Poet und Menschenkenner, Beobachter und großer Erzähler mit unbestechlichem Blick auf unsere (politische) Alltagswirklichkeit - das alles ist Friedrich Ani, und nebenbei auch noch ein Autor, der ganz ausgezeichnet zu unterhalten vermag. Auch M beginnt mit einem Vermisstenfall: Die Redakteurin Mia Bischof beauftragt die Detektei Liebergesell, nach ihrem Freund zu suchen. Süden und seinen Kollegen kommt die Frau von Anfang an seltsam vor. Weiß sie über das Verschwinden des Mannes, den sie zu lieben behauptet, mehr als sie zugibt? Süden sieht sich in seinem unguten Gefühl bestätigt, als im Arbeitsumfeld des Vermissten irritierende Hinweise auf die Neonazi-Szene auftauchen. Nichts scheint so recht zusammenzupassen, doch Süden schiebt seine persönlichen Bedenken beiseite - und findet sich in einem Sumpf aus Gewalt, Verrat, Misstrauen und tiefster Verachtung wieder.
Vor acht Jahren hatte der Autor seinen Helden bereits ausgemustert, vor drei Jahren kehrte Tabor Süden zurück. Im 18. Krimi dieser Reihe läuft der etwas andere Ermittler nun zur Höchstform auf. (.,.) Tabor Süden zu verstehen, ist nicht leicht, was ihn, gerade wegen der Aura der Unnahbarkeit, so interessant und einmalig macht. Es lohnt sich deshalb, mit dem ersten der 18 Krimis aus dem Jahre 2001 anzufangen; bereuen wird man es zu keinem Zeitpunkt. FreiePresse 20131206
Anis leise, melancholische Krimis liegen immer ganz dicht an der Grenze zum großen Roman - in diesem gelingt ihm das besonders gut.
BRIGITTE, 25.09.2013
Ein dunkler Roman, kalt wie die Nacht, tröstlich wie eine Umarmung.
BRIGITTEwoman, 10 / 2013
BRIGITTE, 25.09.2013
Ein dunkler Roman, kalt wie die Nacht, tröstlich wie eine Umarmung.
BRIGITTEwoman, 10 / 2013
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.10.2013DIE KRIMI-KOLUMNE
Im braunen Sumpf: Friedrich Anis „M“
Tabor Süden ist einer von diesen unfassbar gelassenen Typen, denen das Leben einfach so passiert. Es spielt ihm Fälle zu, manchmal schenkt es ihm das Lächeln einer Frau, manchmal drischt es ihm den Selbstmord eines Freundes in den Nacken, aber zum Glück stellt ihm es öfter mal ein Bier auf den Tresen, Helles. Das mag er. Tabor Süden lässt es wirken, er lässt alles erst einmal wirken. Dann lässt er sich weitertreiben, ein schweigsamer Komet, unterwegs im Mikrokosmos München. Gelassen, stoisch, fast träge. Einem Mann wie ihm bieten sich kaum mehr als diese zwei Möglichkeiten: Ermittler oder Eremit. Er betet Hölderlin-Verse und redet lieber mit Toten als mit Lebenden, aber er will den Kontakt zur Außenwelt noch nicht abbrechen. Deshalb ist er Ermittler, inzwischen als Privatdetektiv. Seine grünen Augen sehen immer noch verdammt viel.
Im neunzehnten Tabor-Süden-Roman von Friedrich Ani stapft der Held am rechtsextremen Sumpf entlang – und am Ende legt er ihn natürlich auch trocken. Ani hat eine fesselnde Geschichte gestrickt, eine Grauen erregende vor allem, weil sie gegenwärtig ist und realistisch seit den Anschlagsplänen auf die Synagoge auf den Münchner St. Jakobsplatz und noch gegenwärtiger und realistischer durch den NSU-Prozess. Geht der rechte Terror weiter? Bleiben die Braunen wirklich so unbehelligt? Und was ist, wenn die Ermittlungsbehörden weiterpfuschen wie in Friedrich Anis Kriminalroman, wenn sich Verfassungsschützer und Kriminalbeamte gegenseitig ausspielen? Für Ani und seinen Helden ist klar, dass die NPD besser heute als morgen verboten werden muss.
Eine blonde Frau mit Zöpfen kommt in die Detektei Liebergesell, bei der Tabor Süden angeheuert hat, seit er nicht mehr bei der Kripo arbeitet. Die Vermisstensuche bleibt aber sein Spezialgebiet. Die Kundin vermisst ihren Geliebten. Dass die Frau, die auf ihren Pullovern gern die Zahl 28 trägt und als leitende Lokalredakteurin für eine Münchner Tageszeitung arbeitet, tief im braunen Abschaum steckt, finden Süden und seine Kollegen mit der Zeit heraus. 28 – diese Chiffre steht für die Buchstaben B und H, Blood & Honour, ein Slogan der Neonazis.
Die Detektei Liebergesell besteht neben Süden aus der Chefin, dem Rentner Kreutzer, der sich selbst als „grauesten Schattenschleicher der Stadt“ bezeichnet, und aus einer Göre Anfang dreißig, sie jobbt in einer Bar und heißt Patrizia. Perfektes Team. Nur dass die Chefin, eine Matrone, die ihr ermordetes Kind beweint, gerade in einer Jahrestags-Trauerphase steckt und der Rentner bald von Neonazi-Schlägern aus dem Verkehr gezogen wird. Friedrich Ani lässt viel geschehen, auch in den Vorgeschichten und Nebenhandlungen. Auf wundersame Weise bringt er sich und seine Detektive aber immer wieder zum Kern der Geschichte zurück: zur Suche nach dem Taxifahrer Denning, die immer weiter in den rechtsextremistischen Abgrund führt.
Ani denkt sich in seine Protagonisten hinein und beleuchtet die Welt aus ihrer Perspektive. Die Auftraggeberin mit den blonden Zöpfen zum Beispiel gibt hier ihr Innerstes preis: Sie will ein Kind, sie geht auf die vierzig zu – und der Taxifahrer Denning ist der einzige, von dem sie dieses Kind haben will. Es ist ein starker Ich-muss-jetzt-Mutter-werden-Instinkt, der sie zu den Detektiven treibt, er dominiert alle anderen Gefühle, sonst ginge Anis Geschichte nicht auf. Als Leser muss man sich aber erst überwinden zu akzeptieren, dass bei einem eiskalten Nazigeschöpf Liebe zu einem Mann wichtiger werden kann als die selbst gewählte Lebensaufgabe, das deutsche Volk und die nordische Rasse rein zu halten. Wer Ani die Gefühle dieser Frau abzunehmen bereit ist, den wird dieses Buch in seinen Bann ziehen.
M ist ein München-Krimi. Doch die Frau mit den blonden Zöpfen, ihren Vater, den Übervater der braunen Terrorgruppe, und die Detektive kann es überall geben. Nur Tabor Süden nicht, der braucht sein Bier in Giesing. Zu lachen hat er nicht viel, zu reden auch nicht, aber manchmal schmeckt ihm das Leben.
RUDOLF NEUMAIER
Friedrich Ani: M. Ein Tabor-Süden-Roman. Droemer Verlag, München 2013. 368 Seiten, 19,99 Euro, E-Book 17,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Im braunen Sumpf: Friedrich Anis „M“
Tabor Süden ist einer von diesen unfassbar gelassenen Typen, denen das Leben einfach so passiert. Es spielt ihm Fälle zu, manchmal schenkt es ihm das Lächeln einer Frau, manchmal drischt es ihm den Selbstmord eines Freundes in den Nacken, aber zum Glück stellt ihm es öfter mal ein Bier auf den Tresen, Helles. Das mag er. Tabor Süden lässt es wirken, er lässt alles erst einmal wirken. Dann lässt er sich weitertreiben, ein schweigsamer Komet, unterwegs im Mikrokosmos München. Gelassen, stoisch, fast träge. Einem Mann wie ihm bieten sich kaum mehr als diese zwei Möglichkeiten: Ermittler oder Eremit. Er betet Hölderlin-Verse und redet lieber mit Toten als mit Lebenden, aber er will den Kontakt zur Außenwelt noch nicht abbrechen. Deshalb ist er Ermittler, inzwischen als Privatdetektiv. Seine grünen Augen sehen immer noch verdammt viel.
Im neunzehnten Tabor-Süden-Roman von Friedrich Ani stapft der Held am rechtsextremen Sumpf entlang – und am Ende legt er ihn natürlich auch trocken. Ani hat eine fesselnde Geschichte gestrickt, eine Grauen erregende vor allem, weil sie gegenwärtig ist und realistisch seit den Anschlagsplänen auf die Synagoge auf den Münchner St. Jakobsplatz und noch gegenwärtiger und realistischer durch den NSU-Prozess. Geht der rechte Terror weiter? Bleiben die Braunen wirklich so unbehelligt? Und was ist, wenn die Ermittlungsbehörden weiterpfuschen wie in Friedrich Anis Kriminalroman, wenn sich Verfassungsschützer und Kriminalbeamte gegenseitig ausspielen? Für Ani und seinen Helden ist klar, dass die NPD besser heute als morgen verboten werden muss.
Eine blonde Frau mit Zöpfen kommt in die Detektei Liebergesell, bei der Tabor Süden angeheuert hat, seit er nicht mehr bei der Kripo arbeitet. Die Vermisstensuche bleibt aber sein Spezialgebiet. Die Kundin vermisst ihren Geliebten. Dass die Frau, die auf ihren Pullovern gern die Zahl 28 trägt und als leitende Lokalredakteurin für eine Münchner Tageszeitung arbeitet, tief im braunen Abschaum steckt, finden Süden und seine Kollegen mit der Zeit heraus. 28 – diese Chiffre steht für die Buchstaben B und H, Blood & Honour, ein Slogan der Neonazis.
Die Detektei Liebergesell besteht neben Süden aus der Chefin, dem Rentner Kreutzer, der sich selbst als „grauesten Schattenschleicher der Stadt“ bezeichnet, und aus einer Göre Anfang dreißig, sie jobbt in einer Bar und heißt Patrizia. Perfektes Team. Nur dass die Chefin, eine Matrone, die ihr ermordetes Kind beweint, gerade in einer Jahrestags-Trauerphase steckt und der Rentner bald von Neonazi-Schlägern aus dem Verkehr gezogen wird. Friedrich Ani lässt viel geschehen, auch in den Vorgeschichten und Nebenhandlungen. Auf wundersame Weise bringt er sich und seine Detektive aber immer wieder zum Kern der Geschichte zurück: zur Suche nach dem Taxifahrer Denning, die immer weiter in den rechtsextremistischen Abgrund führt.
Ani denkt sich in seine Protagonisten hinein und beleuchtet die Welt aus ihrer Perspektive. Die Auftraggeberin mit den blonden Zöpfen zum Beispiel gibt hier ihr Innerstes preis: Sie will ein Kind, sie geht auf die vierzig zu – und der Taxifahrer Denning ist der einzige, von dem sie dieses Kind haben will. Es ist ein starker Ich-muss-jetzt-Mutter-werden-Instinkt, der sie zu den Detektiven treibt, er dominiert alle anderen Gefühle, sonst ginge Anis Geschichte nicht auf. Als Leser muss man sich aber erst überwinden zu akzeptieren, dass bei einem eiskalten Nazigeschöpf Liebe zu einem Mann wichtiger werden kann als die selbst gewählte Lebensaufgabe, das deutsche Volk und die nordische Rasse rein zu halten. Wer Ani die Gefühle dieser Frau abzunehmen bereit ist, den wird dieses Buch in seinen Bann ziehen.
M ist ein München-Krimi. Doch die Frau mit den blonden Zöpfen, ihren Vater, den Übervater der braunen Terrorgruppe, und die Detektive kann es überall geben. Nur Tabor Süden nicht, der braucht sein Bier in Giesing. Zu lachen hat er nicht viel, zu reden auch nicht, aber manchmal schmeckt ihm das Leben.
RUDOLF NEUMAIER
Friedrich Ani: M. Ein Tabor-Süden-Roman. Droemer Verlag, München 2013. 368 Seiten, 19,99 Euro, E-Book 17,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Der neue Krimi von Friedrich Ani erinnert Sylvia Staude doch sehr an die Geschichte der NSU-Morde und das Ermittlungdesaster der Geheimdienste. Sogar Beate Zschäpe meint Staude in einer Figur wiederzuerkennen. Abgesehen von diesen der Rezensentin offenbar nicht ganz geheuren Bezüge, findet Staude im Buch den gewohnten Ani-Sound, eine klischeefreie atmosphärische Verdichtung. Dass sämtliche Figuren, der Kommissar eingeschlossen, mit einer dunklen Seite aus Angst und Zweifel ausgestattet sind, gefällt Staude. Ebenso, dass der Autor den Leser stets in kleinbürgerliche Milieus entführt, hier das der Münchner Eckkneipen, in denen im Text allerdings die rechte Gesinnung gedeiht.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Er ist ein großer Schweiger, hervorragender Zuhörer und hat sich auf "Vermissungen" spezialisiert: Tabor Süden. Friedrich Ani schickt den Ermittler - nun bei der Detektei Liebergesell angestellt - durch München, und gerade seine sperrige Art und tiefe Melancholie scheinen den Lesern nahezugehen und nahezukommen. Dieser Tabor spricht mit Toten, und sie scheinen ihm oft näher als die Lebenden - und er verleitet durch seine wortkarge Gesprächsführung so manchen Menschen dazu, mehr preiszugeben, als er eigentlich wollte. Vielen ist sein Schweigen peinlich und sie plappern drauf los, nur um die Stille zu überdecken. Tabor Süden ist Schweigen nie peinlich. Der wortkarge Detektiv hört viel lieber zu. Darin ist er ein Meister, geduldig und empathisch. Er ist da, wenn man etwas zu erzählen hat, und er versteht etwas vom Leben. So verwundert auch seine Spezialisierung auf die Suche nach vermissten Personen nicht: Denn so mancher fiel nicht einem Verbrechen zum Opfer, sondern hat sich aus seinem alten Leben geschlichen, um ein neues Leben anzufangen; irgendwo anders und manchmal auch mit irgendwem anders ...
Die Gescheiterten und Gebrochenen sind Süden nahe - und genau deshalb gelingt es ihm oft, Schwingungen von noch lebenden Verschwundenen aufzunehmen und sie zu finden. Vielleicht liegt es daran, dass sein Vater nach dem Tod der Mutter ein anderer wurde, beschloss, zu verschwinden, innerlich wegzugehen - bis er dann, drei Jahre später, auch äußerlich wegging, "einen leeren Stuhl zurückließ, seine Lederjacke, einen unbegreiflichen Brief und die Küche ohne ein einziges Trostbrot. Das war an einem Sonntag gewesen, zwei Tage vor Heiligabend. Obwohl Tabor schon sechzehn und geübt darin war, sich gegen die weißen Wände der Einsamkeit zu stemmen und keine Fragen mehr an seine tote Mutter, an Gott und die Madonna in der Kirche zu stellen - und stattdessen Gedichte las, Musik hörte und im Wald Bäume umarmte - , empfand er das Haus an jenem Nachmittag wie ein im schwarzen Weltall vergessenes Raumschiff." Diese Einsamkeit wurde er nie wirklich los - daran ändert auch das Interesse der Frauen an Tabor Süden nichts. Mit seiner schwarzen Jeans, der Lederjacke, den halblangen Haaren, den grünen Augen und dieser Sensibilität zieht er so manche in Bann. Doch Tabor Süden spaziert meist doch lieber allein über den Friedhof, hält Zwiesprache mit den Toten, philosophiert mit ihnen über das Leben.
Die Gescheiterten und Gebrochenen sind Süden nahe - und genau deshalb gelingt es ihm oft, Schwingungen von noch lebenden Verschwundenen aufzunehmen und sie zu finden. Vielleicht liegt es daran, dass sein Vater nach dem Tod der Mutter ein anderer wurde, beschloss, zu verschwinden, innerlich wegzugehen - bis er dann, drei Jahre später, auch äußerlich wegging, "einen leeren Stuhl zurückließ, seine Lederjacke, einen unbegreiflichen Brief und die Küche ohne ein einziges Trostbrot. Das war an einem Sonntag gewesen, zwei Tage vor Heiligabend. Obwohl Tabor schon sechzehn und geübt darin war, sich gegen die weißen Wände der Einsamkeit zu stemmen und keine Fragen mehr an seine tote Mutter, an Gott und die Madonna in der Kirche zu stellen - und stattdessen Gedichte las, Musik hörte und im Wald Bäume umarmte - , empfand er das Haus an jenem Nachmittag wie ein im schwarzen Weltall vergessenes Raumschiff." Diese Einsamkeit wurde er nie wirklich los - daran ändert auch das Interesse der Frauen an Tabor Süden nichts. Mit seiner schwarzen Jeans, der Lederjacke, den halblangen Haaren, den grünen Augen und dieser Sensibilität zieht er so manche in Bann. Doch Tabor Süden spaziert meist doch lieber allein über den Friedhof, hält Zwiesprache mit den Toten, philosophiert mit ihnen über das Leben.