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Ein großer Roman über die jüngeren Kriege auf dem Balkan
Erzählt wird die Geschichte des Journalisten Christian Allmayer, der als Kriegsberichterstatter im zerfallenden Jugoslawien, im Kosovo, bei einem Hinterhalt ums Leben kam. Beeindruckend lotet Gstrein das Dilemma der Kriegsberichterstatter aus, die von den schlimmsten Greueltaten erzählen und zwischen Hetze und Kitsch das Handwerk des Tötens beschreiben wollen.

Produktbeschreibung
Ein großer Roman über die jüngeren Kriege auf dem Balkan

Erzählt wird die Geschichte des Journalisten Christian Allmayer, der als Kriegsberichterstatter im zerfallenden Jugoslawien, im Kosovo, bei einem Hinterhalt ums Leben kam. Beeindruckend lotet Gstrein das Dilemma der Kriegsberichterstatter aus, die von den schlimmsten Greueltaten erzählen und zwischen Hetze und Kitsch das Handwerk des Tötens beschreiben wollen.
Autorenporträt
Norbert Gstrein, geboren 1961, lebt zur Zeit in Hamburg. Er veröffentlichte u.a. die Erzählungen 'Andertags', 'Einer', den Bericht 'Der Kommerzialrat', die Novelle 'O2', die Romane 'Das Register' sowie 'Das Handwerk des Tötens' und gemeinsam mit Jorge Semprun die Reden 'Was war und was ist'. Eng verbunden mit dem Roman 'Die englischen Jahre' ist sein Buch 'Selbstportrait mit einer Toten'. Er erhielt unter anderem den Berliner Literaturpreis, den Alfred-Döblin-Preis, den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung und den Uwe-Johnson-Preis.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.07.2003

Zwischen Krieg und Plot
Woran starb der Reporter? Norbert Gstreins Roman „Das Handwerk des Tötens”
Ab heute liegt der neue Roman des österreichischen Schriftstellers Norbert Gstrein in den Buchhandlungen aus (Das Handwerk des Tötens. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 381 Seiten, 22,90 Euro). In seinem dunklen Zentrum steht der fiktive Tod des fiktiven deutschen Reporters Christian Allmayer im Kosovo des Jahres 1999. Aber er ist einem realen Toten gewidmet: „zur Erinnerung an Gabriel Grüner (1963-1999) über dessen Leben und dessen Tod ich zu wenig weiß als daß ich davon erzählen könnte.” Das ist eine Formulierung, die den Leser stutzen lässt. Warum betont der Autor, wie wenig er über den Toten weiß? Warum spart er aus, was auf die Frage ,Wer war Gabriel Grüner‘ schon die flüchtigste Recherche ergibt? Dass er Reporter des Stern war und am 13. Juni 1999 zusammen mit seinem Fotografen und seinem Dolmetscher im Kosovo aus dem Hinterhalt erschossen wurde.
Am Ende der erregenden, bisweilen quälenden Lektüre des Buches kennt der Leser die Antwort. Sie hat mit der prekären Beziehung zwischen dem Handwerk des Tötens und dem Handwerk des Schreibens zu tun. Norbert Gstreins literarischer Grabstein für Gabriel Grüner schlägt die Formangebote der Reportage aus. Das Buch kommt nicht als Nachforschung am Todesort und Recherche über den Toten daher. Sondern als Konstruktion einer Parallelwelt, in der die Rechercheure und Nachforscher herumirren wie das literarische Urbild des modernen Kriegsteilnehmers, der Held von Stendhals „Kartause in Parma” auf dem Schlachtfeld von Waterloo. Hier fordert, anders als in großen Teilen der deutschen Gegenwartsliteratur, der Roman die Reportage heraus – nicht umgekehrt.
Die Berichterstatter und Boten, die Augenzeugen hatten, seit den „Persern” des Aischylos, in der Literatur über den Krieg schon immer eine Schlüsselrolle inne. Seit dem 19. Jahrhundert ist die Reportage zur Schlüsseldisziplin im Schreiben über den Krieg avanciert, weil sie ein großes Versprechen gab: realistisch von den Schlachtfeldern zu berichten. Viele Klassiker der Kriegsliteratur des 20. Jahrhunderts sind von Journalisten verfasst, etwa Michael Herrs Berichte aus dem Vietnamkrieg. Seit einiger Zeit aber geschieht der Reportage, was dem realistischen Roman schon vor einem Jahrhundert widerfuhr: sie tritt ins Zeitalter des Unbehagens an sich selbst ein. Ihre Mimikry mit dem Leben muss sich die Frage gefallen lassen: Wie bist Du gemacht, aus welcher Technik resultierst Du?
Norbert Gstrein, geboren 1961 in Tirol, ist für solche Fragen prädestiniert. Schon seit seinen literarischen Anfängenbis hin zum Roman „Die englischen Jahre” (1999) konstruiert er Labyrinthe um Lebensläufe, in denen es unmittelbare Wege zum Tod nicht gibt. Es ist nicht ein Wille zur Verrätselung und zum Manierismus, der die bohrenden Kreisbewegungen seines Erzählens vorantreibt, sondern ein tief sitzendes Misstrauen: dass das Leben und der Tod jeden ins Leere laufen lassen, der ihrer im „direkten Zugriff” habhaft werden will. Der Emigrant Gabriel Hirschfelder, vorgeblich jüdischer Herkunft, verdankt im Roman „Die englischen Jahre” seinen Ruf als Autor einem einzigen Buch: „Die Lebenden leben und die Toten sind tot”. Der Titel könnte als Motto über den literarischen Projekten Gstreins stehen. Er will die Grenze, die uns Nachlebende von den Toten der jüngstvergangenen Kriege trennt, akzentuieren, indem er sich an sie heranschreibt.
Misstrauen gegen den Roman
Ein Hamburger Journalist, Christian Allmayer, nicht eben arriviert, gebürtig aus Wien, ist der anonyme Erzähler des Romans. Er hat einen schwierigen Freund, Paul, der aus Tirol stammt, eher schlecht als recht von Reise-Reportagen lebt und hartnäckig von dem Roman träumt, an dem er schon mehrfach gescheitert ist. Pauls Freundin stammt aus Kroatien und heißt, wie schöne Frauen, die an Kriegsschauplätzen geboren sind, in der Literatur heißen: Helena. Sie lebt, als Mitarbeiterin der Modebranche, von der Schönheit und gefällt dem anonymen Erzähler sehr. Die Handlung beginnt Anfang 1999, das bohrende Kreisen des Erzählens wenig später, als in Hamburg die Nachricht vom Tod Allmayers eintrifft, mit dem der Romandilettant Paul seit Jahren befreundet war. Das Kreisen erfasst das Jahrzehnt der Balkankriege von 1990/91 bis 1999, lässt es aus dem Nachlass des toten Reporters aufsteigen, aus den Berichten von seiner Beerdigung, aus den Erinnerungen Pauls, aus Gesprächen der Hamburger Journalisten mit der Witwe, der verflossenen Freundin, aus Reisen der Protagonisten nach Kroatien und an die Grenze zwischen Serbien und Bosnien-Herzegowina.
Ein ständig lauerndes Misstrauen geht in die Kreisbewegung um den Toten ein: das Misstrauen gegen den Roman, zu dem Paul das Leben und den Tod seines Freundes verarbeiten will, das Misstrauen gegen die widerstandslose Durchdringung von „Plot” und Krieg. Die Königsdisziplin des Journalismus spielt dabei eine Hauptrolle.
Im Dezember 1991 hat Christian Allmayer in Ostslawonien, unweit von Vukovar, mit einem kroatischen Frontkämpfer ein Interview geführt: über das „Handwerk des Tötens”. Die langsame Enthüllung der Entstehungsbedingungen dieses Interviews treibt Gstreins Roman immer tiefer in seine Skepsis hinein – aber nicht zugleich aus der Realgeschichte der Balkankriege heraus. Die „Medienkritik”, die dem zeitgenössischen Fernsehzuschauer und Zeitungsleser zur zweiten Natur geworden ist, löst hier die Brutalität der Geschichte nicht ins graue Allerlei der „Unwirklichkeit” auf. Sie ist vielmehr das Fegefeuer, aus dem die größtmögliche Annäherung an die Toten hervorgeht. Dass ihnen mit dem betroffenen „Kitsch” der Lebenden nicht geholfen ist, liefert der polemischen Seite des Romans das Leitmotiv. Das andere Leitmotiv ist die Kritik des Autors, der in Hemingway-Pose in den Krieg zieht, im demonstrative Bewusstsein, „die Gefahr gewählt zu haben”. Darin wittert dieser Roman „die möglichst glorreiche Rechtfertigung dafür, nicht zu Hause zu sein, nicht am Schreibtisch, dem Ort, der für ihn vielleicht gefährlicher war, als er sich eingestand”.
Im Jahre 1999 fand im Wiener jüdischen Museum eine Fotoausstellung über Alice Schalek statt, die Schlachtenbummlerin des Ersten Weltkriegs, die Karl Kraus zum Inbegriff der Kriegshyäne stilisiert hat. Norbert Gstrein lässt die Ausstellung vorkommen, verweigert aber die Identifikation mit Karl Kraus, wie sie Peter Handke in dem noch heute lesenswerten Interview vorführte, das Gabriel Grüner im Februar 1996 mit ihm über den Reisebericht „Gerechtigkeit für Serbien” geführt hat.
Der dilettierende Romancier Paul, der im Tod des Freundes nach dem Plot sucht, endet bei Gstrein im Selbstmord. Von nichts ist er weiter entfernt als von der Verachtung des Kriegsreporters. Der Abgrund, in den der Leser am Ende blickt, öffnet sich mitten im Interview. Sein Allmayer ist keine Hyäne, sondern geht am Gegenstand seiner Reportagen zugrunde. Sein Epitaph arbeitet an der Klärung der Beziehungen zwischen Fakten und Fiktionen. Die grüblerischen Reflexionen, die in seinem Buch wuchern, entstammen der Poetik des modernen Romans: der Rebellion der nicht-erzählten gegen die erzählten Geschichten. Als ihr Erbe schreibt Gstrein für Leser des 21. Jahrhunderts.
LOTHAR MÜLLER
Die Gefahr als Siegel der Authentizität: Amerikanischer Sound-Techniker im Kugelhagel des Kosovo-Krieges
Foto: dpa
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"Mit dem Handwerk des Tötens ist der Krieg in Kroatien und im ehemaligen Jugoslawien durch die Vordertür in die moderne deutschsprachige Literatur gekommen. Gstrein zeigt ihn als moralisches und existentielles Drama, das auch Unbeteiligte in seinen Sog ziehen kann."
(Nenad Popovic, Feral Tribune)

"Mit dem Handwerk des Tötens hat Norbert Gstrein sich endgültig als einer der allerersten Erzähler nicht nur der deutschen, sondern der europäischen Literatur etabliert. Es ist ein tiefer und schonungsloser Blick in das Herz unserer eigenen, noch kaum erhellten Finsternis."
(Richard Kämmerlings, Frankfurter Allgemeine Zeitung)

"Das Buch umfasst alles, was große Literatur ausmacht: Liebe und Wahn, Tod und Erlösung. Figuren, die sich einbrennen und gleichzeitig entziehen. Szenen von Gewalt und Entfremdung, aber auch von Zärtlichkeit und Intimität. Der Text achtet auf das Nächste und stellt letzte Fragen im Bewusstsein der "Demut, viel zu viel zu wissen und gleichzeitig gar nichts"."
(Andreas Breitenstein, Neue Zürcher Zeitung)

"Eine zivilere, friedlich-nachdenklichere Sprache hat wohl noch keiner gefunden, um über Kampfhandlungen zu schreiben ... Endlich ein Autor, der die Statur besitzt, den Ball der Brochs und Kafkas, der Musils und Thomas Manns aufzunehmen und ihn elegant ins 21. Jahrhundert hinüberzuspielen."
(Tilman Krause, Die Welt)

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2003

Jede Schrift bleibt immer nur ein Manöver
Die Wirklichkeit, das Aas: Norbert Gstreins großer Roman über die Unmöglichkeit, sich ein wahres Bild vom Krieg zu machen

Am Sonntag, den 13. Juni 1999 wurden der "Stern"-Reporter Gabriel Grüner und sein Fotograf Volker Krämer im Kosovo, vierzig Kilometer südlich von Prishtina erschossen, nachdem sie im Troß der einrückenden Kfor-Truppen die Grenze überschritten hatten. Die genauen Umstände ihres Todes blieben unklar, doch offenbar wurden sie ermordet, nicht obwohl, sondern weil sie Journalisten waren. Der Fall erregte auch deshalb so großes Aufsehen, weil er auf drastische Weise zeigte, wie sehr die Berichterstatter von den Kämpfern längst als Handelnde betrachtet werden, derer man sich vielleicht an der Meinungsfront bedient, die man aber auch grausam bestraft, wenn die eigene Sache verloren scheint.

Norbert Gstrein hat seinen neuen Roman an das Schicksal Grüners angelehnt; die Widmung gilt dem Andenken des wie Gstrein aus Tirol stammenden Journalisten, "über dessen Leben und dessen Tod ich zu wenig weiß, als daß ich davon erzählen könnte". Christian Allmayer also ist nicht Grüner, der Roman nicht dokumentarisch. Im Gegenteil ist sein Thema gerade das Verhältnis der Kriegswirklichkeit zur literarischen Darstellung (vergleichbar der amerikanischen Vietnam-Literatur, etwa in Tim O'Briens großartigem Roman "Going After Cacciato"). Denn der Tod dieses Routiniers der Schlachtbeschreibung wird plötzlich zum Fokus, in dem das verwirrende und anonyme Kriegsgeschehen die Form einer Geschichte annehmen soll.

Vom Tod Allmayers ist vor allem sein Freund und Kollege, der Reisejournalist Paul, regelrecht besessen. Er sieht sich eigentlich als Romancier und glaubt, hier endlich seinen Stoff gefunden zu haben. Seine junge Lebensgefährtin, die aus Dalmatien stammende Helena, wird für ihn zusätzlich zur Projektionsfläche seiner Mutmaßungen und Konstruktionen rund um die zerrissene, aber ihn auf eigentümliche Weise faszinierende Biographie des Ermordeten, der sich schon seit den ersten kriegerischen Auseinandersetzungen im zerfallenden Jugoslawien aufgehalten hatte und dessen journalistisches OEuvre sich zu einer Chronik des Schreckens verbindet: Kroatien, Bosnien, Kosovo - Allmayer war an jeder Front, kaum heimgekehrt zu seiner Frau nach Hamburg, zog es ihn wieder in die Nähe der tödlichen Gefahr.

Erzählt wird der ganze Roman aus der Perspektive eines weiteren Kollegen, der Zeuge von Pauls zunehmend obsessiver Recherche nach Gründen für den Tod Allmayers ist: War es vielleicht kein Zufall, konnten die Mörder den Journalisten gekannt, in ihm vielleicht einen unliebsamen Zeugen zurückliegender Kriegsverbrechen an anderen Fronten erkannt haben? War hier vielleicht eine persönliche Rechnung zu begleichen? Paul gelingt es tatsächlich, in Kroatien einen früheren Interviewpartner Allmayers ausfindig zu machen, den dieser selbst zufällig später im Urlaub wiedergetroffen hatte. Im Krieg hatte der seine Macht genießende Kommandant das Material zu einer eindrücklichen Story geliefert, die um die Frage kreiste, wie es sei, einen Menschen im Fadenkreuz zu haben.

Paul glaubt, dem Leben den benötigten Plot selbst ablauschen zu können. In seinem Glauben an die romanhaften Strukturen der Wirklichkeit reflektiert Gstrein die eigene erzählerische Position. Die Selbstbescheidung seiner Widmung ist nicht nur Ausdruck von Pietät, sondern poetologischer Natur. Auch die größte Faktenfülle könnte nicht das Problem ersetzen, dem Geschehen einen Sinn verleihen zu müssen. "Ein Toter ergibt noch keinen Plot", so warnt gleich zu Beginn der Erzähler. Doch auch der mühsam recherchierte Stoff führt nicht zur selbstverständlichen Form. Die Geschichte vom Krieg ist nicht die Wirklichkeit, sondern seine Repräsentation nach den Erforderungen von Genre und Stil.

Gstrein findet eine geniale Lösung dieses Problems, indem er seine Erzählung in einer Dreieckskonstellation vorantreibt: Die von Paul und dem Ich-Erzähler umworbene Helena, eine großartig opake Frauengestalt, zwingt die beiden in eine Rivalität um die Rekonstruktion - oder eben die Erfindung - der Geschichte. Während Paul sie "den ersten Verbindungsoffizier zu seiner Romanwirklichkeit" nennt und über ihr Heimatland ausquetscht, macht sich ihr gemeinsamer Freund fleißig Notizen, besucht später Pauls Exfrau, die eine Affäre mit Allmayer gehabt haben soll. Schließlich unternehmen die drei eine gemeinsame Reise nach Kroatien, auf der sich der Bruch zwischen Paul und Helena schon andeutet. Auf diese Weise kann Gstrein in Gestalt des Ich-Erzählers seine Skrupel gegenüber dem nach einer spektakulären Story gierenden Paul deutlich machen, zugleich aber genau die zunehmende Verdichtung seiner Indizien als Spannungsbogen des Romans nutzen, gewissermaßen eine Story zweiter Ordnung erzählen, in die die zarte, unendlich verzögerte Liebesgeschichte zwischen dem Erzähler und Helena geschickt eingebettet ist.

Die Schlüsselszene des Romans ist das Interview, das Allmayer an der Front in Ostslawonien Ende 1991 mit Slavko führte. In der bekannten Version, die seine Reportage erzählte, endete die Szene friedlich mit einem Gefangenenaustausch. Das Band mit dem Gespräch, das die Witwe besaß, hören die drei gemeinsam ab, so daß auch der Leser in Echtzeit Zeuge dieser dramatischen Rückblende wird: Es entspinnt sich dort ein Machtspiel zwischen Slavko, dem Übersetzer und Allmayer, der Objekt einer Initiation in diese amoralische Männerwelt wird. Wie Gstrein das Abhören des Bands, die Simultanübersetzung Helenas und die Ahnungen des Lesers und der Figuren synchronisiert, ist ein dramaturgisches Meisterstück.

Der Krieg kennt keine unbeteiligten Beobachter; jeder, der zuschaut, greift zugleich ein. Für die Journalisten und Schriftsteller, die über Raketengeräusche fachsimpeln oder sich mit kugelsicheren Westen abfilmen lassen (während der Kameramann im T-Shirt daneben steht), hat Gstrein nur Spott übrig. Die unzähligen Klischees, die gerade der nahe Krieg im ehemaligen Jugoslawien produzierte, die Reaktionen zwischen zynischer Gleichgültigkeit und theatralischer Anteilnahme, durchziehen den Roman, der so noch einmal die Summe der Hilflosigkeit und Skrupellosigkeit seiner Beobachter zieht: Die Wirklichkeit, so heißt es einmal, sei das "Aas", aus dem die Hyänen ihre Geschichten machten.

Obwohl Gstrein sich nicht zu solch törichten Verteidigungen Serbiens hinreißen läßt wie sein Landsmann Peter Handke, ist auch bei ihm auffällig, wie in welch kritisches Licht die kroatische Seite gerückt wird - auch weil ein Großteil der Rückschau den frühen Neunzigern, also der Zeit vor dem Krieg in Bosnien gilt. So betont Gstrein mehrfach die Rolle der Ustascha, der kroatischen Faschisten während des Zweiten Weltkriegs. Die sehr kritische Haltung nicht nur gegenüber dem Tudjman-Regime verwundert um so mehr, als der Ich-Erzähler ja in Helena verliebt ist; fast scheint es so, als sei die inquisitorische Rolle gegenüber der vermeintlich unpolitischen, naiven Frau, die erst Allmayer und später Paul eingenommen hatten, auf den Erzähler übergegangen. Am Ende freilich bleibt der Eindruck, daß im Gewirr von Mythen, Legenden, Helden- und Opfergeschichten zum historischen Kern ohnehin kaum mehr vorgedrungen werden kann.

Man könnte dem Roman seine übermäßige Konstruiertheit vorwerfen, die ständige Reflexion der Fußangeln einer vermeintlich neutralen Repräsentation, der Bedingungen, unter denen Geschichten entstehen: "Du glaubst doch nicht an das Gerede von einem Plot. Ginge es nur darum, wäre es einfach", so der Erzähler einmal fast beiseite. Doch diese Engführung von action und dem Nachdenken über die Möglichkeit ihrer Darstellung ist gerade die Leistung. Denn die Aufhebung der historischen Fakten in einem unverbindlich-metafiktionalen Spiel wird vermieden. Die inneren und äußeren Wunden, die der Krieg geschlagen hat, bleiben auch nach seinem Ende gegenwärtig - in den traumatisierten Menschen, den Geisterdörfern, den immer noch schockierenden Berichten von Kriegsgreueln.

Vor diesem Hintergrund scheint die Faszination abstoßend, die vom Krieg als existentiellem Zustand gerade auf Intellektuelle ausgeht, die am liebsten die Schreibmaschine mit dem Gewehr vertauschen wollten. Dieser Männlichkeitswahn, die Macht über Leben und Tod, die auch sexuelle Attraktivität, die etwa der nach seinem Damaskuserlebnis nicht mehr zur Normalität fähige Allmayer auf seine Umgebung ausübte, ist der unterschwellige Antrieb der Geschichte. Und Gstrein zeigt in gewohnter stilistischer Souveränität, mit seinen unverwechselbar musikalischen und zugleich präzisen Satzgefügen, wie diese Projektionen die Beziehungen durchdringen. Die behutsame Annäherung von Helena und dem Erzähler ist die Kehrseite von Pauls Tragik, der unter seiner Entfernung vom "wahren" Leben leidet, das er in der Nähe zum Tod vermutet. Allmayer wird zum Inbegriff dieser Grenzerfahrung, die Paul vergeblich im Medium der Literatur nachholen will. Doch die Schrift bleibt stets nur ein Manöver; der Ernstfall tritt nie ein. Als Paul das erkennt, ist sein Schicksal besiegelt.

Daher ist nicht er es, der den Roman erzählt; eine Wendung, in der Gstrein dem Leser rückwirkend eine weitere Dosis Zweifel einflößt: Denn während Paul sich einen Plot ausgedacht hatte, der Helena auf einer Reise im Kosovo etwas zustoßen lassen sollte, könnte sich ja sein Konkurrent genau das Gegenteil, eben den Tod Pauls nur ausgedacht haben, um die Geschichte zu runden: Ein Vexierspiel, das Gstrein gelingt, ohne seine Erzählperspektive auch nur einmal zu durchbrechen. Und auch die Liebesgeschichte wird von diesen Zweifeln angenagt, hatte der Erzähler doch schon früh beklagt, daß Helena ihm "als Protagonistin einer Erzählung entgegentrat, die ich nicht steuern konnte". So ist der Roman auch die Geschichte einer geschickt eingefädelten Übernahme der Erzählermacht, eines Putsches der Figur gegen seinen eigentlich vorgesehenen Autor, freilich post festum: Die Geschichte schreiben wie immer die Sieger.

Man kann den Roman zuletzt auch lesen als Liebeserklärung an eine Landschaft, in der Gstrein nach eigenem Bekunden viel von seiner Tiroler Heimat wiederentdeckt hat - eine Liebe, die verbunden ist mit der Trauer über die Katastrophe der Geschichte, über die die wunderbare Natur leicht hinwegtäuschen könnte. Wenn auch der Tod Allmayers Anlaß der Suche wird, ist das eigentliche Rätsel, wie ein ganzes Land in den Krieg taumeln konnte. Die analytische Form, die Gstrein so meisterhaft beherrscht, die Inszenierung von Spannungsbögen findet Anwendung auf die schwerste aller Fragen: wie jahrzehntelange Nachbarn plötzlich zu Mördern und Vergewaltigern werden konnten. Doch will Gstrein keine Antwort geben, sondern lediglich die Frage als Erzählung so genau wie irgend möglich formulieren.

Norbert Gstrein, geboren 1961, hat schon in seinem Roman "Register" (1992), einem der wichtigsten deutschsprachigen Bücher der neunziger Jahre, bewiesen, daß er das Nachdenken über die Möglichkeiten des Erzählens im Medienzeitalter mit einer berührenden Geschichte verbinden kann; in seinem zweiten großen Roman "Die englischen Jahre" (1999) entfaltete er ein ernstes Spiel um die Biographie eines jüdischen Emigranten. Mit dem "Handwerk des Tötens" hat er sich endgültig als einer der allerersten Erzähler nicht nur der deutschen, sondern der europäischen Literatur etabliert. Es ist ein tiefer und schonungsloser Blick in das Herz unserer eigenen, noch kaum erhellten Finsternis.

Norbert Gstrein: "Das Handwerk des Tötens". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 384 S., geb., 22,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Gerrit Bartels konzentriert sich in seiner Besprechung auf die "umständliche, mitunter statische" Erzählkonstruktion von Gstreins "überaus gelungenem Roman" über "das Nichtzustandekommen eines Romans über einen Kriegsreporter", auf den Umstand also, dass da beispielsweise zwei Personen im Leben und Sterben des Kriegsreporters Allmayer den Stoff für einen Roman suchen, und der eine, der Journalist, dabei dem anderen, Paul, gegenüber immer wieder Zweifel am Gehörten äußere, nicht zuletzt, weil dieser Journalist dann auch noch die Freundin des anderen liebt. Für Bartels erfüllt diese Konstruktion aber durchaus ihre Funktion: Durch die verschiedenen Interessen an und Perspektiven auf die Geschichte Allmayers werde deutlich, wie sehr Gstrein daran gelegen sei, "Distanz aufzubauen zu den Grausamkeiten des Krieges, wie er bewusst versucht, Klischees zu vermeiden, wie er den Wörtern misstraut und ihrer Fähigkeit, den Krieg angemessen zu beschreiben." Das alles lässt sich darum, schreibt Bartels, ebenso "gut lesen als Kritik an der routinierten Kriegsberichterstattung" wie "als Kritik an Kollegen von Gstrein wie eben Peter Handke oder Juli Zeh". Diese Kritik spitzt sich in einem Gedanken des fiktiven Kriegsreporters Allmayer zu, wonach es "zwischen der vorherigen Hetze und dem nachträglichen Kitsch" eigentlich gar keinen Unterschied gebe. Nur bei der Schilderung des Selbstmordes des gescheiterten Autors Paul, findet der Rezensent, habe Gstrein dann doch einmal "totalen Kitsch" produziert, indem er diesen "allein schon genug aussagenden Selbstmord" durch den Einsatz eines Zitats aus Cesare Paveses Tagebuch "unnötig symbolisch" aufgeladen habe.

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