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»Ich habe meine Mutter nicht geliebt.«Seine Mutter war eine Frau der klugen Konversation, den Büchern und der Kunst zugetan. In ihrer Welt sollte es keine Unannehmlichkeiten geben. Was der Sohn vermisste, Wärme, Liebe, physische Nähe, verschärfte im Lauf eines Lebens die Distanz zwischen ihnen. Sprachlich virtuos und unerbittlich porträtiert Meckel eine Frau und ihr Milieu.

Produktbeschreibung
»Ich habe meine Mutter nicht geliebt.«Seine Mutter war eine Frau der klugen Konversation, den Büchern und der Kunst zugetan. In ihrer Welt sollte es keine Unannehmlichkeiten geben. Was der Sohn vermisste, Wärme, Liebe, physische Nähe, verschärfte im Lauf eines Lebens die Distanz zwischen ihnen. Sprachlich virtuos und unerbittlich porträtiert Meckel eine Frau und ihr Milieu.
Autorenporträt
Christoph Meckel, 1935 in Berlin geboren, studierte Grafik in Freiburg und München. Er lebt in Berlin und in Südfrankreich und veröffentlichte verschiedene Radierzyklen sowie zahlreiche Prosa- und Gedichtbücher, die in verschiedene Sprachen übersetzt wurden. Auszeichnungen u.a.: Bremer Literaturpreis 1981 und Joseph-Breitbach-Preis der Akademie für Literatur und Wissenschaft der Stadt Mainz 2003. Christoph Meckel verstarb am 29. Januar 2020.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.11.2002

Die Leere
Christoph Meckels „Suchbild”
Die schlichte Wahrheit, der dieses Buch seine Existenz verdankt, besteht aus sechs Worten. Diese Wahrheit ist zu stolz, zwischen den Zeilen zu verbleiben, sich gar enträtseln zu lassen. Schon in der achten Zeile der ersten Seite bringt sie sich unmissverständlich zur Geltung: „ich habe meine Mutter nicht geliebt.” Dem Sohn, der diesen Satz schreibt, ist es um eine Wahrheit von der Art zu tun, die man die „reine” oder „nackte” Wahrheit nennt. Er setzt sie einer Mutter entgegen, der es eklatant an „Nacktheit”, an Natur, an sinnlicher Gegenwart gefehlt haben soll.
Es ist eine strenge Wahrheit, der sich der Sohn bis zur letzten Zeile verschreibt, streng wie ein protestantischer Gott. Sie duldet keine anderen Götter neben sich selbst. Der Sohn, ein Meister des deutschen Satzbaus, baut für die schlichte, nackte Wahrheit eine feste, kühle Burg aus glänzender Prosa. Nichts ist provisorisch an dieser Burg, alles festgefügt. Nichts Spiel, alles ernst. Nichts Konjunktiv, alles Gewissheit. Nur der Titel kokettiert mit dem Ungreifbaren: „Suchbild. Meine Mutter”.
Der Lyriker, Erzähler und Zeichner Christoph Meckel, 1935 in Berlin geboren, hat schon einmal ein Buch mit dem Titel „Suchbild” geschrieben. Das trug den Untertitel „Über meinen Vater”, erschien im Jahre 1980 und war einer der wichtigsten Repräsentanten der damaligen „Väterliteratur” in Deutschland. Darin suchten die zwischen 1933 und 1945 geborenen Söhne nach den dunklen Seiten in den Biographien ihrer Väter, die ihre Bewährungsproben im Nationalsozialismus zu bestehen hatten und selten bestanden. Eberhard Meckel (1907 bis 1969), der Vater dieses Sohnes, war ein erfolgreicher Schriftsteller der dreißiger Jahre, befreundet mit Peter Huchel und Günter Eich. Nach dem Krieg legte der Vater Wert darauf, in Distanz zum Regime gelebt zu haben. Aus irritierenden Funden im Nachlass des Vaters war dieses „Suchbild” hervorgegangen: antisemitische Aufzeichnungen in den Tagebüchern, die ungerührte Zeugenschaft bei Massenerschießungen in Polen zogen den ostentativen „Adel des Geistes” in Zweifel.
Pardon wird nicht gegeben
Schon damals hatte der Sohn „die schöne und kluge Frau” des Vaters, seine Mutter, am Rande ins Bild geholt. Fast sah sie aus wie eine positive Kontrastfigur: Dass sie schärfer dachte und deutlicher sah, kritischer, leidender in der Epoche lebte, schien ihm niemals ganz bewusst zu werden. Nun steht die Mutter im Zentrum des zweiten „Suchbilds”. Es erscheint erst jetzt, weil sie erst vor kurzem starb, im Alter von 92 Jahren. Geschrieben hat der Sohn das Buch bis auf wenige Seiten schon zu ihren Lebzeiten.
Von der Fähigkeit zur Kritik und zum Leiden ist der Mutter wenig geblieben. Mochte sie den Nationalsozialismus „schärfer” gesehen haben als der Vater, nach seinem Tod wird sie zur Rivalin des Sohnes, des Aufdeckers der Lebenslügen: „Sie retuschierte, mit Eile und Energie, die Rollen des Toten und fälschte das eigene Bild.” Doch nur beim Vater konzentrierte sich der Blick des Sohnes auf das verharmloste Mitläufertum. Bei der Mutter ist die Behauptung von Widerstand, wo keiner war, nur eine Facette im Gesamtbild. Dieses aber zeigt nicht eine politische Opportunistin, sondern eine Figur des Mangels, der nicht zu helfen war: eine Mutter, die sich nicht lieben lässt.
Darum sind die beiden „Suchbilder” nur zum Schein eine Parallelaktion. Das Buch über den Vater handelte im Kern von einer enttäuschten Liebe. Die Enttäuschung des Sohnes war so groß, weil die Liebe zum Vater so groß gewesen war. Der erste Satz sprach vom Glück der Erinnerung, von der Fahrt mit dem Vater im offenen Wagen über eine Chaussee. Das Buch über die Mutter ist von Beginn an ein Buch über die Nicht-Liebe, über eine Leerstelle, die nie etwas anderes war als leer, über eine Liebesunfähige. Es ist das härtere, mitleidlosere Buch. Es attestiert seinem Gegenstand, der jungen Frau wie der Greisin, mit immer neuen Belegen „Hochmut”, „Indifferenz” „Unzugänglichkeit”, „mangelnde Lebenslust”, „verborgene Herrschsucht”.
Das erste „Suchbild” wuchs aus einem Porträt der Landschaft zwischen Karlsruhe und Basel heraus. Zu diesem Bild der katholisch-alemannischen Herkunftswelt des Vaters gibt es im Buch über die Mutter kein Pendant. Der preußische Protestantismus, als dessen Inkarnationsfigur die hochkultivierte, stets distanzierte Dame erscheint, ist keine Landschaft, sondern ein Verhängnis. Dem Vater ließ sich vorhalten, dass er aus Schwäche die südlichen, eigenwilligen, der Kunst zugewandten Elemente seiner Herkunft an den preußisch- deutschen Nationalismus verriet. Der Mutter wird Ärgeres vorgehalten: ihre Stärke. Der Sohn schreibt die Geschichte der Ehe seiner Eltern als Sieg der preußischen Protestantin. In der Geschichte des leidenden, rebellierenden Künstlers als junger Mann, die beide Bücher verbindet, ist die Sehnsucht nach dem katholischen Gott als Inkubationsphase des Durchbruchs zur Kunst zu lesen.
Seltsam nur: Christoph Meckel, der seit langem in der Provence lebt, beschreibt den Süden, in dem er schreibt, zwar auch als Ort der Kunst. Vor allem aber als Ort, der jeden Besucher auf seine „nackte” Wahrheit reduziert. Der Gott der Mutter scheint mit in den Süden gezogen zu sein. So schreibt der Sohn nicht zuletzt vom Leiden des Kulturprotestantismus an sich selbst. LOTHAR MÜLLER
CHRISTOPH MECKEL: Suchbild. Meine Mutter. Carl Hanser Verlag, München und Wien 2002. 124 Seiten, 13,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002

Erkältung der Seele, ein Leben lang
Elternteilchenphysik: Christoph Meckel richtet den Sucher auf seine verstorbene Mutter / Von Heinz Ludwig Arnold

Es fehlten Umarmung, Selbstironie und Gedankenschärfe. Es fehlte die offene Strömung lebendigen Lebens." So las man 1980 in Christoph Meckels vielbeachtetem Buch "Suchbild. Über meinen Vater". Die Suche ergab damals das zwiespältige, weil kritisch und melancholisch gezeichnete Bild eines aus der Distanz gezeichneten Vaters, an den die sympathetische Annäherung des schreibenden Sohnes nicht immer gelang. Bei den Nazis war der Vater ein unbedeutender Mitläufer gewesen, aus dem Kriege kam er verwundet zurück - damals war "die Freude auf meinen Vater genzenlos". Auch der Vater war Schreiber gewesen, hatte traditionelle Gedichte verfaßt und als Kritiker gearbeitet - eine "stadtbekannte" Person; doch er "blieb in dem, was er (. . .) verfaßte, hinter allen literarischen Progressionen der Nachkriegszeit zurück", brachte es nie übers literarische Mittelmaß hinaus, aber wünschte sich "erfolgreiche Söhne im Rahmen bürgerlicher Vorstellungen von Respektabilität und gesichertem Einkommen".

Meckels Buch war damals eines der bemerkenswertesten Dokumente der "Väterliteratur". Das gute Dutzend dieser zwischen Mitte der siebziger und der achtziger Jahre erschienenen Bücher wurde deshalb so genannt, weil einige Schriftsteller in den Bildern ihrer Väter sich über jene Autoritäten und deren Prägung vergewisserten, denen sie selbst ihr geistiges Profil verdankten. Obwohl da häufig auch von den Müttern die Rede war, gaben die Väter offensichtlich die markantesten Figuren ab. Übrigens war Erkundung mehr als Abrechnung die geheime Zielsetzung der meisten dieser Autoren.

Mehr als zwanzig Jahre später hat Meckel nun das komplementäre "Suchbild: Meine Mutter" veröffentlicht. Und das beginnt mit der nüchternen Feststellung: "Ich habe meine Mutter nicht geliebt". Der Vater starb mit zweiundsechzig, die Mutter mit zweiundneunzig; der Vater "dämmerte ohne Wut aus dem Leben hinaus", die Mutter "blieb mit sich einverstanden bis zuletzt". Zwei Sätze, die zwei komplementäre gegensätzliche Leben bezeichnen.

Im Vaterbuch wird die Mutter kaum erwähnt; im Mutterbuch nun wird der Vater häufiger genannt, aber in seiner "kritiklosen Aufmerksamkeit" und "ratlos blinden Verehrung für seine Frau" fast immer nur als Funktion des Mutterbild-Entwurfs: und der ist vernichtend: "Meine Vergleiche mit dem Vater . . . fielen nie zu ihren Gunsten aus." Während zum Beispiel von der Erscheinung des Vaters immer Bewegung ausging - "Sein häuslicher Auftritt, geballt nervös, überreizt oder feindlich, in seltenen Fällen froh, bewirkte Unsicherheit, rief Abwehr hervor, freudlose Neugier oder Ironie: es wird was passieren, aber was." -, "vermittelte die Erscheinung meiner Mutter nichts"; denn "sie erstickte in festgesetzter Harmonie".

In Meckels Beschreibung liefert das oft benutzte Wort "Konversation" den Schlüssel, um diese unnahbare Frau zu begreifen: "Durchdringende Analyse erschien ihr geschmacklos und Schärfe des Erkennens erträglich nur, wenn sie angenehm zu vermitteln war." Sie ist intelligent, aber sie beläßt es dabei; und sie ist schön und verläßt sich auch auf ihre Schönheit - sie verläßt sich darauf, daß ihre "Intelligenz und Schönheit ausreichend seien". Und ihr Mann, der diese schöne Frau einst eroberte, bestätigt dies alles durch restlose Hinnahme; denn "ihre Vollkommenheit bestätigte ihn", und so "unterwarf er sich der Faszination durch sie".

Für die Kinder - drei Söhne - ist diese Frau "nicht erreichbar". So wie die Konversation nach geordneten Regeln verläuft, die garantieren, daß nichts und niemand verletzt wird, so wird auch das Leben geregelt: Die Schule hat für die Erziehung zu sorgen, der Vater ist fürs Geldverdienen da, und das Dienstmädchen für die Ordnung im Haus - diese Mutter sorgte sich um nichts, nicht einmal um sich selbst: Sie war bloß. Und das war ihr genug. Sogar als der Mann verletzt aus dem Krieg kommt, nimmt sie ihn nicht an: Nun waren auch die wenigen "vertrauten Illusionen perdu", nun "ertrug sie einen schwerbeschädigten Mann", aber "entzog sich fortan seinem Zugriff". Der "preußische Protestantismus", den sie lebte, kam nicht dem Vater, sondern der Kirchengemeinde zugute.

Diese Mutter erscheint neben dem immerhin erregbaren Vater wie eine monströse Statue. Meckel hat ihr Phänomen aus kleinen Erlebnissen, lebenslang gewonnenen Erfahrungen, konkreten Situationen und besonderen Blickwinkeln abgeschriebenen Momentaufnahmen zusammengesetzt, und das Bild, das sich bei seiner Sucharbeit schließlich herauskristallisiert hat, wirkt wie ein impressionistisches Pastiche; nicht so geschlossen wie einst das Vaterbild und auch, bei aller Kritik, nicht wie jenes immerhin verständnisvoll. Diese Mutter hat verletzt, ohne zu handeln; sie war bloß da für sich, doch nicht da als Mutter.

Und hatte doch auch ihre eigene Geschichte, die Meckel miterzählt: Früh starb ihr Vater, und sie hing fest an ihrer eigenen Mutter, wurde geliebt wie niemand sonst: der "Gram ihrer Mutter, die Unlebendigkeit ihres Nachfolgevaters, das Freudlos-Förmliche ihres Elternhauses" - "Erkältung der Seele ein Leben lang". Prägnanter kann man den Grund kaum formulieren, auf dem diese Statue stand, die Meckel so eindrucksvoll beschrieben hat.

Interessant wäre zu wissen, ob die Mutter 1980 auch des Sohnes Vaterbuch gelesen hat; und was sie dazu sagte.

Christoph Meckel: "Suchbild. Meine Mutter". Roman. Carl Hanser Verlag. München 2002. 124 S., geb., 13,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Der Autor hat schon einmal und mit großem Erfolg, wie Helmut Böttiger uns wissen lässt, ein "Suchbild" erstellt, das "Über meinen Vater" hieß. Für Böttiger reiht es sich ein in eine ganze Reihe von Vaterporträts, mit denen Angehörige der 68er-Generation eine politische wie private Geschichtsaufarbeitung betrieben. Ansatzweise sei es dem Sohn Meckel sogar gelungen, sich in die Welt seines Vater hineinzudenken, meint Böttiger. Nichts davon in dem neuen "Suchbild. Meine Mutter", das Böttiger nicht wie eine souveräne Annäherung sondern wie eine unsouveräne Abrechnung vorkommt. Die Mutter als protestantisch-verkniffene, sinnenfeindliche, büchervernarrte Frau, die Literatur und Leben nicht unter einen Hut bekommt. Für Böttiger klingt bei all dem eine Sehnsucht nach der wilden frühen Lyrikerzeit des Autors durch, eine Sehnsucht nach Verklärung und Sozialromantik; leider verweigere der Autor auch bei diesem Punkt jede Selbstbefragung, sagt Böttiger, und weise damit eine auffällige Gemeinsamkeit zu seiner Mutter auf: Selbstgerechtigkeit.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Meckels hypnotisierende Prosa, die in ihrer Zartheit und Geschmeidigkeit, freilich auch in ihrer kristallinen Härte ihresgleichen sucht, ist auf biographische Wahrheit aus. (...) 'Suchbild. Meine Mutter' ist ein selten radikales Buch, Seite um Seite, Satz um Satz."
Hartmut Buchholz, Badische Zeitung, 27.8.02

"... seit Jahrzehnten eine verlässliche Größe in der literarischen Landschaft ..."
Tilman Krause, Die Welt, 07.12.02

"Er sucht sich glänzende Wörter zusammen, die mit der Wucht eines Knalleffekts zu enden haben. Meckel ist kein Erzähler. Er ist ein Tambourmajor der Sprache. Und dies hat etwas Auftrumpfendes."
Alfred Eckerle, Tagesspiegel Berlin, 18.08.02