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Sinjawskij verbindet in seinen phantastischen Erzählungen und satirischen Romanen das große Akkordeon der russischen Literatur mit der Leichtigkeit eines Milan Kundera und der Fabulierlust eines Günter Grass. Seine ersten Bücher stellte Andrej Sinjawskij unter dem Pseudonym Abram Terz vor, ein Deckname für den Literaturwissenschaftler am Moskauer Gorki-Institut für Weltliteratur, der tagsüber an Studien arbeitete und nachts Erzählungen und Romane schrieb, die eine ironische Abrechnung mit dem Stalinismus vorlegten. Unsere Edition, eine Neuübertragung der Dostojewskij-Übersetzerin Swetlana…mehr

Produktbeschreibung
Sinjawskij verbindet in seinen phantastischen Erzählungen und satirischen Romanen das große Akkordeon der russischen Literatur mit der Leichtigkeit eines Milan Kundera und der Fabulierlust eines Günter Grass. Seine ersten Bücher stellte Andrej Sinjawskij unter dem Pseudonym Abram Terz vor, ein Deckname für den Literaturwissenschaftler am Moskauer Gorki-Institut für Weltliteratur, der tagsüber an Studien arbeitete und nachts Erzählungen und Romane schrieb, die eine ironische Abrechnung mit dem Stalinismus vorlegten. Unsere Edition, eine Neuübertragung der Dostojewskij-Übersetzerin Swetlana Geier, ist ein lang erwartetes Desiderat, das wie kein zweites Werk Einblick gibt in einen der großen Momente der Weltliteratur.
Autorenporträt
Sinjawskij (Abram Terz), AndrejAndrej Sinjawskij, die »Stimme Ost-Europas« (Heinrich Böll) wurde 1925 in Moskau geboren, war Dozent am Gorki Institut für Weltliteratur. Seine ersten Bücher stellte Andrej Sinjawskij unter dem Pseudonym Abram Terz vor. Nach Veröffentlichungen im Westen wurde er verurteilt und von 1965 bis 1971 in Lagern interniert, 1973 emigrierte er nach Frankreich, wo er bis zu seinem Tod 1997 als Professor für russische Literatur an der Sorbonne lehrte.

Geier, SwetlanaSwetlana Geier (1923-2010) hat u. a. Sinjawskij, Tolstoi, Solschenizyn, Belyi und Bulgakow ins Deutsche übertragen. Für ihr Werk, das sie mit der Dostojewskij-Neuübersetzung krönte, wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. - In der Reihe Fischer Klassik liegen sämtliche ihrer im Ammann Verlag erschienenen Dostojewskij-Übersetzungen vor: 'Verbrechen und Strafe' (Bd. 90010), 'Der Spieler' (Bd. 90446), 'Der Idiot' (Bd. 90186), 'Böse Geister' (Bd. 90245), 'Ein grüner Junge' (Bd. 90333), 'Die Brüder Karamasow' (Bd. 90114) sowie 'Aufzeichnungen aus dem Kellerloch' (Bd. 90102). Über ihr Leben und ihre Arbeit gibt Swetlana Geier Auskunft in dem von Taja Gut aufgezeichneten Buch 'Swetlana Geier. Ein Leben zwischen den Sprachen' (Bd. 19221).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2002

Der eingeweckte Dichter
Neu übersetzt: Andrej Sinjawskijs "Terz" / Von Felix Philipp Ingold

Andrej Sinjawskij war vierzig Jahre alt, als er im September 1965 auf offener Straße in Moskau verhaftet und, in einem kurzfristig anberaumten Prozeß, zu sieben Jahren Arbeitslager verurteilt wurde. Die Anklage hatte Sinjawskij, der auf "nicht schuldig" plädierte, der Abfassung und illegalen Verbreitung "antisowjetischer" sowie "pornographischer" Schriften bezichtigt. Damit waren keineswegs die in der Sowjetunion legal erschienenen Texte über Picasso, Pasternak und die frühsowjetische Versdichtung gemeint, mit denen sich der Autor als Essayist und Literarhistoriker einen Namen gemacht hatte, sondern diverse Erzählwerke, eine Sammlung aphoristischer Prosa ("Gedanken, dann und wann") und ein kritischer Versuch über den sozialistischen Realismus, die er zwischen 1955 und 1965 verfaßt und teilweise - unter dem anrüchigen Pseudonym "Abram Terz" - im westlichen Ausland veröffentlicht hatte.

Die offizielle Kriminalisierung und Politisierung seines literarischen Frühwerks hat dazu beigetragen, daß Sinjawskij auch nach der Entlassung aus dem GULag (1971) und der Übersiedelung nach Frankreich (1973) weithin als typischer Vertreter des russischen Dissidententums galt, was ihn als Gesinnungs- und Leidensgenossen eines Alexander Solschenizyn oder Wladimir Bukowskij auszuweisen schien. Gegen solche Nachbarschaften hat sich Sinjawskij aber stets entschieden verwahrt - für ihn war Dissidenz kein bloß politisches und zeitbedingtes Phänomen, sondern die unabdingbare Prämisse jedweden Künstlertums. Als kritischer Autor habe er nicht einfach "dagegen" sein wollen, seine Ambition habe vielmehr darin bestanden, "anders" zu sein und "anders" zu schreiben als die Mehrheit seiner angepaßten Schriftstellerkollegen. Mithin ist Dissidenz für Sinjawskij ästhetische Opposition und konsequent praktizierter Individualismus in einem.

Unter dem Namen und hinter der Maske des jüdischen Gangsters Abram ("Abraschka") Terz, der einst in Odessa Furore gemacht hatte, richtete sich Sinjawskij eine literarische Existenz ein, die ganz auf die Kunst der Phantasie vertraute, statt bloß, wie es der Sowjetliteratur per Dekret verordnet war, die Wirklichkeit am Beispiel von "positiven Helden" in ihrem idealen Soll-Zustand darzustellen. Kein vorgegebenes Ziel sollte erreicht, keine vorgefaßte Wahrheit beglaubigt werden, es sollte eine autonome künstlerische Welt entstehen, die durch nichts okkupiert werden konnte, eine erfundene, ja absurde Welt, die in ihrer Abgehobenheit zugleich wahrhaftiger sein sollte als die geschönte, letztlich menschenfeindliche kommunistische Utopie.

Sinjawskijs Frühwerk, das nun in deutscher Neuübersetzung wieder greifbar ist, dokumentiert den unbedingten Willen des Autors, sich jeder Festlegung zu entziehen und konsequent künstlerischen Eigensinn walten zu lassen. Beugt man sich heute über die beiden Kurzromane "Das Verfahren läuft" (1956) und "Ljubimow" (1962/1963) sowie die sieben ersten Erzählungen (1955-1961) des Abram Terz, ist man konfrontiert mit einer "phantastischen Welt", in der alles verrückt, abartig, schrill, makaber ist. Kausalität wie Chronologie sind außer Kraft gesetzt, Lebenswelt und Totenreich, Erinnerung und Spekulation, erste, zweite, dritte Person gehen ineinander über, und alle Mittel der Groteske werden eingesetzt, um die in ständigem Identitätswandel begriffenen Ich-Erzähler und Antihelden all der abstrusen Geschichten ins Monströse zu verfremden. Unheimlich wird es dabei gleichwohl nie, im Gegenteil, die von Sinjawskij vorgeführten Protagonisten - Diktatoren und Usurpatoren, Staatsdiener und Parteifunktionäre, graphomanische Literaten und sexbesessene Frauenzimmer, dazu ganz gewöhnliche Saufkumpane, Zirkusartisten, Spinner und Spanner - kommen enttäuschend harmlos daher.

Wenn einst Solschenizyn und seinesgleichen frontal gegen den sowjetischen Unrechtsstaat angetreten sind, um den alltäglichen Horror, die Defizite und Verfehlungen des "real existierenden Sozialismus" vor Augen zu führen, hat Sinjawskij sich damit begnügt, als "Abram Terz" ein clowneskes Schattendasein zu führen. So erklärt sich wohl auch, gerade mit Blick auf sein Frühwerk, die Unbedarftheit seiner Widerrede, die dem Argument stets die poetische Metapher, der Grundsatzkritik den ironischen Tadel, der entlarvenden Antiutopie die schiere Phantasterei vorzieht. Nie hat Sinjawskij alias Terz den Nimbus des Märtyrers für sich beansprucht, und wenn er "anders" sein wollte, so war damit keine heroische Außenseiterrolle gemeint, vielmehr das Bedürfnis, vom offiziellen Klischee des moralisch erhabenen, parteilich gefestigten Sowjetmenschen abzuweichen, um die eigene Individualität spielerisch zu behaupten.

Die Tatsache, daß Sinjawskij solche Selbstbehauptung vorab in Suff und Sex, in der Erwartung des Tods und der Frage nach Gott verwirklicht sah, hat ihn für seine Ankläger und Richter dann doch zu einem gefährlichen Abweichler gemacht. In der Sowjetgesellschaft mußte sich, wie die Erzählung "Pchenz" (1955) eindrücklich beschreibt, jeder Individualist als außerirdisches Monstrum vorkommen: "Wenn ich schon einmal eine solche spezifische Existenz bin, dann muß ich auch unbemerkt bleiben. Und unbemerkt sterben. Denn sonst werden sie mich, sobald ich gestorben bin, in Spiritus setzen, in ein großes Glasgefäß, und im Zoologischen Museum zur Schau stellen ... Dabei bin ich gar keine Mißgeburt." Zehn Jahre nachdem er diese Sätze niedergeschrieben hatte, wurde Sinjawskij als "staats- und volksfeindliches Element" zwar nicht "in Spiritus" gesetzt, aber doch lange Zeit in einem Arbeitslager interniert, bevor man ihn nach Frankreich abschob und somit definitiv aus der klassenlosen Gesellschaft der sowjetischen Normalverbraucher ausschloß.

Die vorliegende Neuausgabe präsentiert "Die Werke des Abram Terz" in einer leicht lesbaren, gegenüber den sperrigen Originalen vielleicht etwas zu glatten Zweitübersetzung, die heutigem Wortgebrauch so weit angepaßt wurde, daß sogar Trendvokabeln wie "ordern" oder umgangssprachliche deutsche Ausdrücke wie "Tach!" und "Tschüs!" irgendeinem Iwan Iwanowitsch der fünfziger Jahre anstandslos von der Zunge gehen. Ungeklärt bleibt leider die Quellenlage der hier übersetzten Erzählwerke und sonstigen Schriften Sinjawskijs. Lediglich deren Entstehungsdaten werden - unvollständig - angeführt, wohingegen die Originaltitel und auch die jeweiligen Erstdrucke nicht ausgewiesen sind, was bei der schwer überschaubaren Migrations- und Publikationsgeschichte all dieser Texte als bedauerliches Defizit zu vermerken ist.

Andrej Sinjawskij: "Das Verfahren läuft". Die Werke des Abram Terz bis 1965. Herausgegeben und aus dem Russischen übersetzt von Swetlana Geier. Mit einer Nachbemerkung von Marija Rosanowa und einem Nachwort von Ulrich Schmid. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. 543 S., geb., 49,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Andrej Sinjawskij, 1997 im Pariser Exil gestorben, war nicht ein Autor, sondern gleich zwei. Unter seinem richtigen Namen wurde er bekannt für Erzählungen, Romane und literaturwissenschaftliche Essays. Furore gemacht hatte er zunächst jedoch unter dem Pseudonym Abram Terz in der Sowjetunion, mit vielgestaltiger, stets aber regimekritischer Literatur: das brachte ihm fünf Jahre Haft im Lager ein. Dieses Frühwerk, versichert Ilma Rakusa, sei auch und gerade unter ästhetischen Gesichtspunkten wieder zu entdecken. In den nun in einem stattlichen Band versammelten Texten erweise sich Terz nämlich sowohl als "absurder Fantast" von großer stilistischer Vielfalt wie als "Verwandlungskünstler", der neben einer "kriminalistischen Alter-Ego-Geschichte" ("Im Zirkus") auch Science-Fiction ("Pchenz") oder eine realistische Erzählung über die stalinistischen Ärzte-Prozesse von 1953 zu bieten hat. Dies ist, wie Rakusa mit Freude notiert, der erste Band einer geplanten Gesamtausgabe.

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