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Maurizio Ferraris verfolgt Leben und Nachleben Nietzsches über 111 Stationen hinweg: durchs Engadin und entlang der Riviera, vom schicksalsträchtigen Turin bis zu den Ursprüngen in Sachsen - von der dionysischen 'ewigen Wiederkehr' bis zum Nihilismus und dem Tode Gottes. Jede Facette dieses "faszinierenden Kaleidoskops aus Zitaten und Verweisen" (Avvenire) bringt eine neue Perspektive auf die intellektuelle Geschichte des 20. Jahrhunderts, auf Jim Morrison und Heidegger, den Heroismus des "Viva la muerte!" Millán-Astrays, die von Deleuze/Guattari ersehnte Revolution des Begehrens und die…mehr

Produktbeschreibung
Maurizio Ferraris verfolgt Leben und Nachleben Nietzsches über 111 Stationen hinweg: durchs Engadin und entlang der Riviera, vom schicksalsträchtigen Turin bis zu den Ursprüngen in Sachsen - von der dionysischen 'ewigen Wiederkehr' bis zum Nihilismus und dem Tode Gottes. Jede Facette dieses "faszinierenden Kaleidoskops aus Zitaten und Verweisen" (Avvenire) bringt eine neue Perspektive auf die intellektuelle Geschichte des 20. Jahrhunderts, auf Jim Morrison und Heidegger, den Heroismus des "Viva la muerte!" Millán-Astrays, die von Deleuze/Guattari ersehnte Revolution des Begehrens und die Erfindung der Antidepressiva. Ferraris entwirft eine Genealogie der Katastrophen des 20. Jahrhunderts, in denen der "Wille zur Macht" gespenstische Gestalt gewinnt - von den Stahlgewittern des 1. Weltkriegs bis zu Hitlers Untergang in Berlin. Es ist zugleich eine Phänomenologie des Geistes der tragischen und geräuschvollen Moderne aus der Perspektive desjenigen, der sich selbst (nicht ganz zu Unrecht) als den "stillsten Menschen" wähnte.
Autorenporträt
Ferraris, Maurizio
Maurizio Ferraris ist Professor für Philosophie an der Universität Turin und Direktor des LabOnt (Laboratory for Ontology).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Andreas Urs Sommer hätte sich von Maurizio Ferraris mehr erwartet. Auf Nietzsche und seine Nachfolger mit dem Holzhammer einzuprügeln, hält er für keine große Leistung. Schlimmer noch: Als Kronzeuge für Metaphysik und Nihilismus, wie ihn der Autor verkaufen will, taugt Nietzsche laut Sommer gar nicht. Ein Blick in die Forschungsliteratur hätte genügt, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, meint der Rezensent. So wird das Buch für Sommer zu einer Selbstentblößung des von Ferraris postulierten neuen Realismus, aus der Nietzsche eben nicht als Nihilist hervortritt, sondern als alles Irdische feiernder Realist.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.09.2016

Wie man mit dem Holzhammer philosophiert
Die Gespenster des neuen Realismus: Maurizio Ferraris glaubt, mit Nietzsche ein Hühnchen rupfen zu müssen

Seit ein paar Jahren geht in den Feuilletons das Gespenst des neuen Realismus um. Dieser neue Realismus, dem der Turiner Philosophie-Professor Maurizio Ferraris ein eigenes "Manifest" gewidmet hat, will die abendländische Philosophie spätestens seit Descartes und Kant einer Generalrevision unterziehen. Bislang habe man Erkenntnistheorie und Ontologie sträflich verwechselt und vermischt. Man habe die Wirklichkeit von einem erkennenden Subjekt abhängig gemacht und so getan, als ob es dieses Subjekt sei, das die Welt konstruiere. Dieser Konstruktivismus, mittlerweile des schöpferischen Subjekts entkleidet, feiere seine fröhliche Auferstehung im allenthalben grassierenden Postmodernismus. Ihn hat sich der neue Realismus als Feindbild auserkoren.

Nun hat Ferraris ein neues Buch vorgelegt, gemäß Untertitel "ein menschliches und intellektuelles Abenteuer". Und tatsächlich: Abenteuerlichkeit scheut der Verfasser nicht, wenn er sein Publikum durch 111 Stationen schickt, um auf Friedrich Nietzsches Gespenster Jagd zu machen. Manche dieser Stationen sind absehbar: Röcken, 28. August 1900, Nietzsches Beerdigung; Turin, 6. Januar 1889, Nietzsches Zusammenbruch. Manche weniger: Bonn, 25. August 2013, der Autor setzt sich an den Schreibtisch; Berlin, 30. April 1945, Hitler bringt sich um. Die Ordnung dieser intellektuellen Schnitzeljagd ist weder chronologisch noch geographisch, sondern assoziativ. Beim ersten Blättern könnte man auf die Idee verfallen, Ferraris wolle so vor Augen führen, dass Nietzsche ein ortloser Denker sei, der sich aller Verortung entziehe und zugleich allerorten sein könne. Jedoch: weit gefehlt.

Da es unter Philosophen guter Brauch ist, sich einen Paten aus der Denkvergangenheit zuzulegen, der das Eigene schon vorweggenommen habe, könnte der erst blätternde Leser zur Vermutung kommen, Ferraris wolle Nietzsche als Kronzeugen seiner realistischen Philosophie aufrufen. Denn hat Nietzsche nicht "einen verwegenen Realismus, eine Ehrfurcht vor allem Thatsächlichen" an Goethe gepriesen oder die "prachtvoll geschmeidige Leiblichkeit, den verwegenen Realismus und Immoralismus" der Griechen? Doch auch hier: weit gefehlt.

Jener Nietzsche, den Ferraris vorführt, ist kein ortloser, quecksilbriger Unruhegeist, der sich immer wieder zu neuen Erfahrungen neu ins Verhältnis setzt. Vielmehr ist er ein in sich selbst verkapselter Gescheiterter, ein Mann, der seine Philosophie nur erdacht hat, um sich über dieses Scheitern hinwegzutäuschen. Um dieser Sicht zu Nachdruck zu verhelfen, beginnt Ferraris seinen wilden Ritt durch die Geistes-, Kultur- und Politikgeschichte im Augenblick von Nietzsches geistigem Zusammenbruch. Mitleid, gewürzt mit Verachtung, ist die dominierende Empfindung, die der Autor seinem Protagonisten entgegenbringt, wobei die Verachtung immer mehr die Oberhand gewinnt, je häufiger Ferraris echte und vermeintliche Nietzsche-Nachfolger von Elisabeth Förster-Nietzsche über Heidegger und Hitler bis zu den Postmodernen ins Visier nimmt.

Nun ist es jedem unbenommen, sich in Mitleid und Verachtung zu üben oder sich über Nietzsches angebliche bipolar affektive Störung zu verbreiten. Aber von einem akademischen Philosophen darf man vielleicht doch verlangen, dass er die Texte eines Philosophen der sorgfältigen Lektüre unterzieht, bevor er mit dem Holzhammer, den er mit dem Diagnosehämmerchen verwechselt, auf sie eindrischt. Obwohl, zugegeben, Nietzsche selbst eine solche Forderung nicht beherzigt hat.

Maurizio Ferraris' Nietzsche erscheint als tumber Dogmatiker einer metaphysischen Lehre vom Willen zur Macht und einer nicht minder metaphysischen Lehre von der Ewigen Wiederkunft des Gleichen. Kein Gedanke wird daran verschwendet, dass die Forschung längst gezeigt hat, wie wenig es sich dabei um "Lehren", sondern um Lebens- und Gedankenexperimente handelt, die schwerlich die Angelpunkte eines nie fertiggestellten Systems darstellen.

Wenn Ferraris Nietzsche als manisch Besessenen darstellt und dessen Selbstmythologisierungen als "Umwerther aller Werthe" für bare Münze nimmt, reduziert er ihn auf plakative Schlagworte. Diese türmt er wie Bauklötzchen zu einem gefährlich wankenden Gebilde aufeinander. Zu einem Gebilde, das das ganze Elend des grassierenden konstruktivistischen Babel-Turmbaus veranschaulichen soll. Allerdings bleibt der Autor selbst schwankend, ob am Schlamassel Nietzsche, dessen protestantisch-preußische Herkunft, die tristen Familien- und Frauengeschichten, das physiologisch-psychische Leiden, das antirealistische Verhängnis der Philosophiegeschichte oder alle gemeinsam schuld sind.

Nun herrscht an schlechten Büchern über Nietzsche und seine mutmaßlichen Folgen wahrhaftig kein Mangel. Auch die Erkenntnis, dass Nietzsche weder ein lupenreiner Demokrat noch ein politisch korrekter Verteidiger der Menschenrechte oder der Frauenemanzipation gewesen ist, zählt nicht gerade zu den jüngsten Entdeckungen. Bemerkenswert ist Ferraris' Buch aus einem anderen Grund: Es ist eine Selbstentblößung des neuen Realismus.

Die leitende Absicht, die Ferraris verfolgt, ist es, Nietzsches Denken so absurd wie möglich erscheinen zu lassen. Doch warum? Die Antwort liegt auf der Hand, auch wenn sie im Buch sorgfältig ausgespart wird: weil kaum ein anderer Philosoph so konsequent wie Nietzsche darauf beharrt hat, dass die irdischen, weltlichen Wirklichkeiten die einzigen sind, auf die es ankommt. Ferraris wird nicht müde, Nietzsches Beobachtung, dass die Welt keinen feststehenden moralischen oder religiösen Hintersinn habe, als üblen Nihilismus zu brandmarken (den er wiederum aus dem Idealismus / Konstruktivismus meint ableiten zu können).

Und doch ist das, was hier Nihilismus heißt, nichts weiter als Realismus - die nüchterne Einsicht, dass unsere irdischen Realitäten metaphysisch "alternativlos" sind und keine irgendwie natürlich gegebene moralische Substanz haben. Das eigentliche Gespenst, das hinter Ferraris' Buch lauert, ist der Realist Nietzsche. Vielleicht liegt das Neue am neuen Realismus ja darin, dass er die Bemühung um Selbsterkenntnis verweigert: die Selbsterkenntnis nämlich, dass jeder ehrliche Realismus Nihilismus sein müsste. Vielleicht sollte der neue Realismus sich, seinem stolzen Namen die Ehre gebend, weniger mit Gespenstern beschäftigen, mehr mit Realitäten.

ANDREAS URS SOMMER

Maurizio Ferraris: "Nietzsches Gespenster". Ein menschliches und intellektuelles Abenteuer.

Aus dem Italienischen von Malte Osterloh. Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2016. 251 S., br., 21,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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