14,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Versandfertig in 1-2 Wochen
payback
0 °P sammeln
  • Broschiertes Buch

In zehn teils aphoristischen, teils erzählerischen Texten lotet Giorgio Agamben den Raum des Menschlichen aus: in seiner Beziehung zu Erinnerung und Spiel, zur Religion, zur Sehnsucht nach dem nicht Erinnerbaren, nach dem, was wir als unser "Genie", unsere Autorschaft, unser Ich empfinden. In keiner anderen Form als der des Unerhörten, immer Flüchtigen ist es zu fassen, als Bild, als Einbildung. Worin aber besteht dann die Aufgabe des Menschen? In der Profanierung der metaphysischen Residuen unserer sogenannten Individualität. Das ist nach Agamben streng von einer Säkularisierung zu…mehr

Produktbeschreibung
In zehn teils aphoristischen, teils erzählerischen Texten lotet Giorgio Agamben den Raum des Menschlichen aus: in seiner Beziehung zu Erinnerung und Spiel, zur Religion, zur Sehnsucht nach dem nicht Erinnerbaren, nach dem, was wir als unser "Genie", unsere Autorschaft, unser Ich empfinden. In keiner anderen Form als der des Unerhörten, immer Flüchtigen ist es zu fassen, als Bild, als Einbildung. Worin aber besteht dann die Aufgabe des Menschen? In der Profanierung der metaphysischen Residuen unserer sogenannten Individualität. Das ist nach Agamben streng von einer Säkularisierung zu unterscheiden, die die Machtverhältnisse lediglich von Gott auf die Menschen überträgt und
somit im Grunde alles beim alten beläßt. Die Profanierung löscht das Heilige nicht aus, sondern läßt es wie in einem Suchbild entstellt, verrätselt, aber auch mit neuer Leichtigkeit fortleben - so wie der Ritus fortlebt im Spiel.
Autorenporträt
Agamben, GiorgioGiorgio Agamben wurde 1942 in Rom geboren. Er studierte Jura, nebenbei auch Literatur und Philosophie. Der entscheidende Impuls für die Philosophie kam allerdings erst nach Abschluß des Jura-Studiums über zwei Seminare mit Martin Heidegger im Sommer 1966 und 1968. Neben Heidegger waren seitdem Michel Foucault, Hannah Arendt und Walter Benjamin wichtige Bezugspersonen in Agambens Denken. Als Herausgeber der italienischen Ausgabe der Schriften Walter Benjamins fand Agamben eine Reihe von dessen verloren geglaubten Manuskripten wieder auf. Seit Ende der achtziger Jahre beschäftigt sich Agamben vor allem mit politischer Philosophie. Er lehrt zur Zeit Ästhetik und Philosophie an den Universitäten Venedig und Marcerata und hatte Gastprofessuren u.a. in Paris, Berkeley, Los Angeles, Irvine.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.06.2005

Der mit den Duftstoffen tanzt
Auf ihn fallen Studenten herein: Giorgio Agamben profaniert

Es gibt eine doppelte Sehnsucht vieler Studenten der Philosophie und ästhetischer Fächer. Die eine Sehnsucht gilt dem vereinfachten Dasein und einer vergangenen Autorität, die aus Erfahrung kommt. Wer es ständig mit Texten zu tun hat, die kompliziert sind und ins Unbeweisbare führen, dem mögen Zeiten, in denen es angeblich noch fraglose Zugänge zum Ganzen gegeben hat, Epochen also, in denen die Metaphysik alltäglichen Dienst tat, leicht so vorkommen wie den Figuren Tschechows Moskau - als Inbegriff problemloser Sinnfülle. Vor allem dann, wenn all jene Texte als Klassiker behandelt werden, zwischen deren Geltungsansprüchen gar keine Entscheidung gesucht wird, erhebt sich der Wunsch nach einer Sphäre, in der alles Interpretieren ein Ende findet und die Welt sich nicht länger in Sichtweisen auflöst.

Die zweite Sehnsucht besteht darin, der Zugang zu dieser Sphäre der Sachen selbst möge sich gleichwohl durch ein intellektuelles Leben erschließen lassen. Denn wieviel Zeit verbringt mancher Student damit, wieder und wieder darüber nachzusinnen oder jedenfalls Erläuterungen zuzuhören, was Foucault und Arendt, der späte Benjamin und der frühe Heidegger meinten. Wenn sie dann noch Jahre darauf verwenden herauszubekommen, wie jeder dieser Autoren sich zu den anderen verhält, dann ist es nur begreiflich, wenn sie vor dem Rest der Welt gern jemand sein möchten, der sich nicht nur mit irgendwelchen Texten, sondern mit dem allerwichtigsten überhaupt befaßt hat.

Aufgepaßt, hier geht's um was!

Man muß ein wenig ausholen, um so das Problem zu beschreiben, dessen Lösung Giorgio Agamben zu sein scheint. Der italienische Philosoph ist in den letzten Jahren mitsamt seinen Schriften weit herumgekommen. Inzwischen füllt er ganze Säle, in Berlin vor kurzem sogar ein Theater. Das Echo auf die von ihm in "Homo sacer" aufgestellte Behauptung, die moderne Welt als Ganzes sei von einem ständigen Ausnahmezustand überschattet und das Konzentrationslager für sie symptomatisch, war enorm. Seine Bücher werden seitdem in rascher Folge ins Deutsche übersetzt.

Wer das jüngste liest, mag sich darüber wundern. "Profanierungen" enthält zehn Stücke, die mehr durch die Manier ihres Autors als durch ein Thema verbunden sind. Sie behandeln die Idee des Genius, die Fotografie, das Genre der Parodie, das Wünschen und die Kategorie des Bildes, den Zusammenhang von Zauberei und Glück, die Frage, was ein Autor sei, sowie den Titelbegriff des Bandes: Profanierungen. Gemeinsam ist diesen Gegenständen allenfalls, daß jeweils schon nach wenigen Sätzen, die Agamben ihnen widmet, völlig klar ist, daß er sich nur mit dem Außerordentlichen beschäftigt. Was fasziniert ihn an der Fotografie? "Ich glaube, es handelt sich einfach darum: Die Fotografie ist für mich gewissermaßen der Ort des Jüngsten Gerichts, sie stellt die Welt so dar, wie sie am letzten Tag, am Tag des Zorns erscheint." Woher weiß Agamben, wie die Welt am Tag des Zorns erscheint? Er weiß es gar nicht, niemand weiß das. Er bildet nur definitive Sätze darüber. "Im letzten Augenblick wird der Mensch, jeder Mensch, für immer seiner niedrigsten und alltäglichsten Gebärde übergeben", und weil die Fotografie solche Gebärden festhalte, hat sie für Agamben eine eschatologische Dimension. Argumente dafür gibt es nicht, sondern aus einem Bezirk, in dem es keine Argumente gibt, purzeln Feststellungen: Die Fotografie prophezeie den glorreichen Leib, die abgebildeten Personen würden den Betrachter richten, in fotografierten Gebärden konzentriere sich der Sinn eines ganzen Daseins.

Eigentlich sagen all diese Sätze wenig mehr als: Aufgepaßt, ich spreche von Letztentscheidendem. Agamben fällt es ohnehin schwer, über einen Sachverhalt nachzudenken, ohne theologische Versatzstücke einzurücken, die er sich nach eigenem Geschmack zusammengestellt hat. Das war in allen seinen bisherigen Schriften so, das wiederholt sich hier. Die Gehilfen bei Kafka, Pinocchio und auch Robert Walsers Diener werden unter Heranzitieren einer sufistischen Quelle interpretiert, bis feststeht, daß sie "unsere unerfüllten Wünsche" sind, "die uns am Tag des Jüngsten Gerichts entgegenkommen werden".

Von der Fähigkeit des Menschen, sich etwas zu wünschen, ist es nur eine halbe Seite bis zum Befund: "Der Messias kommt wegen unserer Wünsche", er trenne sie von den Bildern, die wir uns von ihrer Erfüllung machen, aus den erfüllten Wünschen hingegen baue der Messias "die Hölle". Spiegelbilder hinwiederum, befindet das nächste Stück, sind "wie die Engel, die, nach dem Talmud, Gottes Lob singen und sogleich im Nichts versinken". Alles unterhält einen Bezug zum Jüngsten Gericht, zu göttlichen Sendboten, zum Paradies und so weiter. Salomo Friedländer hatte einst für Ernst Blochs "Geist der Utopie" die Formel "Amoklauf zu Gott" geprägt - hier genießt ein Connaisseur der letzten Dinge und läßt dabei Aphorismen seiner Lieblingsintellektuellen wie einen Rosenkranz durch seine Finger gleiten.

Denn Agamben spricht gar nicht selbst, er ist ein Stimmenimitator. Die meisten der zitierten Sätze und jeder dritte des Bandes sind eine mehr oder weniger freiwillige Parodie von Sätzen Walter Benjamins. Das gilt nicht nur für die bewußt enigmatischen Behauptungen - "Das Verbogene, der Buckel, die Ungeschicklichkeit sind die Form, die die Dinge im Vergessen annehmen" -, sondern auch für die ganz großen Gesten. "Die Profanierung des Nicht-Profanierbaren ist die politische Aufgabe der kommenden Generation", so schließt der Band. Vor fünfzehn Jahren schloß das Vorwort zur französischen Ausgabe von Agambens "Kindheit und Geschichte" so: "Eine polis und eine oikia zu suchen, die auf der Höhe dieser leeren und voraussetzungslosen Gemeinschaft sind, ist die kindliche Aufgabe der kommenden Humanität." In seinen Studien über den Ausnahmezustand wiederum hieß es: "Eines Tages wird die Menschheit mit dem Recht spielen wie Kinder mit ausgedienten Gegenständen, nicht um sie wieder ihrem angestammten Gebrauch zuzuführen, sondern um sie endgültig von ihm zu befreien."

Das Merkwürdige an solchen Aussichten ist weniger, daß sie ziemlich leicht zu vermehren sind, weil es kaum intellektuelle Vorarbeit kostet, in den Handel mit Utopien einzusteigen. Das Merkwürdige ist vielmehr, daß hier mit großer Entschiedenheit Aufgaben formuliert werden, die niemand erfüllen kann. Nicht, weil sie zu schwer sind, sondern weil völlig unklar ist, worin sie überhaupt bestehen. Selbst also wenn man den Sound prophetischer Autorität einmal abzieht, würde die Menschheit oder die kommende Generation gewiß gerne erfahren, was das heißen soll: mit dem Recht spielen oder das Nichtprofanierbare profanieren. Von Agamben erfährt sie es nicht. Es ist, als genüge ihm das Aroma der Eschatologie. Aber von Duftstoffen kann sich niemand ernähren.

Es ist schwer, bei Agamben auf Sachfragen zu stoßen, deren Klärung nicht durch das Überformat verhindert würde, in dem sie präsentiert werden. Wie sähe beispielsweise eine Diskussion aus, die klären wollte, ob der Tourismus "den Kultus und den Hochaltar der kapitalistischen Religion darstellt"? Daß etwas zugleich ein Kult und ein Altar sein soll, wäre dabei vermutlich noch das geringste Problem. Der letzte Aufsatz des Bandes soll im "Lob der Profanierung" offenkundig Agambens eigenes Tun beschreiben. Es gehe darum, die Dinge und Räume, "welche die Macht konfisziert hatte", wieder der allgemeinen Benutzung zuzuführen. Was eine allgemeine Benutzung der Dinge ist, wird von Agamben selbst aber höchst privat bestimmt: Der Tourismus ist für ihn jedenfalls keine.

Das macht die Frage interessant, wodurch es der Erfinder einer solchen Zettelkastenreligion zum philosophischen Erfolgsschriftsteller bringt. Es mag mit den kostbaren Ingredienzien zu tun haben, die den Lesern zum einen das Wiedererkennen erlauben, wenn sie den Remix aus Carl Schmitt und Benjamin, Heidegger und Foucault zu Gehör bekommen. Zum anderen findet Agamben die Schlüsselbegriffe für Dinge, die uns historisch ganz nahe sind - Fotografien, die Konzentrationslager, den Kapitalismus, Robert Walser -, gerne im römischen Recht, bei den Kirchenvätern, in der Kabbala oder bei scholastischen Autoren. Am Berliner Wissenschaftskolleg hat er gerade einen ganzen Vortrag mit der These bestritten, die Aristotelische Lehre von der Ökonomie, also die Hauswirtschaftslehre, gehe zunächst in die Sprache der Paulusbriefe ein und dann in die Trinitätstheologie der Frühkirche, bilde sich im Mittelalter zu einer angelologischen Theorie der Administration aus - Engel sind Gehilfen, also Verwalter! - und kehre in den Ordnungsvorstellungen des achtzehnten Jahrhunderts bei Linné und Adam Smith wieder, um dann von Carl Schmitt und überhaupt der ganzen politischen Theorie verdrängt zu werden. Als die Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston daraufhin fragte, wie eine Idee denn so etwas mache, ganze zweitausend Jahre des Denkens über so verschiedene Gegenstände und Traditionen hinweg zu organisieren, erwiderte Agamben lächelnd, er sei kein Historiker, sondern Genealoge im Sinne Foucaults.

Lauter lose Verweise

Anders formuliert: Es läßt ihn gleichgültig, daß es Forschung über manche seiner Gegenstände gibt und daß erforschte Empirie eine Grenze für Mutmaßungen und das spekulativ Erreichbare darstellt. Agambens Bücher suggerieren, man könne die Wissenschaft überspringen und aus einer Exzerptensammlung heraus - sie muß nur idiosynkratisch genug zusammengestellt sein - die Welt abschließend kommentieren. Er räsoniert über den Kapitalismus, braucht dazu aber nur eine Ökonomie, die er sich aus Metaphern, Analogieschlüssen und Augustin-Stellen zurechtlegt. Was Bilder oder Fotografien sind, das letztgültig festzuhalten, dazu braucht er keine Kunstgeschichte. Was es mit Religion auf sich hat, das zu erschließen genügt die Etymologie des Wortes samt ein paar losen Verweisen auf römisch-rechtliche und römisch-katholische Quellen. Welche Erfahrungen man in der Ethnologie oder Soziologie mit seiner Definition gemacht hat, Religion sei das, was die Dinge, Orte, Tiere und Menschen dem allgemeinen Gebrauch entziehe, interessiert ihn nicht. Rechtshistorie, Philologie, Kirchenlehre - für Agamben sind das bestenfalls Stoffsammlungen, aus denen er Farbwerte und autoritative Zitate abzweigt.

Damit befriedigt er die doppelte Sehnsucht der Studenten auf eigentümliche Weise. Weil ihre erste Sehnsucht im Grunde der Weisheit gilt und ihre zweite den Wunsch hegt, Weisheit sei möglich als Resultat von exquisiter Lektüre, gibt ihnen Agamben als synthetische Wunscherfüllung: eine exquisite Weisheit. Aber eine exquisite Weisheit ist keine. Man kann mit ihr nichts anfangen, außer exquisit zu sein. Das ist ein ziemlich seltsames Resultat für eine angebliche Bemühung, die Dinge dem allgemeinen Gebrauch zurückzugeben. Warum fängt Giorgio Agamben nicht bei den Traditionen an, denen zuzugehören er beansprucht? Warum entnimmt er ihnen statt theologischer Bilder, spätantiker Aromen und metaphysischer Stimmungen nicht Argumente, über die sich reden läßt? Das wäre ein Schritt, wenn schon nicht zu einem allgemeinen, so doch zu einem ernsthaften Gebrauch.

JÜRGEN KAUBE

Giorgio Agamben: "Profanierungen". Aus dem Italienischen von Marianne Schneider. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 96 S., br., 7,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Kritisch geht Rezensent Jürgen Kaube mit dem "philosophischen Erfolgsschriftsteller" Giorgio Agamben und dessen neuen Band "Profanierungen" ins Gericht. Er hält ihm vor zu suggerieren, "man könne die Wissenschaft überspringen und aus einer Exzerptensammlung heraus - sie muss nur idiosynkratisch genug zusammengestellt sein - die Welt abschließend kommentieren". Die zehn Stücke des Bandes, die Themen wie die Idee des Genius, die Fotografie, das Genre der Parodie, das Wünschen und die Kategorie des Bildes, den Zusammenhang von Zauberei und Glück und so weiter behandeln, zeichnen sich für Kaube negativ dadurch aus, dass sie Argumentation durch Feststellung ersetzen, Unklarheiten produzieren und permanent den Eindruck erwecken, es gehe um Außerordentliches, Letztentscheidendes. Über einen Sachverhalt nachzudenken, ohne nach eigenem Geschmack zusammengestellte theologische Versatzstücke einzurücken, falle Agamben schwer, alles unterhalte einen Bezug zum Jüngsten Gericht, zu göttlichen Sendboten, zum Paradies und so weiter. "Hier genießt ein Connaisseur der letzten Dinge und lässt dabei Aphorismen seiner Lieblingsintellektuellen wie einen Rosenkranz durch seine Finger gleiten", befindet Kaube über diesen "Remix aus Carl Schmitt und Benjamin, Heidegger und Foucault".

© Perlentaucher Medien GmbH