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Jeder Tugend wohnt ihr Gegenteil, jedem Laster der Keim einer Tugend inne.
Martin Seel lässt in seiner philosophischen Revue 111 Tugenden und Laster in kurzen Skizzen auftreten und zielt auf ein genaues Verständnis ihrer Unterschiede. Er versalzt den großen Vereinfachern in Moraltheorie und Lebensberatung die Suppe, indem er unterhaltsam und kunstvoll die feinen Verästelungen menschlicher Sitten und Unsitten freilegt. Sein Ziel: dass Menschen ihr endliches Dasein mit einem wachen Gespür für ihr Bestes verbringen.

Produktbeschreibung
Jeder Tugend wohnt ihr Gegenteil, jedem Laster der Keim einer Tugend inne.

Martin Seel lässt in seiner philosophischen Revue 111 Tugenden und Laster in kurzen Skizzen auftreten und zielt auf ein genaues Verständnis ihrer Unterschiede. Er versalzt den großen Vereinfachern in Moraltheorie und Lebensberatung die Suppe, indem er unterhaltsam und kunstvoll die feinen Verästelungen menschlicher Sitten und Unsitten freilegt. Sein Ziel: dass Menschen ihr endliches Dasein mit einem wachen Gespür für ihr Bestes verbringen.
Autorenporträt
Martin Seel, geboren 1954 in Ludwigshafen am Rhein, ist Professor für Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Bei S. FISCHER sind erschienen »Paradoxien der Erfüllung« (2006), »Theorien« (2009), »111 Tugenden, 111 Laster. Eine philosophische Revue« (2011), »Die Künste des Kinos« (2013), »Aktive Passivität« (2014) sowie »¿Hollywood¿ ignorieren. Vom Kino« (2017).
Rezensionen
Eine elegante Anstiftung zu einem nicht so ängstlichen Leben. NZZ am Sonntag 20120701

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.10.2011

Glaube, Liebe,
Geiz und Zorn
Martin Seel holt Tugenden und
Laster lustvoll ins Leben
Auch wenn sie philosophisch inzwischen rehabilitiert sind, haftet der Tugend etwas Gouvernantenhaftes an, während das Laster verniedlicht wird, indem es nur noch im Kontext des Zigarettenrauchens unironische Verwendung findet. Martin Seel schafft Abhilfe. Sein Buch „111 Tugenden, 111 Laster“ ist voller essayistischer Vignetten, mit denen er die Tugenden und Laster lustvoll in unser Leben holt. Neben seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen hat Seel immer wieder freiere Formen gesucht; eine Reihe von Kolumnen für Die Zeit wurde unter dem Titel „Vom Handwerk der Philosophie“ zwischen zwei Buchdeckeln versammelt. 2009 zeigte er in „Theorien“, wie man sich von Formulierungen zu Gedanken verleiten lassen kann.
Seel vermag es auch in seinen akademischen Schriften, wohlgeformte Sätze in elegantem Rhythmus fließen zu lassen. Diese Klangfarbe seines Stils findet sich auch in den Texten, die für eine breitere Leserschaft gedacht sind, doch gesteht er dem Spielerischen seines Denkens hier noch mehr Freiheiten zu. So spricht er von den Tugenden und Lastern als „Revuegirls und -guys“, sieht die Parade in ihrer „Choreographie“; außerdem nennt er den kürzeren zweiten Teil des Buches, in dem er seine tugendethischen Grundlagen skizziert, „Das Programmheft“.
Die metaphorischen Anleihen bei Theater und Vaudeville kann man aber nicht nur als Verheißung einer gepflegten oder wilden Unterhaltung verstehen, sondern auch als Versprechen einer sorgfältigen Dramaturgie. Seel selbst vergleicht sein Vorgehen mit dem des „Regietheaters“, wenn er seinen auf den ersten Blick sehr freien, aber dadurch in vieler Hinsicht stimmigen Umgang mit Aristoteles beschreibt, dem Übervater aller Tugendethiker. Sein Herz scheint aber eher an Wittgenstein zu hängen, dessen oftmals leicht verrätselte moralistische Bemerkungen immer wieder eingeflochten werden. So dient Wittgensteins Ermahnung „Denk nicht, sondern schau“, als Motto für dieses Buch, in dem es auf Nuancen und Schattierungen ankommt.
Zwei Dinge fallen unmittelbar ins Auge: Die Tugenden und Laster werden zum einen enthierarchisiert vorgeführt, weder die antiken Kardinaltugenden Weisheit, Besonnenheit, Gerechtigkeit und Mut, weder die christlichen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung, noch die als Todsünden berüchtigten Laster Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Trägheit werden hervorgehoben, sondern finden sich in die Revue eingeordnet. Und zum anderen sieht Seels Dramaturgie vor, Ambivalenzen vorzuführen, zu zeigen, wie Tugenden zu Lastern werden können und umgekehrt, welche Tugenden in Lastern verborgen sein können, durchzuspielen, wann und wie eine charakterliche Grundhaltung schillernd wird; Nächstenliebe müsse etwa auch „Zonen der Indifferenz“ schaffen, um den anderen lassen zu können, wie er ist. Geradezu schelmisch wird es immer dann, wenn der Tugendhafte gerade in seiner Selbstgewissheit, tugendhaft zu sein, in die Nähe von Lastern gerät. So kann die edle Klugheit zur kleingeistigen Variante der Klügelei schrumpfen, Aufrichtigkeit verletzend sein, Ordnungssinn zu Kontrollwahn werden. Dass auch Laster ambivalent sind, zeigt Seel unter anderem am Beispiel eines seiner Lieblingslaster, der Willensschwäche. In Momenten der Willensschwäche kann uns vor Augen geführt werden, dass wir bisweilen sturen Normvorgaben folgen, die zu revidieren sich lohnen könnte.
Dass sich die Ambivalenz-These nicht durchhalten lässt, muss Seel selbst einräumen: der Grausamkeit kann er keine gute Seite abgewinnen. Doch dem aufmerksamen Leser kann nicht entgehen, dass auch Selbstgerechtigkeit und Fanatismus nichts Ambivalentes haben. Wenn Seel auch dem Zorn etwas Gutes abgewinnt, dann kann er sich durch die omnipräsenten Pamphlete von Stéphane Hessel bestätigt fühlen, doch die böse alte Trägheit des Herzens liest er schon sehr gegen den Strich. Auch manch anderes lässt einen stutzen – wunderbare Einladungen, doch noch einmal genau hinzusehen. Unser Leben findet seine Konturen in der Verständigung darüber, was wir angemessen finden, übergriffig, abstoßend, nachahmenswert. Wir bewegen uns in einem Netz von Normen und Nörmchen, haben es in der Moral mit einem ethisch-ästhetischen Sfumato zu tun. Warum man die Ethik nicht bei der Intensität der Aufmerksamkeit beginnen lassen könne, hatte Seel einmal gefragt. Völlig zurecht. OLIVER MÜLLER
MARTIN SEEL: 111 Tugenden, 111 Laster. Eine philosophische Revue. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. 285 Seiten, 18,95 Euro.
Der Tugendhafte in seiner
Selbstgewissheit gerät allzu rasch
in die Nähe von Lastern
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.2011

Im Grunde ist es Liebe

Der Tugend die Treue halten, ohne sich den Avancen des Lasters gegenüber taub zu stellen: Martin Seel führt Aristoteliker und Kantianer im guten Leben zusammen.

Woran erkennt man einen gebildeten Menschen? Die Antwort des Frankfurter Philosophen Martin Seel ist ebenso schlicht wie überzeugend. Bildung äußerst sich danach vor allem in der Fähigkeit zur Selbstdistanzierung. "Ihr zentrales Medium ist die Dialogbereitschaft. Hierzu gehört nicht allein das Vermögen, anderen zuzuhören und sich von ihnen etwas sagen zu lassen, sondern vor allem die Gabe, zusammen mit anderen die wechselseitigen Auffassungen zu variieren und zu transformieren."

Niemals von Zweifeln an der Richtigkeit der eigenen Position beschlichen zu werden ist das traurige Vorrecht der Hagenströms und ihrer heutigen universitären Nachfolger, der Drittmittelkönige. Wer jenes "emotionale wie intellektuelle Einfühlungsvermögen" besitzt, "das früher einmal auf den Namen der Herzensbildung hörte", ist dagegen in einem beständigen Unglaubensgespräch mit sich selbst begriffen. Nicht dass es ihm an Überzeugungen fehlte. Der Gebildete ist zu klug, um in die Relativismusfalle zu tappen. "An gar nichts gebunden zu sein und trotzdem im eigenen Leben einen Sinn zu finden, das geht nicht."

Aber er ist sich, wenn auch mitunter schweren Herzens, darüber im Klaren, "dass anders Denkende und Empfindende für ihre Sicht der Dinge etwas Ernstzunehmendes, wenn auch Abzulehnendes vorzubringen haben, das die Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens nicht einfachhin und geradewegs verletzt".

Die Pflicht zur Toleranz entspringt für ihn deshalb einem Patt von Gründen und Gegengründen. "In Situationen oder bei Konflikten, in denen eine Urteilsenthaltung nicht möglich ist, erkennen wir, dass unsere Wertüberzeugungen, für die wir weiterhin einstehen, nicht so stark sind, dass wir verlangen dürften, die anderen müssten ihre Position räumen. Wir haben keinen Trumpf in der Hand."

Ebenso wie die Toleranz zeichnen sich auch zahlreiche andere Tugenden dadurch aus, dass es den mit ihnen gesegneten Menschen im Großen und Ganzen gelingt, die heikle Balance zwischen den beiden Lastern des Zuviel und des Zuwenig zu halten. "Schamhaftigkeit oder Pünktlichkeit können ebenso wie Mut oder Mäßigung von einer einerseits übertriebenen und andererseits untertriebenen Ausbildung der entsprechenden Haltungen abgegrenzt werden."

Ein Paradebeispiel für diese Form der Ambivalenz ist auch die Neugier: "Übermaß und Mangel zerstören gleichermaßen ihre soziale wie kognitive Kraft." Die Berechtigung dieses auf Aristoteles zurückgehenden Tugendverständnisses wird zwar nicht einsehen, wer sich nach dem Vorbild neunmalkluger kritischer Rationalisten damit begnügt, ihr Inhaltsleere zu attestieren. Wer hingegen wie Seel die Mühe einer subtilen Phänomenologie menschlicher Tugenden und Laster auf sich nimmt, endet fast unweigerlich als Aristoteliker. Seel jedenfalls bezeichnet sein "Kaleidoskop menschlicher Möglichkeiten" als eine "Regietheaterinszenierung der Nikomachischen Ethik".

Allerdings verschärft und radikalisiert Seel den aristotelischen Gedanken in mehrfacher Hinsicht. Zum einen bekennt er sich zu der Auffassung einer inneren Ambivalenz der Tugenden selbst. Zum anderen interpretiert er auch die Laster als ambivalente Kräfte der praktischen Orientierung des Menschen. "Tugenden sind Laster, die ihr Schlimmstes nicht ausleben; Laster sind Tugenden, die ihr Bestes versäumen." Wie Seel zeigt, dürfen deshalb für die Balance eines guten und gerechten Lebens die latenten Energien der meisten Laster nicht verachtet werden. Wer niemals in Wut gerät, wird es schwerlich zu einem gerechten Zorn bringen. Im Grunde ist es Liebe, wenn man sich mit aller Zürnkraft, zu der man fähig ist, gegen die schäbige Behandlung einer Person empört. Umgekehrt macht sich das Laster seinerseits oft die Antriebe der Tugenden zunutze. Ein Mensch, dem jeder Gerechtigkeitssinn abgeht, ist auch vor dem Laster des Neides gefeit.

Die lebensweltliche Ambivalenz der menschlichen Tugenden und der meisten Laster ändert, wie Seel hervorhebt, allerdings nichts an der Möglichkeit und Berechtigung ihrer begrifflichen Unterscheidung. "Tugenden respektieren und fördern, Laster hingegen verletzen und behindern die Selbstachtung und Selbstbestimmung der Menschen. Tugenden sind gut, Laster hingegen schlecht für ein gutes menschliches Leben und Zusammenleben." Auch darin, dass er die Moral als "eine Institution der sozialen Gewährleistung der Erreichbarkeit eines guten Lebens" begreift, ist Seel Aristoteliker.

Nachdrücklich widerspricht er jedoch der gängigen Auffassung, die zwischen teleologischen - an einem inneren Ziel der menschlichen Lebensführung orientierten - und deontologischen - von kategorischen Pflichten der Menschen ausgehenden - Ethikkonzeptionen einen unüberwindlichen Gegensatz sieht. Wenn Kant von einem "allgemeinen Gesetz" spreche, mit dem das menschliche Handeln im Einklang zu stehen habe, könne damit nur gemeint sein, dass alle Menschen diesem Gesetz zustimmen müssten, wenn sie nur bei Sinnen wären. Doch dafür müssten sie einen starken Grund haben, der nicht wieder bloß in der Allgemeinheit des Gesetzes, sondern "nur in der eudaimonia, also der Grundverfassung eines gelingenden menschlichen Lebens, liegen kann, der die antike Analyse der Tugenden durchweg gewidmet ist". Deshalb sei ein Begriff des guten Lebens in denjenigen des moralisch richtigen Handelns von vornherein eingebaut. "Das Prinzip der Sittlichkeit und das Telos eines gelingenden Daseins verweisen aufeinander."

Diese moraltheoretische Schlusspointe Seels ist so wohldurchdacht, elegant und unprätentiös wie das gesamte Buch. Form und Inhalt stimmen in ihm in einer selten gelungenen Weise überein. Der Aristoteliker Seel hält nämlich auch in seiner Darstellung die Mitte zwischen einer zünftigen Philosophie, die für ihre denkerische Raffinesse häufig den Preis der Technizität und der Lebensferne zahlt, und einer Lebensberatungsliteratur, die ihre Offenheit für die Verwicklungen und Fährnisse des alltäglichen Lebens mit theoretischer Harmlosigkeit zu erkaufen pflegt.

Seels kunstvolle Darstellung einer Lebensführung, "die der Tugend die Treue hält, ohne sich gegenüber den Avancen des Lasters taub zu stellen", zeigt, was praktische Philosophie sein könnte, aber nur noch ganz selten ist: eine Einladung zur Selbst- und Welterkundung, die den, der sich auf sie einlässt, nicht nur klüger, sondern weiser entlässt.

MICHAEL PAWLIK

Martin Seel: "111 Tugenden, 111 Laster". Eine philosophische Revue.

S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2011. 288 S., geb., 18,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Klüger und weiser ist Rezensent Michael Pawlik nach der Lektüre von Martin Seels Versuch, Tugend und Laster miteinander ins Gleichgewicht zu bringen. Seels Buch bezeichnet Pawlik als selten geglückte Balance zwischen Alltagsratgeber und fachgerechter Philosophie, die er zudem gut durchdacht und so elegant wie unprätentiös geschrieben findet. Wie der Autor, für Pawlik unschwer als Aristoteliker erkennbar, dessen Phänomenologie beider Begriffe radikaler fasst, indem er die Ambivalenz in den Tugenden selbst verortet, ohne dabei ihre Unterscheidung zu eliminieren, das zeugt für den Rezensenten von philosophischer Meisterschaft.

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