden Mittfünfziger sind
längst aus der Vögel- in die
Vogelperspektive gerückt
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»Von Anfang an versetzt Julia Deck den Leser in Alarmbereitschaft, jeder Satz ist mehrdeutig und doppelbödig. Mit beißendem Spott macht sie sich über die heutige Bourgeoisie lustig.« Les Inrockuptibles