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The study looks at 18th century music theatre in German (as an early form of mass-media culture) specifically in terms of the way it interrelates with the development of a modern form of anthropology. The volume contains a typological overview of the parameters governing this multi-media genre and the diachronic changes they underwent, paradigmatic analyses of the relation between dramaturgy and anthropology with reference to a number of selected works, an outline of contemporary theories of the genre, and a comprehensive catalogue of original works in German performed between 1760 and…mehr

Produktbeschreibung
The study looks at 18th century music theatre in German (as an early form of mass-media culture) specifically in terms of the way it interrelates with the development of a modern form of anthropology. The volume contains a typological overview of the parameters governing this multi-media genre and the diachronic changes they underwent, paradigmatic analyses of the relation between dramaturgy and anthropology with reference to a number of selected works, an outline of contemporary theories of the genre, and a comprehensive catalogue of original works in German performed between 1760 and 1800.
In der 'Sattelzeit' des späten 18. Jahrhunderts bildete das deutschsprachige Musiktheater in seinen vilefältigen Formen den erfolgreichsten Bestandteil der Theaterpraxis. Das Musiktheater als besonders wirksame Art der Öffentlichkeitsstiftung und Diskursbündelung ermöglicht daher einen besonders guten Einblick in die Medienkrise und den anthropologischen Wandel im späten 18. Jahrhundert. Gerade die körperliche Produktion und die sinnliche Rezeption des Musiktheaters (im Zusammenspiel verschiedener Formen optischer und akustischer Sinneswahrnehmungen) verleihen dieser Gattung bei den Zeitgenossen paradigmatische Funktion für das Verständnis menschlicher Subjektivität, Sinnlichkeit und Emotionalität. Das Musiktheater als frühe massenmediale Form lässt dabei einen Prozess wechselseitiger Assimilation 'bürgerlicher' und höfischer Wertordnungen und Diskurse erkennen - einen Prozess, der für die weitere gesellschaftliche Entwicklung Deutschlands im 19. Jahrhundert äußerst signifikant erscheint.

Die Studie untersucht diese anthropologische Dimension des Musiktheaters unter kulturwissenschaftlichen Fragestellungen. Sie enthält einen typologischen Überblick über die Rahmenbedingungen der multimedialen Gattung und ihre diachronen Veränderungen, paradigmatische Analysen des Zusammenhangs von Dramaturgie und Anthropologie anhand ausgewählter Werke, einen Abriss der zeitgenössischen Theorie des Genres sowie ein umfassendes Verzeichnis aufgeführter deutschprachiger Originalwerke (1760-1800).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.08.1999

Konstanze und Blonde kriegten beide die Krise
Jörg Krämer liest das deutschsprachige Musiktheater des späten achtzehnten Jahrhunderts als Zeitzeugnis

Jörg Krämer leitet seine Untersuchung über das "Deutschsprachige Musiktheater im späten 18. Jahrhundert" mit einem Satz von Ludwig Tieck ein: "Der tiefsinnige Geschichtsforscher wird an Gedichten, die im Theater gefielen, die Zeit erkennen." Krämer ist kein Historiker, sondern Literaturwissenschaftler, und statt Gedichten widmet sich sein Buch Theaterstücken, Singspielen und Opern. Die Betonung liegt deshalb auf "die Zeit erkennen". Damit vollzieht Krämer die entscheidende Weichenstellung, die Stücke nicht nur als Leseobjekte eines Germanisten des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts zu begreifen, sondern sie gleichsam als Zeitzeugen ihrer eigenen Epoche sprechen zu lassen.

Da aber der Theater- oder Operntext nur einen kleinen Teil der historischen Wirklichkeit widerspiegelt, benötigt der Wissenschaftler Äußerungen von Zeitzeugen: Die Rezeptionsgeschichte steht im Zentrum der Arbeit, und Krämer breitet ein ganzes Panorama an kontroversen historischen Stellungnahmen aus. Die Oper des achtzehnten Jahrhunderts war unter zeitgenössischen Gelehrten und Liebhabern ein leidenschaftlich diskutierter Gegenstand: Ihre Sinnlichkeit, Emotionalität und Unwahrscheinlichkeit (nicht zu verwechseln mit Unwahrheit) erhitzte die Gemüter.

Der Autor untersucht für die Zeit von 1763 bis zu Mozarts "Zauberflöte" von 1791 "Typologie, Dramaturgie und Anthropologie einer populären Gattung". Zu den Stücken dieser "populären Gattung" zählen neben der "Zauberflöte" beispielsweise noch Mozarts "Entführung aus dem Serail", Singspiele von Johann Adam Hiller, die Oper "Alceste" von Christoph Martin Wieland und Anton Schweitzer sowie das Mischgenre Melodram. Auch die Singspiel-Libretti Goethes werden analysiert.

Der Forschungsansatz Krämers ist dabei ein interdisziplinärer; er möchte "die drei Bereiche Text, Musik und Szene möglichst zusammenführen". Auch darin folgt er seinem Tieck-Motto: Das Musiktheater des späten achtzehnten Jahrhunderts interessiert ihn, weil die Stücke "auf dem Theater gefielen", und sie gefielen natürlich nicht als Text, sondern als lebendige, musiktheatralische Einheit auf der Bühne. Diesen Ansatz konsequent durchzuhalten erfordert einigen Mut. Krämer weist zu Recht auf die Forschungslücke bei seinem Thema hin, die der "eingegrenzten Fachperspektive" vieler Kollegen geschuldet ist: Wenn Literaturwissenschaftler sich für Goethes Singspieltexte nicht zuständig fühlen und Musikwissenschaftler nicht für die dramaturgischen Experimente eines Wieland, dann bleibt dieser Fleck auf der Landkarte des Musiktheaters eben länger weiß als andere.

Der Autor legt in seiner Einführung dar, dass er den interdisziplinären Weg auch gewählt habe, weil er die Literaturwissenschaft als "Teil einer breiter angelegten Kulturwissenschaft" verstehe. Die entscheidende Qualität der Arbeit liegt aber nicht in ihren Absichtserklärungen, sondern in der tatsächlichen Zusammenführung der Einzeldisziplinen. Diese gelingt in erstaunlich hohem Maß, so dass man nicht nur den wissenschaftlichen, sondern auch einen künstlerischen Impetus dahinter vermutet. Gerade dieser Zug offenbart sich aber meist erst auf den zweiten Blick, da die Sprache Krämers oft unnötig verwissenschaftlicht ist.

Ausführlich befasst sich Krämer mit der Opernkritik Johann Christoph Gottscheds und schlägt einen Bogen zu dem italienischen Operndichter Pietro Metastasio. Gerade bei dieser (einzig sinnvollen) Zusammenschau der deutschsprachigen und der italienischen Opernentwicklungen vermeidet Krämer die üblichen Pauschalurteile über Metastasios drammi per musica und hebt dessen Bemühungen um eine neue, am Vorbild der französischen Tragödie orientierte Opernästhetik hervor.

"Anthropologie" verwendet Krämer als Begriff für die Erfahrungen des Menschen mit seinen Gefühlen und seiner subjektiven Individualität. Er beobachtet eine anthropologische Entwicklung vom Singspiel Hillers über das konfliktgeladene Melodram bis hin zur "neuartigen Musikdramaturgie" in Mozarts "Entführung" und den "neuen, unbekannten, subjektiv unterschiedlich ausgeprägten Gefühlen" in der "Zauberflöte". Am Beispiel der "Entführung" zeigt Krämer, wie Mozart und sein Textdichter den Vorlagetext Bretzners im dramaturgischen und anthropologischen Ansatz entscheidend verändern: Im Final-Quartett des zweiten Akts beobachtet er eine "neue Realität" der Figuren: "Bei Bretzner betraf die Eifersuchtsthematik nur das hohe Paar . . . Mozart und Stephanie machen daraus ein Spiegelkabinett, in dem beide Paare in die Krise geraten . . . Vor der anthropologischen Grunderfahrung werden alle gleich."

Wertvoll ist die Arbeit besonders durch ihre Fülle an hervorragend aufbereitetem historischen Material und die sensiblen Einzelbetrachtungen der Stücke. Krämer führt zwar keine Notenbeispiele an, beweist aber in den Beschreibungen musikalischer Vorgänge seine Fachkompetenz auf "fremdem" Gebiet. Skepsis ist allerdings geboten bei der unreflektierten Übernahme einer Kritik von Berlioz an einer Arie aus Anton Schweitzers "Alceste", in der die Worte "mein Tod" mit einer angeblich unangebrachten Koloratur gestaltet werden: Eine Koloratur ist in der Geschichte des Belcanto mitnichten mit gefälliger Inhaltsleere gleichzusetzen, sondern bedeutet immer Ausdruck oder sogar Emphase (wie ja zum Beispiel die Bravourarien der Konstanze aus Mozarts "Entführung" zeigen).

Das Verdienst Krämers liegt darin, die Opernforschung als eigenes Forschungsgebiet ein gutes Stück vorangebracht zu haben. Auch für die Musikwissenschaft steckt darin Ermutigung, sich mit übergreifenden Fragestellungen an das schillernde Thema Oper zu wagen.

ANJA-ROSA THÖMING

Jörg Krämer: "Deutschsprachiges Musiktheater im späten 18. Jahrhundert". Typologie, Dramaturgie und Anthropologie einer populären Gattung. Studien zur deutschen Literatur, Bd. 149/150. Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1998. 933 S., br., 276,- DM.

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