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Yasmina Reza hat ein anrührendes Porträt einer gealterten Schauspielerin geschrieben.
Aber funktioniert ihr Stil auch mit einer Protagonistin im hohen Alter?
VON JOSEPH HANIMANN
Wie schlecht diese Welt es mit uns meint, zeigt sich im Alltag mitunter noch vor der Kasse im Warenhaus. Da hat man sich zum Kauf einer elektronischen Waage entschlossen, weil man nach Ansicht des Arztes abnehmen sollte, und trifft auf derselben Etage auf die Gläser mit den leckeren Cashew-Nüssen im Trüffelöl. Das Streben nach Sinnhaftigkeit und richtigem Leben ist bei Yasmina Reza immer in banale Situationen gebettet, und das lange Reden darüber hat den Nachgeschmack von rhetorischem Naschwerk. Als wären die Figuren dieser Autorin regelrecht süchtig nach den Worthäppchen ihrer ausufernden Dauerkonversation.
Anne-Marie, die Titelheldin dieses neuen Buchs, ist auf diesem Weg schon weit in die Jahre gekommen und redet doch munter weiter. Ihr Mann, ihr Hausarzt, ihr Agent, ihre Nachbarn und auch ihre einstige Berufskollegin, die erfolgreiche Schauspielerin Giselle Fayolle, sind bereits alle tot. „Wenn man sie am ehesten brauchen würde, machen sie sich aus dem Staub“, murrt die alte Dame. Ihr ist aber genug Lebensenergie geblieben, um in einem langen Monolog noch einmal über ihre Theaterkarriere, ihre Kindheit im nordfranzösischen Saint-Sourd, ihre Anfänge am Pariser Théâtre de Clichy, ihr Verhältnis zu Giselle Fayolle, über ihre Traumrollen, das Altern, das Nahen des Todes und über das Anrühren von Schönheitsmasken aus Auberginen und Karotten zu referieren.
Ließ das subtil komponierte Hin und Her der freien Assoziation in Yasmina Rezas Romanen und Theaterstücken bisher jedoch sarkastische Funken sprühen, wirkt es in diesem Buch seltsam matt. Liegt es am Alter der Figur, die mit ihrem Titan-Knie und ihrer Sorge über erste Anzeichen von Altersverwirrung nicht mehr so locker über die Runden kommt? Einmal ertappt sie sich beim Herausholen des Kompotts aus dem Kühlschrank mit Ofenhandschuhen. Jedenfalls haben wir es bei der sonst eher auf Midlife-Krisen spezialisierten Yasmina Reza hier zum ersten Mal mit einer Figur im hohen Alter zu tun. Kann der beschwingt herbe Sprachstil von Rezas Personen überhaupt altern? Ja, er kann. Aber er verliert dabei seinen Biss. Anders als bei dem für die Autorin ursprünglich prägenden Vorbild Thomas Bernhard, dessen „Theatermacher“ und dessen „Minetti“ auch im Alter noch reichlichen Giftvorrat hatten, wirkt die Titelfigur dieses Buchs trotz vereinzelter Boshaftigkeiten beinah liebenswert.
Als junges Mädchen hatte Anne-Marie sich anhand von Zeitungsfotos die Schönheit Brigitte Bardots angeeignet und sich in die Person des Kinostars hineinfantasiert. Im Erwachsenenleben musste sie sich dann neben ihrer Kollegin Giselle Fayolle auf der Bühne mit bescheidenen Nebenrollen begnügen. Auf die gelegentlichen Liebesaffären der Jugendjahre folgte das Eheleben mit einem Mann, dem alles Unvorhergesehene ein Gräuel war – „hätte er im Zuchthaus gelebt, wäre er mit einem Programm von der Art 17h30 Elektroschock, 18h30 Folter zufrieden gewesen“. Auch im Theateralltag ist der ursprüngliche Zauber trüb geworden. „Du stinkst nach Zwiebeln“, sagte Anne-Marie als Klytämnestra manchmal zu ihrem den Agamemnon gebenden Partner. Und dieser wiederum hielt wenig von der geistigen Größe der dargestellten Figuren. „Die stammen direkt aus dem Neandertal, primitiv bis in die Gene“, meckerte er. Dennoch war es für Anne-Marie eine glückliche Zeit. Damals steuerte die Welt noch keiner Katastrophe entgegen, „da konntest du noch problemlos eine Bierdose aus dem Fenster werfen.“
In der Form erinnert dieses Buch an frühere Werke der Autorin wie den Roman „Eine Verzweiflung“ oder die Monologfolge „Im Schlitten Arthur Schopenhauers“. Es ist offensichtlich ein Lesetext, gleichzeitig aber auch auf der Bühne umsetzbar. Damit hängt das frühe Erscheinungsdatum der deutschen Ausgabe zusammen, die noch vor dem französischen Original im Oktober herauskommt. In Frankreich ist das Buch erst für Anfang nächsten Jahres angekündigt, zeitgleich mit Yasmina Rezas Eigeninszenierung ihres Textes am Pariser Théâtre National de la Colline, mit André Marcon in der Titelrolle, der in Paris gerade auch Thomas Bernhards „Theatermacher“ gespielt hat. Eher als um dessen große Weltkomödie geht es der schönen Anne-Marie um ein paar lieb gewordene Erinnerungen und um das Problem, dass das Kupferputzmittel im Supermarkt für ihr künstliches Knie immer zu weit unten im Regal liegt. Das bisschen Glück im Leben war ihr zu kurz und das sich drehende Rad des Schicksals ein Schreckensbild: „Am Anfang gehörst du zu den kleinen Leuten, und am Ende auch wieder.“
Diese Frau rührt uns an, wenn sie in ihrem langen Monolog in Form eines – wahrscheinlich nur imaginierten – Interviews auf ihr Leben zurückblickt und schwärmend immer wieder die Namen der Provinztheatertruppe ihres Heimatorts Saint-Sourd aufzählt, als wären es Zauberformeln für eine bessere Welt. So viel offene Einfühlung in eine Figur hat Yasmina Reza noch selten gezeigt. Die mitgelieferten Ansätze einer soziologischen Milieuskizze zu Anne-Maries Herkunft und Kindheit hingegen sind unscharf und bleiben anekdotisch. Yasmina Rezas Figuren brauchen keine Vorgeschichte, sie wirken am besten in ihren jeweiligen Augenblickslaunen. Dem entspricht auch die deutsche Übersetzung des Texts. Sie ist zwar in einzelnen Formulierungen durch die Nähe zum französischen Original nicht immer gleich auf Anhieb verständlich, federt aber elegant im Rhythmus der Launen und trifft den leisen Unterton, in dem der Humor Yasmina Rezas üppig nachschäumt.
Das bisschen Glück im Leben
war ihr zu kurz:
„Am Anfang gehörst du
zu den kleinen Leuten,
und am Ende auch wieder.“
Yasmina Reza:
Anne-Marie die Schönheit.
Aus dem Französischen von
Frank Heibert und Hinrich
Schmidt-Henkel. Carl Hanser Verlag, München, 2019. 80 Seiten.
17 Euro. Das Buch erscheint
am 21. Oktober.
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"Yasmina Rezas Text ist ein offener Erinnerungsraum, den Anne-Marie noch nicht vollständig aufgeräumt hat und der deshalb verschiedene Deutungen des Gewesenen zulässt. Die Übersetzer Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel haben den assoziativen Fluss mit Witz und elegantem Schwung ins Deutsche übertragen." Dina Netz, SWR 2 Lesenswert, 13.12.19
"Es ist der typisch beiläufige Reza-Tonfall, der auch diesen bitteren Erinnerungsmonolog durchzieht." Ute Büsing, rbb kultur, 01.12.19
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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