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In einem Wohnheim für behinderte Menschen wird die junge Natalie Reinegger Bezugsbetreuerin von Alexander Dorm. Der Mann sitzt im Rollstuhl, ist von unberechenbarem Temperament und gilt als »schwierig«. Dennoch erhält er jede Woche Besuch - ausgerechnet von Christopher Hollberg, jenem Mann, dessen Leben er vor Jahren zerstört haben soll, als er ihn als Stalker verfolgte und damit Hollbergs Frau in den Selbstmord trieb. Das Arrangement funktioniere zu beiderseitigem Vorteil, versichert man Natalie, die beiden seien einander sehr zugetan. Aber bald verstört die junge Frau die unverhohlene…mehr

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Produktbeschreibung
In einem Wohnheim für behinderte Menschen wird die junge Natalie Reinegger Bezugsbetreuerin von Alexander Dorm. Der Mann sitzt im Rollstuhl, ist von unberechenbarem Temperament und gilt als »schwierig«. Dennoch erhält er jede Woche Besuch - ausgerechnet von Christopher Hollberg, jenem Mann, dessen Leben er vor Jahren zerstört haben soll, als er ihn als Stalker verfolgte und damit Hollbergs Frau in den Selbstmord trieb. Das Arrangement funktioniere zu beiderseitigem Vorteil, versichert man Natalie, die beiden seien einander sehr zugetan. Aber bald verstört die junge Frau die unverhohlene Abneigung, mit der Hollberg seinem vermeintlichen Freund begegnet. Sie versucht, hinter das Geheimnis des undurchschaubaren Besuchers zu kommen und die Motive seines Handelns zu verstehen. Dieser Roman ist eine Bergwerksfahrt in die Welt des Clemens J. Setz. Sie fördert ihre innere Ordnung zutage, ihre Geheimnisse und Prinzipien: Macht und Ohnmacht, Sinnsuche und Orientierungsverlust, Unterwerfung und Liebe in allen Spielarten - fürsorglich, respektvoll, besessen, Liebe als Wahn und als Manipulation. Und Rache. So subtil und schmerzhaft, dass die Frage nach Täter und Opfer in namenloses Gelände führt.


Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, D, I ausgeliefert werden.

Autorenporträt
Clemens J. Setz wurde 1982 in Graz geboren, wo er Mathematik und Germanistik studierte. Heute lebt er als Übersetzer und freier Schriftsteller in Wien. 2011 wurde er für seinen Erzählband Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Sein Roman Indigo stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2012 und wurde mit dem Literaturpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft 2013 prämiert. 2014 erschien sein erster Gedichtband Die Vogelstraußtrompete. Für seinen Roman Die Stunde zwischen Frau und Gitarre erhielt Setz den Wilhelm Raabe-Literaturpreis 2015. Mit Vereinte Nationen war Setz 2017 und mit Die Abweichungen 2019 zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. 2021 wurde er mit dem Georg-Büchner-Preis geehrt.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.09.2015

Wenn das Gehirn auf Touren ist
Was soll das sein? Thriller oder enzyklopädisches Großprojekt? Clemens J. Setz' Roman "Die Stunde zwischen Frau und Gitarre"

Der Grazer Schriftsteller Clemens J. Setz hat einen Roman geschrieben, "Die Stunde zwischen Frau und Gitarre", tausend Seiten dick, dessen Hauptfigur ein 21-jähriges weiblich-androgynes Wesen ist, das sich pausenlos Überlebensgeschichten erzählt. Als Kind hatte Natalie epileptische Anfälle, bei denen sie das Gefühl hatte, den Tod zu streifen. Auch wenn der letzte Anfall elf Jahre zurückliegt, ist sie noch immer in unaufhörlicher Selbstbeobachtung begriffen, denn jeder noch so unscheinbare Reiz kann zum Auslöser eines neuerlichen Anfalls werden. Ihr Gehirn ist ständig auf Touren, es bewertet, kommentiert, manipuliert, nimmt auf und mischt neu ab, um sämtliche Reize in gefahrlose Distanz zum gefährdeten Selbst zu rücken.

Natalie ist eine dieser hochbegabten Autisten, Endlos-Pubertierenden, Egozentriker, Narzissten voller seltsamer Verhaltensweisen, die bei Setz das Figurenkabinett stellen. Ihr Leben ist Erinnerung und Zitat, die Welt eine Nebellandschaft, zu der kein Bezug hergestellt werden kann. Schlafen kann sie nur, wenn sie getrunken, Tabletten oder Drogen genommen hat oder wenn Muskelrelaxan ihren Körper erschlaffen lässt. Hauptzauberstab für die Bannungsrituale aber ist das Smartphone, Natalie gibt es nicht eine Sekunde aus der Hand. Es verbindet sie mit der Welt und hält diese Welt auf Abstand. Natalie hat geschafft, wovon die Künstler seit der Romantik träumen: Leben und Kunst sind eins, was zugleich bedeutet, dass das Leben zur Lebenssimulation gerät.

Zu Romanbeginn hat sie eine Ausbildung zur Behindertenpädagogin abgeschlossen. Sie zieht in eine neue Wohnung und fängt wenige Wochen später in einem privaten Wohnheim als Betreuerin an. Sie bekommt zwei Klienten zugeteilt: Mike, 44, der bei einem Autounfall eine schwere Kopfverletzung erlitten hat. Und Alexander Dorm, etwa dreißig Jahre alt, Rollstuhlfahrer, von Geburt an körperlich beeinträchtigt, geistig aber weitgehend selbständig.

Dennoch kommt es für Dorm nicht in Frage, das Wohnheim zu verlassen. Denn da gibt es die Vorgeschichte, die Natalie langsam, sehr langsam, muss man leider sagen, freilegt. Dorm soll etwa zehn Jahre zuvor einen Mann, Dr. Christopher Hollberg, in den er sich Hals über Kopf verliebt hat, gestalkt haben. Angeblich hat er ihn mit Briefen und Telefonaten verfolgt, seine Ehefrau beleidigt und verleumdet, so lange, bis diese Selbstmord beging. Danach kam er für vier Jahre in die Psychiatrie, von dort ins Wohnheim. Und nahm sofort wieder Kontakt zu seinem "Opfer" Hollberg auf - das seltsam reagierte: Statt Dorm anzuzeigen, besucht Hollberg ihn einmal pro Woche.

Schon nach kurzer Zeit ist klar, dass zwischen den beiden Männern einiges anders läuft, als es die offizielle Version dieses sogenannten "Arrangements" wahrhaben will. Natalie beginnt mit Nachforschungen und bringt sich in Gefahr. Früh fällt ihr auf, dass die Besuche Hollbergs, die der verliebte Dorm angeblich herbeisehnt, etwas Quälendes, Sadistisches, manchmal offen Brutales haben. Ist das "Arrangement" etwa ein auf lange Sicht angelegter Racheakt? Der Roman gibt viele Signale in diese Richtung, die sich gegen Ende immer mehr verdichten. Hollbergs Geständnis zeichnet Natalie mit ihrem Smartphone auf und muss deshalb selbstverständlich aus dem Weg geräumt werden. Showdown à la Hollywood. Aber für Natalie geht alles gut aus. Sie überlebt und landet in einer digitalen Brave-New-World-Sekte.

Das ist der Plot, durchsetzt mit weiteren Nebenhandlungen, die die paranoiden Motive und den Topos der Verwandtschaft von Genie und Wahnsinn durchspielen. Mike hat immer wieder durch panische Angst ausgelöste kreative Schübe, in denen er die Wände und Decke seines Zimmers bemalt. Womit eigentlich? Mit Schönem, Grauenhaftem, Obszönem? Man erfährt es nicht. Hat Setz da vor den Grenzen der eigenen Phantasie und Beschreibungskunst kapituliert? Oder wendet er den Trick an, die Wand weiß (oder: schwarz) zu lassen, damit jeder seine eigenen Bilder, seine eigene Hölle projizieren kann? Da hätte er den Leser aber in die quälende Enge von Mikes Gehirn jagen müssen, statt Natalie nur ein Foto mit ihrem Smartphone machen zu lassen - bevor es ans Putzen geht.

So läppert die Geschichte oft vor sich hin, erscheint als Simulation eines Thrillers, Horrortrips, Psychodramas und hält den Leser in einer saftlosen Distanz zum Erzählten, statt ihn hineinzutreiben. Setz geht dabei nicht gerade sparsam mit retardierenden Momenten um, die die Story in eine enervierende epische Masse auswalzen. Die Dialoge wirken größtenteils leblos und scheinen nur um des Redens willen (oder Seitenfüllens) geführt zu werden. Dramaturgisch sind sie jedenfalls oft so unplausibel, dass man an der sonst ausgestellten Hyperintelligenz der Protagonistin so seine Zweifel bekommt. Was aber schwerer wiegt: Setz unterläuft mit der Plotfixiertheit seiner Geschichte sein gegenläufiges episches Verfahren einer langsam voranschreitenden achronologischen Erzählung, in der Exkurs und Abschweifung zum eigentlichen Erzählprinzip werden und Beschreibungen, Gedankenexperimente, Träume, Psychospiele epische Inseln, kleine Plateaus bilden, auf denen man sich gern ins Jenseits einer Story verlöre.

Wer einen Tausend-Seiten-Roman schreibt, hat Ambitionen. Der misst sich an den Größten der Gattung - und muss sich an ihnen messen lassen. Setz wird von der Kritik als Wunderkind, Genie gefeiert - aber ist seine Schreibmethode nicht nur ein Bluff? Da setzt einer eine psychotische, paranoide, von Streifen Schönheit durchzuckte Welt wie eine Waffe ein gegen seine Leser, um zu schauen, ob er sie manipulieren, unterwerfen, beherrschen kann. Setz ist fasziniert von der magischen Macht der Sprache, Abzählreime, Sprachspiele, Nonsensedialoge durchziehen das Buch, er beschreibt Aussehen und Haptik von Wörtern, ihre potentielle Wirkung als Brandbeschleuniger oder Besänftigungswerkzeug.

"Man kann Menschen mit dem richtigen Satz umbringen", heißt es ungefähr in der Mitte des Buchs. Davon ist Natalie überzeugt und demonstriert es, sie kontrolliert und manipuliert ihre Gegenüber immer wieder verbal, treibt sie in die Enge, verletzt, erregt sie und lässt sie dann wieder erschlaffen ("Berühr meinen Muttermund", flüstert sie beim Sex mit ihrem Freund Markus, der daraufhin nicht mehr kann. ,Was ist das Problem?' - ,Das Wort. Das ist falsch. Muttermund.'") Das ist Setz' "Arrangement". Aber es funktioniert nur so lange, wie der Leser mitspielt, also willig liest und weiterliest.

Die Verbindung heterogener Elemente, von Epik, Lyrik und Essay ist ein altes Problem der Gattung Roman. Die Romantiker haben darauf eine Antwort zu geben versucht, indem sie ein Poetisierungsprogramm starteten, Proust und Musil auf dem Höhepunkt der Moderne ein das Phänomen der Zeit und des Subjekts analysierendes, tendenziell endloses Erzählverfahren entwickelt. Setz versucht nun etwas Ähnliches für das digitale Zeitalter. Aber sein Plot hat nicht das Umfassende, Existenzielle, Transzendente, um mit dem formalen Problem zu Rande zu kommen, wie man eine Story, die im Grunde immer trivial ist, zu kosmischer Größe treibt.

Bei Setz kollidieren ständig zwei verschiedene Erzählwillen: Der eine ist megaloman: Er will das Internet, also das gesamte digital gespeicherte Menschheitswissen darstellen und wiedergeben - und nimmt dazu exemplarisch all das, was der Autor Setz je gedacht, gelesen, gehört, beobachtet hat, presst es durch das Gehirn seiner Figur Natalie. Der andere inszeniert einen perversen kleinen Thriller, der leider nicht besonders spannend ist. So liest man mit zwei Maßstäben und zwei Geschwindigkeiten im Kopf, was Schwindel auslöst und Widerwillen erzeugt. Die Handlung ödet einen an, die Gedanken- und Assoziationsoasen wünscht man sich ausufernd statt homöopathisch dosiert.

Es gibt ungeheuer viele Wiederholungen, die keine Entwicklung durchmachen. Es gibt Hunderte belanglose Storys, Sachen, die jeder gedacht hat als Kind, als Jugendlicher, als Erwachsener, ohne dass sie über sich hinauskämen. Alltagsbeobachtungen werden aufgebauscht und sind doch nur die News- und Blog-Banalitäten, die Netz-Fundstücke, die unsere Gehirne ohnehin zumüllen. (Dazu passend gibt es jetzt auch noch einen "Blog für betreutes Lesen - 100 Tage Clemens Setz", Lektüreerfahrungen, Kommentare - wer sich das antun mag, bitte.)

Aber Setz' Roman wird sicher viele Fans finden und in seiner Generation, unter den digital natives, garantiert Kult. Der Anschluss ist leicht, die Hauptfigur reizvoll ambivalent, das Ambiente düster fluoreszierend. Eine krass-schöne unbehauste Behaustheit, in der einem geboten wird, was man auch schon empfunden und gedacht hat, da fühlt man sich nicht überfordert, sondern erkannt und anerkannt. Und der Roman schenkt Distinktionspartikel en masse, das zieht an. Wer aber hin will, wo er noch nicht war, der wird mit "Die Stunde zwischen Frau und Gitarre" nicht sehr glücklich werden.

BETTINA HARTZ

Clemens J. Setz: "Die Stunde zwischen Frau und Gitarre". Roman. Suhrkamp, 1021 Seiten, 29,95 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Dieser geniale Roman ... hat das Zeug dazu, zu einem Kultroman zu werden."
Ijoma Mangold, DIE ZEIT 27.08.2015

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.09.2015

Anmutige Erstarrung
Clemens J. Setz hat einen wahnwitzigen Stalker-Roman geschrieben –
„Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“, das sind tausend Seiten Terrorpoesie
VON JUTTA PERSON
Es gibt einen Kater in diesem Roman, der Chat heißt. Chat, das muss man sich eher englisch als französisch ausgesprochen denken, denn Clemens J. Setz’ tausendseitiges Katz-und-Maus-Epos besteht zu nicht unbeträchtlichen Teilen aus Protokollen von Internet-Chats. Am Ende, nach vielen Bergen und Tälern voller Niedertracht und Poesie, erlegt der Kater etwas Pelziges und schenkt – eine schöne Trans-Spezies-Geste in diesem überschreitungsfreudigen Buch – die Beute seiner menschlichen Ernährerin, der Hauptfigur des Romans, der auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2015 steht. Natalie Reinegger ist einundzwanzig Jahre alt, lebt in Graz und arbeitet als Betreuerin in einem Behindertenwohnheim. Das große Fressen, das in diesem Heim beginnt, kreist um Rache in ihren bösartigsten Spielarten. Aber das klingt viel zu finster, denn genauso ist die „Stunde zwischen Frau und Gitarre“ ein zart-groteskes Morphing-Ballett von Wörtern, die sich unterm Bedeutungsradar in etwas anderes verwandeln.
  Natalies Job besteht darin, ihren „Klienten“ – der Ausdruck „geistig behindert“ ist passé – eine aufmerksame Bezugsperson zu sein; im Jargon der Betreuerinnen heißen die Klienten dann „Bezugis“. Überhaupt ist der Sprachkosmos zweigeteilt: Neben der offiziellen, sozialberufsmäßig-fürsorglichen Sprache, die nach Kirchentag und Kindergarten klingt, gibt es die Nachtseite der hemmungslosen Lästerungen. Nach Dienstschluss listen die Betreuerinnen schlimme Todesarten auf und machen Witze über „Progeria kids that look like Hitler“. Am Tag fallen pädagogische Sätze wie „Du kannst in den Prozess ganz in deiner eigenen Geschwindigkeit hineinwachsen“, und der Roman führt beides – das Versteherische und seinen Exorzismus – mit gleichem Genuss vor.
  Natalies Bezugi ist Alexander Dorm, ein geistig verwirrter Rollstuhlfahrer, der vor seiner Heimzeit als Stalker unterwegs war. Sein Liebesobjekt und Opfer war ein Mann, dessen Familie durch das Stalking zerstört wurde. Christopher Hollbergs Frau brachte sich um, weil Dorm das Paar aufs Ekelhafteste terrorisierte, zum Beispiel mit misogynen Liebesbotschaften (Frauen sind Gitarren, auf denen man nicht spielen soll). Genau dieser Mann besucht Dorm nun regelmäßig und sei, erklärt man Natalie, mittlerweile sein bester Freund. Hollberg ist ihr suspekt: Er quält seinen angeblichen Freund mit Gehässigkeiten, während Dorm devot um Liebe bettelt. Man müsse das verstehen, sagen die Betreuerinnen, und finden es im Übrigen toll, dass Hollberg so an sich arbeitet. Ein frauenfeindlicher, psychisch gestörter, schwuler Stalker im Rollstuhl und ein perfides Stalking-Opfer, das sich am Täter zu rächen scheint: Nach konventioneller Figurenpsychologie ist das Duo Dorm-Hollberg ein Super-GAU, weil es sämtliche Solidaritäts-, Mitleids- und Ressentiment-Reflexe gleichzeitig antriggert.
  Aber vielleicht ist dieser Rachefeldzug nur eingebildet, ein Spiel mit dem Verfolgungswahn seiner Hauptfigur? Gut, Natalie wird von Hollberg gestalkt, und sie wird zunehmend selbst zur Verfolgerin, technisch unterstützt vom iPhone. Unermüdlich streut der Erzähler neuen Verdacht, kleine Demütigungen wachsen ins Psychoterroristische. Ob und wie Setz von dieser einmal angeworfenen Thrillermaschine am Ende wieder runterkommt, wird hier natürlich nicht verraten. Nur so viel: Es geht nicht ohne eine hohe Ulk- und Splatterdosis, und Internet-Euphoriker müssen einen schweren Schlag einstecken.
  Neben der Dorm-Verschwörung entfaltet vor allem der Natalie-Alltag eine gewaltige Sogwirkung. Auch, wenn es wie ein Freud-Kalauer klingt: Dieses Heim wird grandios unheimlich. Dass es zugleich ein Hort der Komik und, ja, der Zärtlichkeit und Liebe ist, liegt vor allem an der hypersensitiven Hauptfigur. Natalie hat nicht nur hochgradig bizarre Hobbys, sie ist außerdem Ex-Epileptikerin und Synästhetikerin – wie schon die Hauptfigur in Setz’ 2009 erschienenem Roman „Die Frequenzen“, der auch zwischen Pflege, Psychotherapie-Sprech und Weltmaschinenwahnwitz oszillierte. Helfen und Heimzahlen sind psychologische Konstanten im Setz’schen Kosmos.
  Tatsächlich kann der zweiunddreißigjährige Setz, Grazer wie viele seiner Romanfiguren, ein umfangreiches Frühwerk vorweisen, was an die Produktivität seines Kollegen Dietmar Dath erinnert. Mit dem Setz im Übrigen einiges verbindet: das Studium eines mathematisch-naturwissenschaftlichen Faches, der überfliegerhafte Maniac-Habitus wie auch das Interesse an Paranormalem, Nerd-Kram und Science Fiction. 2007 veröffentlichte Setz sein Debüt „Söhne und Planeten“, nach den „Frequenzen“ erschienen die Erzählungen „Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes“, 2012. „Indigo“, der Roman über eine mysteriöse Krankheit, trug dem Autor den Titel „Außerirdischer der deutschsprachigen Literatur“ ein.
  Dazu kommen der Lyrikband „Die Vogelstraußtrompete“ und etliche Feuilletons, wie etwa zur Modemacke „Autonomous Sensory Meridian Response“ (ASMR), ein angenehmes Kopfkribbeln, das durch spezielle Geräusche entsteht (SZ vom 6. April 2015). Gerade hat Setz zudem eine Till-Eulenspiegel-Nacherzählung veröffentlicht, in der die gemeinsten Gemeinheiten eines euphemistisch „Narr“ genannten Soziopathen zusammengestellt sind (Till Eulenspiegel – Dreißig Streiche und Narreteien. Nacherzählt von Clemens J. Setz. Mit Illustrationen von Philip Waechter. Insel Verlag, Berlin 2015. 148 S., 16 Euro). Für die Dauer eines Buches, schreibt Setz, sei es befreiend, ein Eulenspiegel zu sein, und vielleicht gilt diese exorzistische Logik auch für seinen Stalker-Roman.
  Wie ein Phosphorfaden zieht sich durch alle Setz-Werke ein Sprachwitz, der am besten auf der Mikroebene zur Geltung kommt: Radieschen haben „rattenschwanzartige Zündschnüre“; von Weberknechten, die auf schwarzem Holz sitzen, sieht man nur „die kleinen schwebenden Kommandokapseln in der Mitte“. Sonntags verharren Bagger „in anmutiger Erstarrung, den Schaufelarm zur sanften Drohgebärde gegen den Himmel erhoben“. Natalies Lieblingskollegin „nestelt an ihrem Dekolleté herum, als verwalte sie einen geheimen Nussvorrat“, und wenn der Kater sich kratzt, entsteht ein „Helikoptergeräusch“.
  Kaum einem Schriftsteller gelingen so fantastische Verschaltungen von Organischem und Mechanischem, Belebtem und Unbelebtem. Setz ist einem transhumanen Körpergedächtnis auf der Spur, bei dem das Schmatzen, Glucksen, Einverleiben und Auswerfen einen Zugang zu den allerseltsamsten Unterwelten eröffnet. Überhaupt, Geräusche: Eine von Natalies bizarren Beschäftigungen besteht darin, ASMR-taugliche Geräusche aufzunehmen; zum Joggen etwa hört sie sich Essgeräusche an, gemixt mit einer App, die digitale Aufnahmen wie Audiokassetten klingen lässt.
  Eher angestrengt provokant wirkt dagegen ein anderes Hobby, das Streunen. Natalie sucht sich Oralsexpartner in Grazer Unterführungen, was eine ganze Reihe von Ekel-Erinnerungen nach sich zieht: etwa an frühere Schwimmbadsommer mit den Spermaglibberhäufchen stolzer Jungs. Literaturhistorisch betrachtet sind Onanie-Olympiaden, von Günter Grass bis Benjamin Lebert, ein etabliertes Motiv; Schocks gehen aber schon lang nicht mehr von ihnen aus, bloß das Pubertäre bleibt kleben. Viel ergiebiger wirkt da eine dritte Natalie-Sportart, die sich „Nonseq“ nennt, eine möglichst sinnfreie Form des Chat-Dialogs. Anders als beim schlichten Nonsense entsteht bei Nonseq eine zirkuläre „Zufallsmusik“, mit der sich die Sinn-Exorzistin alles Gemäßigte und Gepflegte vom Leib hält – wie auch der ganze Roman auf der Suche ist nach dem Gegenteil von öder Wohltemperiertheit.
  Nebenbei pflanzt Setz auch noch eine Art Literaturtheorie in den Roman. Natalies literarisch ambitionierter Exfreund erwähnt die „luminous details“, eine, wie er sagt, gängige literarische Technik, die er aus Workshops kennt. Die Handlung werde nicht an Wendepunkten aufgehängt, sondern an leuchtenden, unbestimmten Details. Wie der brave Welterklärer das erzählt, klingt es so langweilig, dass Natalie innerlich sofort Amok läuft. Aber das Wort „luminous“ hat sich in ihrem Synästhetikerinnenhirn festgesetzt. Die Luminous-detail-Quelle, ein Zitat des Dichters Ezra Pound, hat Setz seinem Roman als Motto vorangestellt; das tausendseitige Rache-Epos arbeitet allerdings gerade daran, durch einen Overload an leuchtenden Details letztlich alles mit allem zu verbinden: eine klassische Paranoia-Situation.
  Wenn hier etwas leuchtet, dann so, dass jede herkömmliche Verknüpfung gesprengt wird. Am schönsten klingt das, wenn Natalie den Sternenhimmel umdeutet. Wenn der Luftraum um die Erde voller ausgelagerter Hirnzellen wäre, würde es da oben pausenlos denken, das Flimmern käme von den Hirnströmen. Menschliche Vergangenheiten, Gewaltfantasien, Pläne, alles wäre am Himmel lesbar. Und das moralische Gesetz? Dieser Roman ist auch eine Versuchsanordnung zur Herkunft von Gut und Böse, und Rache ist dabei ein perfektes Experimentierfeld. Im Grunde will „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ nur spielen – mit unseren Ideen zum Ursprung menschlicher Empfindungen.
Frauen sind in diesem
Roman Gitarren, auf denen
man nicht spielen soll
Wie ein Phosphorfaden zieht
sich der Sprachwitz durch
die Werke dieses Autors
  
  
  
  
Clemens J. Setz:
Die Stunde zwischen
Frau und Gitarre. Roman. Suhrkamp, Berlin 2015. 1021 Seiten, 29,95 Euro. E-Book 25,99 Euro.
Die Hauptfigur im neuen Roman von Clemens J. Setz, Natalie, wird gestalkt – und zunehmend selbst zur Verfolgerin. Sie hat bizarre Hobbys und ist Synästhetikerin, das heißt, normalerweise getrennte Wahrnehmungen sind bei ihr gekoppelt.
Foto: David Hornback, plainpicture.com
Clemens Setz.
Foto: imago/STAR-MEDIA
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Allemal raffiniert, allemal glänzend und außergewöhnlich findet Franz Haas den neuen Roman von Clemens J. Setz. Dass der Autor vom Feuilleton allzu sehr gehätschelt wird, kann er verzeihen. Seht doch, wie er schreibt, meint der Rezensent. Nämlich mit den schon vertrauten Stilmitteln des "abgehackten" Dialogs und der Drastik. Wenn Setz also das Innenleben eines Behindertenwohnheims seziert, eine Stalkergeschichte erzählt und eine intelligente junge Frau auf sexuelle Sonderwege schickt, klingt das für Haas mitunter zwar allzu sehr nach Kafka und hat auch seine Längen, aber auch stets genug Setz'sche Originalität, sprachlich und psychologisch, dass der Rezensent staunen kann und sich gut unterhält.

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