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Die kraftvollen Jugendstil-Illustrationen des Wiener-Werkstätte-Künstlers Carl Otto Czeschka von 1908 sind legendär: Sie gelten als absolutes Spitzenwerk der Buchillustration, gehören zu den bekanntesten Jugendstilkunstwerken.
Bei ihrer Erstausgabe waren diese einzigartigen Bilder mit einer eher unerheblichen Nacherzählung der Nibelungensage kombiniert.
Für diese opulent ausgestattete Neuausgabe der Heldensage wurde die Dichterin (und promovierte Altgermanistin) Ulrike Draesner gebeten, ihre eigene, höchst persönliche Nibelungen-Version zu schreiben. Dabei ist ein Zyklus wuchtiger und
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Produktbeschreibung
Die kraftvollen Jugendstil-Illustrationen des Wiener-Werkstätte-Künstlers Carl Otto Czeschka von 1908 sind legendär: Sie gelten als absolutes Spitzenwerk der Buchillustration, gehören zu den bekanntesten Jugendstilkunstwerken.

Bei ihrer Erstausgabe waren diese einzigartigen Bilder mit einer eher unerheblichen Nacherzählung der Nibelungensage kombiniert.

Für diese opulent ausgestattete Neuausgabe der Heldensage wurde die Dichterin (und promovierte Altgermanistin) Ulrike Draesner gebeten, ihre eigene, höchst persönliche Nibelungen-Version zu schreiben. Dabei ist ein Zyklus wuchtiger und beeindruckender moderner Lyrik um den Nibelungenschatz entstanden, in dem Ulrike Draesner das großartige und grausame Geschehen durch die Subjektivität der vier Protagonisten hindurch in Klang und Stimme bannt: es sprechen Kriemhild, Siegfried, Brunhilde und schließlich Hagen. Einen Epilog liefern Kriemhilds Söhne mit einem Nibelungen-Computerspiel, bevor sich die Stimme einer Erzählerin und Dichterin selbst zu Wort meldet: "Immer wieder vergesse ich...", was alles im Nibelungenlied geschieht. "Das Lied erzählt mir: Es gibt Lebenslagen, da fährt, was du liebtest und verlorst und noch liebst, unverhofft, unerwartet, erschreckend und schön, durch die Luft auf dich zu. Das vergesse ich nicht."
Autorenporträt
Ulrike Draesner, geb. 1962, Dichterin, Prosaautorin, Essayistin, lebt und arbeitet in Berlin, zeitweise auch in Oxford. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen, Poetikdozenturen, Gastprofessuren und Poetikvorlesungen, u.a. am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und an der Universität Oxford. Zuletzt erschienen: »subsong« (Gedichte, 2014), »Sieben Sprünge vom Rand der Welt« (Roman, 2014) und »Mein Hiddensee« (2015). 2016 erhält Ulrike Draesner den Wiesbadener Lyrik-Preis Orphil. Der Grafiker und Maler Carl Otto Czeschka, 1878-1960, war einer der wichtigsten Gestalter der Wiener Werkstätte. Ab 1907 war er als Professur an der Kunstgewerbe-Schule Hamburg tätig. Er entwarf Glasfenster, Innenausstattung, Möbel, Gebrauchsgegenstände, Schmuck, Werbung, Schriften, Signets und Logos, Bühnenbilder und Kostüme, Buchgestaltung und Buchillustration.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2016

In Xanten spielt ein Kind mit der Pumpgun

Nibelungen allerorten: Auch Ulrike Draesner hat sich des Stoffs angenommen. Und fragt in Gedichten, ob es so blutig kommen musste.

Von Tilman Spreckelsen

Badende Flussnymphen sind in Gefahr, wenigstens im Märchen. Wer sie antrifft und ihnen die Kleider oder das abgelegte Gefieder raubt, hat Macht über sie und kann sich die Rückgabe teuer bezahlen lassen. Der grimmige Hagen nutzt die am Donauufer entwendeten Nymphenkleidung, um sich von den Besitzerinnen sein Schicksal und das seiner Gefährten auf dem Weg zu König Etzel voraussagen zu lassen. Die Antwort ist niederschmetternd: Außer dem Kaplan wird keiner von ihnen den Zug überleben. Wenig später, auf der Fähre über die Donau, will Hagen es wissen: Er wirft den Kaplan über Bord, um ihn zu ertränken und damit den Nymphenspruch zu widerlegen, doch der Geistliche rettet sich irgendwie an Land.

Unter den vielen spektakulären Szenen im mittelhochdeutschen Nibelungenlied prägt sich die Donauüberquerung nicht besonders ein. Und doch ist sie ein Schlüssel für das Verständnis des gesamten Epos: Hagen weiß nun, dass sie ins Verderben reiten, aber er lässt es geschehen, weil er glaubt, dass daran nicht zu rütteln ist. Das Untergangsprogramm läuft ab, und Hagen geht es darum, gut dabei auszusehen. Für ihn heißt das, möglichst viele Gegner mitzunehmen und nicht zu verraten, wo der Nibelungenhort versteckt ist. Beides gelingt.

In den achthundert Jahren, seitdem ein Unbekannter das Nibelungenlied auf der Grundlage eines erheblich älteren Stoffes verfasst hat, sind Tausende Adaptionen entstanden, von denen sich kaum eine gleichgültig zu der ungeheuren Gestalt des Hagen von Tronje verhält. Auch die Schriftstellerin Ulrike Draesner, die nun den Band "Nibelungen. Heimsuchung" vorgelegt hat, beschäftigt sich darin besonders mit Hagen. Er ist eine von vier Gestalten (neben Siegfried, Kriemhild und Brünhild), denen ein je eigener Zyklus von Gedichten gewidmet ist, und seine Abteilung enthält zusätzlich einen fortlaufenden Text am Fuß der Seiten, der ein "Persönlichkeitsprofil Attentäter" liefert. Die Hagen-Gedichte setzen dann auch mit der Donau-Überquerung ein und beleuchten sie von allen Seiten, setzen aber mit den Geschehnissen an Etzels Hof einen zweiten Schwerpunkt, und da vor allem mit dem Aufeinandertreffen von Hagen und Kriemhild, die den Tod der Burgunder will, also den ihrer Brüder: "ihre männer / säuseln von ihr auf den versteinerten / hof. du flüsterst, es schlüpft dir / unter dem atem so leicht aus / der brust: blutsverwandt / blutverkrustet blutverschmiert / blutüberströmt".

Was Draesner unternimmt, ist alles andere als eine Nacherzählung ihrer Vorlage, die von Siegfrieds Ankunft in Worms über Gunthers Werbung um Brünhild, den Streit der Königinnen, Siegfrieds Ermordung durch Hagen und den Zug zu Kriemhilds zweitem Mann Etzel bis schließlich zum Tod der Burgunder reicht. Stattdessen setzt Draesner Schlaglichter, seit jeher ein Vorrecht der Lyrik, sie greift wiederkehrende Bilder im Nibelungenlied auf und setzt sie neu zusammen: die Greifvögel, die ahnungsvollen Träume, das gestickte Kreuz auf Siegfrieds Kleidung und schließlich die Köpfe, die hier in großer Zahl abgehauen werden.

Zudem öffnet die Autorin freudig ihren neuhochdeutschen Text für einzelne mittelhochdeutsche Einsprengsel, so wie auch ihre Protagonisten eben "sîvrit", "kriemhilt" oder "brünhilt" heißen und überhaupt das, was uns von dem Stoff trennt, eher betont wird als das vermeintlich verbindende. Mit der gewichtigen Ausnahme, die sich nicht zuletzt aus der von Draesner gewählten Form ergibt: Während in der Vorlage die Figuren eher von außen und mehr durch ihre Handlungen und Reden als von innen und durch die Wiedergabe von Gedanken oder Emotionen gezeichnet werden, nehmen diese Gedichte meist die Perspektive der Protagonisten ein. Sie gehen von Träumen, Phantasien oder Assoziationen aus, sie zeigen Menschen, die irritiert sind über das, was ihnen von anderen widerfährt, oder sie rekapitulieren das Geschehene in jeweils eigener Deutung.

Ohne Vertrautheit mit der Vorlage wäre dennoch vieles in diesen Gedichten kaum verständlich, und die Autorin tut das Ihre, um den Zugang zu erleichtern. Im zweiten Teil des Buchs finden sich Kurzessays Draesners zu zentralen Themen des Nibelungenliedes, und ein knapper Anmerkungsteil schlüsselt besonders schwerverständliche Bezüge auf. Als Drittes aber kommen die Bilder hinzu, die der Künstler Carl Otto Czeschka zu Beginn des vorigen Jahrhunderts für eine Nacherzählung des Nibelungenlieds schuf und auf die Draesners Texte klug verweisen.

Das Nibelungenlied ist, zumal in seinen letzten Szenen, das Epos der rollenden Köpfe. Hagen köpft den jungen Ortliep und dessen Lehrer vor aller Augen in Etzels großem Saal, so schwungvoll, dass das Haupt des Kindes der Mutter in den Schoß springt, und besonders diese Szene findet sich vielfach gespiegelt in Draesners Gedichten. Tatsächlich gehören dort die letzten Seiten Kriemhilds Söhnen Gunther und Ortliep, die als "G" und "O" einen gespenstischen Dialog führen, während sie offenbar in einem Computerspiel agieren und davon träumen, das Verhängnis doch noch abzuwenden. "Mutter hat überlebt?", fragt Ortlieps abgehauener Schädel seinen älteren Halbbruder, und der antwortet: "Klar. Was dachtest du denn? Sie hatte doch mich. Ich fuhr runter aus Xanten, kam angeflogen, als Adler mitten rein in die Szene, als sie ihr eben den Kopf abhacken wollten."

Man kann das als rührende Phantasie eines elternlosen, ohnmächtigen Kindes sehen: Was, wenn ich meine Mutter gerettet hätte, allen Widerständen zum Trotz? Man kann es, zweitens, als Flucht in eine virtuelle Parallelwelt verstehen, zumal Draesner als Coda noch ein kurzes Gedicht folgen lässt, das unseren Blick neuerlich auf Kriemhilds so sonderbar verschonten Erstgeborenen lenkt, der "in / xantens hag / mit der pump / gun spielt" und damit an ihr "Persönlichkeitsprofil: Attentäter" anknüpft, nur dass es jetzt eben nicht mehr Hagen ist, von dem das Unheil ausgeht, sondern das spielende Kind. In dieser düsteren Lesart wäre das Nibelungenunheil mit dem Tod von Tausenden in Etzels Halle eben noch immer nicht aus der Welt geschafft.

Oder aber man liest diesen Dialog im Gegenteil als Hinweis darauf, dass der Nibelungenstoff noch immer nicht auserzählt ist. Dass der Massenmord in Etzels Halle kein notwendiges Ende ist, die Fahrt auf der Donau nicht unausweichlich, dass Siegfrieds Tod kein Schicksal ist und auch nicht der Betrug an Brünhild. Wer sich des Stoffes annimmt, der mag selbst entscheiden, wohin er damit kommt, solange nur seine Variation aus dem Geist der Vorlage entsteht.

Das wäre freilich eine Lesart, die mehr mit Träumen als mit rollenden Köpfen zu tun hat, mehr mit dem Möglichkeitssinn der Akteure als mit den Weissagungen der Donaunymphen. Draesners Nibelungentext lässt alle drei Deutungen zu, und nicht zuletzt diese behutsame Annäherung an ein nur vermeintlich bekanntes, einschichtiges Werk macht den Reiz dieses Buches aus.

Ulrike Draesner: "Nibelungen. Heimsuchung".

Mit den Illustrationen von Carl Otto Czeschka. Reclam Verlag, Stuttgart 2016. 130 S., Abb., geb., 39,95 [Euro].

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