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Annie Proulxs Roman ist ein monumentales Epos, das lebensprall, sprachgewaltig und intensiv dreihundert Jahre nordamerikanischer Geschichte einfängt und von der Abholzung der scheinbar endlosen Wälder erzählt, vom ewigen Kampf zwischen Mensch und Natur. Es beginnt mit der Ankunft von zwei Franzosen, René Sel und Charles Duquet, im heutigen Kanada, wo sie über die schier undurchdringliche Wildnis staunen. Sie sind Holzarbeiter und versuchen ihr Glück auf dem neuen Kontinent, und wir begleiten die verschlungenen Wege ihrer nachfolgenden Generationen. Stupendes Wissen, ein kritischer,…mehr

Produktbeschreibung
Annie Proulxs Roman ist ein monumentales Epos, das lebensprall, sprachgewaltig und intensiv dreihundert Jahre nordamerikanischer Geschichte einfängt und von der Abholzung der scheinbar endlosen Wälder erzählt, vom ewigen Kampf zwischen Mensch und Natur. Es beginnt mit der Ankunft von zwei Franzosen, René Sel und Charles Duquet, im heutigen Kanada, wo sie über die schier undurchdringliche Wildnis staunen. Sie sind Holzarbeiter und versuchen ihr Glück auf dem neuen Kontinent, und wir begleiten die verschlungenen Wege ihrer nachfolgenden Generationen. Stupendes Wissen, ein kritischer, realistischer Blick, Witz und Lebensweisheit zeichnen diesen Roman aus, und gleichzeitig schildert Annie Proulx hautnah, unmittelbar und anschaulich das Leben ihrer Figuren, ihre Liebeshändel und Familienintrigen, ihre Gier, ihre Rachsucht und ihren Geltungsdrang, aber auch ihre Hoffnungen und Sehnsüchte.
Autorenporträt
Annie Proulx wurde für ihre Romane und Erzählungen mit allen wichtigen Literaturpreisen Amerikas ausgezeichnet, dem PEN/Faulkner Award, dem Pulitzer-Preis, dem National Book Award sowie dem Irish Times International Fiction Prize. Außerdem wurde sie in die American Academy of Arts and Letters aufgenommen. Die Verfilmung ihrer legendären Kurzgeschichte »Brokeback Mountain« wurde 2005 mit drei Oscars ausgezeichnet. Annie Proulx lebt in New Hampshire.
Rezensionen
»Eine große, fesselnde und bildhafte Geschichte über Händler, Holzfäller und die Verwandlung von Waldlandschaften in Kapital, von Gemeingut in privaten Reichtum.« Eberhard Falcke / Bayern 2

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.07.2017

Lob der
Wiederaufforstung
Annie Proulx versucht, die Wildnis Kanadas
in einen allegorischen Roman zu verwandeln
VON FRAUKE MEYER-GOSAU
Als Charles Duquet und René Sel im Jahr 1693 in Neufrankreich, dem heutigen Kanada, von Bord des Schiffes gehen, das sie aus Europa herübergebracht hat, haben sie nicht die mindeste Ahnung, was sie auf dem neuen Kontinent erwartet. Alles, was sie wissen, ist: Sie wollen ihr Glück machen. Dazu aber müssen sie sich erst einmal bei Monsieur Trépagny verdingen – und dessen Vorstellung davon, was aus den beiden werden soll, weicht von deren Hoffnungen grundsätzlich ab. Bäume sollen sie für ihn fällen in dem riesigen Urwaldareal, auf dem er sich eine Villa im französischen Stil errichten lassen will, mit allem Luxus, der nötig ist, um in Frankreich eine vermögende Braut aufzutun und sie ebenfalls nach Amerika verschiffen zu lassen: Repräsentieren möchte Monsieur Trépagny in der Neuen Welt, nachdem er es in der alten nicht geschafft hat. Charles und René, der eine ein Spitzbube, der andere ein durch und durch rechtschaffener Mann, kommen in dieser Planung nur als Leibeigene vor, denen keine Verfügung über ihr Leben zusteht.
Kein Wunder, dass Charles Duquet bei der ersten Gelegenheit die Flucht ergreift. Nach einer Karriere als Pelzhändler wird er, unter dem anglisierten Namen Duke, zum Begründer einer Dynastie von Naturausbeutern, die sich zum Ziel gesetzt haben, die scheinbar unendlichen Wälder des amerikanischen Kontinents zu plündern. Und es ist ebenfalls kein Wunder, dass René, der Trépagnys abgelegte Indianer-Konkubine heiraten muss, kein Erfolg beschieden ist. Zwar entpuppt sich seine Ehe mit Mari als ein Glücksfall, doch stirbt er jung. Seine Mischlingskinder müssen sich, wie er es tat, als Holzfäller durchbringen. Da sie von den rassistischen Weißen bevorzugt bei lebensgefährlichen Arbeiten eingesetzt werden, wird nur einer von Renés Nachkommen ein hohes Alter erreichen.
„Aus hartem Holz“ ist Annie Proulxs fünfter Roman, und sie hat sich in diesem Buch ein gigantisches Programm vorgenommen. Mehr als drei Jahrhunderte nordamerikanischer Natur- und Menschen-, Rassen-, Fortschritts- und Geschäftsgeschichte will sie anhand des Schicksals der nordamerikanischen Wälder, ihrer Bewohner und Zerstörer lebendig machen; geschäftsbedingte Nebenschauplätze sind China, England, Holland, Australien und Neuseeland.
Rasch wird dabei klar, wofür ihr Herz schlägt – und wo der Feind steht. Wenn sich Sapatisia Sel, Waldforscherin und Nachkommin sowohl der Duquets als auch der Sels, im Jahr 2013 mit Blick auf die Wälder fragt: „Was, wenn es schon zu spät war, als die ersten Hominiden sich auf zwei Beine erhoben und auf die Welt sahen?“, hat der Klimawandel längst die Gletscher zum Schmelzen gebracht, ganze Regionen sind verheert und verdorrt. Und dennoch geht in Lateinamerika das Roden der Urwälder weiter, werden, ganz wie einst in Nordamerika, Menschen von ihrem Land und aus ihrer hergebrachten Lebensweise vertrieben. Schuld an alledem ist der weiße Mann mit seiner unersättlichen Gier nach Reichtum und Besitz – bei Proulx gegen Ende hin allerdings auch einmal eine vom Geschäft besessene Frau.
Bestimmt ist es – zumal mit Donald Trump im Weißen Haus, der den Klimawandel für eine geschäftsschädigende Erfindung der Chinesen hält – eine gute Idee, im Namen der Rettung des Weltklimas möglichst machtvoll seine Stimme zu erheben. Und eigentlich müsste Annie Proulx, die seit ihrem ersten Roman „Schiffsmeldungen“ (deutsch 1993) immer wieder die Natur zu ihrem zentralen Thema gemacht hat, genau die richtige Sprecherin in dieser Sache sein.
Doch anders als in ihrem Drehbuch zum Kinowelterfolg „Brokeback Mountain“ (2006) geht hier alles gründlich schief, dramaturgisch ebenso wie stilistisch. Der erste Grund für diesen traurigen Schiffbruch dürfte schlichtweg die unendlich große Masse an Stoff sein, die Proulx hier auf fast 900 Seiten zu bewältigen versucht: Die Geschichte zweier Familien, die sich in der Frühzeit der weißen Besiedelung einmal miteinander vermischt haben und dennoch nichts voneinander wissen, über mehrere Generationen zu verfolgen, ist allein schon ein gigantisches Vorhaben – zumal auch noch die Geschichte der Entrechtung und Vertreibung der Indianer miterzählt werden muss. Dies alles hineinzuschreiben in den Fortgang des gnadenlosen Raubbaus an der Natur führt zu einer, pardon, Verholzung des Erzählens.
Denn wo auf der einen Seite die im jeweiligen Jahrhundert anwesenden Personen ja nicht nur mit Namen versehen, sondern auch wenigstens mit den Umrissen einer Biografie ausgestattet werden müssen, bleibt für einzelne Charaktere, für die die Leser sich erwärmen könnten, zwangsläufig wenig Raum: Sie geraten zu, nochmals pardon, holzschnittartigen Gestalten, die irgendwann in der Generationenfolge auftauchen und häufig eines ausgesucht grausamen Todes sterben müssen.
Es fällt zunehmend schwer, bei allen Namen den Überblick zu behalten, während auf der anderen Seite der forstwissenschaftliche Anteil, in den die Erzählerin ihren Ehrgeiz setzt, um Wald und Waldgeschichte möglichst faktengetreu zu beschreiben, zunimmt. Am Ende findet man sich in einer Art Vorlesung über die Zusammenhänge von Bodenbewuchs und Baumwachstum wieder, nachdem man zuvor schon Etliches über die lobenswerte deutsche Praxis der Wiederaufforstung gelernt hat, die bei den von Raffgier getriebenen Waldzerstörern natürlich nur auf Hohn und Verachtung trifft.
Die Sprache selbst macht es schließlich auch nicht besser: „Duke spürte, wie eine rote Wolke der Gefahr ihn verschlang. Sein Blut stockte. Die Zähne der arbeitenden Sägen nagten und glitzerten. Er begriff, dass er in tödlicher Gefahr war.“ Aufs Stichwort exitus in dubio est haucht der Begründer des Duke-Imperiums mitten im Wald seine schwarze Seele aus: „Im Alter von dreiundfünfzig Jahren und mit nur halb gesichertem Vermögen war er fertig.“ Die Indianer wiederum sprechen einerseits ein gruseliges Pidgin, andererseits verfallen sie plötzlich in elaborierte Äußerungen – die beiden Übersetzerinnen sind um ihren Marathon durch sprachliche Dürren und Inkonsistenzen, die auch die amerikanische Kritik beklagt hat, nicht zu beneiden.
Und wie schade ist das alles! Die verschrobene Lavinia etwa, eine Art Queen Victoria des Holzgeschäfts, hätte man gern näher kennengelernt, der jüngsten Generation aus dem gemischten Familienstamm der Dukes und der Sels, die sich als Wissenschaftler mit ihrer Tante Sapatisia um Wiederaufforstungsprogramme auf der ganzen Welt kümmern, wäre man ebenso neugierig gefolgt. Doch nachdem er schweren Schritts mit Annie Proulx die Kontinente wie die Jahrhunderte durchmessen hat, bleibt selbst der Freund des Baums nur noch erschöpft am Wegesrand zurück.
Annie Proulx: Aus hartem Holz. Roman. Aus dem Englischen von Andrea Stumpf und Melanie Walz. Luchterhand Literaturverlag, München 2017. 889 Seiten, 26 Euro, E-Book 20,99 Euro.
Aus Holz besteht hier vieles:
die Charaktere, aber
auch die Geschichte selbst
Holzwege: Das undatierte Foto zeigt Holzfäller und verkeilte Baumstämme an einem Fluss in Kanada.
Foto: Imago
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