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4 Kundenbewertungen

In der Nähe von Oslo in einem kleinen Ort namens Råset führt Tormod Blystad mit seiner Frau und seinen zwei Kindern ein beschauliches Leben. Nach einer wilden Jugend ist aus Tormod ein verlässlicher Vater und Ehemann geworden. Aber in jeder Familie gibt es eine Lücke, die gefüllt werden muss. So kommt die kleine Hündin Snusken auf den Hof. Die Kinder lieben das Tier sehr, doch eines Tages verschwindet Snusken spurlos. Um seine Kinder zu trösten, mischt Tormod in seiner Werkstatt aus verschiedenen Zutaten ein Ersatzwesen aus Lehm - und fordert damit Kräfte heraus, deren Reichweite er nicht einmal erahnen kann.…mehr

Produktbeschreibung
In der Nähe von Oslo in einem kleinen Ort namens Råset führt Tormod Blystad mit seiner Frau und seinen zwei Kindern ein beschauliches Leben. Nach einer wilden Jugend ist aus Tormod ein verlässlicher Vater und Ehemann geworden. Aber in jeder Familie gibt es eine Lücke, die gefüllt werden muss. So kommt die kleine Hündin Snusken auf den Hof. Die Kinder lieben das Tier sehr, doch eines Tages verschwindet Snusken spurlos. Um seine Kinder zu trösten, mischt Tormod in seiner Werkstatt aus verschiedenen Zutaten ein Ersatzwesen aus Lehm - und fordert damit Kräfte heraus, deren Reichweite er nicht einmal erahnen kann.
Autorenporträt
Faldbakken, MatiasMatias Faldbakken, 1973 geboren, lebt als bildender Künstler in Oslo. 2003 erschien sein aufsehenerregender Debütroman »The Cocka Hola Company«, der Auftakt der Skandinavische-Misanthropen-Trilogie, die mit »Macht und Rebel« und »Unfun« komplettiert wurde. Bühnenfassungen aller drei Romane wurden an diversen deutschen Theatern aufgeführt. Faldbakken gilt zudem als einer der bedeutendsten Gegenwartskünstler Skandinaviens. Seine Werke werden weltweit in den führenden Galerien ausgestellt. Nach längerer Schreibpause erschien 2017 bei Heyne sein Roman »The Hills«, der von Publikum und Presse gefeiert wurde.

Stadler, MaximilianMaximilian Stadler, 1981 geboren, übersetzt aus dem Amerikanischen und Französischen, sowie aus den skandinavischen Sprachen. Er lebt in Zürich und Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Mit "Wir sind fünf" gelingt Matias Faldbakken ein beeindruckendes erzählerisches Kunststück, findet Rezensent Franz Haas. Eine vierköpfige Familie in der Provinz nahe der norwegischen Hauptstadt verliert auf ungeklärte Weise ihren Hund. Darauf lädt Vater Tormod einen alten Freund aus wilden Jugendjahren ein, mit dem gemeinsam er einen Golem aus vernunftbegabter Knete formt. Zunächst scheint die ulkige Kreatur noch ein harmlos tölpeliger Zeitgenosse, doch bald schon beginnt sie mit ihren seltsamen Attacken nicht nur den Zusammenhalt in der Familie sondern auch die Dorfgemeinschaft zu gefährden, lesen wir. Ein sprachlich und erzählerisch weniger begabter und psychologisch verständiger Autor hätte einen derart wuchtigen Konzept-Karren wahrscheinlich an und durch die Wand der banalen Fantastik gefahren, so Haas. Feldbakken jedoch gelingt es immer wieder, gerade rechtzeitig gegenzusteuern. Dabei beweist er sich nicht nur als humorvoller und flexibler Erzähler, sondern auch als genauer Beobachter sozialer Strukturen und Dynamiken.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.09.2020

Papa knetet einen Golem
Die hinterhältige Familiengeschichte „Wir sind fünf“ des Künstlers und Schriftstellers
Matias Faldbakken zwischen Technikkritik und durchgedrehtem Märchen
VON SOPHIE WENNERSCHEID
Wir sind fünf“ lautet der unverfänglich anmutende Titel des fünften Romans des norwegischen Autors und bildenden Künstlers Matias Faldbakken, von Maximilian Stadler aus einem rasanten Norwegisch in ein ebenso hochtouriges Deutsch übersetzt. Wir sind fünf – das könnte in einer Geburtsanzeige stehen, mit der die glücklichen Eltern Nachwuchs ankündigen. Vater, Mutter, Sohn und Tochter, und nun endlich die Erweiterung der Kernfamilie. Gesegnete Umstände. Von solchen allerdings ist Faldbakkens Familie Blystad weit entfernt. Denn hier ist die Nummer fünf kein Mensch, sondern ein selbständig agierender Tonklumpen. Eine Art Golem der Spätmoderne.
Im 139. Psalm der Thora lesen wir, dass der Golem ein Klumpen Dreck ist, der einmal Mensch werden soll. „Deine Augen sahen mich, da ich noch nicht bereitet war“, übersetzt Luther christlich korrekt. Später schaffen sich die Menschen ihren eigenen Golem. In einer der Varianten der Legende heißt es, dass der kabbalistisch bewanderte Rabbi Löw einen Golem schafft, um die Prager Juden vor Verfolgung zu schützen. Das ist gut gedacht. Blöd nur, dass die Frau des Rabbis den Golem zur Hausarbeit einsetzen will und ihn beauftragt, Wasser ins Haus zu bringen. Das tut er, bis das Haus unter Wasser steht. Goethes Zauberlehrling weiß, wovon die Rede ist.
Klüger dünken sich die Zauberlehrlinge späterer Zeit, die ihren Golem nicht mit Hilfe beschwörender Buchstabenreihen beleben, sondern mittels künstlicher Intelligenz. Der Begründer der Kybernetik, Norbert Wiener, interpretierte in seinem Essay „God & Golem, Inc.“ (1964) den Golem als Vorläufer der sich selbst verbessernden Maschine. In Stanisław Lems Science-Fiction-Essay „Golem XIV“ (1981) oder Marge Piercys Cyberpunk-Roman „He, She, It“ (1991) wird das weitergedichtet.
Faldbakken erzählt seinen Golem-Roman mit so viel Speed, dass es nicht nur seinen Figuren, sondern manchmal auch dem Leser den Magen umdreht. Am Anfang der Geschichte haben wir es aber erstmal nur mit dem gut aussehenden, kernigen Norweger Tormod Blystad zu tun, der mit seiner Frau und zwei Kindern ein ruhiges Dasein in der Provinz nahe Oslo führt. Unter dem schlechten Einfluss eines Freundes und diverser Drogen hat er zwar in jungen Jahren zu oft „die Sau rausgelassen“. Aber dann hat ihn seine spätere Frau eines Besseren belehrt, und er hat ihr zum Dank ein Holzhaus gebaut, das zugleich an die Blockhütte aus Knut Hamsuns „Segen der Erde“ denken lässt und an die Neue Sachlichkeit, ein Funkishaus.
Funktional mutet ziemlich bald auch die Ehe zwischen Tormod und Siv an, die die Abende gerne bei Chips und Wein vor dem Fernseher verbringt, während es Tormod in die Werkstatt zieht. Als lethargisch erweist sich auch der Erstgeborene Alf, der nur beim Computerspielen so schnell reagiert, dass seinem analog aufgewachsenen Vater schwindelig wird. Allein die Tochter Helene ist „blond und hübsch“ und hat einen „messerscharfen Verstand und flinke Finger“. Dass sie den Drive ihres Vaters geerbt hat, macht sie allerdings nicht unbedingt familienkompatibler.
Erst als die Familie einen Hund bekommt, finden die vier so unterschiedlichen Menschen einen gemeinsamen Mittelpunkt. Der norwegische Elchhund Snusken bringt die Geschwister im Spiel näher, motiviert die Mutter zu fettverbrennenden Spaziergängen und macht den Familienvater glücklich. Snusken ist süß, keine Frage, auch wenn man mit seinem Namen eher Schmutz und Schnüffeln assoziiert. Wahrscheinlich ist er einfach ein lieber kleiner Dreckschnüffler, der seine Schnauze in alles steckt. Als ihm das zum Verhängnis wird und er eines Tages spurlos verschwindet, droht die Familie auseinanderzubrechen. Da ist es gut, dass der findige Tormod einen Teig aus dynamischem Ton ansetzt und ihn so lange mit diversen Zutaten anreichert bis eine Knetmasse entsteht, die den Kindern große Freude bereitet und den Fähigkeiten eines Golems an nichts nachsteht.
Doch Tormods Klumpen trägt nicht nur Züge eines dienstfertigen Golems. Er erinnert auch an das Märchen vom Pfannkuchen, der immer dicker und fetter wird, dann aber, als die Kinder ihn endlich essen wollen, aus der Pfanne hinaus in die Welt springt. Auch Tormod pflegt seinen stetig an Volumen zunehmenden Klumpen. Er gräbt hinter seinem Haus eine tiefe Grube und legt den Klumpen jeden Abend in die nährstoffreiche norwegische Erde, damit er dort in sich aufnimmt, was er braucht. Am nächsten Tag gibt er den Kindern dann jeweils ein halbes Kilo Ton zum Spielen. Es entstehen „ruhige und ganz besondere Momente. Tormod spürte ein Gefühl der Erfüllung, und er forschte stundenlang, wie er seinen Ton weiter verfeinern und verbessern konnte, damit seine Zeit mit den Kindern noch intensiver würde, noch reifer.“
Mit großem erzählerischem Geschick baut Faldbakken eine Spannung auf, von der man weiß, dass sie in die Katastrophe führt. Wir folgen Alf, der den hart gewordenen Klumpen auf den warmen Wlan-Router legt, um ihn wieder geschmeidig zu machen. Wir schütteln den Kopf über Siv, die aus dem Klumpen einen skurrilen Gnom knetet und mit ihm wie mit Snusken an der Leine zu ihren Kolleginnen in den Frisiersalon marschiert. Und wir würden Helene gerne den klugen Ratschlag geben, ihre sorgsam gesammelten Milchzähne lieber anders zu verwenden, als sie dem Klumpen in den erdigen Leib zu drücken. Und nein, auch wenn man Hunger hat, nicht essen!
Doch nicht auf uns hören die Figuren, sondern allein auf ihren Erzähler. Und der meint es nicht gut mit ihnen. Er überlässt Tormod das Kommando, und der lässt seine Familie sehenden Auges ins Unglück laufen. Warum? Vermutlich, weil er den liebevollen Familienvater von Anfang an nur gespielt hat und im Grunde immer gerne der geniale Großkotz wäre, zu dem er wird, wenn er auf Speed ist. Die kluge Helene scheint in ihren Albtraumfantasien dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Sie argwöhnt, dass ihre Eltern Zombies sind, die sich die leibliche Hülle der Eltern angeeignet haben und nun bloß Eltern spielen. Shapeshifter. Bodysnatcher.
Oder ist es doch einfach nur der Autor, der hier mit seinen Figuren wie mit Puppen spielt und sie das Drama toxischer Männlichkeit aufführen lässt? An dessen Ende das bekannte Iphigenienopfer steht, und die Tochter geopfert wird, damit die Eltern ihr Zombiedasein weiterführen können. Schon in seinen ersten Büchern, der Trilogie der „Skandinavischen Misanthropie“, hat es Faldbakken seinen Leserinnen und Lesern nicht leicht gemacht, gegenüber seinen dezidiert amoralischen Erzählungen Stellung zu beziehen. Was da zutage trat, war widerlich, aber auch faszinierend. Legte man das Buch nicht irgendwann zur Seite und weigerte sich weiterzulesen, wurde man unwiederbringlich zum Komplizen.
Während das Unbehagen an den frühen Texten sich aber an Positionen entzündete, die mit rassistischen und sexistischen Versatzstücken jonglierten, driftet „Wir sind fünf“ in ein Genre ab, das zwischen Horror, Klamauk, Science-Fiction und Groteske changiert. Dabei verliert die Geschichte leider an Kraft. Die Räder drehen im Sand der norwegischen Provinz durch und die aufgebaute Spannung verfliegt, wenn von dem kuriosen Klumpen als wildgewordener Materie erzählt wird, die die Menschen skalpiert und ihnen die Fingernägel rausreißt, aber das Entsetzen der so Malträtierten nicht wirklich abgebildet wird.
Aus einer wilden Story mit technikkritischen Implikationen wird so wieder das Märchen vom dicken, fetten Pfannkuchen, der sich nicht fangen und essen lassen will. Das ist schade. Denn ganz sicher hat Faldbakkens Roman das Potenzial zu mehr. Er ist wie der dynamische Tonklumpen selbst, der sich groovend seinen eigenen Weg bahnt, dabei aber nicht weiß, wohin. Vielleicht stimmte hier einfach etwas mit dem Nährboden nicht.
Matias Faldbakken: Wir sind fünf. Roman. Aus dem Norwegischen von Maximilian Stadler. Heyne, München 2020. 256 Seiten, 22 Euro.
Ein Zusammenleben mit
diesem Wesen aus Ton führt
sicher in die Katastrophe
Das erdige Geschöpf, auch
wenn man Hunger hat, bitte
nicht essen!
Der norwegische
Autor Matias Faldbakken,
dessen Ästhetik für
seine Leser immer ein Risiko
bedeutet.
Foto: Erik Weiss
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.11.2020

Wir analogen Zeitgenossen
In Matias Faldbakkens funkensprühendem Roman "Wir sind fünf" kommt der Golem aus einem norwegischen 3D-Drucker

Am besten: keine Rezension schreiben. "Wir sind fünf" von Matias Faldbakken ist einer der raren Romane, bei denen man im Vorfeld rein gar nichts vermelden sollte - man muss ihn einfach aufschlagen und lesen, einfach hineinspringen und ignorieren, dass die Schocker-Trilogie "Skandinavische Misanthropie", die den Autor zu einem "Enfant terrible" der norwegischen Literaturszene werden ließ, nicht jeden zur Lektüre einlud.

Also alles Folgende nur mit "Spoiler-Warnung" (ganz im Ernst: Lesen Sie lieber nicht weiter, lesen Sie Faldbakken). "Wir sind fünf" ist ein Drogen- und Männlichkeitsdrama, eine Provinz- und Ehesatire, eine handwerklich fast unverschämt sauber gearbeitete, auf einen echten Höhepunkt hinschnurrende tragische Erzählung - und mittendrin ein Überraschungsmoment, mit dem sich der auffallend gewöhnlich beginnende Roman in ein Sci-Fi-Horror-Kunstmärchen verwandelt.

Die von Faldbakken in einem freundlich-amüsierten Sound geschilderte Story handelt nämlich nicht einfach vom talentierten Tormod, einem "stattlichen Kerl", der sein Leben beinahe durch seine Rauschsucht in den Sand gesetzt hätte, wäre da nicht Siv gewesen, die ihn rettete und ihm zwei Kinder gebar. Sondern sie handelt auch von einem fünften Familienmitglied: einem Stück Ton.

Das erwacht wie weiland der Golem zum Leben, ist drollig und hilfreich. Bis die Tonkreatur mit der Boshaftigkeit von Menschen in Berührung kommt, die ganze Aggressivität des Internets in sich auflädt, im Dorf Furcht und Schrecken verbreitet und wieder eingefangen werden will, um (noch) Schlimmeres zu verhüten.

Die Jagd wird zum ultimativen Test, ob Tormod zu etwas taugt. Oder doch nur Siv, die zwar nicht mehr ist, was sie als junge Frau war, jedenfalls nicht aus Tormods Warte - aber immerhin hat sie, bevor sie sich auf ein Dasein mit Fernsehberieselung, Knabberzeug und Weißwein beschränkte, bereits ein Leben gerettet (Tormods) sowie im eigenen Körper zwei neue geschaffen (ihre Kinder Alf und Helene). Das konnte Tormod nur temporär über das Haus ausgleichen, das er ihr zum Dank für seine Errettung mit eigenen Händen gebaut hat. "Wir sind fünf" ist unter anderem ein Midlife-Krisenroman, wenn auch wesentlich schräger als andere norwegische Krisenromane wie Nina Lykkes "Aufruhr in mittleren Jahren" oder Per Pettersons "Männer in meiner Lage".

Ort der Handlung ist eine Siedlung drei Stunden nördlich von Oslo, was dem Roman in Norwegen die Umschreibung "Provinz-Roman auf Speed" eingebracht hat. Man weiß allerdings auch aus der deutschen Provinz, wie es um die Bevölkerung solch verstreuter, gern von etwas hässlichem Gewerbe umgebener Orte bestellt ist: Sie bestehen aus Leuten wie Siv und Tormod, die schon seit der Schule zusammen sind und karrieremäßig durchaus das Zeug zu mehr gehabt hätten - aber im Ort zu bleiben, wo Tormod in der Tischlerei des Vaters anfängt und Siv einen Friseursalon eröffnet, das scheint nur natürlich zu sein. Man fügt sich, wie alle, dem Schicksal. Die Kinder werden größer. Und ewig rattern die Rasenmäher.

Irgendwann muss ein Hund her. Er soll das "fünfte, aber entscheidende Rad" der Familie sein, meint Tormod, der Siv vergeblich zu einem dritten Kind gedrängt hatte und die Zahl außerdem mag: "Eine symmetrische Zahl - fünf war harmonischer als vier." Aber dann läuft das Tier weg, und Tormod zieht sich zurück in seine Garagenwerkstatt mit 3D-Drucker und IT-Einrichtung, wo er sich ganz als der geniale Wissenschaftler fühlen darf, der er dank des abgebrochenen Elektronikstudiums nie werden konnte. Er baut mit den Kindern Figuren aus Ton, experimentiert mit Lehm, weil er trotz des Digitalen eher ein analoger Zeitgenosse ist.

Per Zufall kommt Tormod dabei wieder in Kontakt mit einem Jugendfreund, mit dem er besser nicht abermals in Kontakt gekommen wäre: Erlend war einst der Kumpel, über den Tormod an die Drogen geriet und in "das absolute Gegenteil" seines sanftmütigen Ichs verwandelt wurde. Und ausgerechnet der ist nun Experte für "organisches Plastilin", so dass sich ihre Leidenschaft unglücklicherweise fatal ergänzt. Das Wiedersehen in der Werkstatt, eine von Metallicas Album "Kill'Em All" (!) begleitete Ekstase, kann nicht anders als rauschhaft geraten. Es lässt uns für einen Moment überlegen, ob nicht auch "Wir sind fünf" ein Versuchsaufbau zum Thema Nostalgie ist, wie ihn Faldbakken mit seinem letzten, vom Stil der skandalträchtigen "Misanthropie"-Trilogie merklich abweichenden Roman "The Hills" um die Stammgäste eines Edel-Restaurants vorgelegt hat. Den Rest kann man sich denken.

Oder auch nicht. Denn wer kommt schon darauf, dass eine zusammengerührte Portion Ton, die schon vor dem Besuch von Erlend auf seltsame Weise wuchs, regelrecht zu leben beginnen könnte? Eine von Faldbakken, der auch bildender Künstler ist, langsam über verschiedene Stufen hinweg aufgebaute, märchenhaft wie in einem Tim-Burton-Film geschilderte Unglaublichkeit, die Tormod und Erlend als zufällige Erschaffung eines "Softroboters" deuten.

Und da sitzen wir dann: mit offener Kinnlade vor einem Buch, das urplötzlich einen technologiekritischen Einschlag bekommen hat. Genauso wird das laufen. Eines geschichtsträchtigen Tages werden irgendwelche bedröhnten Hobbytüftler aus der Provinz zusammen mit Kollege Zufall den Homunculus erschaffen: "Es leuchtet! Seht! Nun läßt sich wirklich hoffen, daß, wenn wir aus viel hundert Stoffen, durch Mischung - denn auf Mischung kommt es an - den Menschenstoff gemächlich componiren, in einen Kolben verlutiren und ihn gehörig cohobiren, so ist das Werk im Stillen abgethan."

Wir kichern allerdings nur, bis das Gespenstische überhandnimmt, die Vorahnung einer Katastrophe zurück ist und unser Lachen über die grotesken Szenen im Hals stecken bleibt. Die letzte Seite: eine Knobelaufgabe.

MATTHIAS HANNEMANN

Matias Faldbakken: "Wir sind fünf". Roman.

Aus dem Norwegischen von Maximilian Stadler. Heyne Verlag, München 2020. 254 S., geb., 22 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Einer der raren Romane, bei denen man im Vorfeld rein gar nichts vermelden sollte - man muss ihn einfach aufschlagen und lesen, einfach hineinspringen« Frankfurter Allgemeine Zeitung, Matthias Hannemann