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Alain Badiou unternimmt nach seinem Lob der Liebe den Versuch einer Definition des Glücksbegriffs: Das "wahre Glück" sieht er in der Subjektivierung des Individuums, einem Prozess, der in vier Etappen von der Politik über die Poesie, die Philosophie und schließlich die Liebe verläuft.Die philosophische Grundfrage nach dem Glück ist durch den kapitalistischen Imperativ des Konsums und dessen gesellschaftliche Realität, die Selbstgenügsamkeit, ausgeblendet worden. Einer Metaphysik bleibt dadurch der Weg versperrt. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, zeichnet Badiou die Subjektivierung als…mehr

Produktbeschreibung
Alain Badiou unternimmt nach seinem Lob der Liebe den Versuch einer Definition des Glücksbegriffs: Das "wahre Glück" sieht er in der Subjektivierung des Individuums, einem Prozess, der in vier Etappen von der Politik über die Poesie, die Philosophie und schließlich die Liebe verläuft.Die philosophische Grundfrage nach dem Glück ist durch den kapitalistischen Imperativ des Konsums und dessen gesellschaftliche Realität, die Selbstgenügsamkeit, ausgeblendet worden. Einer Metaphysik bleibt dadurch der Weg versperrt. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, zeichnet Badiou die Subjektivierung als wesentlichen Prozess der Rekonstruktion einer Kategorie des Absoluten in vier Bereichen nach: die politische Emanzipation, die künstlerische Kreation, die wissenschaftliche Invention und die Alteration in der Liebe. Es geht Badiou um eine Teilhabe des Individuums am Absoluten (an den Wahrheiten), mithin um das Glück jedes Einzelnen.Mit der Metaphysik des wahren Glücks gibt Badiou dem Leser nicht nur ein konkretes Werkzeug im Hinblick auf das eigene Glück an die Hand, sondern zeigt erneut die systematische Struktur seiner philosophischen Denkbewegung in brillanter, konzentrierter Form.
Autorenporträt
Alain Badiou, geboren 1937 in Rabat, Marokko, lebt als Philosoph, Mathematiker und Romancier in Paris.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.09.2016

Kein depressives Gemaule mehr!

Höchst anregende Hysterie: Nach einem langen Denkweg voller Konflikte legt Alain Badiou eine "Philosophie des wahren Glücks" vor

Der Kick, den ein Mathematiker erlebt, wenn er kurz vor der Lösung eines fundamentalen mathematischen Problems drei, vier oder fünf Tage nicht schläft, kommt dem, was Alain Badiou das wahre Glück nennt, so nah, wie man einem abstrakt synthetischen Wort wie "Glück" überhaupt nur nahekommen kann. Denn natürlich ist Badious "Philosophie des wahren Glücks" ein abstraktes, um Formalisierungen und Definitionen ringendes Werk wie jedes Buch der Philosophie. Nur versucht Badiou in diesem Alterswerk wie schon in seinem "Lob der Liebe" das Wirhafte der Wirklichkeit in keinem Moment des Gedankengangs mit einer schmissigen Formel zu erschlagen. Er setzt das Wir in der Wirklichkeit, die ja sehr bewusst nicht Ichlichkeit heißt, allerdings in einer Form voraus, die sich vor allem über den um Ruhe, Klarheit und Nachvollziehbarkeit bemühten Stil erschließt, der, anders als in seinen Hauptwerken wie "Das Sein und das Ereignis" oder den "Logiken der Welten", sich nicht in hochkomplexen mathematisierten Gedankengängen übt.

Die Philosophie des wahren Glücks ist eher der sehr milde Versuch, nach einem langen, nie um Harmonie und Konsens bemühten Denkweg, eines der Hauptmotive der Badiouschen Philosophie noch einmal in Szene zu setzen: nämlich die Erschaffung eines antidepressiven Prinzips nicht nur im Denken. Ein Prinzip, das man in einem der wenigen Bücher der Philosophiegeschichte, das das Glück im Titel trägt, in Baruch de Spinozas "Kurzer Abhandlung von Gott, dem Menschen und seinem Glück", vorformuliert findet. Für Spinoza gibt es Kräfte, die das Tätigkeitsvermögen vermindern oder hemmen, und es gibt solche, die das Vermögen zur Entfaltung bringen oder steigern. Auf dem Weg zum Glück sollte man die Ersteren, wenn möglich, meiden und die Zweiten versuchen, zu seinen Freunden zu machen. Deshalb postuliert Spinoza auch, dass freie Menschen nicht über den Tod nachdenken, sondern sich mit dem Leben beschäftigen würden, wenn sie denn frei wären. Aus der Tatsache, dass aber zu Spinozas Zeiten, Spinoza starb 1677 in Den Haag, sehr viele Menschen nicht so frei waren, dass sie hätten tun können, was sie wollten, geschweige denn so frei waren, das sie hätten erkennen können, zu was sie fähig sein könnten, erwachsen für die Philosophie erhebliche Probleme.

Beleidigte Professoren.

Die Philosophie, wie Spinoza sie betrieb, muss erkennen, dass sie nicht imstande ist, die Wahrheiten, die sie gefunden hat, in der Welt zu verwirklichen. Die Verwirklichung von Freiheit und Wahrheiten ist eine Sache der Politik, dem Philosophen bleibt nur die Möglichkeit, an der Verbesserung des Verstandes zu arbeiten, die Instrumente des Erkennens zu schärfen und dabei die Affekte und Gefühle nicht zu vergessen, die uns jeden Tag wieder vor der Wirklichkeit in den Keller der Trauer schicken können.

Und Badiou nimmt Spinoza nicht nur als Philosophen des Glücks des Menschen im richtigen Erkennen ernst, er übernimmt auch die erste Methode Spinozas. Ohne die Mathematik würden wir überhaupt nichts erkennen, folgerte Spinoza aus der chaotischen Unordnung, in der die Dinge der Welt uns erscheinen, und machte die Geometrie zur Grundlage seiner Ethik. Wobei die große, um nicht zu sagen: überlebensgroße Leistung seines Denkens darin bestand, immer an der Aussicht eines erreichbaren Glücks im Leben festgehalten zu haben.

Denn die Philosophiegeschichte ist reich an Verächtern des Glücks, und die aktuellen Philosophieprofessoren sehen oft schon, wenn sie nur in einem normalen Restaurant auf die Karte schauen und mit gequält beleidigtem Blick verkünden: "Ich bin aber Vegetarier", so aus, als dürfe man das Glück in ihrer Nähe bestimmt nicht suchen.

Die Glücksverachtung nicht nur der Philosophen hat Gottfried Benn in zwei einprägsame Zeilen gepackt: "dumm sein und Arbeit haben: das ist das Glück". Zeilen, deren glücksverachtender Witz sich nicht nur angesichts der aktuellen Weltarbeitslosigkeitszahlen sehr gut mit jeder Form von Zynismus paaren lässt. Benns Formel markiert auch den fundamentalen Gegensatz zu den Glückskonzepten Spinozas wie Badious. Während Benn die Dummheit betont, fangen die beiden Philosophen mit einer Fähigkeit an: Der Mensch denkt, heißt die erste Bestimmung dieser Glücksphilosophie. Und natürlich kann der Mensch, können die Menschen auch sehr viel Blödsinn denken, man tut es selbst jeden Tag ständig. Man kann sich zum Beispiel bei brüllender Hitze zum Sonnen in den Park legen und sich tierisch darüber aufregen, dass die Sonne entweder zu heiß ist oder aber zu kalt, wenn eine Wolke und ein Wind ihre Wirkung verkehren. In beiden Fällen bleibt man immer nur ein Spielball der äußeren Wirkung der Sonne und wird, wenn man sich wieder angezogen hat, so verbissen sein wie der vegetarische Professor vor der Fleischkarte im Restaurant. Spinoza nennt diese Form des ausgelieferten Umgangs mit der Sonne aus Höflichkeit die "erste Erkenntnisgattung".

Man kann aber auch versuchen, die Sonne zu verstehen, ihrem Tageslauf zu folgen, sich danach zu richten und auf diesem Wege zu einer Art praktischem Verständnis der Ursachen der Sonnenwirkungen zu kommen. Auf dem Weg zum Glück ist das natürlich nur ein erster Schritt, denn man ist noch nicht auf der Seite des Schaffens, des Neuen und der Wahrheit angelangt, wie der eingangs erwähnte Mathematiker kurz vor der Findung einer neuen Formel. Trotzdem lässt sich aus dem Beispiel des Sonnenbadenden und der Sonne ein Grundprinzip des Glücks herauslesen. Zum Glück gehören immer mindestens zwei Akteure, ein Individuum oder Subjekt und eine Sache, ein Ding oder auch ein Gebiet wie die Wissenschaften, die Künste oder die Philosophie. Und dieses andere, diese Sache oder dieses Gebiet, war vor einem da, und daraus folgen Zwänge und Notwendigkeiten, die der Lust entgegenstehen. Die wahre Freiheit, eine der Voraussetzungen des wahren Glücks, besteht für Badiou darin, gerade nicht zu tun, "worauf man Lust hat". Denn das zu tun, worauf man Lust hat, ist als solches Teil der Anpassung an die Welt, wie sie ist. "Wenn die Welt Ihnen die Mittel gibt, das zu tun, worauf Sie Lust haben, dann mit Sicherheit deswegen, weil Sie den Gesetzen dieser Welt, wie sie ist, gehorchen", schreibt er an einer zentralen Stelle seines Glücksbuchs. Und, um es gar nicht erst leicht erscheinen zu lassen, schiebt er auch noch als Definition hinterher, dass infolgedessen "das tatsächliche Wesen der Freiheit, die wesentliche Voraussetzung des wahren Glücks, die Disziplin ist".

Etwas platter kann man diese Definition des Glücks in die Forderung übersetzen: Folge deinem Begehren, erkenne deine Fähigkeiten und versuche sie in die Welt zu tragen, vergiss dabei aber nie, dass seinem Begehren folgen zu neunzig Prozent der Zeit nichts anderes heißt, als seine Pflicht zu tun. Es ist an diesem Punkt von Badious Philosophie des wahren Glücks äußerst hilfreich, dass er sich konkret auf die Wissenschaften und die Künste bezieht. Denn es hat sich herumgesprochen, dass Künstler, die wirklich Neues schaffen, geduldig und oft ermüdend den Forderungen des Werks gehorchen, um Tag für Tag Formen einer neuen Darstellung der Wirklichkeit finden zu können. Für Wissenschaftler, die tatsächlich Neues in ihre Welt setzen, gilt das Gleiche, und es gilt auch, dass niemand auf sie wartet, so wie im 19. Jahrhundert niemand auf Friedrich Nietzsche, Karl Marx oder Sigmund Freud gewartet hat. Bei den Schöpfern des Neuen in Kunst und Wissenschaft, folgert Badiou, werde es von einem bestimmten Punkt an unmöglich, zwischen Disziplin und Freiheit zu unterscheiden. Beim dichterischen Ausdruck etwa seien "freie" Sprache und streng formale Disziplin untrennbar voneinander.

Politische Niederlagen.

Die neue Form in der Kunst und die neue Formel in der Mathematik bilden aus der Materie entwickelte Überraschungen in einem prinzipiell offenen und unendlichen Prozess, den Wissenschaft und Kunst als universelle Aktivitäten darstellen. Die Wahrheit ist in diesen Fällen für alle, oder sie ist keine. Und ebenso klar ist, dass mit wissenschaftlichen Erfindungen wie dem Mikroskop oder der Quantenphysik sich auch ganze Welten ändern und dieser Änderungseffekt mit Sicherheit auch zum wahren Glück von Künstlern und Wissenschaftlern gehört. Es ist in diesen Fällen auch wirklich nicht schwierig, dem Glücksversprechen, das Badious Philosophie anbietet, zu folgen, obwohl es wohl kaum jemanden gibt, der weniger Zweifel daran lässt, dass man ohne Talent und sehr viel Arbeit weder in der Kunst noch in der Wissenschaft auch nur in die Nähe des Glücks kommt.

Sehr schwierig wird es allerdings, wenn man Badious Glückssuche in der Politik folgt. Das hat nicht nur mit seiner spezifischen Biographie zu tun, die ihn sehr früh zuerst zu einem Aktivisten gegen den Algerienkrieg und 1968 zu einem der Protagonisten der maoistischen Revolte in Paris hat werden lassen. Denn im Grunde, so sagte er kürzlich in einem Gespräch mit dem Literaturwissenschaftler Gernot Kamecke, hätte sein gesamtes Engagement von dem frühen Einsatz für die Migranten in den verslumten Vorstädten Frankreichs wie seine maoistischen Interventionen an der Universität "nichts gebracht". Es handelt sich selbst in Badious Einschätzung um eine Aneinanderreihung von Niederlagen. Wobei das Frappierende ist, dass er weder zum Renegaten noch zum Verschweiger seiner Untaten geworden ist. In Textsammlungen, die seinen Denkweg dokumentieren, nimmt er bis heute seine peinlichsten Kritiken zu Gilles Deleuze' und Félix Guattaris "Tausend Plateaus" auf, in denen er als wirklich behämmerter Kleinparteien-Betonkopf erscheint.

Peter Sloterdijk, der bestimmt kein Anhänger der Französischen Revolution und des darin formulierten universellen Gleichheitsaxioms ist, hat die Faszination, die von Badious politischen Überlegungen ausgeht, einmal so zu fassen versucht: Vielleicht fasziniere Badiou auch deshalb, weil auch in der politischen Theorie die Hysterie, noch durch ihre abstoßende Wirkung, anregender sei als das depressive Gemaule der Vernünftigen. Wenn man noch hinzufügt, dass am Anfang einer jeden künstlerischen, wissenschaftlichen und politischen Neuerung eine Hysterie steht, kann man Sloterdijk nicht widersprechen. Gerade in seinen aktuellen Äußerungen schafft es Badiou immer wieder, das politische Glück zumindest noch am Horizont erscheinen zu lassen. Das politisch zu erreichende Glück ist für ihn eine Idee aus Europa, entstanden in der Französischen Revolution und gebunden an das Gleichheitsprinzip. Dabei ist Gleichheit kein soziologisches, finanzielles oder naturhaftes Prinzip, das sich beweisen oder ableiten ließe. Die Menschen sind verschieden, sonst wären sie ja keine Individuen. Gleichheit bedeutet nichts anderes, als dass die politischen Akteure bloß durch das rein menschliche Vermögen des Denkens verstanden sein sollen, das im Menschen die Möglichkeit einer Wahrheit eröffnet. Und mit der Wahrheit Spinozas wie Badious steht man dann mit Sicherheit außerhalb der aktuellen Politiken nicht mehr so allein da und kann ruhiger das Glück nicht suchen, sondern wollen.

CORD RIECHELMANN.

Alain Badiou: "Philosophie des wahren Glücks". Dt. v. Paul Maercker. Passagen-Verlag, 104 Seiten, 14,30 Euro

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