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1881 verbringt Friedrich Nietzsche seinen ersten Sommer in Sils-Maria im Oberengadin. Hier im Hochgebirge, "6000 Fuß jenseits von Mensch und Zeit", hat er an einem hellen Augustvormittag 1881 ein Offenbarungserlebnis, das er im Rückblick immer stärker mystifizieren wird: die Erkenntnis von der ewigen Wiederkehr. Ausgehend von diesem Erlebnis und dem Gedanken, der ein Angelpunkt seines Werks werden soll, schildert Sabine Appel Nietzsches persönlichen und werk-geschichtlichen Werdegang auf seinen diversen Stationen: Röcken, Naumburg und Schulpforta, Bonn, Leipzig, Basel und Tribschen, Bayreuth,…mehr

Produktbeschreibung
1881 verbringt Friedrich Nietzsche seinen ersten Sommer in Sils-Maria im Oberengadin. Hier im Hochgebirge, "6000 Fuß jenseits von Mensch und Zeit", hat er an einem hellen Augustvormittag 1881 ein Offenbarungserlebnis, das er im Rückblick immer stärker mystifizieren wird: die Erkenntnis von der ewigen Wiederkehr. Ausgehend von diesem Erlebnis und dem Gedanken, der ein Angelpunkt seines Werks werden soll, schildert Sabine Appel Nietzsches persönlichen und werk-geschichtlichen Werdegang auf seinen diversen Stationen: Röcken, Naumburg und Schulpforta, Bonn, Leipzig, Basel und Tribschen, Bayreuth, Basel, Sorrent, St. Moritz, Venedig, Genua, Sils-Maria, Rapallo, Nizza, Turin, Basel, Jena und schließlich Weimar, umnachtet seit Jahren und so auch auf seiner letzten Station. Mit Sensibilität und kritischer Reflexion zeichnet Sabine Appel den Weg eines Denkers nach, der wie niemand sonst das Selbstverständnis des 20. Jahrhunderts geprägt hat, dem aber in seine letzte Nacht niemand mehrfolgen konnte.
Autorenporträt
Günther Anders, geb. 1902, promovierte 1923 bei Husserl, emigrierte 1933 nach Paris und 1936 nach Amerika. Er ist 'der wahrscheinlich schärfste und luzideste Kritiker der technischen Welt' (Jean Amery).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Im Chor der Drachentöter
Günter Anders sorgt sich mit Heidegger / Von Rüdiger Bubner

Streitzentren wandeln sich allmählich zu historischen Gegenständen. Das ergeht auch den Heroen der Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts so, Wittgenstein oder Adorno nicht anders als Heidegger, an dem heute die Editoren und philologischen Entwicklungsforscher ihre fleißige und erhellende Arbeit tun.

Nun tritt, in Form von Gelegenheitsarbeiten und Nachlaßtexten, eine Jugendgeschichte aus ferneren Zeiten vor uns hin, die von der Beeindruckung eines Intellektuellen durch Heidegger berichtet, der freilich nach der Begegnung mit ihm ganz andere Wege einschlug. Günter Anders, Sohn des berühmten Psychologen William Stern, hatte unter anderem bei Heidegger studiert und war eine Weile verheiratet mit Hannah Arendt. Er machte nach dem Krieg als skeptischer Moralist mit einer halblinken Kulturkritik Karriere. Zwar teilte er die Melancholie über verlorene Hoffnungen auf Humanität mit der "Dialektik der Aufklärung", aber erreichte doch nicht die Reflexionstiefe des Verfasserduos Horkheimer und Adorno. Indes erntete Anders großen Erfolg mit seiner Klage über die "Antiquiertheit des Menschen". Das Fernsehen und die Atombombe geben das finstere Epochensymbol ab. Übrigens gehen Anders' Notizen ebenso wie die von Horkheimer und Adorno von kalifornischen Beobachtungen aus.

Da Günter Anders schon lange nicht mehr als einer der richtungweisenden Autoren der Gegenwart gilt, kommt diese fragmentarische Auseinandersetzung mit Heidegger zum günstigen Zeitpunkt. Alle Nachwachsenden haben seit Jahrzehnten sich die fundamentale Technikkritik an den Sohlen abgelaufen. Ein scheeler Blick auf die Moderne ist in weiten Kreisen davon übriggeblieben. Seit neuestem bezaubern allerdings die Feuilletons, in täglichem Rhythmus sich überstürzend, mit wundersamen Verheißungen der ökonomisch motivierten Biotechnologie. Man mag das neue Glück eines nach Plan produzierten Lebens kaum glauben.Vor diesem aktuellen Hintergrund wirkt eine Besinnung auf die Quelle der Technikkritik in Heideggers Werk erfrischend.

Die hier vorgelegten Texte von Anders beginnen 1933 mit einem bei Gabriel Marcel auf französisch referierten Bild der zeitgenössischen deutschen Philosophie, das die phänomenologische Richtung insgesamt vorstellt. Sie enden mit knappen und abschätzigen Bemerkungen aus der Mitte der fünfziger Jahre. Das ist die Zeit der "Antiquiertheit des Menschen". Als sehr hilfreich erweist sich für das ganz unorganisierte Notizenkonvolut, das in zeitlicher Abfolge präsentiert wird, ein informiertes und erfreulich unerregtes Nachwort von Dieter Thomä.

Wer sich mit Heidegger beschäftigt, gerät unvermeidlich in das Dilemma einer frommen Nachbeterei oder eines über die Faszination verärgerten Protestes. "Was nicht in Heideggers Philosophie einging", schreibt Anders 1946, "war die Tatsache der Industrialisierung, der Demokratie, der Weite der heutigen Welt, der Arbeiterbewegung - denn Heidegger ist provinzieller Mittelständler. Heideggers Herkunft aus der katholischen Theologie verleiht seiner atheistischen Lehre die Farbe einer Religion. . . . Dies die Geburtskonstellation: die Bewegung wurde geboren im Schatten des ersten Nachkrieges; um europäisches Ereignis zu werden in den Trümmerstätten des zweiten." (1946). Schon recht, aber was lernen wir hieraus? Daß der Philosoph kein Soziologe ist, konnte jedermann wissen.

Besonders verdächtig ist die "Schein-Konkretheit von Heideggers Philosophie": "Die simple Frage, warum das Dasein sich in tausend Besorgungen stürzt, warum es Tag und Nacht herumsorgt, diese Frage, die nicht die ,Bedingung der Möglichkeit', sondern ,die Bedingung der Nötigung' (der Sorge) betrifft, wird einfach unterschlagen. Kein Wunder, denn diese Frage hätte Heidegger aus der angeblich konkreten Analyse des praktischen ,Umgangs' in eine Analyse von Hunger und Bedürfnis, also in materialistische Probleme hineingezogen."

Ganze Bataillone von Kritikern haben diese Täuschung verdammt. Warum ist Ontologie nicht materialistisch? Das Vorbild Aristoteles hat zwar konkrete Dinge im Blick, er nennt sie aber "Substanzen". Warum eignet denn der Philosophie die strukturelle Verfremdung aller Wirklichkeit im Begriff? Vermutlich, weil sie nicht Wirklichkeitsregistratur betreibt, wie empirische Disziplinen, sondern um Wirklichkeitsverständnis bemüht ist.

Auf die prinzipiell erkenntnistheoretischen oder ideologiekritischen Bedenken gegenüber jeder Ontologie folgt im Falle Heideggers stets die moralische Vorhaltung. Wo bleibt die Ethik in "Sein und Zeit"? So haben die Leser - wohlmeinende und anders gesinnte - immer wieder gefragt. Der ausdrücklichen Forderung nach einer Ethik im Namen des Humanismus entzieht Heidegger sich im "Humanismus-Brief" mit einem Verweis auf den der Technik ausgelieferten Menschen. Der kann heutzutage "nur durch eine der Technik entsprechende Sammlung und Ordnung seines Planens und Handelns im ganzen noch zu einer verläßlichen Beständigkeit gebracht werden".

Man mag diese Auskunft unbefriedigend finden. Treffend erkannt ist jedenfalls der Zusammenhang einer laut vorgetragenen Ethikforderung mit dem technisch beherrschten Zeitalter. Daraus hat Anders selbst mit seinem Erfolgsbuch von 1956 massiv geschöpft. Die Tagesschau meldet uns abendlich das Neueste aus Ethik-Kommissionen angesichts der Programmatik organisierter Lebensplanung. Soweit also nichts Neues unter der hellen Sonne der Neuzeit. Allerdings haben sich die Dimensionen der Machbarkeit ins Gewaltige verändert. Was den fünfziger Jahren das Schreckbild der Atombombe war, ist dem neuen Jahrhundert die Vision vom geklonten Menschen. Der Drohung totaler Vernichtung entspricht jetzt die totale Perfektionierung.

Anders' Reflexionen über Heidegger beweisen auf weiten Strecken durchaus Vertrautheit und angemessenes Verständnis. Wiederholungen sind bei unredigierten Manuskripten unvermeidlich. Etwas aber treibt sie unablässig, wider den Stachel zu löcken. Hier gefällt sich jemand in der Pose des illusionsfreien Skeptikers, des Außenseiters und Durchschauers, des Besserwissers und Entschleierers. Das mag vor einem halben Jahrhundert eine Paraderolle gewesen sein. Inzwischen haben die Medien diesen Typ zum Standard erhoben und rekrutieren ihn massenweise. Da ist der einsame Rufer unversehens Teil eines gewaltigen, ständig tönenden Chores, in dem kein einzelner auffällt. Der Trend hat den Drachentöter überrollt.

So verdienen die sorgfältig gesammelten Texte überwiegend historisches Interesse. Wie kam es dazu, daß Heideggers aus der Metaphysikgeschichte hergeleitete Technikdiagnose trotz ihres elitären Zuschnitts derart in die Breite gewirkt hat? Und außerdem: Wie ungewollt nah stehen verfeindete Fraktionen sich doch in ihren Einsichten.

Günter Anders: "Über Heidegger". Hrsg. von Gerhard Oberschlick. Nachwort von Dieter Thomä. C.H. Beck Verlag, München 2001. 480 S., geb., 68,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Ludger Heidbrink bespricht zwei Bücher über Heidegger, die sich zumindest in zweierlei Hinsicht ähnlich seien: Beide kritisieren laut Heidbrink Heideggers antivitalistischen Standpunkt und beide heben die Bedeutung der Bedürfnisnatur hervor.
1) Günther Anders: "Über Heidegger"
Günther Anders kritisiert allerdings, wie Ludker Heidbrink darstellt, die Haltung Heideggers, der sich einer Stellungnahme zu den Problemen der Moderne verweigere. Heideggers Existenzialphilosophie spiegele die "radikale Vereinzelung des kleinbürgerlichen Individuums wider" und entziehe sich einer anthropologischen Fundierung des Individuums, fasst Heidbrink Anders Kritik Anders zusammen. So seien Anders gesammelte Aufsätze Ausdruck einer "tiefen Unzufriedenheit über die Tatenlosigkeit der Philosophie".
2) Peter Solterdijk: "Nicht gerettet. Versuche über Heidegger"
Dagegen übernehme Sloterdijk in gewisser Hinsicht den Ansatz Heideggers, meint Heidbrink, und führe diesen weiter, in dem er dessen Dekonstruktion des Menschen mit der Frage nach den Möglichkeiten der "Anthropotechniken" verbinde. So stelle Sloterdijk fest, dass der Mensch immer bereits "hybrid" gewesen sei, insofern er seine biologische Mangelhaftigkeit durch technologische Konstruktionen auszugleichen versuche. Ein Versuch demnach, sich dem Unausweichlichen zu überlassen, ohne die Kontrolle über die Entwicklungen zu verlieren, wie Heidbrink zusammenfasst.

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