12,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Nachauflage / -produktion in Vorbereitung.
Melden Sie sich für den Produktalarm an, um über die Verfügbarkeit des Produkts informiert zu werden.

payback
0 °P sammeln
  • Broschiertes Buch

1 Kundenbewertung

"Ein sehr geistreiches Buch, das komponiert ist wie ein Stück in Moll. Eine gescheite, schöne Raffinesse." Elke Heidenreich, Lesen!
Mit 60 Hemden, 20 Paar Schuhen und 75 Krawatten reist Maurice Ravel 1928 auf dem Transatlantikdampfer France nach New York. Vier Monate bespielt er die berühmtesten Konzerthallen Amerikas, feiert mit Gershwin Geburtstag, besucht Chaplin in Hollywood und kehrt nach Frankreich zurück. In Luxuszügen setzt er seine Reisen fort, raucht viel, schläft schlecht, komponiert en passant den »Boléro« und für Paul Wittgenstein das Konzert »Für die linke Hand«. Mondän sind…mehr

Produktbeschreibung
"Ein sehr geistreiches Buch, das komponiert ist wie ein Stück in Moll. Eine gescheite, schöne Raffinesse." Elke Heidenreich, Lesen!
Mit 60 Hemden, 20 Paar Schuhen und 75 Krawatten reist Maurice Ravel 1928 auf dem Transatlantikdampfer France nach New York. Vier Monate bespielt er die berühmtesten Konzerthallen Amerikas, feiert mit Gershwin Geburtstag, besucht Chaplin in Hollywood und kehrt nach Frankreich zurück. In Luxuszügen setzt er seine Reisen fort, raucht viel, schläft schlecht, komponiert en passant den »Boléro« und für Paul Wittgenstein das Konzert »Für die linke Hand«. Mondän sind die Empfänge, die man ihm bereitet, doch bleibt der kauzige Dandy immer für sich, bis ihm die Welt aus den Fugen gerät.
Autorenporträt
Jean Echenoz, geboren 1947 in Orange (Provence), erhielt 1999 den Prix Goncourt für seinen Roman »Ich gehe jetzt«. Er lebt in Paris.
Rezensionen
"Ein sehr geistreiches Buch, das komponiert ist wie ein Stück in Moll. Eine gescheite, schöne Raffinesse." (Elke Heidenreich, Lesen!)

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.04.2007

Schlaflos in einem Möbel namens Bett

Ähnlichkeiten sind rein zufällig: Jean Echenoz simuliert die Biographie des Komponisten Maurice Ravel und bezieht den Leser in die Erfahrung fortschreitender Selbstentfremdung seines Romanhelden auf raffinierte Weise ein.

Von Joseph Hanimann

Vertraut ist uns der Fall, wo Persönlichkeiten aus der historischen Realität in Romane eingehen. Seltener ist, dass eine Romanfigur zu einem Doppelgänger in der Wirklichkeit kommt. Genau das scheint hier passiert zu sein. Der Ravel dieses Buchs trägt zwar denselben Namen, dieselben Lebensdaten, die Physiognomie und auch denselben Fluch der Schlaflosigkeit wie der uns bekannte Komponist. Doch ist die Entsprechung offenbar rein zufällig. Der Romanheld selbst scheint nicht zu wissen, dass es ihn in der Wirklichkeit gibt. Manchmal nur verrutschen seine Konturen und lassen das Reale hinter dem Ausgedachten kurz sichtbar werden, wenn Ravel etwa gerade eine neue Einschlaftechnik ausprobiert: "sich stundenlang im Bett wälzen, auf der Suche nach der besten Stellung, nach der idealen Anpassung des Organismus namens Ravel an das Möbel namens Bett."

Beliebig wie Namen ist die Wirklichkeitsnähe dieses Dreiundfünfzigjährigen und dieser Badewanne, aus der er am Wintermorgen 1927 steigt, des kleinen Peugeot 201, der draußen vor dem Pariser Vorstadthäuschen wartet, der Gauloise, die der Mann sich gleich anstecken wird. Beliebig ist all diese Ähnlichkeit mit dem Alltag, durch den der historische Maurice Ravel sich einst bewegen mochte. Dem Autor Jean Echenoz ist hier das Kunststück eines literarischen Sonderdings gelungen. Statt die Figur vom recherchierten Material her aus der Phantasie zu füllen, zu schattieren, auszumalen, zu ergänzen, höhlt er sie aus. Das Baujahr des Ozeandampfers, mit dem Ravel anfangs 1928 nach Amerika fährt, die Umgebung seines Wohnorts Montfort-l'Amaury, die Kompositionsdetails des Bolero - all das ist offenbar wirklichkeitsgetreu. Die Allgegenwart dieser Einzelheiten bringt uns die Figur aber nicht näher, sondern rückt sie auf die Distanz einer faszinierenden Fremdheit in der Intimität, wie eine höchst realistische Bleistiftzeichnung mit viel unberührtem Weiß zwischen den Linien.

Roman eines Realitätsverlusts.

Was der Beschreibungsminiaturist Jean Echenoz mit seinem Helden teilt, ist die Skepsis gegenüber aufwallender Inspiration. Wenn nach der Ausfahrt des Überseedampfers "La France" aus Le Havre die Gäste das Deck schon verlassen haben, lässt der Autor seinen Helden dort zunächst noch eine Zeitlang stehen - vielleicht ergebe sich aus dem grüngrauen Wassergekräusel ja doch noch der Einfall einer Melodie, denkt er sich. "Er weiß zwar genau, dass das niemals so funktioniert, so geht das nicht, es gibt keine Inspiration, komponieren kann man nur vor den Tasten." Schreiben auch. Zumindest laut Echenoz. Er erzählt uns in diesem Buch die letzten zehn Lebensjahre des aus distanzierter Eleganz in pathologischen Weltverlust abdriftenden Ravel nicht als nachempfundenen Leidensweg, sondern als subtile Symptomkombinatorik. Ähnlich sind in seinen früheren Romanen schon Kunstgaleristen nach Grönland oder Konzertpianisten ins Paradies abgetaucht.

Die triumphale Amerika-Tournee des gleichgültigen Dandys mit den sechzig Hemden, zwanzig Paar Schuhen, fünfundsiebzig Krawatten in den Koffern, die schlaflosen Nächte und Anfälle von Langeweile wieder zu Hause, das routinierte Hinkomponieren des Klavierkonzerts für die linke Hand im Auftrag des kriegsversehrten Pianisten Paul Wittgenstein lassen eine schräge Komik aufkommen. Das Anekdotische rieselt in der Darstellung von Echenoz aber immerfort an den Geschehnissen ab. Nicht wie es (wohl) war, ist entscheidend, sondern wie es für uns Leser gerade ist.

Die Perspektive ist die eines verallgemeinernden "man" oder "Sie", das uns immer neu in die Figur Ravels hineinzieht: "Unter einer dicken Decke lagern Sie auf dem Liegestuhl . . ." Und in dieser erzählerisch konstruierten Inwendigkeit gleiten wir zusammen mit dem erkrankenden Romanhelden hinüber in fortschreitenden Realitätsverlust. Es beginnt in der französischen Botschaft von Madrid, wo er in seiner Sonatine nach der Exposition, den Menuettsatz auslassend, unerklärlicherweise direkt in die Coda des Finales springt.

Klinisch gelesen, beschreibt dieser Roman die wache Entfremdung eines Subjekts von der Welt. Zunächst bange, dann resigniert, schließlich nur noch gleichgültig verfolgt da einer an sich selbst, wie er Messer an der Klinge ergreift und Zigaretten mit dem glimmenden Ende den Lippen zuführt. Lebendig im eigenen Körper begraben, "sieht er zu, wie ein Fremder in ihm wohnt". Literarisch gesehen, macht der Roman uns selber zu diesem Fremden. Je weiter die Figur in ihrer Entfremdung fortschreitet, desto näher kommt sie uns. Das beschreibende "er" trocknet aus, dessen innere Leere, konturlose Langeweile, zerwühlte Schlaflosigkeit verliert alle Gesichtsröte fiebernder Melancholie und macht sich in uns breit. Ravel, diese leere Figurenformel, sind wir selbst. Weiter kann man im Roman kaum gehen. Dieses Buch ist ein literarischer Grenzfall, voll Überraschungen dazu, es zeigt, wie weit Erzählkunst reichen kann, und wurde von Hinrich Schmidt-Henkel manchmal etwas freizügig, aber klug durchdacht und stets elegant übersetzt.

- Jean Echenoz: "Ravel". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel. Berlin Verlag, Berlin 2007. 110 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sehr fasziniert zeigt sich der Rezensent Joseph Hanimann von diesem Versuch Jean Echenoz', eine Geschichte über Maurice Ravel zu erzählen, die mit einer Biografie des Komponisten aber möglichst wenig gemein hat. Fast scheine es "zufällig", dass der Held dieser Erzählung den Namen Ravel trägt und mit dem berühmten Komponisten desselben Namens Eigenschaften und Lebensdaten teit. Darauf, so Hanimann, kommt es Echenoz nicht an. Es geht ihm vielmehr um eine Figur, die der Welt abhanden kommt - und je mehr sie das tut, desto näher rücke sie paradoxerweise dem Leser. Und am Ende, wenn Ravel die Dinge des Daseins vollends gleichgültig geworden sind, breiten sich "innere Leere, konturlose Langeweile, zerwühlte Schlaflosigkeit" auch in der Leserin und im Leser aus. In den Augen des Rezensenten, der von diesem Buch offenkundig begeistert ist, handelt es sich bei dieser Übertragung um einen "literarischen Grenzfall" und um große Kunst.

© Perlentaucher Medien GmbH